Sehen Verlernen

In einem wiederkehrenden Traum sitzt ein junger Mann im Kino und schläft ein. Auf der Leinwand rattert nur die Tonspur, für alle sichtbar, aber niemand hat die Augen geöffnet.

Zur Zeit empfinde ich eine große Ohnmacht im Schreiben über Filme. Das liegt nicht daran, dass ich weniger sehe oder weniger schreibe. Das liegt daran, dass die mir so wichtige impulshafte Reaktion auf das, was man sieht, abhanden kommt, sie verschwimmt im Dunst einer Unsicherheit, die da lautet, so man sie denn fassen will: Wie kann das Kino zu einem Leben beitragen?

Das ist nicht im finanziellen Sinn gemeint und schon gar nicht im Sinn einer praktischen Zeiteinteilung oder obsoleten Frage nach dem Sinn des Kinos. Nein, es ist etwas, was ich im Titel von Stan Brakhages The Machine of Eden gespiegelt sehe oder auch in Pedro Costas Cavalo Dinheiro. Das Nebeneinander von Maschinen und dem Paradies, von Pferden und Geld. Die Betonung des Geldes und der Maschinen, die irgendwie dazu benutzt werden, um in Eden mit Pferden zu reiten. Erstaunlicherweise zeigen mir beide Filme recht deutlich, dass es einen Weg geben kann, der das mit den Maschinen und das mit dem Geld reduziert. Die meisten mir bekannten, noch lebenden Filmaktivisten und Filmliebhaber sind auf Sklavenschiffen gefangen zwischen Geld und Maschinen. Sie sind müde, sie sind desillusioniert. Costa hat einmal gesagt, dass er in seinen Filmen Liebesbriefe schreiben wolle, für jene, die zu müde sind. Was ist aber, wenn die, die diese Briefe schreiben wollen, selbst zu müde sind? In einem seiner letzten Texte hat Serge Daney geschrieben, dass „wir“ (sein aufrichtiges „wir“, das immer mehr zu einem Schatten wurde) die Straße der Desillusion verlassen müssten. Gemeint war nicht nur das Kino, das spätestens ab Mitte der 1970er Jahre mit einem Film wie Ici et Ailleurs von Jean-Luc Godard, Anne-Marie Miéville und Jean-Pierre Gorin seine eigene Ohnmacht bekundete, sondern auch der politische Glaube an eine andere, bessere Welt.

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Man liest von diesen Dingen und blickt auf unsere jetzige Zeit. Überall gibt es politische Erdbeben. Die Antworten aus der filmtheoretischen und filmemachenden Ecke sind extrem hilflos, sie propagieren eine politische Korrektheit, die nach wie vor vergisst, was Denker wie Adorno oder Rancière lange festgestellt haben: Die politische Wirkkraft eines Films hat nichts mit der Repräsentation zu tun, sondern mit dem Affekt, mit der Art und Weise wie bekannte Darstellungsmodi durchkreuzt werden. Das effektivste Beispiel für dieses Denken findet sich wieder im Kino von Costa: Das Zeigen der Immigranten in Fontainhas als Helden, in einer Bildsprache, die sich unterordnet, mit einordnet, die nicht auf sie blickt, sondern mit ihnen, die mit Daney einen „anderen Blick“ ins Kino bringt. Dieser andere Blick ist etwas wert. Ein Blick, der noch etwas vom Kino will statt ein Blick, der sich durch das Kino rechtfertigt. Ein anderer Film, der auf Diversität setzt oder spannende Frauenfiguren zeichnet, ist nett gemeint, aber letztlich verpuffende Luft. Er ist in sich selbst gerechtfertigt, aber er ist letztlich bedeutungslos. Nicht, dass eine starke Frau im Kino gezeigt wird, sondern wie sie gezeigt wird, ist wichtig. Das Problem ist, dass die noch am Kino interessierte Gesellschaft darauf genormt worden ist, genau auf diese repräsentativen Dinge besonders zu achten. Wie Detektoren werden Filme auf ihre politische Korrektheit untersucht und dabei kann der so entscheidende politische Affekt, die Illusion im Zweifel, der andere Blick gar nicht mehr existieren. Es sind alles Filme, die unter einem genormten Blick arbeiten. Wie Peter Kubelka unlängst äußerte: „Politische Korrektheit ist ein Schimpfwort.“. Und so haben wir heute weniger das Problem von Godard, der sein Bedauern darüber bekundete, dass es so wenig Bilder von Konzentrationslagern gegeben habe, sondern eher, dass es zu viele gibt, die es zu gut meinen. Das ändert nichts daran, dass nur die allerwenigsten von Ihnen wirklich etwas zeigen. Die meisten unterliegen diversen Codes, sie selbst zeigen nichts, sie sind vorbelastet, man kennt sie irgendwoher, sie existieren letztlich nur in ihrer eigenen Bedeutung, nicht als Bild. Niemand lässt sich mehr die nötige Zeit für ein Bild, niemand glaubt, diese Zeit zu haben. Wir ertrinken in diesen Bildern. Ihre gleichzeitige Existenz verwischt die Bedeutung des einzelnen Bildes und seiner Kritik. Viele Filmemacher, die sich dem bewusst sind, trauen sich kaum mehr an Illusionen, an Aussagen, an Fragen heran. Sie basteln undurchdringbare Fragmente wie ein Schutzschild gegen die Kritik und den Bilderrausch des täglichen Lebens.

Ich gebe zu, dass ich selbst immer wieder überlege, wie ich einen Film ohne Bilder machen könnte. Fast alles, was man filmen könnte, was man denken könnte, über was man schreiben könnte, ist bereits besetzt. Das mag manchen wie ein etwas fehlgeleiteter Fatalismus erscheinen, letztlich geht es aber genau darum. Dieser Fatalismus muss zugelassen werden im Kino sonst stagniert es in alten Mustern, die immer wieder zu nichts führen. Dabei ist die Kritik in den meisten traurigen Fällen ignorant gegenüber aufrichtigen moralisch-politischen Bestrebungen. Sie ist damit beschäftigt, etwas Neues zu suchen, überrascht werden zu wollen, aus der eigenen Desillusion mit einem Irgendwas befreit zu werden, eigentlich ist sie vor allem damit beschäftigt Geld zu verdienen und zu überleben. Nicht anders ist eine überwiegend positive kritische Reaktion auf die völlig gefühlslose Langnese-Werbung La La Land zu verstehen. Aber eigentlich versteht man gar nichts. Wie ist diese Lücke zwischen den Filmlagern entstanden? Wieso gibt es keinen gemeinsamen Dialog? Die Kritik entfernt sich vom Publikum, das Publikum vom Filmemacher, der Filmemacher von der Kritik, der Wissenschaftler will alle umarmen, aber lebt auf anderen Inseln, die Aktivisten rennen gegen die Mauern der Kommerziellen, die Kommerziellen machen schon lange kein Kino mehr.

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Denn das kommt hinzu und verschärft diese Ohnmacht: Das Kino hat keine gesellschaftlicher Bedeutung mehr jenseits einer Freizeitbeschäftigung. Die politischen Diskussionen rund um einen Film wie I, Daniel Blake bilden da eine Ausnahme und sicherlich hängt eine solche Aussage auch vom jeweiligen Standpunkt ab. Vielleicht muss man es anders formulieren: Als Träger bereits stattfindender Konflikte und Themen kann das Kino ein Interesse jenseits des Kinos wecken, als Träger einer Lebensweise, einer besseren, anderen Welt ist es verpufft. Und genau daraus resultiert meine Ohnmacht, bisweilen mein Schweigen. Daraus resultiert auch eine Rückwendung auf ein Kino bevor dem Heute.  Der benjaminsche Engel der Geschichte bewegt sich kaum mehr nach vorne und schon gar nicht in eine Richtung. Es sind aufgesplitterte Erwartungen, die durch unterschiedliche Geschichten gar kein Bild der Zukunft kennen. Natürlich ist dies nicht allein ein Problem des Kinos, darauf komme ich nur immer wieder zurück, weil es nach wie vor das Kino wäre, das uns Dinge erklären könnte. Zumal in einer von Bildern dominierten Welt.

