Around the World in 14 Films: Salesman von Asghar Farhadi

Salesman von Asghar Farhadi

Beim Verlassen der Vorstellung von Salesman von Asghar Farhadi habe ich ein Gespräch überhört, in dem zwei andere Besucher über die Filme von Farhadi schwärmten. Farhadi widersetze sich einer einfachen Einordnung seiner Figuren in moralische Kategorien, und schaffe es die Beweggründe all dieser Figuren greifbar zu machen. Eine recht treffende Diagnose, wie man sie nicht allzu oft in solchen Gesprächen unmittelbar nach einem Film zu hören bekommt. Ausgehend von dieser Diagnose, stellt sich nun die Frage, wie Farhadi das gelingt.

Salesman handelt von Emad und Rana, einem jungen Ehepaar, das nach der Evakuierung ihres einsturzgefährdenden Hauses eine neue Bleibe sucht. Im Theater, wo sie beide in einer Aufführung von Arthur Millers Death of a Salesman spielen, bietet ihnen ein Kollege eine freistehende Wohnung an, die er vermietet. Wie sich später herausstellt, musste die Vormieterin, eine Sexarbeiterin, das Haus verlassen, als die Nachbarn sich darüber beschwerten, dass sie ihre Freier zu sich in die Wohnung einlud. Eine Verkettung unglücklicher Zufälle führt schließlich dazu, dass Rana in der Dusche von einem dieser Freier überfallen und verletzt wird. Im weiteren Verlauf des Films werden die Folgen dieses Ereignisses für das Paar und ihre unmittelbare Umgebung verhandelt. Rana wird zu einem Nervenbündel, das sich nicht mehr alleine ins Badezimmer traut, Emad macht sich rastlos auf die Suche nach dem Täter. Unter dem immensen psychischen Druck leidet nicht nur die Beziehung der beiden, sondern auch ihr Verhältnis zu Nachbarn, Familie und Freunden, allen voran den Kollegen im Theater.

Salesman von Asghar Farhadi

Das Theater dient dem Film gerne als jenseitiger Ort, wo die gängigen Mechanismen der Welt ausgesetzt werden können. Ein Ort, an dem Zeit und Raum verschwimmen und sich Realitätsebenen überlappen. Auf der Bühne werden dann Sehnsüchte und Träume zum Leben erweckt, der Film überträgt dann die ihm durch die Montage verliehene Macht der Herrschaft über Raum und Zeit auf das Theater (diese Macht, die den ureigenen Qualitäten des Theaters eigentlich zuwiderläuft). In den gelungeneren Varianten dieser Einverleibung wird das Theater zu einem offenen Projektionsraum, der freilich nicht mehr allzu viel mit dem zu tun hat, was das Theater eigentlich ausmacht: die Gewalt der physisch anwesenden Körper, die ephemere Präsenz der Stimmen und Gesten, die sich jedem Versuch sie einzufangen widersetzen. Gerne greifen Filme auch auf bekannte dramatische Stoffe als Stücke im Film zurück, die dann als mehr oder weniger plumpe Kommentare zur Filmhandlung herhalten sollen.

In Salesman ist das Theater zunächst ein sozialer Raum, in dem Menschen interagieren, mal hinter den Kulissen, in der Maske, beim Proben, mal in der Aufführungssituation auf der Bühne. Weder ist das Stück von Arthur Miller hier eine Parabel der Filmhandlung, noch drängen sich die Bühnenszenen als Orte metaphysischer Kontemplation auf. Am ehesten noch sind die Momente des Probens und Spielens Diskursräume, in denen die Figuren jene Beziehungen untereinander weitervertiefen, die den Film als Ganzes ausmachen. Wenn Farhadi eines beim Theater entlehnt, dann ist es eines der Gestaltungsmittel, dem man im Theater für gewöhnlich mehr Bedeutung zumisst, als im Film.

Salesman von Asghar Farhadi

Im Jargon der Theaterwissenschaften bezeichnet man mit Proxemik die räumliche Anordnung der Figuren auf der Bühne und die Beziehungen, die sich aus dieser Anordnung und ihrem Verhalten zueinander ablesen lassen. Grundsätzlich gilt das auch für den Film, durch die Möglichkeit des Perspektivwechsels innerhalb einer Szene oder Sequenz, wird die Anordnung der Figuren zueinander aber oft der Anordnung der Figuren zur Kamera, bzw. der Bewegung der Kamera im Raum untergeordnet. Es ist für mich eine der auffallendsten Aspekte im Werk Farhadis, dass seine Figurenzeichnung weniger durch Dialoge oder die Mimik und Gestik der einzelnen Schauspieler getragen wird, sondern durch ihre räumliche Konstellation. Während man im filmischen Diskurs „theatralisch“ oft leicht abwertend verwendet, sind Farhadis Filme theatralisch im besten Sinne – sie machen sich Wirkungsprinzipien zunutze, die man vom Spiel der Schauspieler auf der Bühne kennt: die kammerspielartigen Innenräume werden erfüllt vom Zurückweichen und Vorbreschen der Akteure, dem Verringern und Vergrößern von Distanzen.

Dieser Stil steht im Einklang mit den Sujets von Farhadis Filmen. Kleine Verschiebungen im Gleichgewicht der Beziehungen führen zu einem kataklystischen Feuersturm. In seinen besten Filmen, wie A Separation oder Le passé setzt sich die Kette von Ereignissen ohne erkennbaren Auslöser in Bewegung, sondern entsteht durch ein allmähliches Anwachsen eines Konflikts, der gar nicht so richtig datierbar und markierbar scheint. In Salesman ist das nicht der Fall, hier kommt die Handlung durch ein eindeutig markiertes Schlüsselereignis, die Evakuierung des Wohnhauses, in Fahrt. Während der Einstieg in den Film also nicht immer ohne eine klare Markierung auskommt, lässt sich die klimaktische Katastrophe (der zwischenmenschlichen Beziehungen) in keinem von Farhadis Filmen auf einen fixen Punkt festgelegen, sondern dehnt sich in der Zeit. Die Katastrophe ist hier ein Strom, der einfach weiterfließt, womöglich wird er irgendwann versiegen, womöglich entwickelt er sich zum reißenden Sturzbach. Keiner der beiden Fälle ist absehbar, genau festgelegte Endpunkte kommen im Leben ebenso wenig vor, wie Aufschlüsselungen von Beziehungen und klare Einordnungen menschlichen Charakters – in dieser Hinsicht ist das Kino von Asghar Farhadi dem Publikum und der Welt gegenüber ehrlich.