Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Die Kritik der Anderen

„Er gehört zu der nicht ganz gerin­gen Zahl derer, die ohne daß sie for­mell bei mir stu­diert hät­ten, sich als mei­ne Schü­ler betrach­ten“, schreibt Theo­dor W. Ador­no über Enno Pata­l­as in einem Brief 1962 an Sieg­fried Kra­cau­er. Die frü­he Film­kri­tik hat­te es in weni­gen Jah­ren inner­halb der deut­schen Kul­tur- und Medi­en­land­schaft durch ihren neu­en und kri­ti­schen Stil, ihre Bezug­nah­me auf die Film­theo­rie vor dem 2. Welt­krieg zu einer der wich­tigs­ten, wenn auch klei­ne­ren Medi­en lin­ker Kri­tik geschafft. Ganz gezielt wur­de die Nähe zu Ador­no, Kra­cau­er und Co. gesucht. Kein Wun­der also das jene sich posi­tiv und nicht ganz ohne Stolz ihrer eige­nen Bedeu­tung über die Zeit­schrift äußerten.

Doch wie wur­de die Film­kri­tik von den ande­ren Medi­en in Deutsch­land auf­ge­nom­men? Und inwie­fern wur­de sich mit ande­ren Film­zeit­schrif­ten beschäf­tigt, um die Suche nach neu­en Wegen eines Schrei­bens über Film fortzusetzen?

Die Zeit­schrift the­ma­ti­sier­te sich seit den frü­hen 1960er Jah­ren immer wie­der selbst. Das eige­ne Ver­hält­nis zur Lin­ken, zur Fra­ge der Kri­tik und die Idee einer Blatt­li­nie wur­den durch Leit­ar­ti­kel wie „Gibt es eine lin­ke Kri­tik?“ (FK 361) oder „Zum Selbst­ver­ständ­nis der Film­kri­tik“ (FK 164) mehr­fach über­holt und von Pata­l­as, Wil­fried Berg­hahn und Ulrich Gre­gor dis­ku­tiert. Eine wich­ti­ge Beschäf­ti­gung mit der eige­nen Zeit­schrift die nicht nur zeigt, dass die Film­kri­tik schon zu Beginn durch­aus eine sehr hete­ro­ge­ne Platt­form ver­schie­de­ner Zugän­ge zum Film war, son­dern auch zu einer Selbst­kri­tik fähig war, die letzt­end­lich zu einem spä­te­ren Bruch in der Redak­ti­on in den Jahr­gän­gen 196667 führte.

In der über die Jahr­gän­ge 1964 bis 1967 drei­mal erschie­nen Kolum­ne „Kri­tik an der Film­kri­tik“ konn­ten Autoren ande­rer Film­zeit­schrif­ten über die Film­kri­tik schrei­ben. Kurz zuvor erschien zwi­schen 1962 und 1963 die Serie „Film­pu­bli­zis­tik in Deutsch­land“ in der wie­der­um ande­re Film­me­di­en kom­men­tiert wur­den. Joe Hem­bus berich­tet in FK 462 über die deut­schen Illus­trier­ten und deren Reduk­ti­on des Films auf sei­nen Skan­dal­wert. „In der deut­schen Illus­trier­ten hin­ge­gen wird eine pene­tran­te pro­vin­zi­el­le Heu­che­lei getrie­ben. […] Der Film und die deut­sche Illus­trier­ten­pres­se begeg­nen sich auf ihrem unters­ten Niveau.“ (FK 462) Die „Klatsch­müh­le“ begeg­net dem deut­schen Film auf Augen­hö­he, wenn aus einer Nost­al­gie der „guten alten Zeit“ Illus­trier­ten­ro­ma­ne ver­filmt werden.