Was wir also tun: Wir lesen, sammeln Zitate, denken nach, verharren. Manche zeigen etwas, lesen vor, andere hören zu, gehen auf die Straße und schreien. Einer ignoriert seine Zweifel und sieht die Rettung aller in blinder Euphorie. Andere haben Angst, wenden sich ab, verschwinden. Leute tauchen auf, stellen sich dar, ignorieren. Sie verdienen Geld und sterben ab, sie rechtfertigen sich und finden kleine Beruhigungen für ihr Gewissen. Man kann nichts tun, man kann nichts tun. Jeder weiß wie es läuft, keiner hat eine Ahnung. Viele einigen sich schnell darauf, dass die Dinge, so wie sie stehen, nicht in Ordnung sind. Wenige ziehen daraus Konsequenzen, die meisten verschieben diese auf eine andere Zeit. Das Kino war einmal diese andere Zeit. Die meisten sitzen schlafend im Kino und sehen einer Tonspur zu, während sie die Augen geschlossen haben.

Film Lektüre: Film-Konzepte 41: Pedro Costa herausgegeben von Malte Hagener/Tina Kaiser

Eine Sache, die zumindest in der notwendigen Ausführlichkeit, in der dem portugiesischen Filmemacher Pedro Costa gewidmeten 41. Ausgabe der seit 2006 erscheinenden und von Thomas Koebner gegründeten Publikation Film-Konzepte fehlt, ist dessen Film Ossos. Es ist nicht so, dass er gar nicht vorkommen würde, aber es wird häufig ein erstaunlich direkter Weg von Casa de Lava zu No Quarto da Vanda gesucht. So wird eine Art Heldenreise über das Notizbuch, den Briefen, weg von einem industrielleren Filmemachen in die Einsamkeit des Digitalen installiert, deren Zwischenschritt über Ossos nur in Nebensätzen vorkommt. Vielleicht ist es auch eine Meta-Anspielung auf das Nicht-Sehen in diesem entscheidenden Film für Costa, der auch für die auf die Arbeitsweise zielende Argumentation des Buchs absolut essentiell gewesen wäre. Dann aber müsste man noch viel lauter fragen: Wo sind O Sangue, Où gît votre sourire enfoui? oder Ne change rien? Allgemein rühmt sich diese Ausgabe nicht gerade mit einem Anspruch auf eine umfassende Besprechung des Gesamtwerks.

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Das wäre auch nicht notwendig. Eine etwas hilflose Einleitung von Malte Hagener und Tina Kaiser hätte aufzeigen können, was der Schwerpunkt oder die Schwerpunkte der ausgewählten Essays sind und somit das Fehlen dieser Schlüsselwerke in dieser ersten deutschsprachigen Publikation über einen der entscheidenden zeitgenössischen Filmemacher erklären können. Stattdessen aber gibt sie eher unfreiwillig den Ton der meisten Texte vor. Costa, so hat man das Gefühl, wird wie ein Alien behandelt (Ulrich Köhler schreibt in seinem Text vielsagend: „No Quarto da Vanda ist ein Ufo.“). Vielleicht ist er das auch im Kontext dessen, was man normal so unter Filmemachen versteht, aber blickt man auf die Reihenfolge und Kombination der einzelnen Essays hat man außer im aus dem Buch herausstechenden Text Casa de Lava. Twenty Years Later von Volker Pantenburg den Eindruck, dass es hier nicht um Vermittlung geht, sondern um ein Suchspiel mit dem Namen: Wer entdeckt einen Einfluss? Wer erklärt besser wie es hergestellt wurde? Wilde Querverbindungen werden kaum argumentiert ineinander geworfen. Wenn dann in solchen Versuchen Lisandro Alonso als asiatischer Filmemacher geführt wird oder Tsai Ming-liang in einen Topf mit Jia Zhang-ke (angeblich arbeitet ersterer auch mit dokumentarischen Formen) geworfen wird, dann fragt man sich schon nach wenigen Sätzen, warum man ein solches Buch überhaupt liest.

Diese Worte sind zugegeben etwas harsch, schließlich kann man den meisten Texten nicht wirklich große Dinge vorwerfen und allein die Tatsache, dass es dieses Buch gibt und Costa so einem anderen, vermutlich breiteren Publikum vorgestellt wird, ist absolut löblich. Nur nach Ideen oder gar kritischen Ideen, die man nicht anderswo (vor allem bei Jacques Rancière und Costa selbst) bereits gelesen hat, sucht man vergeblich. Das betrifft sowohl die Argumentation einzelner Texte, bei denen der etwas verkopfte Costas Nachleben von Daniel Eschkötter noch am ehesten eine eigene Argumentation aufbaut (selbst wenn er dafür Costas Kino in einem Einkaufswagen durch die Theorie Foucaults fahren muss, um einen Weg hin zu einer diskontinuierlichen Geschichtsschreibung in Cavalo Dinheiro zu finden…) sowie (und das wiegt schlimmer) die Publikation als solche. Ein Zugang zur Argumentationslinie fällt schwer. Geht es hier um eine Ansammlung von Texten zu Costa? Geht es um eine Vorstellung des Filmemachers, um bestimmte Ideen von ihm oder den Autoren? Warum dieses Buch jetzt? Der Hauptfokus liegt auf der Arbeitsweise des Filmemachers, das wird zumindest deutlich. Neben Ulrich Köhlers zu kurzem Text mit dem verlockenden Titel Was macht Pedro Costa in Vandas Zimmer?, Zur Idee gemeinschaftlichen Filmemachens bei Pedro Costa von Ilka Brombach, Tina Kaisers Ermöglichungen, in dem sie einige schöne Überlegungen zur Frage des Filmemachers als Künstlers anstellt, betrifft das vor allem Costas zum ersten Mal ins deutsche übersetzen Vortrag A Closed Door that leaves us guessing. Diese vier Texte behandeln mehr oder weniger exakt die gleiche Fragestellung mit unterschiedlichen Worten. Gebraucht hätte es dafür nur jenen Text von Costa selbst. In den letzten beiden Texten spielt dann auch der vermisste Ossos eine gewisse Rolle und zwar immer dann, wenn Costa darüber spricht. „Jedes Bild ist ein Eingriff.“, formuliert Köhler und insbesondere Kaiser vermag aus dem Respekt vor der Anmaßung des Filmens diese Ethik von Costa nahe bringen. Leider wiederholen sich diese Gedanken in den unterschiedlichen Texten immer wieder.

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Im Essay von Brombach wird ein weiteres Problem deutlich. Die Publikation kann sich nicht entscheiden zwischen ihrem wissenschaftlichen Anspruch und der nur selten vorhandenen Freiheit (der Autoren/der Cinephilie). So kombiniert die Autorin willkürlich Aussagen von Costa aus Q&As und filtert daraus ihre Argumentation. Außerdem bezeichnet sie beispielsweise das Gemälde, das in Cavalo Dinheiro auf die Fotografien von Jacob Riis folgt, als „schöner“ als diese und behauptet, dass es in Juventude em Marcha immer/in jeder Szene um einen Verlust der Gemeinschaft ginge. Ventura will sie in drei Filmen vor Cavalo Dinheiro entdeckt haben. (mit Kurzfilmen sind es mehr, ohne Kurzfilme sind es weniger). Es geht zu oft darum aus einer äußerst oberflächlichen und zum Teil fragwürdigen Betrachtung der Filme und genauso oberflächlichen Wahrnehmungen der Aussagen über und des Filmemachers auf einen pseudo-wissenschaftlichen Schluss hinzuführen. An diesem Text lässt sich auch der merkwürdige Umgang mit Einflüssen nachvollziehen. So erläuert Brombach, das Costa den Ansatz von Straub/Huillet weiterentwickelt habe. Diese Weiterentwicklung wäre notwenidig geworden, da die gesellschaftlichen Veränderungen ausblieben. Nur sucht man vergeblich danach wie diese Weiterentwicklung denn nun aussieht. Vermutlich ist die Kollektivität des Filmemachens gemeint, die ein paar Zeilen vorher im Verhältnis zu Reis/Cordeiro erläutert. An solchen Stellen würde man sich einfach wünschen, dass es statt drei Texten, die sehr allgemein die Arbeitsweise von Costa schildern, einen spezifischeren Vergleich geben würde, wenn man denn schon immer diese anderen Namen nennen muss.

