Kaum hörbar, kaum sichtbar: The Unchanging Sea von D.W. Griffith

Man könnte sagen: Bücher sind lang, Filme sind breit. Ein besonders breiter Film wäre dann D.W. Griffiths The Unchanging Sea, der eine sich über Generationen erstreckende Geschichte zu gut zehn Minuten verdichtet. Dieses Extrem an Verdichtung, Konzentrat einer eigentlich langen Zeitspanne, lässt mich gleich an Anton Weberns Vier Stücke für Violine und Klavier op. 7 denken. Beide Werke entstammen dem selben Jahr, 1910. Weberns Stücke dauern insgesamt fünf Minuten, aber nicht etwa, weil das Ausgedrückte von weniger Belang wäre, als jenes spätromantischer, überlanger Sinfonien, sondern weil jeder musikalischen Geste derartiges Gewicht zukommt, dass der Komponist in fünf Minuten bereits alles ausschöpft, was es auszudrücken gibt. Alles ist gesagt, ächzend lehnen sich Komponist, Interpretin, Zuhörer in ihre Sessel zurück und winken ab: das Fass ist voll.

Verdichtung bedeutet weder für Webern noch für Griffith ein Zusammendrängen einzelner Elemente. Auch überfrachten sie keineswegs ihre Zuschauer-/Zuhörerschaft mit einer kaum zu verarbeitenden Menge an Information. Paradoxerweise ist Weberns Partitur oft beinahe leer, ziert Griffiths Leinwand nur etwas Sand, Meer, und eine geduckte Person, deren Gesicht wir nicht sehen:

Verdichtung bedeutet Webern und Griffith die Aufladung ihrer wenigen Elemente mit potentieller Energie. Kaum hörbar instruiert Webern immer wieder, versieht dann aber dieselben Noten mit Akzenten und lädt sie derart auf, verleiht dem kaum Hörbaren Gewicht. Jederzeit könnte das kaum Hörbare ausbrechen in laut Tobendes, wild Wütendes, in fortissimo; gerade weil es hingegen zurückgebannt wird, weil die ihm innewohnende potentielle Energie sich also bewahrt, sich nicht entlädt, vereint es in sich die ganze Spannweite eines möglichen Ausdrucks, verdichtet sie zur kleinstmöglichen, eben kaum hörbaren musikalischen Geste.
Ein Universum, reduziert zum Keim; eine generationsübergreifende Geschichte, heruntergebrochen auf ein paar Bilder. Kaum hörbar: kaum sichtbar. In Griffiths Film wächst das Kind der Protagonistin in wenigen Sekunden, in zwei Schnitten zur Erwachsenen heran. Gerade aus ihrem Sich Entziehen, aus grob nur Angedeutetem, schemenhaft Umrissenen bezieht der Film seine ungeheure emotionale Wucht und Tragik. Menschen hinterlassen in diesem Film nur sanfte, bald verwischende Spuren. Was bleibt: Wind, Wasser, Wellen; unabänderliche Naturgewalten.

Weberns op. 7 scheint diesen Gegensatz von Mensch und Natur wiederzuspiegeln. Sieht man im oben abgebildeten Ausschnitt letztere dargestellt etwa von den wellenförmigen Bewegungen der Violinstimme, oder dem zittrigen, tief gesetzten Tremolo (schneller Wechsel zweier Töne) des Klaviers, beides sich erhaltende, gleichzeitig aber stetig sich erneuernde Klänge, so zeichnen die Akkorde das Menschenleben nach; kaum hörbar, verklingend, schwindend, sich an die Stille übergebend.

Sowohl Webern als auch Griffith behandeln Stille allerdings nicht als Abwesenheit von Information, sondern als lebendigen Klang, als vielleicht allerverdichtetsten Ausdruck; beide schaffen eine Stille, die alles Getöse in sich trägt. In The Unchanging Sea blicken drei Frauen in wiederholten Einstellungen aufs Meer, bang auf ein Zeichen, einen Ruf ihrer verschollenen Geliebten hoffend – vergeblich. Das Meer antwortet bloß mit tosender Stille.

