Die weiße Wand: Aftersun von Charlotte Wells

»Wozu ins Kino gehen, wenn sich die selben Filme auch zu Hause streamen lassen?« Bei Aftersun handelte es sich um einen Film, der, ausgezeichnet von einigen Festivals, in eher schlecht besuchte Programmkinos wanderte, wo er erst allmählich zu seinem Publikum fand. Nun ist er auf MUBI zu sehen und die Frage, für wen dieser Film ist oder sein könnte, stellt sich nicht mehr wirklich. Denn dort geht er auf, kein anderer Film entspricht womöglich besser dem, was sich MUBI unter Film – nicht Kino – vorstellt. Man sucht nach dem ganz besonderen, einmaligen – aber ständig wiederholbaren – Erlebnis, dessen Ausgang schon zu Beginn klar ist. Mit der glänzenden, selbstverliebten Oberfläche lässt sich zwar in einen Spiegel schauen, aber keine Erfahrung mit etwas Anderem machen.

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Leicht dahingeredet heißt es gelegentlich, ein Film wäre »relatable«. Doch was soll damit gesagt sein? Der Anglizismus gibt sich vermeintlich unverbindlich. Es lässt sich dabei vermuten, man könne etwas nachvollziehen oder sich mit dem Gesehenen identifizieren. Wahrscheinlich bedeutet es aber viel eher, man will etwas auf sich beziehen, womit in aller Regel nicht die ganze Erfahrung gemeint ist, denn genau daran würde es scheitern, sondern ein eklektischer Teil, der sich einigermaßen schmerzfrei ins eigene Gesamtbild fügt. Es wird ein Bild ausgesucht, das schön aussieht, keine Angst macht, – eigentlich ist es leer – und sich mit den eigenen Gefühlen anfüllen lässt. Zu einem Film zu »relaten« klingt mutig, zeigt aber nur eine Feigheit an, zwei widersprüchliche Bilder nebeneinander stehen zu lassen. Das eigene und das des Films. Stattdessen wird jedes Detail aufgeladen, mit dem krampfhaften Versuch, etwas verstehen zu wollen, was sich letztlich nicht verstehen lässt.

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Aftersun begleitet zwei Menschen, den jungen Vater Calum mit seiner Tochter Sophie, die an einem paradiesischen Ort wie Gestrandete landen. Sie passen nicht hinein und fragen sich unausgesprochen, wo und warum sie sich überhaupt hier befinden. Der Film zeigt über einige Tage die vergehende Zeit und Langeweile in einem türkischen Ferienressort. Gerade so scheint das Geld zu reichen. Vater und Mutter leben getrennt, die geteilte Zeit zwischen Tochter und Vater steht also unter einem gewissen Druck. Beide Menschen stehen an einer Schwelle in ihrem Leben. Die Tochter, nicht mehr ganz Kind, trotzdem noch nicht adoleszent. Der Vater, nicht ganz erwachsen, immer noch unzugänglich jungenhaft. Beide finden in der sorglosen Welt des Urlaubsparadieses keinen richtigen Platz. Aber statt anzuecken, aufzubegehren, die Maske herunterzureißen, geht die gemeinsame Zeit dahin. Zwar versucht jeder für sich allein in zwischenmenschlichen Begegnungen davon zu schwimmen, doch am Ende werden sie wieder aufeinander zurückgeworfen.

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Das erste Bild in Aftersun lässt zunächst nicht viel erkennen, es mutet rätselhaft an. Wackelige Camcorder-Aufnahme, schlierig und mosaikhaft. Die Stimmen der beiden Protagonisten sind zu hören. Dann ist Calum vor dem Balkonfenster im Hotelzimmer zu sehen. Im Gespräch dreht es sich um den bevorstehenden Geburtstag des Vaters. Das Bild stoppt und gibt sich als Bildschirm zu erkennen, in dem sich eine Person spiegelt. Durch Vorspulen werden andere Aufnahmen des Urlaubs sichtbar, dazwischen flackern dunkle Bilder einer Tanzfläche auf. Getrennt und verbunden durch zwei Großaufnahmen ist Sophie erst als erwachsene Frau zu sehen und schließlich wieder als zwölfjährige Tochter in einem Reisebus. Schon mit dem Beginn des Films wird hier der Versuch unternommen, Schichten – Materialschichten – ineinander zu verwickeln.

