This Human World 2018: City of the Sun von Rati Oneli

City of the Sun von Rati Oneli

Im Rahmen einer Kooperation mit dem This Human World 2018 präsentieren wir eine Auswahl von Filmen aus dem diesjährigen Festivalprogramms.

Die georgische Stadt Tschiatura war einst ein international bedeutendes Bergbauzentrum. Hier wurde Ende des 19. Jahrhunderts fast die Hälfte des weltweit benötigten Metalls Mangan gefördert. Riesige Industrieanlagen, Lagerstätten und die beeindruckenden Seilbahnen, mit denen Mensch und Material zu den Minen transportiert wurden, zeugen heute noch von der einstigen Bedeutung. Sie zeugen aber auch vom Niedergang der Stadt und des Produktionszweigs.

Rati Onelis City of the Sun zeichnet ein faszinierendes, wenngleich ambivalentes, Bild dieses Niedergangs. Seine Kamera umschwebt Menschen, Bauwerke und Natur wie ein interessierter, aber unbeteiligter Geist. Im Flug nähert sich die Kamera in der ersten Szene der malerischen Berglandschaft rund um Tschiatura an. Aus dieser Perspektive wirken die Mächte der Natur groß und die Zeugnisse menschlicher Zivilisation vergleichsweise mickrig. Immer wieder unterbrechen Bilder dieser Art die Dokumentation des Alltags der Bewohner von Tschiatura.

Es wäre aber zu einfach den Film auf diese Metapher – dass sich die Natur zurückholt, wo der Mensch sich zurückzieht – zu reduzieren. An anderer Stelle scheinen die Bilder eine ganz andere Geschichte erzählen zu wollen: von einer Symbiose aus Natur- und Kulturlandschaft. Da werden die Straßenzüge, die Bauruinen, die halbverrosteten Seilbahnen zu ornamentalen Verzierungen in der Landschaft. Es wirkt dann wie ein Glücksfall, dass kein Rauch mehr aus den Industrieschornsteinen aufsteigt, der diese pittoreske Komposition verdecken könnte.

City of the Sun von Rati Oneli

So setzt Rati Oneli Stück für Stück ein Mosaik aus lose miteinander verbundenen Bildern zusammen, die um die Stadt kreisen. Menschen tauchen auf und verschwinden wieder, Emotionen ebenso. Eine scheinbar nebensächliche Beobachtung kann zum roten Faden werden, wohingegen kraftvolle, zentral erscheinende Bilder sich im Nichts verlaufen können. So wird gegen Anfang des Films unter anderem das im Zerfall befindliche Sportstadion der Stadt gezeigt. Das Grün des Rasens sticht aus dem eintönigen Grau der Betonbauten in der Umgebung hervor. Zwei Gestalten sind aus der Ferne auszumachen, die auf der Tartanbahn laufen, von irgendwoher hört man eine Trainerin Anweisungen rufen. Man denkt zunächst an eine inszenatorische Entscheidung – zu zeigen, dass in dieser im Sterben liegenden Stadt trotz aller Probleme noch immer normale Leben gelebt werden, gesportelt wird. Es sind zwei junge Mädchen die hier ihre Runden drehen. In weiterer Folge bekommt man sie noch öfter beim Training zu sehen, im Stadion oder auf Waldwegen. Der Film nimmt ihre Bewegung in gewisser Weise auf, lässt sich von ihnen wie von einem roten Faden leiten.

Ihre Geschichte jedoch wird nie direkt ausartikuliert. Wer unaufmerksam ist, läuft sogar Gefahr sie zu verpassen. In völlig anderem Zusammenhang hört man nämlich ein TV-Interview mit der Trainerin aus dem Off, als die Kamera in einer Wohnung dem Alltag einiger Bewohner folgt. Sie erzählt von den beiden jungen Lauftalenten, die sie trainiert. Die sie allerdings nicht so fordern kann, wie sie das gerne hätte. Aus dem einfachen Grund, dass die Mädchen nicht genügend zu essen haben, um intensiver zu trainieren: Nur einmal täglich werden sie in der örtlichen Suppenküche verköstigt. Sinnbildlich stehen die beiden jungen Athletinnen also zugleich für die Alltäglichkeit eines Leistungssportlers und der Unmöglichkeit einer Alltäglichkeit in der untergegangenen Stadt. Ein Motiv, dass sich auch in den zahlreichen Aufnahmen von Freizeitaktivitäten beobachten lassen – so gibt es ausführliche Szenen von Theateraufführungen, Musikdarbietungen und großen Festen, die gefeiert werden.