Weberns Akkorde im op. 7 sind nicht mehr als Toneinheit mit genau zu bestimmender Färbung wahrnehmbar, sondern wirken gewissermassen als Melodie, deren Bestandteile gleichzeitig erscheinen; als zum Punkt verdichtete Tonfolge, als Tonvielheit unbestimmbarer oder stets wechselnder Färbung. Bilden Akkorde-als-Toneinheit noch spezifische Emotionen des Menschen ab, isolieren aus dem Menschenleben also einzelne Momente (siehe Dur/Moll), bergen Weberns Akkorde-als-Tonvielheit die mögliche Gesamtheit eines Menschenlebens in sich. Wie Griffith verdichtet Webern ein Leben also zu wenigen Sekunden. Eine Einstellung, ein Akkord reicht; wir haben begriffen, und gerührt, erschöpft, entkräftet lehnen wir uns zurück, als hätte diese Einstellung, dieser Akkord jegliches Leben aus uns gesaugt.

Gegenstandloses Sehen: Die Mörder sind unter uns von Wolfgang Staudte

I

Die Bilder sind bereits bekannt. Sie sind wie aus dem Gedächtnis entsprungen. Sobald man sie sieht, fängt man an, sich an ähnliche Bilder, die man bereits gesehen hat, zu erinnern, statt die Bilder, die auf der Leinwand erscheinen, neu zu entdecken.

Berlin 1945 nach der Kapitulation. Eine Trümmerstadt. Zerbröckelte Gebäude, zerstörte Straßen und Wege, steinerne Korridore des Elends: eine leblose Landschaft, die zugleich als neuer Spielplatz für die Kinder dient. (In der rechten Ecke der ersten Einstellung sind drei Jungen zu sehen, die im Schutt hocken und mit Spieleimern hantieren, als ob die ganze Stadt zu einem großen Sandkasten erweitert wurde – der Traum jedes Kindes.) Ein Mann bewegt sich ratlos durch die Einöde. Der finstere, unruhige Blick, die dunklen, zerknitterten Kleider, der Zigarettenstummel im Mund, der verlorene Gang: alles gehört zusammen. Eine unbestimmte Gestalt, die sich im nächsten Augenblick auflösen wird. Er geistert ohne Halt durch die abgründige Gegenwart. Aber dann, so wie es immer passiert (oder so wie es passieren muss), stolpert er in einer Handlung hinein, die auch seine Rettung bedeuten wird.

II

Wohl ist auch bekannt, dass diese Berlin-Bilder aus Wolfgang Staudtes 1946 DEFA-Film, Die Mörder sind unter uns, als die ersten Bilder des (ost)deutschen Nachkriegskinos gelten. Die Stadt in Ruinen ist keine konstruierte Filmkulisse, sondern die wirkliche Stadt, wie sie zur Zeit des Filmdrehs tatsächlich vor der Kamera existierte. Das heißt, bevor solche Trümmerbilder zum Klischee der Filmindustrie wurden, bevor man ein bombardiertes Berlin in Babelsberg oder in Polen wiederherstellen musste, wie Christian Petzold es in seinem Film Phoenix vor einigen Jahren getan hat. Hier verlieren sich die Grenzen zwischen dem Dokumentarischen und Erfundenem; das eine fließt in das andere hinein, genauso wie der Mann in den ersten Bildern des Films von der erdfesten Realität der kriegszerstörten Stadt in eine reine Fiktion wandert. Und wie so viele Geschichten des Kinos (man könnte sogar sagen, wie die erste Geschichte des Kinos) fängt diese mit einer Zugeinfahrt in einem Bahnhof an.