Pantenburg ist der einzige Autor, der in seinem Text zu Casa de Lava tiefer in die Materie eindringt. Nicht nur analysiert er beeindruckend manche Bilderkombinationen des Notizbuchs, das vor, während und nach dem Film entstand, sondern setzt diese auch in ein spannendes Verhältnis zum Film/den Filmen. Hier vermag ein Autor aus der Frage nach der Arbeitsweise Rückschlüsse auf die Ästhetik gewinnen. Ebenso sind seine Beobachtung zum wiederkehrenden Brief von Robert Desnos, der die Werke Costas durchweht, von großem Interesse. Einen ähnliche close reading Ansatz verfolgt auch Annika Weinthal in ihrem Essay Gezückte Messer. Gesten der Widerständigkeit in Juventude em Marcha. Dabei geht sie von der Eröffnungsszene des Films und der Figur Clotilde aus, um über Raum und Zeit im Film und bei Costa nachzudenken. Es ist ein vielversprechender Ansatz, der in der Knappheit des Textes erstickt wird. Die Kürze der Auseinandersetzungen ist ein großes Problem, da das Buch ja keineswegs aufeinander aufbaut. Wie man eine solche Publikation über einen nicht ganz so leicht zugänglichen und von mir aus „Alien-Filmemacher“ aufbauen könnte, lässt sich zum Beispiel an Publikationen wie For Ever Godard (Michael Temple, James S Williams und Michael Witt) oder dem grandiosem Buch über Hou Hsiao-hsien von Richard Suchenski sehen. Dort ist die Verbindung aus Wertschätzung, Kritik, Beschreibungen, Meinungen und Kontextualisierung auch deutlich präziser und mutiger. Am Ende ist diese Ausgabe von Film-Konzepte zu brav. Vielleicht verstehe ich den Sinn und das Anliegen solcher Publikationen aber einfach nicht. Allerdings scheint es mir bedenklich, wenn ich mit ein paar Klicks die gleiche Anzahl an Texten online finde nur mit höherer Qualität.

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Zu Beginn des Buchs findet sich eine biographische Verortung Costas im portugiesischen Kino und der Kunstszene Lissabons, die eben doch einen gewissen Anspruch auf ein Abdecken des Filmemachers vermuten lässt. Doch außer Betrachtungen zur Arbeitsweise und der beständigen Feststellung, dass Costa parallel zu manchen Strömungen der Malerei das „Tragische und Epische im Infamen“ freilegen kann (eine „Idee“, die das Lincoln Center allein mit dem Titel ihrer Retrospektive „Let us now praise infamous men“ besser auszudrücken wusste), bleiben nur hilflose Bemühungen, die sich verkleiden in eine wissenschaftliche Sicherheit und Redundanz. Vielleicht ist es aber auch beruhigend zu sehen, dass man einem solchen Filmemacher mit diesen sich selbst erstickenden, Muster-Strategien nicht wirklich nahe kommen kann.

Youth Under The Influence (of Pedro Costa) – Part 4: Conversa Acabada

Michael Guarneri and Patrick Holzapfel end their discussion about the films they have seen after meeting with Mr. Costa in Munich, in June 2015. But is there really an end in cinema or does it have to be written on the screen artificially, as Serge Daney once stated, in order for us to believe in it and be able to leave the cinema to find out that outside the sun also shines bright?

Part 1

Part 2

Part 3

Patrick: (…) I want to ask you two questions: 1) Do you think Mr. Costa films more the things he loves or the things he fears?; 2) Do you prefer in cinema to be confronted with the things you love or the things you fear?

Pedro Costa (Foto: Thomas Hauzenberger)

Pedro Costa (Foto von Thomas Hauzenberger)

Michael: 1) I think it is a matter that goes beyond fear or love. I guess that Mr. Costa films the things, the places, the people, the dynamics that interest him. He films stuff that he wants to know more about. He was a student of history in his youth, wasn’t he? Can we say he is a searcher, a researcher, a historian, a chronicler? I don’t know, maybe it’s just me, but I have always seen a certain (ideal) parallel between some of Mr. Costa’s films and things like Die Kinder von Golzow…Of course, in spite of all the years of hard work and efforts, Mr. Costa will never really know, much less understand, what it was like for people like Vanda or Ventura to grow up/old in Fontainhas: Vanda, Ventura and Mr. Costa  might all be living in the same city at a given time, but they were born in different worlds completely. Nevertheless, what is crucial to me is that Mr. Costa wants to know: he struggles to know more – not everything, mind you, just a little bit more… the color of a shirt, the shape of the creature in Ventura’s nightmare, little details like that… He wants to know more about the things that interest him, and he tries to leave a record, a trace of what he finds out. This is what I admire.

2) I am not sure about what I like to be confronted with. I am open to all possibilities, I guess. Even though, I have my prejudices, as discussed before…

In addition to hearing your opinion on 1) and 2), I’d like to know: can you imagine In Vanda’s Room, Colossal Youth and Horse Money in literary form? Like an essay, or a Riis-esque news report, a novel…

Patrick: No, I cannot imagine those works as written texts. Mr. Costa is very much about the material sensuality as well as the time of things, in my opinion.  There might be another relation to the Straubs: I cannot imagine someone blinking in another medium.

People talk about Hou Hsiao-hsien as a chronicler also, and I have problems with it. Yes, there is history in their works, there is a sense of time, politics and how they relate to each other. But I think to call them historians is wrong. They make cinema. Of course, we can talk about history through cinema, but there is an immediate presence of things that comes way before it… the wind, the movement, the eyes… all these things… and please do not tell me that this is mysticism again! It is not. There is a director and he makes a decision. It is like Godard said: History is with a big, capital “H” in cinema, because it constantly projects itself. It cannot be history without first being cinema, and by first being cinema it becomes presence (when done by those masters). It is a philosophical question, no doubt. Cinema can give me the experience of time… this is not what historians do. Historians – as much as I admire some of them – can also make me aware of time, but they can never make me experience it.

This is an emotional topic for me. I don’t know why. Concerning the questions about fear and love, there is a strange relationship going on between them in life, and also with Mr. Costa, I think. We were talking about that before: this fear of desire… When I was a child, cinema could make me be afraid of something, and this is why I have loved it. But now it is the other way around. Now, it can make me love certain things, and this is why I am afraid of it.

Have you seen any John Ford after we met with Mr. Costa? You have written a great article comparing Colossal Youth, Horse Money and Sergeant Rutledge (LINK).

JMonteiro

Michael: “Histoire(s)” with a capital H and – Godard added – with two “S”, as in “S.S.”. Which naturally brings us to that good old fascist John Ford. Nah, just kidding. To answer your question: yes, I have seen some Ford after we met with Mr. Costa. Let’s go straight into eye of the cyclone: 7 Women. What do you think about it? I think it is quite a ridiculous film.

Patrick: I have seen 7 Women after having seen many Ford movies in a row and, for me, it was one of his weakest. It touches the ridiculous, especially in terms of casting. But then I couldn’t help seeing 7 Women in relation to its being the last of Ford’s films. His last film… It is full of bitterness and cynicism. There is a statement in the end. Moreover Ford got rid of many things there, it is a film that goes to the essence which in this case is survival for me. And he seemed much less a fascist in the end, didn’t he?

What makes you dislike it? Mr. Costa has talked about abstraction in the past and how he observed that filmmakers are heading towards abstraction in their later works. Would you say he is right, also in regard of Ford?

Michael: Firstly, I don’t agree with your placing such an emphasis on closure, or finality. Ford couldn’t and didn’t know that 7 Women was to be his last film. Maybe his next project (I am sure there was a next project, there always is…) was a romantic comedy, who knows? I think it is one of the fallacies that affect last films: their importance tends to be overestimated (in dramatic, bitter and cynical terms, more often than not) because they are THE END of an author. This annoys me, I have to be honest. It is as if at the end of his life a man couldn’t help be bitter and cynical, which Ford certainly was, but no more in the ending of 7 Women than, say, in the ending of Stagecoach that I have already described and praised at the beginning of our conversation. And just imagine Ford dying after Donovan’s Reef, a film made a couple of years before 7 Women, but completely devoid of gloomy atmosphere, rape, infanticide, madness, suicide. Donovan’s Reef is a charming, heart-warming romantic comedy that totally looks like an old man saying goodbye to life and closing his eyes in peace with the world, doesn’t it? In the utopic atoll everything turns out fine for the main characters, Wayne gets the city girl and they all live happily ever after. I mean, the worst thing that happens in Donovan’s Reef is that the city girl might be a bit uppity and racist at the beginning. Nothing that a good spanking can’t cure…

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Anyway, back on the main subject, yeah, in 7 Women the casting is kinda meh. Plus, the characters are not only too many (specifically, there are too many women, some of whom are overlapping in their “distinctive characteristics”), but also one-dimensional, cartoonish and uninteresting. The lines are awful most of the time, and the acting… ouch! The Anne Bancroft character is tough and cool, but watching her playing a johnwayner version of John Wayne is just painful. Plus, Mike Mazurki wrestles Woody Strode and wins? No fucking way. However, I believe that at that point in his career Ford was experienced enough to make a film in which everything is intentional, so if he did things like that, he wanted the film to be like that, for some reason I cannot grasp. It was intentional, I am sure, to make the mother-to-be SO annoying… that is kinda interesting, as a matter of fact: the big hero(ine)’s self-sacrifice for this nagging, unsympathetic, ugly, old woman who was stupid enough to get pregnant in middle-of-nowhere China, fucking her nagging, unsympathetic, ugly, old husband. Wow! Which leads me to what I believe is the essence of Ford’s cinema: to me it is not survival, as you say, but duty. If the core was survival, there would be no need for the Bancroft character to kill herself: she could have killed the big bad wolf and try to survive the aftermath of her action… Running away or something. Worst case scenario, the henchmen catch her and kill her. But no. She kills the baddy and immediately commits suicide. Why? Because she must fulfill her duty: to be a hero (and a fallen woman). Just my two cents, sorry if it sounds dogmatic.