City of the Sun von Rati Oneli

Auf der anderen Seite bleibt der vielleicht erwartbarste Aspekt der Stadt und des Films unterbeleuchtete. Nimmt man zu Anfang des Films, als die Kamera auf einer Lore tief in den Berg hineinfährt, noch an, dass City of the Sun ein anthropologisches Interesse an den letzten verbliebenen Arbeitern in den Bergwerken entwickeln könnte (etwa wie Good Luck von Ben Russell, der ebenfalls am This Human World 2018 zu sehen ist), so ergibt sich aus den wiederkehrenden Ausflügen des Films in die Minen kaum eine tiefergehende Beschäftigung mit jenem Geschäft, dass Tschiatura einst zu globaler Bedeutung verholfen hat.

City of the Sun ist voll von solchen unerwarteten Anschlüssen und Abbrüchen, von unscheinbaren, wiederkehrenden Motiven und einmaligen, kraftvollen Ausschlägen. Es versammelt eine so reichhaltige Fülle an Eindrücken, dass man danach leicht ins Grübeln kommen kann: Ist dieses Mosaik nun ein gelungenes Porträt oder sind die einzelnen, prachtvollen Stücke im Endeffekt nur isolierte Teile, die sich zu keinem größeren Ganzen zusammenfügen. In jedem Fall setzt der Film eine Form schöpferischer Denkarbeit beim Publikum voraus, für das man dankbar sein sollte.

Glückauf: Good Luck von Ben Russell

Good Luck von Ben Russell

Im Rahmen einer Kooperation mit dem This Human World 2018 präsentieren wir eine Auswahl von Filmen aus dem diesjährigen Festivalprogramm.

Ben Russell ist ein interessanter Zeitgenosse. Ein Amerikaner, geboren in Springfield, Massachusetts. Auf Umwegen hat es in nach dem Studium (Kunst und Semiotik) nach Surinam verschlagen. Eine ehemalige niederländische Kolonie am südamerikanischen Kontinent, flächenmäßig rund doppelt so groß wie Österreich aber lediglich von einer halben Million Menschen bewohnt. Dort hat er einen Großteil seiner Filme gedreht. Sie entstehen in einem Spannungsfeld zwischen anthropologischem und dokumentarischem Interesse, zwischen akademischer Objektivität und surrealistischem Chaos. Seine Arbeiten stoßen in einem immer unüberschaubarer werdenden filmischen Diskurs auf breite Zustimmung. Sie werden auf der Documenta gezeigt und von der Kunstwelt wohlwollend aufgenommen; sie eignen sich als Anschauungsmaterial, wenn Material gefragt ist, an dem sich politische Fragen durchexerzieren lassen; sie durchlaufen den festival circuit und enden – wie im Fall von Good Luck – sogar im Nachtprogramm auf ARTE. An Russell scheint sich kaum jemand zu stoßen, soweit man sich damit arrangieren kann, dass Russells Omnipräsenz (wie jene seines britischen Namensvetters Ben Rivers) oftmals dazu führt, dass man vor lauter Diskurs gar nicht mehr über seine Filme nachdenkt. Er ist der kleinste gemeinsame Nenner des filmischen Diskurses und des Diskurses über Filme. Das klingt despektierlicher als es gemeint ist.

Die Kamera blickt aus einem halbverfallenen Haus auf ein Bergwerk. Im Hintergrund setzt Musik ein. Man gewöhnt sich fast an diesen statischen Bildausschnitt, als sich die Handkamera von ihrer Ausguckposition zu lösen beginnt. Die Musik, zunächst nur aus dem Off zu hören, wird nun im Bild verortet. Sie stammt von einer Marschkapelle, die in der Ruine Stellung bezogen hat. Wankend entfernt sich die Kamera aus dem Haus, behält die Kapelle im Blick, die schließlich, auf der Straße angekommen, Formation bezieht. Schließlich kommt die Kamera – und mit ihr die allesamt männlichen Musiker – nach einigen Minuten Bewegung zum Stillstand. Ein Mann, der Trommler, tritt aus der Reihe der adrett gekleideten Herren. Er beginnt zu sprechen, über Erinnerungen, über diesen Ort. Das sind für lange Zeit (bis auf unverständliches Murmeln) die letzten Worte, die im Film gesprochen werden.