III

So fängt die Lüge an. Aber das ist ja nichts Besonderes. Das Kino lügt. Der Zug gleitet durch die zerbombte Stadt. Mit einem Schwenk der Kamera sieht man, wie der überfüllte Zug im Berlin Stettiner Bahnhof einfährt. Die nächste Einstellung zeigt, wie sich der Bahnsteig mit den jenen füllt, die aus dem Zug aussteigen. Aus dem Strom der Flüchtlinge und lebensmüder Greisinnen, erscheint eine schöne jungen Frau. Sie trägt einen hellen Mantel. Um ihren Kopf hat sie ein graues Tuch gebunden, dunkle Schatten unter den Augen, als ob sie eine schlaflose Nacht (oder einige Jahre) hinter sich hat. Ihr Gang ist unsicher, sowie ihr Blick, der verdutzt herumirrt. Das Innere des Bahnhofs, die Menschen, die verstreut auf dem Boden herumliegen- lungern, – träumen. Kinder und Alte, die Wangen in ihren Händen gestützt; gekünstelte Posen, wie Menschen in einer Religionsszene, die sich nach der endgültigen Erlösung sehnen. Ein Kriegsgefangener (auf dem Rücken seines Mantels sind die Buchstaben PW mit Kreide geschrieben), der mit Krücken durch den Raum hinkt. Danach die Wolken, die unbekümmert über die Trümmer ziehen; die Sonne, die ganz selbstverständlich das traurige Leben beleuchtet. Sogar in den grausamsten Zuständen kann man solche Dinge noch SEHEN.

IV

Doch nach diesem langsamen Auftakt, der einen lang angehaltenen Atem gleicht und diesen Mann und dieser Frau in einer nebeligen Namenlosigkeit eintaucht, beschleunigt sich der Lauf der Ereignisse. Der Plot entwickelt sich unvermeidlich. Die Katastrophe der Geschichte donnert durch das Leben. Machtlos mitgerissen vom Sog der Vergangenheit, werden die Figuren zu von den Innenräumen der Stadt zerdrückten Filmfiguren: die KZ-Überlebende, der Kriegsveteran, der Kriegsverbrecher. Es wird viel über das Leben gesprochen, aber nichts davon gezeigt. Oder doch: für einige Momente sind Aufnahmen von den sogenannten Trümmerfrauen zu sehen, wie sie unter der Sonne schuften.

V

Und dann in einer anderen Szene kann man sehen, wie es schneit. Und obwohl die Schneeflocken deutlich als Federn, als Requisit erkennbar sind, ist ihr Fallen das Wahrste und Schönste, was es in der Welt dieses Films zu sehen gibt. Mehrere Gegenstände, die mit dem Sehen verbunden sind, fallen den Menschen in die Hände: Brillen, Fotoapparate, Lupen. Doch statt sie als solche zu verwenden, um das Sehen zu erweitern, bleiben sie leere Gegenstände, die ahnungslos in der Hand gehalten werden. Der Mann findet eine Kamera in einer Schublade, steckt sie in seine Manteltasche, nimmt sie aber sofort wieder raus, legt sie auf dem Tisch und geht aus dem Bild – als ob die Kamera ihre Bedeutung endgültig verloren hätte.

VI

Am Ende ist dann, wie so oft im Kino, alles anders. Das Paar verliebt sich, ein Mord wird verhindert, der wahre Verbrecher sitzt im Gefängnis. Die Stadt liegt noch in Trümmern, aber auch das wird sich in wenigen Jahren ändern. Was aber bestehen bleibt: der Wind, der durch die glaslosen Fenster weht; die am Himmel vorbeiziehenden Wolken, und die würdevolle Namenlosigkeit der unzähligen Menschen, die unter ihnen fortleben.