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Filmbildern lebt eine besondere Strenge inne. Mit ihnen wird nicht nur eine Erzählung – der einmalige Lichteindruck – transportiert, sondern auch Tradition. Formprinzipien, die sich auf das handwerkliche Können beziehen. Es mag befreiend sein, die Regeln hinter sich zu lassen und zu vergessen, um eine eigene Sprache zu kreieren. Das könnte heißen, es ist vielleicht gar nicht notwendig, die Regeln zu kennen, um erzählen zu können. Man muss sich eigentlich nur einverstanden zeigen, sich einlassen. Einverstanden mit dem, was erzählt wird. Trotzdem entscheidet schon die Wahl der Mittel und Materialien die Frage, was gezeigt werden kann und was nicht. Oft wird in Hinblick darauf Material und Materialität verwechselt. Wie etwas aussieht, lässt sich zwangloser beschreiben, als das, was zu sehen ist. Entscheidend ist jedoch, dass für einen Film beides bedeutsam ist.

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Im Laufe des Films entsteht eine Spannung zwischen den unterschiedlichen Materialschichten. Die Videobilder entsprechen Erinnerungen an die zurückliegende Zeit der Beziehung zwischen Vater und Tochter. Die zwölfjährige Tochter ist als Beobachterin der Bilder erwachsen geworden. Womöglich steht sie auf derselben Schwelle in ihrem Leben, an der sich ihr Vater im Urlaub einst befand. Verrätselt drängt sich die Frage in den Vordergrund, was in der Zwischenzeit geschehen ist. Es blitzt eine Begegnung zwischen dem erwachsenen Vater und der erwachsenen Tochter auf einer Tanzfläche auf, gehüllt in Stroboskop und Schwarz. Die Tochter begibt sich mit den Aufnahmen der Videokamera durch die Welt der Erinnerungen, hin an einen unmöglichen Ort, an dem ein unmögliches Wiedersehen stattfindet. Der schwebende Zustand des von Sonnenbrand gezeichnetem Gleichlaufs verdichteet sich zu einem ekstatischen Moment. Alles soll sich aufklären, rein werden. Von der monotonen Dunkelheit ins grelle Licht, dort wo jedoch keine Sonne mehr scheint. Irgendwas muss hervorgebracht werden, zu dem das einzelne Filmbild offenbar nicht im Stande ist.

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Aftersun ist ein nahezu unbewegter Film. Zwar gibt es eine diffuse Anziehungskraft und etwas Abstoßendes an ihm, doch der Film entzieht sich und will sich vorerst nicht verständlich machen. Also etwas, dem man nur die schönen und schlechten Seiten aufzeigen muss, damit man eine Kritik schreiben kann. Vieles verliert sich in Andeutungen. Zeitweise verschwindet Calum. Er geht nachts ins Meer oder balanciert auf der Brüstung des Hotelbalkons. Immer wieder findet sich Sophie mit ihrem Vater so in merkwürdigen Situationen wieder. Doch der Grund oder Anlass seines Verhaltens bleibt unbenannt. Eigentlich lässt sich mit dem Film nicht abrechnen. Zum Glück, will man sagen bis zuletzt, denn man glaubte, dass es der Film genau darauf absieht. Doch der Film verspielt das gewonnene Vertrauen in die Unsprachlichkeit des Konflikts zwischen Vater und Tochter. Was unklar blieb, muss nun benannt werden. In einer erregenden Montage schwingt sich der Film mit dem Ende zur Lösung seines zum Anfang gestellten Rätsels auf, gleichzeitig wird damit jeder selbstgesetzte Sinn mit einer triumphalen Geste im Gefühlsbad ertränkt.