Ähn­li­ches beschäf­tigt auch Ulrich Gre­gor in sei­nem Pres­se­spie­gel zur Ber­li­na­le 1962 (FK 862), wenn sich wie im Ber­li­ner Bou­le­vard­blatt BZ die Kri­ti­ken des Fes­ti­vals mehr über die Stars als über die Fil­me erei­fern, indem „jeden Tag, jede Stun­de auf den bei­den Flug­hä­fen Maschi­nen lan­den, die neue Pro­mi­nen­te brin­gen“ oder auf das weni­ge Wochen zuvor ver­fass­te Ober­hau­se­ner Mani­fest Bezug genom­men wird und der Film Das Brot der frü­hen Jah­re von Her­bert Vese­ly als „schief gegan­ge­ner Neue-Wel­le-Krampf“ kom­men­tiert wird. Gre­gor sieht hier im Bou­le­vard nicht nur ein Schrei­ben für das in Ober­hau­sen eigent­lich tot­ge­sag­te Kino, son­dern auch eine sym­pto­ma­tisch deut­sche Form der geschmäck­le­ri­schen Kri­tik der „Lecker­bis­sen“. Hier geht nicht zum ers­ten Mal in der Film­kri­tik der im Nach­kriegs­deutsch­land nicht ganz unty­pi­sche, sehn­süch­ti­ge Blick ins Aus­land, wo Gre­gor ins­be­son­de­re in Ita­li­en und Frank­reich die ernst­haf­te Aus­ein­an­der­set­zung mit Film schätzt und viel­leicht auch etwas idealisiert.

Weni­ge Monats­hef­te zuvor rich­tet sich die Kri­tik direkt gegen die vom Axel-Sprin­ger Ver­lag geführ­ten Medi­en BZ und Bild. Das Urteil fällt natür­lich ähn­lich kata­stro­phal aus: „Es liegt in der Natur ihrer Sache, daß die Mas­sen­zei­tun­gen papaes­ke The­men bevor­zu­gen und als die Zwerg­pin­scher der illus­trier­ten Hef­te erschei­nen.“ (FK 562) Karl-Heinz Krü­ger ver­är­gert jedoch nicht nur das feh­len­de Niveau, son­dern viel­mehr die Recht­fer­ti­gung des Urteils durch den ver­meint­li­chen Geschmack der „Mas­se“. Eine vor der Rezen­si­on schon zur Unmün­dig­keit ver­ur­teil­ten Mas­se. Der deut­sche Bou­le­vard schafft Auf­la­ge durch die Bestä­ti­gung von Vor­ur­tei­len und Annah­men gegen­über Film und Kunst, die so mani­pu­la­tiv geschrie­ben sind, dass sich laut Krü­ger erst gar kei­ne Mei­nung bil­den kann. „Wo But­ler aus­pa­cken und Intel­lek­tu­el­ler schon als Schimpf­wort gilt, wird alles mög­lich, auch so etwas unter Bild-Kino-Tips: ‘Metro­po­lis war auch zu sei­ner Zeit schon eine Expe­ri­ment – ein Expe­ri­ment wie es heu­te bei­spiels­wei­se Fil­me wie Letz­tes Jahr in Mari­en­bad sind.‘ Und mit Expe­ri­men­ten hal­ten Sie [die Bild-Redak­teu­re] es wie die Kanz­ler-Par­tei“ (FK 562)

Doch die Kri­tik der Film­pu­bli­zis­tik rich­tet sich auch gegen die grö­ße­ren Tages­zei­tun­gen. In „Applaus ist anste­ckend“ (FK 1263) zeigt Rein­old Thiel anhand meh­re­re Tex­te zu Ralph Nel­sons Lilies of the Field, wie ein Film von diver­sen Film­kri­ti­kern ohne Recht­fer­ti­gung hoch­ge­re­det wird. Das Feld kor­ri­giert sich durch Beein­flus­sung und Angst aus dem Kanon aus­zu­bre­chen von selbst. „Der Film von dem wir spre­chen, lief auf der dies­jäh­ri­gen Ber­li­na­le. Er hat­te Sze­nen­ap­plaus (kein Wun­der: er ist Publi­kums­wirk­sam), die Kri­ti­ker lie­ßen sich anste­cken, steck­ten sich gegen­sei­tig an, ver­steif­ten sich in ihre Hal­te­rung ange­sichts der Mah­nun­gen eini­ger Beson­ne­ner. Das hier ad oco­lus demons­trier­te Phä­no­men ist, wenn­schon nichts wei­ter, ein Sym­ptom für die Unselbst­stän­dig­keit der meis­ten deut­schen Kri­ti­ker.“ (FK 1263)