 

 

 

 

A Case of Suffering: Mon Cas by Manoel De Oliveira

Life is full of suffering. This is a cliche on account of it being so true. Staying hung up on your problems won’t get you anywhere. The question is how you deal with them. And yet there is something cathartic about not doing anything to solve them and just complaining to an audience instead, which is what Luís Miguel Cintra does in Manoel de Oliveira’s Mon Cas. The film is divided into four sections and takes place on a proscenium stage. The first three sections deal with a group of actors who self-consciously read from a script they’re trapped within, namely Jose Régio’s “O Meu Caso”, and the fourth is a retelling of “The Book of Job.” The characters in the first three are dealing with personal issues and there is competition between them for the audience’s sympathy. Cintra delivers a diatribe somewhere between a confession and a complaint. It calms him to do so, to get it all off his chest. The catharsis is short lived, however. The other characters need time to speak, too, and the director is getting annoyed with the actors for being so selfish; he has an agenda that is being compromised by studio demands and doesn’t want to hear them whine about their problems.

The scene starts over from the beginning, this time sped-up, silent, and in black and white. As the scenario is repeated a deep, off-screen voice delivers an existential monologue about himself in the third person, about his birth and death. This text is from Samuel Beckett’s “Fizzles.” What was a wacky, hyper-reflexive play on a gaudy set with unsympathetic characters becomes surprisingly earnest and introspective. The play is repeated once more. It’s in color again. It’s sped up like the previous section, but the ambient audio has returned through some kind of distorted filter. And in the background there is a projector playing scenes of wars taking place at the time. We know these images; they relativize our problems within the grand scale of human misery. In making an appeal for empathy, however, they have the unintended effect of numbing us to the suffering of others. If anything, we resent the problems on screen for minimizing our own. There just doesn’t seem to be enough space.

In the final section we see Job in a dystopian junkyard covered in wounds. It’s even more theatrical than the first three sections, and yet paradoxically it’s the most somber. It deals with the suffering of an individual like the others, but there isn’t any rejection of artifice, and there isn’t a fixation on it either. Job doesn’t make appeals to his friends for sympathy; he bears his pain indifferently. There is a reverent expression through the absurdity of the mise-en-scène and excessive makeup. I wonder what this section would have been like had it not been preceded by the other three, which so foregrounded the issue of the character’s self-awareness of themselves, of the script, of the stage and their presence in it. I thought de Oliveria must have been making a critique of the social situation of art and theatre at the time, as if he wanted to point out that it couldn’t get past it’s navel gazing, but then as the film was ending some little girls showed up dancing and throwing flowers, and they gave the Mona Lisa to Job like a trophy for his steadfast commitment, and this was all so incomprehensible that I had to abandon such a literal interpretation and see where else the film would take me, and then it came to end.

Driven through the day by sound – On Krešimir Golik’s Od 3 do 22

Agnès Varda’s Cléo de 5 à 7 follows a woman in real-time, showing her psychological transformation as she faces the possibility of having cancer. One and a half hours of Cléo’s shifting ideas about herself, reflections on her past life, flowing self-interpretations, relentless outbursts of monologues, heated dialogues, and highly expressive images accompany the process. 

Od 3 do 22 also follows a woman, but unlike Varda’s iconic work, it is not the fictionalization of a life-changing moment, but a documentation of a day in the life of Smilja Glavaš, a young mother with a determined face and a worker at the Pobjeda textile factory in Zagreb.

Unlike in Varda’s work, Od 3 do 22 does not show the protagonist’s day in real-time, but condenses 19 hours into a little more than 10 minutes. Yet similarly to Varda, Golik shows time as it is perceived by the female figure. In this case, time is not filled with self-interpretation and self-reflection, it is measured by work, leaving no space for a personality to evolve. Time passes by in the repetitive nature of the worker’s actions.

She is awakened by the alarm clock and from that moment, noises dictate her rhythm. At home, it is her child’s murmur that calls Smilja to work, outside it is the buzz of the city, while the clatter and whistle of factory machinery chase her through her hours of labour. Back home the work continues, the child’s sounds are only in the background of chopping, peeling and cooking, washing, flushing, and drying. As the day ends, the ticking of the clock returns and becomes another sound in the incessant chain of noises. 