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Von der Regisseurin heißt es, für die letzte Szene habe sie sich von Chantal Akermans Film ‌La Chambre inspirieren, ja vielleicht sogar leiten lassen. Was man sieht, ist jedoch keine Referenz, keine Auseinandersetzung, sondern allenfalls schlechte Mimikry. Es wird das Video einer Verabschiedung am Flughafen gezeigt. Erneut sind die Stimmen der jungen Tochter und des Vaters, der die Kamera hält, zu hören. Das Video stoppt. Eine Verzögerung schleicht sich in den Lauf des Films. Dann gerät die Kamera in Bewegung, die bislang den Bildschirm filmte. Aus der Bewegung wird nun ein Schwenk. Mit einer vollen Umdrehung wird der ganze Raum, der bislang im Verborgenen blieb, durchmessen. Der objektive und anonyme Blick ähnelt dabei mehr dem Licht eines Leuchtturms, als dem blinden Tasten in einem lichtleeren Raum. Für einen Augenblick ist Sophie als erwachsene Frau zu sehen. Sie blickt durch die Kamera hindurch, als würde sie etwas Dahinterliegendes erkennen. Leise ist ein kreischendes Kleinkind zu hören. Die Kamera schwenkt weiter bis das Bild ganz von einer weißen Wand erfüllt ist. Unbemerkt findet eine Überblendung statt. Der Schwenk der Kamera endet in einem grell ausgeleuchtetem Flughafen-Gate. Calum steht erst nah zur Kamera und entfernt sich mit dem Camcorder in der Hand, bis er schließlich den Nicht-Ort durch eine Tür verlässt, die zur bereits genannten Tanzfläche führt.

Bei Akermans drehender Kamera fühlt man sich an eine Aufzählung erinnert: Alles, was sich im Raum um sie herum befindet, gilt es wahrzunehmen. Die Wiederholung legt eine zweite Schicht über den Raum. Es stehen nicht mehr nur die Dinge und ihre Anordnung im Vordergrund, sondern auch wie das Bild sie einfängt. Charlotte Wells Film bedient sich zwar der Bewegung, doch vom Motiv will er nicht viel wissen. Statt mit der Bewegung den Stillstand aufzulösen, drängt er nur wie besessen auf den erlösenden Moment hin, endlich eine Lösung für die zerstreuten Fäden des Films zu finden. Krampfhaft wird Sinn hergestellt, wo eigentlich keiner herrscht. Der Film fällt hinter sich selbst zurück und öffnet sich gefälliger Spekulation über die Auslassungen, um das Verlorene einzuholen. Doch dabei soll bloß nichts gedacht werden, das über die Grenzen des Films hinausgeht. Die Ausfüllung der Leerstelle muss sich im Rahmen dessen bewegen, was das Ende des Films vorgibt. Vielleicht hätte man das Kino mit gutem Gewissen vorher verlassen können. Zurück bleibt stattdessen Ernüchterung.

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Obwohl man es Aftersun nicht zwangsläufig ansieht, handelt es sich um ein autobiografisches, oder eher autofiktionales Werk. Was verändert das am Umstand dieser Auflösung? Macht es den Film gegen Kritik immun oder trägt es gar zum Verständnis bei? Womöglich weder das eine, noch das andere. Bezeichnend ist, dass sich eine eigensinnige Erzählperspektive und ein Hang zu trivialer Eindeutigkeit, in dem am Ende alles dasselbe bedeutet, nicht ausnehmen. Im Hinblick darauf lässt sich in Aftersun vor allem etwas über das gegenwärtige Verhältnis von Kino und Streaming erfahren. Streaming will die Filme ohne das Kino. Erleben bleibt in vorgefertigten Bahnen verhaftet und die Filmbeschreibungen halten, was sie versprechen. Kein zu viel, kein zu wenig. Wäre alles andere verspieltes Vertrauen?

Die Suche nach verlässlicher Eindeutigkeit gibt den Takt an. Doch ließe sich nicht auch ein Ort vorstellen, der sich nicht den täglichen Identitäts- und Existenzfragen aussetzt, dessen einziges Ziel die selbige Auflösung anstrebt, sei es für einen Moment, wie am Pool eines zweitklassigen Hotels? Dort, wo sich eine Andeutung nicht den Zwängen eines zu Ende gedachten Ziels unterwirft. Man könnte etwas aus dem Blick verlieren, ohne die Sorge es nicht mehr wiederzufinden. Liegt man zu lang, trägt man den Schmerz und die Peinlichkeit einer verbrannten Haut davon. Das Heimweh und der Gedanke an den Flug zurück, wollen davor schützen. Kino kann einer dieser Orte sein, auch dann, wenn man bleibt, obwohl man eigentlich hätte gehen sollen.