I don’t know if there’s a connection between directors getting old and their movies moving towards abstraction, as Mr. Costa says. Do you think so? On the matter of aging filmmakers, I agree with Quentin Tarantino, who said that as a filmmaker gets old, his films tend to be not so good as the first ones. There are many exceptions, of course, but in my opinion this is generally true.

Patrick: You are right, I was wrong (sounds like a Locarno winner) about survival not being the essence, but I don‘t think it is duty either (though there is an argument that the duty in this film is survival). I think duty in Ford is not a question of morals, getting an order or something like that; it is about a political statement and the fiction that is built around it. In this regard, the ending of 7 Women may not be as dull as you described it. For me, it is also a film that takes place in a lost paradise (there is some strange turn-around connection with Donovan’s Reef). It is not China as China. As far as my perception and memories of the film are concerned, you take things very literally. The question of being a hero(ine) is not so simple here, because the question in Ford is always more about the: “What does it take? Where is the lie/fiction? Do we accept it?”. Here, his solution is killing, which leads to suicide. Is this a dull statement, or do we find something in-between, maybe more on an abstract level? 7 Women speaks to many things Ford has done during his career. The dry way suicide is shown is far away from heroism in my view. Maybe Ford even had the same thoughts as you about the stupidity of duty? I tend to find always both sides in Ford, especially in his endings. The romanticism of the hero, which he most clearly shows in Young Mr. Lincoln, is not always pure. There is a doubt, an irony (The Irony Horse, very bad play on words…)… Let’s take The Lost Patrol, a film I mentioned earlier which is also set in a supposed paradise, the Mesopotamian desert.  This film is far more abstract than many others and it is not a late work of Ford… There is an invisible enemy and a feeling of sad impuissance in the face of war.  Feelings we can understand today. There are also suicides. In the end, there is a kind of savior. A Sergeant defends himself against all enemies until another patrol saves him. For me, in The Lost Patrol as well as in 7 Women (though the former is a much, much better film, I am only trying to state that the latter is not dull), Ford tells about the fictional nostalgia of heroes in the shadow of a reality that overpowers anyone in it. There is a constant inability to explain, to communicate in these enclosed worlds of men or women. The only things that are able to reach out are violence and friendship/love, and both of them do not really work. 7 Women asks about the thin line between being victim and perpetrator, and in the end – like in The Lost Patrol – Ford talks about the salvation of destruction and the destruction of salvation. Maybe those words are much too big, but I find your approach to Ford in terms of narration, and how casting justifies it, a little narrow. For me, he is not a director that can be watched without his formalistic choices. Who does he show, what doesn’t he show, where is the close-up and so on. It has been almost a year since I have seen it, so my arguments may feel a little basic. Sorry for that. But I feel like defending Ford here because, firstly, he has done worse than 7 Women, and secondly with Ford there is always another film that speaks with the one you were seeing and which enriches the experience. This may be the reason why Alexander Horwath has called Ford’s cinema “an ocean” (though he does that with almost any director…).

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Concerning the topic of the “last film”:  probably you are right and we place too much value on some film being the last one of a filmmaker. But then, there is a fiction in film-watching, too… We print the legend, so to speak, and if a last sentence in Ford is “So long, ya bastard!”, or the last word in Kubrick is “Fuck”, then I WANT to believe though it is nothing more than an anecdote. What would cinema be without these mythologies? Moreover it surely stimulates thoughts about the worldview of this or that filmmaker. There are not many last films I really love. Gertrud by Dreyer is one of the few, L’Atalante by Vigo, of course, but in the case of Mr. Costa’s favorites, I tend to think that neither Ozu, nor Ford, nor Chaplin, nor Tourneur achieved something tremendously worth-wile in their last works. I don’t know about Tarantino’s notion of films getting worse with the age of their maker… I observe that some older filmmakers seem to get a bit lazy, they find their language and I miss the doubt in their late works. There is no doubt, no struggling visible any more. The problem for me is when I sense that somebody knows too well what he is doing. I often miss the burning fire, the impossibility of not-doing the film… like you said, there are filmmakers who manage to keep that fire or doubt… Godard is one of them and I wouldn’t know how to talk about De Oliveira.

In terms of abstraction I certainly feel that it is the case with Mr. Costa. Which leads me to an obvious question: do you think that Mr. Costa can be included in Tarantino’s (self-)observation? Is Cavalo Dinheiro in your view worse than O Sangue? Is there the still same fire?

Michael: Thank you for defending your opinion with such passion. I totally disagree with you, and our views are kind of “not-reconciliable”, but I see your point. Also, I took note of your insights on The Lost Patrol, which I haven’t seen: not a big fan of McLaglen in superdramatic roles here, I must admit… I didn’t like The Informer at all, for instance. And I will purposefully ignore your mentioning Young Mr. Lincoln, because it would take us too far into a dangerous territory (Young Mr. Lincoln is a film I find difficult to digest, together with another film in which Henry Fonda plays a sneaky, mephistophelic manipulator who bullies the crowd into being good, 12 Angry Men).

I, too, think that “some older filmmakers seem to get a bit lazy, they find their language and I miss the doubt in their late works. There is no doubt, no struggling visible any more. The problem for me is when I sense that somebody knows too well what he is doing”: Lars von Trier, anyone? But then, to connect to your last one-in-three (triune?) question and spitting it back to you, isn’t Mr. Costa actually trying to find a filmmaking daily routine, to find some solid – possibly boring, white- or even blue-collar – basis in such an erratic profession, so that doubt, pressions, paranoia, deadlines, artsy bullshit, me, you, the festivals can be cast aside? Hasn’t he spent the last 15 years looking for a tranquility of sorts, a home-studio where he can get old making movies with his friends? O Sangue, too, was an attempt to make a movie with a bunch of friends…

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Patrick: That’s an interesting one. Is Mr. Costa making friends and develops a desire to work with them, or does he have a desire for working with someone and in the process befriends the person? I think it is the former, but somewhere he had to start. For a filmmaker there must always be the potential of a film, in every movement, in every face, don’t you agree? I am not entirely sure that he really tries to find this quiet place you talk about. He seems to enjoy travelling the whole world, he seems very much to enjoy talking to cinema-people around the globe, to live in this world of cinema… he is searching for the last places where this idea of cinema exist, but as much as I believe in his films, I think now, for the first time in our conversation, you are the romantic believer and I am the skeptic… of course, I couldn‘t know. Don’t get me wrong, I don’t think Mr. Costa is searching for fame or anything like that… no… but he likes his films to be shown. Let’s take the event where we met. The Munich Filmmuseum was screening a Fontainhas retrospective. That is a perfectly suitable place for Mr. Costa to show his films. Not because it is a museum, but because it was programmed there with passion, with an idea of cinema, it was a cinema-experience. But one day later Cavalo Dinheiro was screened at the Munich Filmfest (it was screened in the same cinema, but it was a different event)… though it is great of them to show the film (they even awarded him the main prize thanks to Sam Fuller’s daughter who apparently knows something about cinema) it is a horrible industry-event, full of money, German tastelessness, no respect for cinema. Mr. Costa accepted their invitation without hesitation. Is that because of duty or survival? I completely understand Mr. Costa, of course, his films should be shown everywhere because they enrich the life of everyone who sees them, and it is the only way for him to keep on. It is also a way to fight for cinema. But I don’t think he is trying to have a quiet life with friends… I think the opposite is true… he is one of the very few filmmakers that are fighting for an ideal, that feel the need to make, talk and defend cinema in and against an unaware public. He was complaining in Munich that he is weaker than Straub in this regard, but I think he is just different. I think a part of the doubt I can still sense in his work is due to the bitterness of this contact with reality. It is a contact with friends, places but also with the industry of cinema… and he has to be part of it to fight it. It is just speculation and I feel a bit bad about it but these are just my thoughts. He is not David Perlov, Vincent Gallo or even Terrence Malick, avoiding festival life and so on. And we can be grateful for it. What do you think?

