Notiz zu Te von Szabó István

Te von Szabó István aus dem Jahr 1963 ist der Film, den Jean-Luc Godard im selben Jahrzehnt trotz zahlreicher ordentlicher Versuche nie hinbekommen hat. Die Rede ist von einem Film als verspielten Liebesbrief, als Flirt, als Dialog zwischen der geliebten Frau und der Kamera. Godard übersah, dass auch ein noch so lässiger Schnitt nicht an die Wirkung fließend ineinander übergehender Einstellungen heranreicht. Szabó dagegen erreicht einen wahrhaftigen Schwindel, den man unter Verliebten kennt, wenn man unablässig den Augen einer Person folgt, sodass alles verschwimmt und ein Raum in den anderen tritt, ohne dass man noch wüsste, wo eine Schwelle überquert worden wäre. Godard war außerdem so sehr in das Kino verliebt, dass er seine Bilder, die Liebe zeigen sollten, als filmisches Zitat verstand, ein bisschen so, als würde man einen Liebesbrief mit den Worten anderer schreiben. Ich filme dich wie Dreyer, das ist meine höchste Form der Hingabe und so weiter. Szabó dagegen ist durchaus auch in das Kino verliebt, spielt mit der Form, aber nur, um durch sie etwas sichtbar zu machen, was dem hypersensitiven Rausch des Verliebtseins sonst entrinnt, nämlich die tänzerische Eleganz im Unbedarften, die sich manifestierende Verletzlichkeit in der Hingabe und die spielerische Flüchtigkeit dieser Augenblicke, die nur scheinbar die Welt bedeuten. Im Gegensatz zu Godard war er nicht daran interessiert, ein ewiges Bild seiner Liebe auf Film zu bannen, sondern vielmehr, es von den Rahmungen des Filmstreifens zu befreien, es aufzulösen in einer sich um sich selbst drehenden Kontinuität. Diese Liebe drückt sich bei Szabó als Schwingung aus, bei Godard als Stasis. Deshalb dient die geliebte Anna Karina bei Godard auch dem Blick des Filmemachers, während Szabó den Bewegungen seiner damaligen Partnerin Esztergályos Cecília folgt. Ich muss nicht weiter betonen, dass die stupide, unter Kinoliebenden weit verbreitete Hinwendung an westliche Bildikonen dennoch Anna Karina bevorzugt, wenn es um eine Definition von Liebe und Kino geht. Man darf es den heimlich schmachtenden Intellektuellen nicht übel nehmen, schließlich können sie in den Bildern Godards dann ihr ganz eigenes Zitat entdecken und ja, auch das ist das Kino, ein sich bis in die Wirklichkeit aufeinander aufbauendes Konstrukt von Bildern, die nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun haben. Godard hat das verstanden wie kaum ein Zweiter, Szabó aber hat es besser verstanden, mit der Kamera zu lieben.

Faces pt2 (in tears)

To Desire Pain (look at the time)

Transe-Teresa Villaverde-2006

Transe-Teresa Villaverde-2006

Als ich im Kino mein Licht sterben sah in den Tränen einer unbekannten Frau, glitzernd auf ihren Wangen, wollte ich mein Leiden tanzen sehen. Es gibt keine Verachtung im Film, nur ein Verständnis für das eigene Unverständnis. Ich schlucke diese Tränen und schmecke Zelluloid. Ein Äderchen auf meiner Netzhaut explodiert und Blut dringt durch meine Pupille. Ich erwache mit dem Sandmann, der an meinem Augapfel leckt. Das Salz an seiner Zunge löst meine Augen auf und sie zerfließen auf der Leinwand in der Feuchtigkeit von schimmligen Emotionen, die sich wie Unkraut unter meiner Netzhaut vermehren. Ich begehre den Schmerz und die Einsamkeit in dieser leuchtenden Dunkelheit. Meine Augen verlieben sich in das eigene Unheil, sie sind immerzu kurz vor dem Ausbruch.

L'important c'est d'aimer-Andrzej Żuławski-1975

L’important c’est d’aimer-Andrzej Żuławski-1975

A Countess from Hong Kong-Charlie Chaplin-1967

A Countess from Hong Kong-Charlie Chaplin-1967

Aber ich bin ein Heuchler. Eure Gefühle sind ein angenehmes Kribbeln in meinen Fingerspitzen, eure Krisen sind meine Neugier. Ihr zeigt mir wie ich gut aussehe, wenn ich leide und ich leide, um gut auzusehen. Wenn euer Leben so entsetzlich ist wie meines, dann habe ich Recht, wenn ich nur mich selbst für interessant halte.Ich will euer Lächeln gar nicht sehen, ich will mich dannach sehnen. Traurige Augenringe, die sich nicht lösen aus euren gesenkten Gesichtern, Tränen sind Poesie. Wer sie nicht filmt, sucht nicht nach Wahrheit. Im Kino glaube ich, dass das Leben wie die Sonne untergeht, ihr existiert nur solange ich da bin, ihr müsst es auch spüren. Reagiert nicht auf mich, dann liebe ich euch. Das Wasser eurer Tränen ist der Fluss, der aus eurer Seele entspringt.

La Passion de Jeanne d'Arc-Carl Theodor Dreyer-1928

La Passion de Jeanne d’Arc-Carl Theodor Dreyer-1928

The Portuguese Nun-Eugène Green-2009

The Portuguese Nun-Eugène Green-2009

Sie lügen, jeder weiß wie eure Tränen lügen. Sie sind der Zucker eures Ruhmes, das Feuerzeug für die Zigaretten meines Mitgefühls. Eine Pfütze bildet sich zwischen euren Lidern und wie ein Kind will ich nicht vorbeigehen. Ich springe hinein. So schwach ist dieser Untergrund, so zerbrechlich eure Augen. Sie könnten brennen mit ihrer roten Schminke. Eure Tränen sind nur der Dunst am Fenster des Kinos. Es gibt einen Unterschied zwischen dem, der Zerbrechlichkeit filmt und dem, der Zerbrechlichkeit darstellt und dem, der zerbrechlich filmt. Letzterer ist es, der mich interessiert. Bei ihm ist jeder Schuss der Tropfen einer Träne und jede Träne ein erstickter Liebesgruß an einen zerfließenden Spiegel, der mehr ist als die Welt.

Foolish Wives-Erich von Stroheim-1922

Foolish Wives-Erich von Stroheim-1922

Dann bekommt man keine Luft mehr in einem Tränenmeer, der Gaumen ist voll mit Tränen, man gurgelt und erstarrt. Dann weint man auch nicht mehr aufgrund eines Effekts, sondern weil man auf eine Wahrheit gestoßen ist, auf einen kurzen Augenblick von Klarheit, der fast immer eine stabile Trauer erzeugt, die alles Glück über diese Perfektion verdrängt. Eure Tränen waschen mich wie Asche und Zitronen. Immer wenn es eine Schweigeminute gibt, schreien eure Gesichter nach einer Kamera. Jede Beerdigung ist ein Fest der Gesichter. Jeder Verlust, jeder Schmerz ist eine Freude für mich. Denn dann fließt der Fluss eurer Seele vor meine Linse, erstrahlt im Kino und für ein oder zwei Zuckungen darf man nicht mehr so tun als wäre alles gut.

Birth-Jonathan Glazer-2004

Birth-Jonathan Glazer-2004

Vivre sa vie : film en douze tableaux-Jean-Luc Godard-1962

Vivre sa vie : film en douze tableaux-Jean-Luc Godard-1962

Diese Tränen sind meine Lust. Wie ein warmer Schauer in euren Blicken, hinter Glass sind Tränen Schönheit. Ich begehre sie und das ist schwach. Werde ich schwach im Angesicht mit diesem Schmerz oder bin ich es bereits, wenn ich ihn suche hier? Für mich ist das Kino ein Freudenhaus des Leidens und ich kann nicht genug davon bekommen, weil man diese Gefühle draußen auf der Straße ständig verstecken muss. Ich will angelogen werden, will sehen wie ein Lächeln verschwindet, weil es sich nicht mehr halten kann, wie alles auf diesen Gesichtern zusammenstürzt, vergraben in einer Fiktion, die man festhalten kann. Ich will keinen Schnitt vor eurer Träne, weil ich sehen will, wie sie geboren wird.

L'appolonide11

L’Apollonide (Souvenirs de la maison close)-Bertrand Bonello-2011

Natürlich ist mein Traum ein Film, der nur aus Tränen besteht, Tränen, die sich durch den Projektor bewegen, die Licht in sich tragen, die eine Illusion sind und eine Dokumentation, ein Weg nach Innen und nach Außen, Tränen, die nicht sterben können, weil sie immer weiter fließen bis sie keine Bedeutung mehr haben für die Vergangenheit oder Zukunft, sondern nur in ihrer Gegenwärtigkeit existieren. Im Kino können wir Tränen sehen, weil wir sie nicht fühlen müssen. In den Tränen können wir das Kino sehen, weil sie uns bewegen.

Tears.me.apart.

Kış Uykusu-Nuri Bilge Ceylan-2014

Kış Uykusu-Nuri Bilge Ceylan-2014

Faces-John Cassavetes-1968

Faces-John Cassavetes-1968