A whole day goes by without hearing Smilja talk, and the lack of speech is not a stylized exaggeration. There is no place for talking in her day, it consists exclusively of work. The monotony of her routine is set to the tempo of a metronome; in order to keep up with it, her movements need to become automatic and discussion or self-expression would merely be a distraction. 

Each of her steps has its place in the day and her gestures never last longer than possible. She is not simply in a hurry, but every movement has to fit in a tight schedule and therefore she has to be constantly conscious of time. Each movement of her body is tightly calibrated, she can never allow herself to ponder life; she always has to be alert. When she sits on the bus, she doesn’t seem to observe the city or to contemplate, but rather looks forward to the following moment. Each second is about the next one, each thought of hers is about the next station of the day. 

Motherhood is often associated with a similar kind of awareness, but what we see in Smilja’s case is rather the enforced alertness of the worker. Her role as a mother is completely subordinated to that of a working woman, her relationship to the child is about taking care of his needs, rather than giving him attention. She wakes him up, gets him dressed, feeds him, and locks him in the dark house alone while she goes to work. From a middle-class perspective in the age of parenting books and baby-monitors, such a practice appears like an act of shocking negligence.

It was probably even more extreme to see, one day after watching Pedro Almodóvar’s Madres paralelas, a film that shows motherhood and, above all, womanhood as a role that bears the responsibility not only for the child but for the whole of society as well. In Almodóvar’s film, Penélope Cruz is closely watching her baby on a baby monitor. Smilja’s situation encompasses an entirely different culture and society, in which her solution, or the lack thereof, was neither uncommon nor avoidable. It’s integral to this way of life, which is the experience of separation: separation from spare time, separation from relaxed concentration and, most importantly, separation from the child.

Alles nur Geschwätz: I Basilischi von Lina Wertmüller

Schleichend bewegen sich die Bilder in Lina Wertmüllers Erstlingswerk I Basilischi. Immer und immer wieder verfolgt die Kamera den trägen Gang der drei männlichen Protagonisten Antonio (Antonio Petruzzi), Francesco (Stefano Satta Flores) und Sergio (Sergio Ferranino) durch die engen, labyrinthartigen Gassen des Dorfes, in dem diese aufgewachsen sind. An jeder Ecke lungern Männer, die es ihnen gleichtun. Weder haben sie Arbeit noch Aussicht auf eine. So vergehen die Tage, die sich offenbar durch nichts unterscheiden. Sie fließen ineinander über. Was in einem Moment noch hoffnungsvoll erscheint, entschwindet sogleich. Nichts lässt sich festhalten, alles zieht vorbei. Als stünden sie am Ufer eines Flusses, in dem eine Flaschenpost treibt, sehen die Menschen in diesem Film der Welt, von der sie abgeschieden leben, hinterher. Nur eine einzige Straße schlängelt sich ihren Weg auf den Berg, wo die verschlafene Ortschaft liegt. Sie führt direkt ins Zentrum, vor eine Bar. Einen Platz, wie es ihn wohl überall gibt, an dem sich die Unsäglichkeit des alltäglichen Trotts für kurze Zeit zerstreut. Vor allem dort ist das Unausgesprochene zu hören, wofür der Film am Ende trotzdem Worte findet: Alles sei nur Geschwätz.