Eine ers­te Selbst­po­si­tio­nie­rung seit der Grün­dung 1957 neh­men Pata­l­as und Berg­hahn 1961 im schon erwähn­ten Text „Gibt es eine lin­ke Kri­tik?“ vor. Wie­der­um inspi­riert von Dis­kus­sio­nen in ande­ren euro­päi­schen Län­dern, ins­be­son­de­re von den bei­den eng­li­schen Film­zeit­schrif­ten Sight and Sound und Film Cul­tu­re fra­gen sich Pata­l­as und Berg­hahn was in der BRD eine lin­ke Film­kri­tik sein könn­te. Der Text äußert schon hier ein etwas wan­kel­mü­ti­ges Schwan­ken zwi­schen Film­kri­tik als Gesell­schafts­kri­tik oder einer indi­vi­dua­lis­ti­schen Kri­tik der Ästhe­tik. Die Fra­gen nach Form und Inhalt oder Ästhe­tik und gesell­schaft­li­cher Rele­vanz brin­gen bei­de ins Schleu­dern. Der Text ist ein Ver­such zu ver­mit­teln. Zunächst wird klar­ge­stellt wel­che Kri­tik nicht geschätzt wird – die her­kömm­li­che Kri­tik: „Sie will nicht urtei­len, nicht rich­ten, sie will nur Ein­drü­cke schil­dern. […] Sie igno­riert, dass der Film ein Mas­sen­me­di­um ist, obwohl sie sich zur Recht­fer­ti­gung ihres eige­nen Des­in­ter­es­ses gera­de dar­auf beruft.“ (FK 361)

Trotz­dem schät­zen Pata­l­as und Berg­hahn jene indi­vi­dua­lis­ti­schen Posi­tio­nen André Bazins und der jun­gen Equi­pe der Cahiers du ciné­ma, wel­che durch ihren Stil tie­fer in das Wesen des Films ein­zu­drin­gen ver­mö­gen. Und doch muss die­ses Urteil ein­ge­schränkt wer­den, in dem Brecht her­an­ge­zo­gen wird, um die enga­gier­ten und etwas zu sub­jek­ti­ven fran­zö­si­schen Tex­te im Zaum zu hal­ten. „Solan­ge die gesell­schaft­li­che Funk­ti­on des Films nicht kri­ti­siert wird, ist jede Film­kri­tik nur Sym­ptom­kri­tik und hat sel­ber nur sym­pto­ma­ti­schen Cha­rak­ter.“ (FK 361)

Doch die lin­ke Kri­tik scheint in ihrem eige­nen Dog­ma­tis­mus oft gefan­gen, wenn Sie es nicht schafft die laten­ten Inhal­te des Films zu erfas­sen. „Es zeigt, dass eine Kri­tik, die den Film als gesell­schaft­li­ches Phä­no­men ver­stan­den wis­sen möch­te, sehr leicht in Gefahr gerät, ihn nur als poli­ti­sche Kund­ge­bung im kal­ten Krieg der Ideo­lo­gien zu ver­schlie­ßen.“ (FK 361) Ins­be­son­de­re die Rezep­ti­on der Film der Nou­vel­le Vague schei­nen in Deutsch­land und in der Film­kri­tik ein Richt­wert gewe­sen zu sein, auf wel­cher Sei­te der kri­ti­schen Metho­den man steht. Pata­l­as und Berg­hahn kla­gen die poli­ti­sie­ren­de Kri­tik an den fran­zö­si­schen Fil­men als „lin­ke-pseu­do Kri­tik“ an, die ihre Urtei­le nicht mit der Rea­li­sier­bar­keit ihrer For­de­run­gen abglei­chen. Auf bei­den Sei­ten sehen Pata­l­as und Berg­hahn blin­de Fle­cken: „Das Miß­ver­ständ­nis, das hier im Poli­ti­schen wal­tet und in der Mei­nung besteht, gute Fil­me könn­ten nur unter allen Umstän­den poli­tisch durch­re­flek­tier­te sein, ent­spricht dem nai­ven Glau­ben der ästhe­ti­schen Kri­tik, es kom­me nur dar­auf an, die Fil­me von Geschmack­lo­sig­kei­ten frei­zu­hal­ten, dann wür­de man Kunst haben.“ (FK 361)