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Seit 17. März kann Aftersun nun über MUBI gestreamt werden. Mittlerweile erlaubt die Plattform keine Screenshots mehr und hinterlässt am Ende nur noch schwarze Kader.

Die Kunst des Sprechens: Odette Robert von Jean Eustache

Odette Robert ist der Name von Jean Eustache Großmutter. Sein Film Odette Robert ist eine auf die halbe Zeit gekürzte Version des Filmes Numéro Zéro.  Diese verknappte Fassung wurde für das französische Fernsehen produziert und war Teil einer Reihe, der auch Chantal Ackermans Dis-moi angehört. Die Reihe hieß Grands-mères, un série proposée par Jean Frapat. Obwohl es sich um eine für das Fernsehen gekürzte Version eines längeren Filmes handelt, sind Intention und Form klar.

In Odette Robert sehen wir vorwiegend wie Odette Robert aus ihrem schwierigen, ereignisreichen und doch gewöhnlichem Leben erzählt. Der Film besteht aus einer Art Interviewsituation, wobei Eustache selbst wenig zu Wort kommt, sondern seine Großmutter erzählen lässt. Nur manchmal unterbricht er, wenn das Filmmaterial in einer der beiden Kameras ausläuft und eine Klappe geschlagen werden muss. Odettes Monolog wird dabei aus zwei Perspektiven eingefangen: Einerseits eine totale Einstellung, in der wir den Rücken von Eustache sehen und Odette uns (und ihm) gegenüber sitzt, andererseits (aus der Perspektive einer Kamera, die etwas weiter rechts steht) eine nähere Einstellung von Odettes Gesicht. In ihr ist der Filmemacher nicht zu sehen. Diese zweite Kamera zoomt manchmal ein bisschen weiter hinaus und zeigt uns Odettes Oberkörper: wie sie bei Tisch sitzt, raucht und den Whiskey trinkt, den Eustache ihr einschenkt. 

Nur die Eröffnungsszene, in der wir Odette und Boris Eustache (Jeans Sohn) auf der Straße einkaufen sehen, bricht mit diesem Muster. Ansonsten befinden wir uns durchgehend im Interview. In den meisten Filmen würde ein solches Interview wahrscheinlich nur einen geringeren Teil ausmachen. Es wäre ein Segment, dass man gern auch als “Talking Head” bezeichnet. Oder man würde das Interview regelmäßig mit Archivbildern und Aufnahmen unterbrechen, um visuell abzuwechseln. Doch Eustache interessiert sich nicht für Ablenkungen, und begreift diese Situation auch nicht als ein Talking-Head-Segment, das nur ab und zu ergänzende oder erklärende Statements gibt. Stattdessen bekommen wir hier etwas zu sehen, worum es im Kino nicht allzu oft geht: Die Kunst des Sprechens. Ein Mensch erzählt uns (eine) Geschichte. Wir können in Ruhe und ohne Unterbrechungen dabei zusehen und -hören, wie Odette sich an ihr Leben erinnert. Sie berichtet dabei vor allem von Leid und Schmerz. Sie erzählt von ihrer grausamen und demütigenden Stiefmutter, ihrem Arbeitsleben in einer Fabrik, als sie noch ein Kind war, ihrer Ehe mit einem Schürzenjäger und dem Verlust mehrerer Kinder. Mehrmals hören wir im Detail von furchtbarer Krankheit und Tod. In ihrem Gesicht erkennen wir dabei ihren Schmerz, auch wenn wir ihre Augen nicht gut sehen können durch die abgedunkelte Brille, die sie trägt.