Michael: Yeah, there’s no easy answer, thanks for pointing out all the complexities… Even though I think that, given the chance, Mr. Costa would stay in his native Lisbon and shoot his stuff, haunting the rooms he loves like Pessoa did with his (imaginary) friends.

But you were talking about cinema and friendship. Let’s go back to that, I think it is important, last but not least because our friendship (I mean, you and I becoming friends) was mediated by cinema…

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Patrick: You know that these are perfect words to finish our conversation, don’t you?

Michael: Better than those in the last title card of The Long Voyage Home? More perfect than “The rest is silence”? I don’t think so. But, please, let us not go astray: continue your discourse about cinema and friendship, or I’ll break our friendship, by devil!

Patrick: Many of the greatest worked, and are working, with their friends and relatives. I think it is very hard to create art in film without “friends”. Just a few random names to underscore my argument, and to stimulate our thoughts in a tender way in the midst of all this heat I still feel burning inside my fingertips concerning John Ford: Jean Renoir (another one of those who, for my taste, found their language too easily in his late works), Andrey Tarkovsky (may be fired after one or two drinks), Ingmar Bergman (too close), Tsai Ming-liang (Lee and melons at least), Fassbinder (a bit like Bergman, only without control) or Cassavettes (did not go to Fontainhas to find friends though)… But then there is something I also feel with Mr. Costa about this kind of friendship. It is another doubt, or let’s call it fear again… It is a question: Will it last? Are things mediated by cinema meant to last, or are they just ephemeral illusions, mechanical ghosts, memories? What do we have by talking about friendship via e-mail? What does Mr. Costa have making cinema with digital means? Oh, now I am very trendy philosophical. As I started this conversation you will have the final word, or shall we just close the door and leave everybody, including ourselves, guessing?

Michael: Refreshments!

THE END

Der eingeschränkte Blick in Fontainhas

Die Idee, dass man etwas nicht filmen kann, wenn man es nicht ganz versteht oder besser die Frage, wie man etwas filmen kann, was man nicht ganz sieht oder noch besser, die Antwort auf die Frage, wie man das Limit der eigenen Wahrnehmung zu einem ästhetischen Prinzip erheben kann, steht im Zentrum von Pedro Costas Fontainhas-Trilogie, die ich in den vergangenen drei Tagen im Münchner Filmmuseum begleiten durfte. Es war meine erste Gelegenheit, diese Filme auf Film projiziert zu sehen. Ein Unterfangen, das sich natürlich absolut lohnt, sei es alleine deshalb, weil dieses absolute Sehen, das von Costa gefördert wird, dieses Sehen, das nicht auf das nächste Bild wartet, sondern das gegenwärtige Bild in seiner Gegenwärtigkeit begreift und somit erst zur Entfaltung in der Zeit gelangen lässt, von den Texturen filmischen Materials extrem profitiert. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Ausgangsmaterial Film ist wie im Fall von Ossos oder digital, wie im Fall von No Quarto da Vanda und Juventude em Marcha.

Die eingangs geschilderte Idee ist ein ästhetisches und ethisches Problem und Costa scheint sich diesem in seinen Antworten sowohl filmisch als auch intellektuell jederzeit bewusst. So versteht er Ossos als eine Annäherung an Menschen und Orte, die er zu diesem Zeitpunkt noch nicht kannte, noch nicht verstand. Hier agiert der Filmemacher als Außenstehender und dementsprechend oft sind es Türen und Fenster, die vor unserer Nase zugehen, die uns die Sicht versperren, manchmal ganz (wie bei Mizoguchi oder Haneke), manchmal halb. Innen und Außen oder in den Worten von Costa: „Secrets and Revelations“.

Ossos7

In No Quarto da Vanda sind wir dann tatsächlich in Vanda’s Zimmer. Das bedeutet auch eine Einschränkung der Beweglichkeit, ein Ausgeliefertsein der Kamera an alles, was sich vor ihr bewegt. Keine Macht über die Figuren, sondern eine tatsächliche Nähe. Nun befinden wir uns oft in völliger Dunkelheit, weil die geschlossenen Türen und Fenster kein Licht mehr in die Barracken und vom Abriss bedrohten Wohnungen in Fontainhas lassen. In einer Art Montagesequenz wird Fenster um Fenster vor uns geschlossen. Wir bleiben innen. Es wird völlig dunkel im Kino. Still wird es dagegen nie, denn die Abrissgeräusche und das beständige Hämmern bedrohen die Türen und auch das Innen, das Intime, das Private, das Eigene. Und so beginnen schon in No Quarto da Vanda, die Türen ihre Funktion zu verlieren. In einer Szene wird eine Gartentür aus den Fugen gehoben und davongetragen. Es ist also nicht nur eine Frage der Positionierung von Filmemacher und Kamera, die hier an den Türen und ihren Schwellen hängt, sondern zur gleichen Zeit, wenn auch unter völlig anderen Vorzeichen eine Frage für die Protagonisten selbst. Auf den Gipfel wird diese Bedeutung der Funktion von Türen dann in Juventude em Marcha getrieben. Eine fast Modern Times-artige Automatik, scheint hier die Türen heimzusuchen. So hören wir nicht nur auf der Tonebene ständig das Knarzen von Türen, sondern diese bewegen sich auch im Bild wie von alleine. Vor allem in einer Szene, mit dem von Costa als brechtianischen Verräter bezeichneten Wohnungsvermieter, zeigt sich dieses zum Teil absurde Eigenleben der Türen. Man kann also sagen, dass aus dem Außen, ein Innen wurde und aus dem Innen eine Fehlfunktion. Das Verschwinden der Türen, das Verschwinden von Innen und Außen ist auch ein Kommentar auf die Situation der Bewohner des ehemaligen Fontainhas. Aber darin verstecken sich auch die Mechanismen des Kinos. Der limitierte Blick, der sich im zeitgenössischen Kunstkino oft seiner Eingeschränktheit bewusst ist.

Colossal Youth4

Es gibt Gegenbeispiele wie Gaspar Noé, die voller Innbrunst das Gegenteil erklären, die ihre Kamera entfesseln und bei aller Faszination daran muss man doch früher oder später feststellen, dass man nicht alles sehen kann. Was man allerdings sehen sollte, ist die Essenz. Nur wenige Filmemacher gelangen zu ihr und Costa gehört sicherlich dazu. Und wie Cristi Puiu in seinem Aurora oder Robert Bresson in seinem L’argent gelangt Costa zur Essenz, indem er uns auch ständig zeigt, was wir nicht sehen können. Dabei handelt es sich nicht zwangsläufig um den Off-Screen, denn wenn eine Tür im Bild ist, ist sie ja strenggenommen im Bild. Und wenn man sich die Türen in Juventude em Marcha ansieht, dann wird man feststellen, dass Costas eigene Feststellung, dass die Türen in Filmen von Charlie Chaplin die schönsten Türen sind, ein Ansporn für ihn ist, den großen Meister zu übertreffen. Die Rahmung selbst wird das Bild und man spürt dadurch auf der einen Seite den Filmemacher, aber eben nicht auf dieser intellektuellen Meta-Ebene, sondern eher wie bei Chaplin: Im Vertrauen darauf, dass man sich in einem Film befindet, kann man diesen völlig vergessen, die Fiktion von Costa ist dokumentiert, die Illusion liegt in der Desillusion, es ist als würde jemand seine Unsicherheiten und seine Fehlbarkeit zu seiner großen Stärke erklären. Gefilmter Zweifel.