Pata­l­as und Berg­hahn lei­ten dar­aus einen For­de­run­gen-Kata­log ab:

Die her­kömm­li­che, alte Kritik: Die gefor­der­te, neue Kritik:
Iden­ti­fi­ziert sich mit dem Film, Steht dem Film for­dernd gegenüber,
Betrach­tet den Film als Anlaß, Betrach­tet den Film als Aufgabe,
Betrach­tet den Film als Erlebnis, Ver­langt vom Film ein Exempel,
Sieht den Film als Ganzheit, Unter­schei­det im Film ver­schie­de­ne Einflüsse,
Betrach­tet den Film als Einzelfall, Ver­weist auf die Geschich­te des Films
Sieht den Film als auto­no­mes Kunstwerk, Betrach­tet den Film als Aus­druck der Zeitströmungen,
Inter­es­siert sich mehr für die Form als die Aussage, Inter­es­siert sich mehr für die Aus­sa­ge als die Form,
Sieht die Form als selbst­stän­di­ge Qualität, Sieht die Form als einen Aspekt der Aussage,
Steht außer­künst­le­ri­schen Inten­tio­nen indif­fe­rent gegenüber, Fragt nach außer­künst­le­ri­schen Absich­ten und Wirkungen,
Inter­es­siert sich nicht für die Wün­sche des Publikums, Inter­es­siert sich leb­haft für die Wün­sche des Publikums,
Hält das Publi­kum für verständnislos, Hält das Publi­kum für unverstanden,
Betrach­tet die Film­in­dus­trie nur als Traumfabrik, Fragt,welche Beschaf­fen­heit die Träu­me haben,
Inter­es­siert sich nicht für unkünst­le­ri­sche Filme, Inter­es­siert sich für jeden Film,
Sieht nur die aus­drück­li­chen, mani­fes­ten Aussagen, Fahn­det nach unaus­drück­li­chen, laten­ten Aussagen,
Zeich­net die Inten­tio­nen des Regis­seurs nach, Deckt die Denk­ge­wohn­hei­ten des Regis­seurs auf,
Ver­langt den unab­hän­gi­gen Regisseur, Hofft auf den sei­ner gesell­schaft­li­chen Lage bewuß­ten Film,
Sieht nur das Resultat, Sieht auch die Produktionsbedingungen,
Kri­ti­siert nur den Film, Kri­ti­siert die Gesell­schaft aus der der Film hervorgeht,

Die­ser Ver­such eines Taxie­rens lin­ker Posi­tio­nen der Film­kri­tik wur­de in der 1964 zum ers­ten Mal erschie­nen Kolum­ne „Kri­tik an der Film­kri­tik“ auf­ge­grif­fen. Man­fred Del­ling, Mit­ar­bei­ter der Zeit­schrift Film, sowie der Tages­zei­tung Die Welt wur­de als Ers­ter ein­ge­la­den Ein­wän­de gegen die Film­kri­tik zu äußern. Del­lings Text wid­met sich zunächst dem Stil der Zeit­schrift. Auf­grund der Posi­ti­on eines Außen­sei­ters sei die Film­kri­tik einer­seits eine bemer­kens­wer­te Erschei­nung und ande­rer­seits durch ihren Stil zu „ […] Ver­bis­sen­heit, Fana­tis­mus und nicht zuletzt einer gera­de­zu demons­tra­ti­ven Flucht in die Nomen­kla­tur.“ (FK 364), ver­dammt. Die For­mu­lie­run­gen hät­ten eine sek­tie­re­ri­schen Cha­rak­ter und die Form, „ent­spricht den Beklem­mun­gen des Außen­sei­ters, der auf Aner­ken­nung drängt, wenn schon nicht in einer brei­te­ren Öffent­lich­keit so doch wenigs­tens bei einer exklu­si­ven Schar, die ihm zu fol­gen bereit ist.“ (FK 364) Die Ver­wen­dung vom Fremd­wör­tern und Sub­stan­ti­vie­run­gen, sowie der Bezug auf aus­län­di­sche fremd­spra­chi­ge Film­lek­tü­re erscheint Del­ling als eine pseu­do­in­tel­lek­tu­el­le Insze­nie­rung der jun­gen mit „über­stei­ger­tem Selbst­be­wusst­sein“ aus­ge­stat­te­ten Autoren, wel­che Leser eher abschre­cke als für die Zeit­schrift zu gewin­nen. Del­ling dia­gnos­ti­ziert einen Kader­ge­hor­sam, wel­chen er dar­auf­hin erstaun­li­cher­wei­se patho­lo­gi­siert: „Die­ser Stil ist zwei­fel­los der Aus­druck einer Ver­klem­mung. In sei­ner Spra­che for­mu­liert ein Mensch ja nicht nur sei­ne Gedan­ken. Der Sprach­leib ver­kör­pert Her­kunft, Bil­dung, psy­chi­sche Ver­fas­sung.“ (FK 364)