Good Luck von Ben Russell

Als Prolog steht diese Szene am Beginn von Good Luck. Musik und Bild verdichten sich darin zu einem hypnotischen Marsch durch eine Gegend in Serbien, die wohl schon bessere Zeiten gesehen hat. Der dezent melancholische Ton der Musik und der Charme des Verfallenen vereinen sich zu einem audiovisuellen Abgesang. Ein Täuschmanöver, denn das Kupferbergwerk, das zum Auftakt zu sehen war, ist (noch) nicht aufgegeben. Die Kamera mischt sich unter die Kumpel, fährt 400 Meter hinab in den Untergrund. Inmitten der Bergmänner, eingezwängt in einem quietschenden Licht, wird die Szenerie nur von einigen Stirnlampen beleuchtet. Ein klaustrophobischer Moment. Nicht nur aufgrund der beengten räumlichen Verhältnisse, sondern auch wegen der unruhigen Atmosphäre die Russell auf der Tonebene erzeugt. Mattes Wummern, das sich zu einem unheilvollen Dröhnen entwickelt wird die nächste Stunde des Films dominieren. Unter Tage gibt es kein Entkommen. Kein Entkommen von der Dunkelheit. Kein Entkommen vom beengenden Sound. Nicht einmal, wenn man den Film auf einem kleinen Bildschirm sieht.

Das Bergwerk ist die Hölle. Eine Hölle voller Stein, Schweiß und Dreck. Und Lärm. Mit mächtigen Bohrern rücken die Männer dem Gestein zu Leibe. Mit aller Kraft stemmen sie sich gegen ihre (Höllen-)Maschinen, um den Berg zu bezwingen und für irgendeine anonyme Bergbaugesellschaft das wertvolle Kupfer aus dem serbischen Boden zu befördern. Düster ist die Arbeit. Die Männer machen sie, weil ihr Leben sonst noch düsterer wäre. Sie leben in einer Region, wo sie auf anderem Weg kaum vergleichbare Löhne verdienen könnten. Das erzählen sie zumindest in den Pausengesprächen. Es geht ernst zu während der Mahlzeit. Das scheint angebracht. Nach über einer halben Stunde tauschen sie jetzt die ersten Wörter untereinander aus. Zuvor waren ihre Stimmen unbrauchbar. Die Kakophonie der Maschinen, im Film noch verstärkt durch Russells unerbittliches Sounddesign, war übermächtig. Zwischendurch immer wieder Szenen in der Dunkelheit, nur spärlich erleuchtet von wenigen elektrischen Lampen. Licht und Dunkelheit, Höllenlärm und Totenstille, prägen die erste Hälfte von Good Luck.

Good Luck von Ben Russell

Nach den Szenen unter Tage wirkt die zweite Hälfte des Films wie eine Befreiung. Statt einer Fahrt in die Hölle, geht es nun ins Paradies. Tief in den Dschungel von Surinam. Doch der Eindruck täuscht. Auch dort warten Höllenmaschinen: Bagger, Generatoren, lärmende und stinkende Monstrümer. Sie werden von den Männern umsorgt. Ganz zu Beginn des Segments bringt einer von ihnen Treibstoff in einem Kanister. Danach die Fütterung. Dann wird die Maschinerie in Gang gesetzt. Ein Bagger hebt Erdreich aus. Es wird sorgfältig gewaschen, in der Hoffnung auf Gold zu stoßen. Anders als die professionell organisierte Arbeit der serbischen Bergmänner, handelt es sich hier um eine illegale Unternehmung. Die Männer hier haben außerdem eher mit den tropischen Bedingungen zu kämpfen, als mit Dunkelheit. Es gibt jedoch Ähnlichkeiten zwischen diesen zwei Gruppen von Männern. Schweiß und Dreck ist ihr Metier, ein Metier das zusammenschweißt.

Es lassen sich mit Good Luck wohl einige Thesen über den Zustand der Welt und der Menschheit formulieren. Die meisten davon wären wohl eher auf der fatalistischen Seite (Andere Filme verwandter Thematik gehen in diese Richtung. Etwa Michael Glawoggers Workingman’s Death oder Zhao Lings Behemoth, der von ARTE in der gleichen Sendereihe wie Good Luck gezeigt wurde). Doch das ist nicht alles. Ein seltsames Gefühl von Gemeinschaft entsteht, wenn man diese beiden Welten – so nah und doch so fern – gegenüberstellt. Eine globale Gemeinschaft von Männern, die versuchen dem Boden seine Schätze abzuringen und dabei in erster Linie sich selbst ausbeuten. Die einen arbeiten unter der Sonne Surinams, die anderen fernab der Sonne. Die einen arbeiten im Staub, die anderen im Wasser. Wenn sie aber Pause machen, im Kreis sitzen, über ihre Ängste und Sorgen sprechen, ihre mitgebrachten Mahlzeiten verspeisen, dann wird deutlich, dass sie mehr verbindet, als sie trennt. Auch wenn sie nichts voneinander wissen. Auch wenn ihr einziges verbindendes Glied ein amerikanischer Filmemacher aus Massachusetts ist, der in Paris lebt. Film kann ein mächtiges Instrumentarium im Spiel der Menschheit sein.