Dabei nutzt Costa vor allem Licht, das durch löchrige Türen dringt. Wieder heben sich Innen und Außen auf und wer sich mit der Funktionsweise einer Kamera beschäftigt hat, sieht plötzlich eine ganz neue Relation zwischen dem Kino und den Türen, schließlich ist es eine Tür, die den Eingang zur Kamera/dem Zimmer versperrt und diese Tür muss sich öffnen, damit wir etwas sehen. Sie darf sich aber nicht zu weit öffnen. Jeder Millimeter verändert das Kino. Und daher ist es so fatal, wenn die Türen ein Eigenleben bekommen, ein Eigenleben, das von einer Industrie verlangt wird, die auf Gleichheit und Glättung aus ist. Wie soll man noch interessante Bilder machen, wenn man keine Macht mehr über die Türen hat, wenn es gar keine Türen mehr gibt?

In Vandas Room4

Es geht natürlich auch um die Türschwellen auf denen sich sowohl Costa als auch Ventura immer wieder bewegen. Was ist diese Schwelle? Ein Übergang zwischen dem Innen und Außen, ein Zweifel, in dem der Mensch oft am hoffnungslosten und hoffnungsvollsten zugleich ist. Hier drücken sich sein Verlangen und seine Angst aus. Bei Costa zählt selten, wohin jemand geht oder woher er gekommen ist. Vielmehr geht es um den Augenblick des Schwellenzustands selbst, der sich wie in Cavalo Dinheiro oder Juventude em Marcha zwischen verschiedenen Zeiten abspielen kann oder wie in Ossos zwischen dem Filmemacher und den Figuren. In der Schwelle stehen, heißt auch, Respekt zu haben. Hier wird niemand überfallen oder den Blicken preisgegeben. Es ist eine vorsichtige Annäherung, deren Zärtlichkeit sowohl in der Vergangenheit, der Gegenwart (der Schwelle), und der Zukunft (dem Raum) liegt, es entstehen also Bilder, die in sich derart stark leben, weil sie Schwellenbilder sind. Sie oszillieren zwischen ihrer absoluten Präsenz im Kinoraum und den Blicken, die auf etwas anderes zielen. Bei Vanda ist dieser Blick oft nach vorne gerichtet, auf etwas außerhalb des Bildes. Sie wirft sich dafür regelrecht in Pose, dreht ihren Kopf und starrt mit wachsamen Augen ins Off. Bemerkenswert allerdings, dass sie am Ende von Juventude am Marcha einmal umdreht, sich umblickt und an einer verschlossenen Tür lauscht, eine verschlossene Schwelle, in der sich die Sorge und Hoffnung, also die Liebe von Vanda verbirgt. Sie überprüft, ob Ventura sich um ihre Tochter kümmert. Dann verschwindet sie hinter einer benachbarten Tür und ist bis heute nicht mehr zurückgekehrt ins Universum von Costa. Ventura dagegen blickt in die Ewigkeit und nach Innen, also nach hinten. In seinen Augen scheint die Vergangenheit immer genauso präsent zu sein, wie die Gegenwart. Vielleicht fangen die Türen auch deshalb an, sich in Venturas Gegenwarten wie von selbst zu bewegen. Sie schließen und öffnen Räume der Erinnerung. Und in dieser Hinsicht ist auch Ventura eine Tür für Costa, oder besser: Ventura ist 10000 Türen in einem Lavahaus. Costa kann diese Türen nicht kontrollieren, er kann nur warten bis sich eine öffnet und sich dann vorsichtig auf die Schwelle stellen und sehen was passiert. Es ist seine große Kunst, dass er nicht mehr macht, denn darin entfaltet sich erst die Sinnlichkeit, Poesie, Direktheit und Dringlichkeit seines Kinos.

Die Sehnsucht nach Bewegungslosigkeit im Kino

Ein Text, der von der Bewegungslosigkeit des Kinos sprechen will, muss natürlich voller Widersprüche sein. Denn nicht zuletzt ontologisch betrachtet, besteht das Kino aus Bewegung: Bewegung des Films, Illusion der Bewegung auf der Leinwand, Bewegung in unseren Herzen. Serge Daney hat Film mit dem vorbeiziehenden Himmel verglichen: Die Wolken sind die Figuren, die vom Off-Screen beleuchtet werden. Selbst wenn man im digitalen Zeitalter durchaus einen Unterschied feststellen muss, so bleibt doch dieser unendliche Drang nach Bewegung, die Idee, im Dunklen sitzend die Welt zu umreisen. Nicht zuletzt arbeiten technische Entwicklungen wie 3D genau an dieser Illusion. Aber in der eigenen Bewegungslosigkeit einen sich bewegenden Spiegel zu suchen, ist bereits ein Paradox. Darin liegt die Illusion begründet, eine Lüge, aber auch eine Hingabe, bei der man gibt, indem man vertraut. Und es ist auch nicht weiter verwunderlich, dass man sich selbst beim Betrachten eines Standbildes oder einer Fotografie emotional bewegt, dann fließt man nicht mit dem Strom einer Folge von Bildern, sondern kann sich tief im Bild verlieren, an den Rändern suchen, in den Texturen schwimmend, alles bleibt eine Bewegung. Und genau das ist eine Sehnsucht vieler großer Filmemacher. Denn sie wollen ihre Bilder festhalten, die Zeit festhalten, nicht verlieren, was eigentlich zur Flüchtigkeit verdammt ist. Mindestens soll aber die Dauer manifest werden. Zum einen kann etwas immer wiederkehren, wenn es einmal gefilmt ist (so der Legende nach die Inspiration von Steven Spielberg, der einen Crash zweier Modelleisenbahnen als Kind festhalten wollte, damit er es immer wieder sehen kann), zum anderen kann es sich unendlich in der Zeit entfalten. Es geht hier also um eine im Projektor, in den Pixeln und im Kopf bewegte Bewegungslosigkeit.

L'Avventura Antonioni

L’Avventura von Michelangelo Antonioni

Und dann beginnt ein Kampf gegen die Flüchtigkeit der Bilder, der Erinnerung, dieser ewige Drang der nächsten Einstellung, die im Kino lauert, die oft erst die Poesie oder Bedeutung generieren kann: Das nächste Bild, ein unbekanntes Bild, das bei seiner Geburt logisch oder irritierend wirken kann, aber immer am vorherigen Bild arbeitet, obwohl es selbst schon lange heimgesucht wird von einem weiteren nächsten Bild. Wenn man jeden Tag an Filmen arbeitet, dann spürt man womöglich eine Erschöpfung der Bilder, gleich der erschöpften Liebenden, die nur mehr in ihrer umschlungenen Haltung verharren können, eine Bewegungslosigkeit, die man im Kino fast nie sieht, aber die in den Rhythmus der Bilder eingeschrieben ist. Ein Durchatmen, ein erschlaffen, gemeinsam zwischen Auge und Bild.