Die­se Psy­cho­lo­gi­sie­rung der jün­ge­ren Film­kri­tik Gene­ra­ti­on zieht sich durch Del­lings Text. Ins­be­son­de­re auch dann wenn er auf die poli­ti­schen Posi­tio­nen der Zeit­schrift ein­geht. Denn eigent­lich wür­den Fil­me in der Film­kri­tik nur auf ihre gesell­schaft­li­che Rele­vanz unter­sucht und alle metho­disch kon­ser­va­ti­ven Schreib­wei­sen über Film, ten­den­zi­ell als rechts ver­ur­teilt. Del­ling sieht eine gene­ra­ti­ons­be­ding­te Ten­denz poli­ti­sches in den Film hin­ein­zu­deu­ten: „Die ver­ständ­li­che, je not­wen­di­ge Gereizt­heit der lin­ken Kri­tik dar­über, dass unse­rer Gesell­schaft die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Faschis­mus ver­drängt, ver­führt sie dazu, faschis­ti­sche Situa­tio­nen zu erfin­den und zu einem Streit mit Phan­to­men auf­zu­for­dern. […] Die kon­ven­tio­nel­le Kri­tik igno­riert oder bil­ligt stän­dig die unter­schwel­li­ge poli­ti­sche Mani­pu­la­ti­on des Kon­sum­films, die lin­ke Kri­tik läuft Gefahr, sie zu erfin­den.“ (FK 364)

In der ers­ten Aus­ga­be des Jah­res 1964 aktua­li­siert Wil­fried Berg­hahn den For­de­run­gen Kata­log von 1961 und ver­sucht jene Vor­wür­fe die Film­kri­tik ver­ra­te den Film an die Sozio­lo­gie zu ent­kräf­ten. Der Arti­kel nimmt eini­ge Kri­tik­punk­te Del­lings vor­weg. „Es bedarf des­halb kei­ner Ent­schul­di­gung, daß die Film­kri­tik allen Ver­su­chen, alt­her­ge­brach­ten Form­kli­schees zu ent­flie­hen, seit eini­ger Zeit mehr Auf­merk­sam­keit wid­met als sie frü­her zu tun Gele­gen­heit besaß, weil nir­gends Zwei­fel sich reg­ten und Neu­es nicht pro­biert wur­de.“ (FK 164)

Die Abkehr eini­ger Regis­seu­re vom Neo­rea­lis­mus und neue Film­be­we­gun­gen wie die Nou­vel­le Vague brin­gen Berg­hahn zum Urteil, dass sich die lin­ke Kri­tik ver­än­dern muss. Die neu­en Fil­me brau­chen eine uto­pisch-ver­sier­te Spra­che. „Zwi­schen Pro­duk­ti­on und Kri­tik habe eine dia­lo­gi­sches Ver­hält­nis zu herr­schen, Pro­duk­ti­on und Kri­tik soll­ten ein­an­der reflek­tie­ren und der Kri­ti­ker habe gewiß der Herold des­sen, was er für zeit­ge­mäß erkannt hat, zu sein, wie eben­so gewiß aber auch das oppo­si­tio­nel­le Gewis­sen der Pro­duk­ti­on arti­ku­lie­ren müs­se, immer auf dem Sprung nach vorn und immer geneigt, sich dem Zukünf­ti­gen, Noch nicht-Ver­wirk­lich­ten, mehr zu erhof­fen, als vom Bestehen­den.“ (FK 164)