Eustache sucht nicht nach “guten Stellen”, die er dann für seinen Filme nutzen kann. Er versucht nicht, Odette manipulierend Statements oder Emotionen zu entlocken. Es geht nicht darum, das Erzählte seinem Narrativ unterzuordnen. Stattdessen wird das Medium Film verwendet, um etwas festzuhalten, was ansonsten verschwinden könnte: eine Person, die erzählt. Die menschliche Fähigkeit, Geschichten zu erzählen und Narrative zu bauen, wird im Kino gerne für verschiedenste Zwecke gebraucht, doch sie wird selten als zentraler Inhalt des Filmischen festgehalten. Wenn jemand erzählt, wie Odette Robert es tut, dann öffnet sich ein Raum. Eine Person wiederholt sich, verspricht sich, verliert sich. Und in diesen Prozessen erkennen wir den Menschen. Durch das Erzählen über eine längere Zeit, zeichnet sich ein Portrait, nicht nur über die Inhalte des Erzählten, sondern durch die Art, in der erzählt wird. So werden nicht nur die erzählende Person, ihre Erinnerungen, ihr Rhythmus festgehalten, sondern eine Welt von Gestern wird aufgezeichnet. Eine Welt, die wir sonst nur aus Geschichtsbüchern kennen. Eine Welt, die oftmals im Alltag ganz anders war (und näher zu unserer), als es diese Bücher erahnen lassen. 

Jean Eustache war ein Verehrer des Kinos der Brüder Lumière. Vielleicht ist in diesem Film auch die Nähe zu deren Filmen spürbar. Er glaubt an diesen Apparat namens Kamera. Er filmt, ohne ihr etwas zu unterstellen, ohne von ihr mehr zu verlangen, als Zeugnis von dem abzulegen, was sich vor ihr abgespielt hat.

Gegen Ende des Filmes sagt Odette, dass sie nun 71 Jahre alt sei und nicht mehr wirklich Interesse daran hätte, zu leben. 

Sie meint, dass sie das nicht aus einer Drastik heraus sage (ihre Devise lautet: “Ich glaube andere hatten es schlimmer.”).

Fünf oder sechs Jahre wären noch schön, um den 16 Geburtstag von Boris Eustache zu erleben, doch eigentlich sei es ihr egal. Ob Odette Robert den Geburtstag von Boris miterlebt hat oder nicht, weiß ich nicht. Neun Jahre nach der Aufzeichnung des Interviews, schnitt Eustache daraus die Version fürs Fernsehen. Im Jahr darauf beging er Selbstmord. 

Glimpses at CHANTAL AKERMAN

PATRICK HOLZAPFEL: Stelle mir vor, obwohl ich das nicht kann, ich wäre Henri Dutilleux und würde eines Tages das Set von Chantal Akermans Trois strophes sur le nom de Sacher betreten. Sonia Wieder-Atherton, Cellistin und große Kennerin meines Werks hätte mich eingeladen, ich würde hingehen, obwohl ich die Stille lieber habe (im Kino oft zu wenig Platz zwischen den Zeilen, aber nicht bei Akerman, das gebe ich zu). 

Das Kino wäre mir ohnedies nicht fremd gewesen (kann das Kino jemals fremd sein?), ich hatte schließlich bereits die Musik zu L’Amour d’une femme von Jean Gremillon und kürzlich erst zu Maurice Pialats Sous le soleil de Satan komponiert. Ich hatte gehört, dass Akerman meine Musik durch den Bogen Sonias kennenlernte; es macht einen Unterschied, ob man Musik zuerst durch den Bogen hört oder von einer Platte.

Ich hätte Angst, dass der Film die falschen Töne spielen könnte; ein falscher Ton, das ist eine Frage zwischen Leben und Tod. Akerman, habe ich gehört, ist keine besondere Kennerin meiner Musik, irgendeiner Musik. Vielleicht gefällt mir das, ja es gefällt mir. Sonia sagte, dass es in meinen drei Strophen um die Suche nach den Instrumenten für das Leben gehe. Mit welchem Instrument man spielt, entscheidet vielleicht, ob man einen Ton trifft oder nicht. Das alles, sagt sie, entwickle sich in eine Explosion des Lebens. Vielleicht deshalb all die Farben an diesem Set, die Tänzer, die durch die Räume geisternden Sinne, die sich finden und wieder auflösen. Ein Licht, das ist auch ein Ton, würde ich denken.

Was ich an diesem Set vorgefunden hätte, wäre die Intimität meiner Musik. ein Raum am Abend, eine Frau, die sich zurückgezogen hat und mit der Musik geblieben ist. Sie verkörpert die unter allem schlummernde Suche und Verzweiflung. Im Bildhintergrund vollführen Nachbarn Schritte des Alltags, sie bügeln und leben und vergraben all das, was sie fühlen könnten. Das schöne an der Musik (und am Kino vielleicht): nicht alle können sie gleichzeitig hören, aber alle leben gleichzeitig. Die Musik ist immer da, aber wir können sie nicht immer hören.