Nicht gerade zufällig taucht an diesem Platz in der Mitte des Films auf einmal eine Kamera in den Händen einer fremden Frau – Luciana (Flora Carabella) – auf. In Begleitung von Antonios Tante aus Rom gelangt sie an diesen Ort. Sie spricht von der vergangenen Geschichte eines Aufstandes revolutionärer Arbeiter in diesem Dorf, von denen sie in einem Buch las. Mit ihrer Kamera hält sie Eindrücke fest, aber wenige Augenblicke später ist sie wieder verschwunden. Können ihre Bilder vom Geschwätz dieses Ortes viel erzählen? Vor ihrem Objektiv spielt sich auf dem Platz und in den Gassen eine Versammlung ab: Die Kommunistische Partei versucht eine Genossenschaft zu gründen, mit dem Ziel, durch vergesellschaftetes Land Arbeitsplätze in der Landwirtschaft zu schaffen. Während sich einige Männer am Rand der Demonstration stattdessen die starke Hand des faschistischen Staates zurückwünschen, weichen andere den Fragen hinsichtlich der Probleme aus, obwohl sie direkt von jenen betroffen sind. Über Politik soll nicht gesprochen werden. Für die ahnungslose Verstocktheit der Menschen hat Luciana nur ein müdes, verächtliches Lächeln übrig. Antonio wird seiner Tante und der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Rom folgen, um dann doch zurückzukehren.

Auch wenn dieses merkwürdige Zwischenspiel nur von kurzer Dauer in diesem Film ist, stellt es doch vieles infrage. Was innerhalb des Dorfes so lang als real erschien, wird durch den Blick von Lucianas Kamera auf eine seltsame lakonische Weise fiktional. Man denkt, es könnte ebenso der Blick von Lina Wertmüller selbst sein. Als bloßes Bild zwischen den alten Mauern mag das Geschwätz seine anschauliche Selbstverständlichkeit behalten. Aber hört man einen Moment länger zu oder lässt eine Einstellung länger stehen, tritt das große Vielleicht hinter den Worten hervor: Vielleicht könnte auch alles anders sein. Der Film unterscheidet sich dabei manchmal kaum von dem, was tagtäglich um uns herum gesprochen wird. Hinter der Belanglosigkeit der gesprochenen Wörter wird begreifbar, warum diese Leute reden, was sie reden.

Zurzeit stelle ich mir immer wieder die Frage, was es bedeutet über seine gesehenen Filme pedantisch und öffentlich Buch zu führen, wie etwa auf Letterboxd. Einerseits dient es der eigenen Erinnerung, andererseits bietet es auch einen Anlass für Diskussionen mit anderen. Oft scheint hinter der Selbstverständlichkeit dieses Umgangs ebenso ein großes Vielleicht zu liegen, das von einem instrumentellen Verhältnis überschattet wird. Vielleicht sind die Filme doch nicht so unmittelbar Teil des eigenen Lebens, wie man es sich gern wünscht. Und vielleicht bleibt deshalb auch die Suche nach dem Außergewöhnlichen in ihnen, das man wahrscheinlich nur selbst erkennen kann, viel zu oft unerreicht. In Diskussionen fehlen mir meist die Worte und höre lieber zu. Dabei fällt mir auf, dass dieses Gerede über den Film gewissermaßen zu dessen zweiter Haut wird. Jeder Satz ist zwar von sich aus verschieden, aber zusammen ergeben sie trotzdem ein gemeinsames Bild. Es gehört einfach dazu über Filme zu sprechen, aber mehr auch nicht?

Als Antonio sein Dorf verließ, sehnte er sich nicht nur nach einer sicheren Anstellung, sondern ebenso nach einem aufregenderem Leben. Allerdings suchte er nach etwas, das ihn nicht zufriedenstellen konnte. Stattdessen zog es ihn wieder zurück an den Ort, von dem er floh. Einen Grund dafür kann er nicht liefern, weil er ihn vielleicht auch selbst nicht kennt. Er kann nur Geschichten von einem Leben erzählen, das er sich erträumt zu leben. Obwohl die Bewohner des Dorfes reden, als würden sie ihren eigenen Worten keinen Glauben schenken, verstehen sie dennoch sehr gut, was die Menschen um sie herum meinen. Denn schließlich reden alle vom selben, nur in unterschiedlichen Sprachen, Antonio in der des Träumens. So klar die Bildsprache des Films scheint, rationalisiert sie nie ihre Sicht auf die Probleme der Menschen. Es gelingt dem Film, sich nicht von der allgemeinen Resignation vereinnahmen zu lassen, er sucht immer wieder nach Auswegen.