Wäh­rend Man­fred Del­ling den poli­ti­sie­ren­den Stil der Autoren kri­ti­siert, geht es im zwei­ten Arti­kel der Serie „Kri­tik an der Film­kri­tik“, um eine Kri­tik des von Berg­hahn for­mu­lier­ten Selbst­ver­ständ­nis­ses. Man­fred Vogel, Autor der Zeit­schrift Film­stu­dio, bemän­gelt die Tat­sa­che das wie­der­um nicht klar gewor­den sei, was lin­ke Film­kri­tik sei. Die Zeit­schrift Film­kri­tik, so Vogel, habe sich ver­än­dert und sei­ne poli­ti­sche Hal­tung eher ver­lo­ren als prä­zi­siert. Das neue Fil­me neue Schreib­wei­sen erfor­dern wür­den lässt Vogel nicht zu. „Da aber Berg­hahn aus Grün­den der Haus­rai­son die Kom­mer­zia­li­sie­rung des kri­ti­schen Stand­punk­tes nicht zuge­ben kann, mißt er die Ver­än­de­rung der Film­kri­tik an der Elle der Ver­än­de­rung des Films“ (FK 664)

Vogel wünsch­te sie ein prä­zi­sie­re For­mu­lie­rung des Poli­ti­schen der Kri­tik: „Solan­ge aber Gesell­schaft nicht dif­fe­ren­ziert wird, solan­ge also die Kri­tik nicht erklärt in wes­sen Hän­den sich die Film­pro­duk­ti­on befin­det, solan­ge der Film­au­tor a prio­ri als idea­lis­ti­scher Außen­sei­ter ange­se­hen wird, der nicht ein­mal von sei­nen Pro­du­zen­ten abhän­gig ist, ist Film­kri­tik, so links sie sich selbst glaubt, rechts.“ (FK 664)

Die Kri­tik an der Film­kri­tik stellt eine Pro­ble­ma­tik dar, die sich im spä­te­ren Ver­lauf der Zeit­schrift zuspit­zen wird. Die Ver­su­che lin­ke Film­kri­tik zu kon­zep­tua­li­sie­ren brin­gen die Autoren immer wie­der auf die Dif­fe­renz der Her­an­ge­hens­wei­sen von Stil und Form oder Ästhe­tik und Ideo­lo­gie­kri­tik. Die in der Kri­tik der Ande­ren ange­leg­ten Fra­gen nach einer Beur­tei­lung der gesell­schaft­li­chen Rele­vanz des Films führ­ten letzt­end­lich zu einem Aus­ein­an­der­fal­len der Redak­ti­on im Rich­tungs­streit 196667, der sich nach Enno Pata­l­as Text „Ein Plä­doy­er für die ästhe­ti­sche Lin­ke“ (FK 766) über meh­re­re Aus­ga­ben vollzog.

Im Heft 267 erscheint die letz­te Rei­he der „Kri­tik an der Film­kri­tik“. Georg Alex­an­der, Mit­ar­bei­ter der bei­den Zeit­schrif­ten Kino und Film rech­net dabei mit dem neu­en „Sen­si­bi­lis­mus“ der Film­kri­tik und Enno Pata­l­as ab. Ins­be­son­de­re die Fil­me von Jean-Luc Godard ste­hen im Rich­tungs­streit im Zen­trum einer scharf geführ­ten Debat­te, wie Wolf­gang Schüt­tes Text im Film­stu­dio erah­nen lässt.

„Die Film­kri­tik ist nicht mehr. Was künf­tig­hin unter die­sem Titel erscheint, hat nichts mehr zu tun mit dem, was es bis­her war oder hät­te wer­den sol­len, nach dem Wil­len ihrer Gründer.“

- „Abschied von ges­tern – Enno P.“ von Wolf­gang Schüt­te in Film­stu­dio Nr. 51