Ich wäre also an dieses Set gegangen und hätte die Stille gefunden, die ich selbst komponiert habe. Bei Akerman spielt sich viel in der Nacht ab oder besser: in der Zeit nach den Tagen. Womöglich ist dann die Sehnsucht am größten oder die Möglichkeiten oder die Angst oder die Einsamkeit. Vielleicht ist es aber auch die Zeit, in der wir die Musik wirklich hören können (wenn wir nicht zu müde sind vom Tag). 

IVANA MILOŠHere’s a dance without partners, a reclamation of space and place, a redefinition of the fully marked, suggested, stipulated, and confined. It is called Saute ma ville, but it might as well be called break-this-place, chirp-without-measure, destroy-the-reduction or daisies-without-daisies, because you don’t need flowers to blow things up, but a scarf can be useful. On the other hand, flowers are brought into the minuscule kitchen Akerman inhabits in the film – in fact, they are the only object to enter it from the outside. Brought in at the very beginning in a whirlwind run up the stairs, they are also found in the heroine’s hand at the very end, reminiscent of bouquets handed to actresses after a star performance. These flowers, an emblem of the decorative, are another sign among many, a signifier without a body and, as such, something that invites destruction. But what is this passerine incantation that accompanies the blows dealt to the reduced existence of women? Mirthful and frenzied, Akerman’s chant fluctuates between laughter and sing-song, just like her movements, both levels together creating an orchestration of reveling and eruption. It is slapstick and tragicomedy, to be sure, but it is also a declaration: The opposite of functional needn’t be dysfunctional, for there are realms and choices to functionality just like there are to living. After all, the question remains: Is disappearance an explosion?

SIMON WIENER: There is something about D’Est which moves me profoundly, but I can’t pinpoint it. It feels as intimate as a film can possibly be, yet it is about vast landscapes, public spaces, anonymous faces. Maybe it is about being lost and lonely; or about resting strong and unfazed by destiny. Every image seems to weep. Every image is weeping, but without bemoaning itself, rather celebrating. Celebrating the tenaciousness of these trees amidst barren land, or the accidental but graceful interplay of lights during a rainy, sombre night. To weep, here, is to dance: to the wind, the light, the music.

SIMON PETRI: She will have to get up early to record the antagonistic blue that welcomes the underclass in the shivering hours of dawn. The first workers of the city form lines at bus stations to get to the factories, where circumstances of maintenance changed during these last years of historical tumult, but that doesn’t seem to improve a lot for the dawn’s crowd and the worst is yet to come. But that’s still more than a decade of a leap into the future. As for now, she doesn’t have to travel east, fear the frost and the burning eyes of the days’ loveless beginnings. As for now, she can have that juvenile, dreamy look – not a teenager anymore but still closer in spirit to the ingenious young girl who blew up a kitchen in a world too burdensome and uninspiring than a traveller of great discipline, stamina and political drive. As for now, she can forget about manners and self-imposed wakefulness, she can enjoy the caress, the food and the warm comfort of the Parisian living rooms. Dazed by satiety, she can slide into sleep. Maybe the sobering breeze between two apartments blows away the odour of pastry and perfume, so she can arrive neatly. Not that there would be any expectation, not that anything can break the deep kindness of old ladies – not even the recollection of the most harrowing evilness can shatter the adoration with which they look at her. As for now, she just has to listen. More or less. That will be good enough for a mitzvah.

RONNY GÜNL:

 

Eindrücke von La Chambre, Hotel Monterey, Là-Bas und Les rendez-vous d’AnnaBeschreibung eines Raumes:

Um was für ein Zimmer handelt es sich? Ein Hotelzimmer? Eine Wohnung? Ein Zugabteil? Wem gehört das Zimmer? Scheint es nicht bewohnt?

Was befindet sich im Raum? Wo ist das Bett? Wie viele Kissen? Gibt es ein Telefon? Gibt es ein Radio? Einen Fernseher? Hängen Bilder an der Wand? Oder Spiegel? