Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Durch die Blume sprechen: საპოვნელა (Sapovnela) von Otar Iosseliani

Auf­grund der Zen­sur sowje­ti­scher Behör­den und auch auf Behar­ren Otar Ios­se­lia­nis blieb sein Film საპოვნელა (Sapov­ne­la) zeit­le­bens unüber­setzt, die Stim­me des Films bleibt trotz­dem unver­kenn­bar. Indem der Film sei­ne sin­gen­den Blu­men unter Asphalt begräbt, zeigt sich wie der staat­li­che Stra­ßen­bau sorg­los-idea­lis­ti­schen Gärt­ner ver­drängt. Die Roman­tik macht dem Rea­lis­mus Platz. Naiv ver­spielt, zeigt der Film man­nig­fal­ti­ge Blü­ten­pracht, ein­ge­fan­gen irgend­wo in den Ber­gen des Kau­ka­sus nahe Mts­k­he­tas. Neben ein paar Kühen, die auf wei­ten, direkt in den Hori­zont über­flie­ßen­den Wie­sen wei­den, befin­det sich ein Gar­ten Eden. Der Gärt­ner, Mika Mamu­lash­vi­li, 98 Jah­re alt, weilt schweig­sam, aber umtrie­big, von Bee­ten und Obst­bäu­men umge­ben. Das Allein­sein scheint ihm nichts aus­zu­ma­chen, er lebt genüg­sam mit sei­nen Gewäch­sen. Statt sich zu ver­ewi­gen und von die­sem Leben zu erzäh­len, gestal­tet er klei­ne Sze­ne­rien aus tro­cken­ge­press­ten Blü­ten­stän­geln, die er den Sei­ten dicker Bücher ent­nimmt. Man­gels bota­ni­scher Kenn­zeich­nung glei­chen die­se Dar­stel­lun­gen eher einem Poe­sie­al­bum als einer natur­wis­sen­schaft­li­chen Stu­die. Wie beim ara­bes­ken Form­prin­zip gibt sich in ihnen Mys­t­hi­sches hin­ter dem Natu­ra­lis­mus zu erken­nen. Im Wis­sen um ihre Künst­lich­keit, spie­len die Ran­ken­or­na­men­te mit einem ima­gi­nier­ten Cha­rak­ter der Ursprüng­lich­keit, die aber nie ernst­haft gesucht wird. Sprung­haft, ohne jede Archa­ik nimmt die Form fri­vo­le Distanz zu ihrer Wur­zeln ein. Ähn­li­ches geschieht im Film, wäh­rend Ios­se­lia­ni der Genea­lo­gie der Ara­bes­ke vom getrock­ne­ten Blü­ten­stän­gel zum Wand­tep­pich und wie­der zurück nach­geht. Dem lässt sich fol­gen, auch wenn man kein ein­zi­ges Wort Geor­gisch ver­steht. Es bleibt dem Hören nur übrig, das Gesag­te zu erah­nen, indem man sich dem den Ton­fall über­lässt – sich ein­fühlt. Angeb­lich fällt das den Augen leich­ter, wovon der über­bor­den­de Gebrauch die­ses Wor­tes zeugt. Die zärt­li­che Radi­ka­li­tät wird bei Ios­se­lia­ni eigent­lich nicht sicht­bar, son­dern hallt aus der Fer­ne. Man hört Ver­trau­tes, doch nur unzu­rei­chend ver­ständ­lich. Die Unge­reimt­hei­ten von Über­set­zun­gen in Ios­se­lia­nis Fil­men deu­ten auf Aus­las­sun­gen hin, die von ver­meint­li­cher Ver­stän­di­gung aus­ge­hen oder ihr Schei­tern erst her­vor­ru­fen. Immer wie­der beflü­geln Ios­se­lia­nis Fil­men auf die­se Wei­se Hin­der­nis­se des Ver­ste­hens, indem er sie wie auf nahe­zu natür­li­che Wei­se aus­he­belt – sie umspielt, ihnen Bil­der bei­fügt, die mit der eige­nen sprach­li­chen Vor­stel­lungs­kraft wech­sel­wir­ken. Man stel­le sich vor, wie man allein einen Abend zwi­schen Gesprä­chen und Gesän­gen in einer beleb­ten Bar in Tbi­lis­si ver­bringt, sie ver­lässt und berauscht mit tosen­den Ohren glaubt, auf ein­mal die Spra­che ver­stan­den zu haben. Mög­li­cher­wei­se pas­siert nichts ande­res, wenn man zwi­schen Fil­men magi­sche Ver­bin­dung zu ent­de­cken glaubt. Als wären die Chö­re aus Sapov­ne­la immer noch in Ios­se­lia­nis იყოშაშვიმგალობელი (‌Iko shash­vi mga­l­obe­li) zu hören. Zu behaup­ten etwas zu ver­ste­hen, von dem man nichts weiß, mag töricht klin­gen. Frag­lich ist, ob man dem Sehen den glei­chen Vor­wurf machen wür­de. Es soll Men­schen geben, die die Spra­che der Blu­men sprechen.