Nun gibt es einige unhaltbare Versuche, die Sehnsucht von Filmemachern nach einer absoluten Art des Sehens (die, die sich Zeit für das eine Bild nimmt), unter gemeinsamen Begriffen zu fassen. Einer der schlimmsten dabei ist „Slow-Cinema“, weil er genau diesen Widerspruch zwischen Bewegung und Bewegungslosigkeit aus dem Kino verbannt und so tut, als würde sich das Kino langsamer bewegen, wenn Bilder länger stehen. Nur, weil eine Fingerbewegung im Kino mindestens genauso viel Kraft haben kann wie eine Armee, ist dieser Widerspruch möglich. Es wird von einer Rebellion gegen die immerzu beschleunigte Welt der glatten Oberflächen gesprochen, Kino als Antwort, als Lehre des Wiedersehens und Wieder Sehen Könnens. Aber auch kann man von einem inneren Zustand sprechen, in dieser Zeit der Unsicherheiten und Unklarheiten, in denen Vergangenheit, Gegenwart, Traum, Realität, Bild und Schlaf schon lange in ein einziges Aussetzen ihrer Deutlichkeit eingetreten sind, ein schwarzes Loch, das nach zwei Dingen sucht: Sicherheit und Gefühl. Und dafür will man nur noch schauen und trotzdem ans Ziel kommen. Die Bewegungslosigkeit ist ein Weg an dieses Ziel, denn in ihr gibt es weniger Differenzen. In diesem Sinn ist das Kino also keine Rebellion sonder eine Deskription. (Eine Alternative über die man auch schreiben könnte, liegt in der Hyperbewegung bei Philippe Grandrieux.) Es gibt jene Differenz des Blickenden und des Angeblickten, aber es gibt auch eine bewegungslose Pose, die den Darsteller von seiner Darstellung befreit, die ihn von sich selbst befreit sogar. Wer ist man nämlich, wenn man posiert? Wer sind diese starren Gestalten am Ende einer Szene bei Fassbinder? Wer sind die Liebenden in Antonionis L’Avventura? Gibt es sie? Schaut man sich zum Beispiel den Film Now, Voyager von Irving Rapper an, wird man feststellen, dass sich der Gang, die Bewegung von Bette Davis im Lauf (im ewigen Lauf) des Films verändert, es ist ein Machtgewinn, in dieser Bewegung liegt der Ausdruck und der Eindruck ihres Selbstbewusstseins. Sie lebt in einem Hier und Jetzt, das im zeitgenössischen Kontext eigentlich nur eine Illusion sein kann. Wenn sich jemand nicht bewegt im Kino ist er/sie in der Regel tot. Aber dennoch ist er/sie präsent. Oft erwischt man sich, wie Bitomsky schreibt, wie man nach der Bewegung der Toten im Film sucht. Das Pochen einer Halsschlagader, ein leichtes Zucken, ein sich erhebender Bauch…als würde uns die Bewegung Sicherheit geben oder vielmehr eine Kontrolle über den Film. Hier liegt eine Sehnsucht nach Bewegungslosigkeit, weil wir von einer Lücke sprechen zwischen der Darstellung und der Realität. Und diese Sehnsucht lässt uns weitaus genauer blicken, als wir es eigentlich tun würden. Darin versteckt sich womöglich das Potenzial einer Sinnlichkeit, die damit zu tun hat, dass wir selbst lebendig werden wollen. Man muss sich nur diesen unvergesslichen Wimpernschlag in Chris Markers La Jetée vor Augen führen, jenes Erwachen der Bilder, Bilder, die nie wirklich lebendig waren und nie wirklich tot. Hierin liegt der Moment des Verliebens begraben, genau jener Impuls von der Bewegungslosigkeit (der Herzschlag setzt aus, man wird vom Blitz getroffen, man ist blind…) zur absoluten Bewegung, die in sich nur wieder verharren will (die Liebenden nach dem Sex, der Kuss, die Umarmung, die Zeit, die nie vergehen darf…). Wenn ich also in mir und auch in einigen anderen Filmemachern den Impuls spüre, der von der Bewegung zurück zur Bewegungslosigkeit will, dann hat das mit der Suche nach der Unschuld zu tun. Man will wieder jene erste Bewegung sehen, die Ingmar Bergman in seiner Autobiographie so schön beschreibt, jenes Wunder, jenes Verlieben, den Beginn der Zeit des Kinos. Der erste Mensch, der über eine Leinwand läuft. Er kann nur aus der Bewegungslosigkeit stammen.

Chris Marker

La Jetée von Chris Marker

In Cavalo Dinheiro arbeitet Pedro Costa exakt in diesem Zwischenreich aus Bewegung (Leben, Erinnerung, Gesellschaft) und Bewegungslosigkeit (Sterben, Vergessen, Gesellschaft). Er beginnt seinen Film mit Fotografien, die später wie das Echo einer anderen Welt der Bewegungslosigkeit wiederkehren, die uns in ihrer Starre verfolgen und mit den Masken, Statuen und gefrorenen Einstellungen des Films harmonieren. Einmal filmt Costa eine sterbende Hand, zitternd und kreiert damit ein weiteres Echo zu Alain Resnais Hiroshima, mon amour, einem Film, der die Bewegungslosigkeit und die Bewegung, ja die erschöpften Liebenden, das ultimative Ende und den Beginn der Zeit in sich trägt. Wann dieser Film begonnen hat und wann er endet, kann keine Rolle mehr für uns spielen. Er beginnt mit seinem Ende und endet mit seinem Beginn. Edvard Munch hat gesagt: Ich bin sterbend geboren. Er hatte Recht. Die Bewegung ist nicht echt. Zusammen mit Alain Robbe-Grillet hat Resnais auch in L’Année dernière à Marienbad an dieser Bewegungslosigkeit, ob dem Zwischenreich der Erinnerung und der Realität gearbeitet, aber weitaus sinnlicher und damit sehnsuchtsvoller ist Robbe-Grillet dieser Widerspruch in seinem L’immortelle gelungen.

Unsterblichkeit hängt an dieser Bewegungslosigkeit, eine eingefrorene Zeit als einzige Chance auf Unendlichkeit? Doch kann man in diesen Statuen das Licht einer Lebendigkeit, ja sogar einer Echtheit finden? Vielmehr scheint dieses Prinzip der Wiederholung, der wiederkehrenden Bilder tief mit der Illusion (und der Sinnlichkeit dieser Illusion) verwurzelt zu sein, ein Land der Träume, eine tickende Uhr, die wieder beginnt und wieder beginnt und wieder beginnt. Vielleicht ist es kein Beginn, sondern ein ständiges Aufhören, ein Aussetzen, ein Zweifel an der eigenen Funktionalität. Man hat das Gefühl, dass die Zeit hier selbst reflektieren muss. Sie ist immer weitergelaufen, aber unter welchen Vorzeichen? Kann das heute noch relevant sein? Eine Erschütterung der Zeit (man sagt, dass die Zeit mit dem 2. Weltkrieg erschüttert wurde und das ist auch richtig, aber ist sie heute vielleicht sogar völlig überschüttet?) bedeutet gleichermaßen eine Erschütterung des Kinos.

Hiroshima, mon amour

Hiroshima, mon amour von Alain Resnais

Also gibt es die Bewegungslosigkeit nur im Angesicht einer aussetzenden Zeit, eines Zweifels gegenüber der Realität, der in den zahlreichen Geister- und Zwischenwelten des modernen Kinos stattfindet? Nein, denn die Bewegungslosigkeit ist auch ein Schatten der Banalität und Erbarmungslosigkeit der Zeit. Je, tu, il, elle von Chantal Akerman und It’s Keiko von Sion Sono arbeiten mit dieser erdrückenden Bewegungslosigkeit (Liegen, Starren, Sitzen, Liegen, Starren, Liegen, Sitzen usw.) vor dem Hintergrund einer brutalen Uhr, die einem nichts sagt, die nur, seit ihrem Beginn der Countdown zum Tod ist. Doch Count-Down ist ein falsches Wort, denn hier zählt nichts runter…vielmehr geht es immer weiter und man kann nur zusehen wie die Uhr tickt. Mit schmerzvoller Sehnsucht wie bei Akerman oder ironischer Leere wie bei Sion Sono, der seine Protagonisten fröhlich die Zahlen einer Minute mehrfach singen lässt. Die Bewegungslosigkeit macht im Kino erst die Zeit bewusst. So auch in Bergmans Hour of the Wolf, in der eine der wenigen Bewegungen dem Zeiger der Uhr gilt. Da sich dieser Zeiger immer bewegt, egal ob wir ihn sehen oder nicht, zeigt sich erneut, dass es keine reine Bewegungslosigkeit geben kann in einem Medium der Zeit. Aber es gibt ein inneres und äußeres Nichts, ein Pausieren, eine Flucht oder Abkehr von der Welt. Oder eben jenes Warten, das bei Akerman und Sion Sono zu- und niederschlägt, ein Warten, dass dann zu einer Bewegungslosigkeit und zugleich Hoffnungslosigkeit wird, wie auch bei Béla Tarr oder Sharunas Bartas. Jacques Rancière hat sich mit Blick auf das Kino von Tarr gefragt, welches Geheimnis in einer Minute (des Wartens) liegt. Er schreibt von einer Koexistenz der Handlungen, die unter dieser Dauer ablaufen. Da ist also wieder die Tiefe dieser Bewegungslosigkeit, die einen Raum öffnet, statt ihn beiseite zu wischen. Die Bewegungslosigkeit wäre also auch die Zeit nach der Geschichte und wenn Bewegungslosigkeit gleich einer Hoffnungslosigkeit ist und Rancière schreibt, dass Filme nicht von Hoffnung handelten, sondern Hoffnung seien, dann wird auch klar, dass Filme Bewegung sein müssen. Aber wohin in oder mit dieser Hoffnungslosigkeit?

L'immortelle von Alain Robbe-Grillet

L’immortelle von Alain Robbe-Grillet

Eine interessante Lösung im Zeitalter der Geister, die bereits zu Phantomen ihres gespenstischen Mythos geworden sind, ist die Kreisbewegung, ja die Wiederkehr. Sogar das Blockbusterkino hat diese Wiederkehr entdeckt, sei es die banale Feststellung in George Millers Mad Max: Fury Road, dass man nicht immer weiter sinnlos in die Hoffnung fahren sollte, sondern lieber zurückfahren sollte oder sei es in Doug Limans Edge of Tomorrow das ständige Durchexerzieren einer vorbestimmten Zukunft, die nur durch eine immerwährende Wiederkehr verändert werden kann (man denke in diesem Zusammenhang auch an Christopher Nolans Inception und Interstellar). Ist die rückwärtige Bewegung also ein Versuch der filmischen Sprache, gegen die Bewegungslosigkeit zu kämpfen? Es gibt kein Ziel außer das Überwinden der Bewegungslosigkeit, die in beiden Filmen mit einer rasenden Geschwindigkeit offenbart wird, als wäre Sisyphos auf Speed. Oder sind es etwa die Blicke bei Filmemachern wie Bartas, Costa, Hitchcock (der hat sich hier nicht verirrt, sondern der ist hier geboren) oder Claire Denis, die eine Bewegung in der Sehnsucht bewegungsloser Augen finden? Schließlich braucht man Bewegungslosigkeit, um Bewegung sichtbar zu machen. (man denke an die Wolken in The Aviator von Martin Scorsese). Erst der eingefrorene Körper lässt uns die Schönheit seiner Bewegung erahnen, weil die Bewegung sich ständig selbst verflüchtigt. Denkt man an die widerkehrenden Bilder bei Robbe-Grillet erahnt man ihre Verbindung zu dieser Frustration der Bewegung. Immer wieder in L’immortelle sehen wir eine Einstellung vom Meeresufer in Istanbul. Und dennoch zeigt sich in der Wiederkehr dieser Einstellungen, in den Bildern, die wir öfter sehen ein gewisses Misstrauen, wir zweifeln, wir erhöhen unsere Konzentration, denn wir sind trainiert und dumm: Wenn wir ein Bild öfter sehen, dann hat es eine besondere Bedeutung, glauben wir und verstehen ganz automatisch Kino als Narration statt als Leben. Robbe-Grillet hat gesagt, dass genau das Gegenteil der Fall wäre. Wenn man etwas öfter sehen würde, würde es an Bedeutung verlieren.

Je, tu, il, elle von Chantal Akerman

Je, tu, il, elle von Chantal Akerman

Die Kreise, die durch Zeit und Ort laufen, verweisen auf eine Nahtlosigkeit, die nicht den nötigen Widerspruch zulässt zwischen Bewegung und Bewegungslosigkeit, das Potenzial zur Befreiung schwindet in dieser narrativen Strategie und dennoch wird das Gefühl einer Befreiung evoziert, weil man sich besinnt, weil es eine Weisheit ist, dass man manchmal zurückgehen muss, um vorwärtszugehen. Aber das filmische Pendant dazu, der Vertigo-Effekt, erzeugt einen Schwindel, der darauf verweist, dass man diese Bewegung nicht mehr aushalten kann. Man wird ohnmächtig und bewegungslos. Auch Vertigo spielt in einem Zwischenreich. Hitchcock verleitet das Bild und den Blick zu einer Starre, die den Tod hervorzaubert, um ihn dann als Illusion und Grausamkeit zu entlarven.

Eine weitere Lösung ist die extreme Verlangsamung der Bewegung, eine Art Kompromiss wie in den Walker-Filmen von Tsai Ming-liang. In seinem neuesten Werk No No Sleep verbindet sich diese Entschleunigung wie so oft mit dem Verlangen einer Einsamkeit. Aus dieser Einsamkeit entsteht dann Aufmerksamkeit. Das Licht ist in Bewegung, aber es ist auch still (so wie die Wasseroberfläche des Bades im Film) beziehungsweise die Bewegung des Lichts wird erst durch die Stille des Bildes sichtbar. Bewegungslosigkeit im Kino meint also nur einen bestimmten Rhythmus der Bewegung. Ich habe immer jene Filmemacher bewundert, bei denen man sich in diesem Rhythmus wohl fühlt, die eine Präsenz schaffen, eine Präsenz, die Bewegungslosigkeit in tausende Regungen zerfallen lassen kann, in denen der Drang zur Bewegung, zur Liebe und zur Befreiung offenbart. Wir sprechen hier weniger von denkenden Bildern als von fühlenden Bildern. Daher ist Kontemplation auch ein falscher Begriff, da hier oft kein Platz mehr ist für eine Reflektion. Es ist die Präsenz der Bewegungslosigkeit. Apichatpong Weerasethakul ist ein Meister dieser Präsenz, die sich vom Potenzial einer Bewegung füttern lässt. Bresson, ein großer Meister der Regungen, Zuckungen und sehnsuchtsvollen Begierden, die aus seiner Bewegungslosigkeit eine Bewegung machen, schreibt: beautiful in all the movements that he does not make (could make).

Kim Novak Hitchcock

Vertigo von Alfred Hitchcock

Man könnte also sagen, dass die Sehnsucht nach der Bewegungslosigkeit im Kino nichts anderes ist, als das Verlangen nach der Wahrheit einer Bewegung, der Wahrheit des Kinos selbst, die immer zugleich Illusion (der Wind) ist und Realität (das abgefallene Blatt, reglos zwischen den Fingern eines toten Soldaten). Hinter dieser Sehnsucht versteckt sich vielleicht auch die Frage: Warum bewegen wir uns überhaupt? (Dante: Love moves the sun and other stars)

2014: Ein Bildgedicht

P'tit Quinquin von Bruno Dumont

2014 ist….

…Erwachsenwerden.

Boyhood von Richard Linklater

Boyhood von Richard Linklater

…Licht, Schatten und Ventura.

Cavalo Dinheiro von Pedro Costa

Cavalo Dinheiro von Pedro Costa

…Eintauchen in unendliche Kinowelten.

Guardians of the Galaxy von James Gunn

Guardians of the Galaxy von James Gunn

…philippinischer Dschungel.

Mula sa kung ano ang noon von Lav Diaz

Mula sa kung ano ang noon von Lav Diaz

…Awesome!

The Lego Movie von Phil Lord/Chris Miller

The Lego Movie von Phil Lord/Chris Miller

…Erinnerung an einen guten Freund.

Life Itself von Steve James

Life Itself von Steve James

…ein Land der Wunder.

Le Meraviglie von Alice Rohrwacher

Le Meraviglie von Alice Rohrwacher

…All that Jazz!

Whiplash von Damien Chazelle

Whiplash von Damien Chazelle

…stumme Gewalt.

Plemya von Myroslav Slaboshpytskiy

Plemya von Myroslav Slaboshpytskiy

…ein Puzzle.

Gone Girl von David Fincher

Gone Girl von David Fincher

…Kappadokische Kammerspiele.

Kış Uykusu von Nuri Bilge Ceylan

Kış Uykusu von Nuri Bilge Ceylan

…endloser Konflikt.

Das erste Meer von Clara Trischler

Das erste Meer von Clara Trischler

…Fußballspielen im Schnee.

Al doilea joc von Corneliu Porumboiu

Al doilea joc von Corneliu Porumboiu

…die Bestie Mensch.

The Salt of the Earth von Wim Wenders und Julian Ribeiro Salgado

The Salt of the Earth von Wim Wenders und Julian Ribeiro Salgado

…ein Doppelgänger.

Enemy von Denis Villeneuve

Enemy von Denis Villeneuve

…Entschleunigung.

Journey to the West von Tsai Ming-liang

Journey to the West von Tsai Ming-liang

…schräge Vögel.

Birdman von Alejandro González Iñárritu

Birdman von Alejandro González Iñárritu

…ein Unterschlupf in einer kalten Winternacht.

L'Abri von Fernand Melgar

L’Abri von Fernand Melgar

…lebendige Kunst, lebendige Geschichte.

National Gallery von Frederick Wiseman

National Gallery von Frederick Wiseman

…Christbäume und Einsamkeit.

Christmas Again von Charles Poekel

Christmas Again von Charles Poekel

…nicht in Worte zu fassen.

P'tit Quinquin von Bruno Dumont

P’tit Quinquin von Bruno Dumont

…im Kinosaal erblinden.

Adieu au Langage von Jean-Luc Godard

Adieu au Langage von Jean-Luc Godard

…ein Besuch bei einer Erinnerung.

Gyeongju von Zhang Lu

Gyeongju von Zhang Lu

…Liebe und Unschuld.

Still the Water von Naomi Kawase

Still the Water von Naomi Kawase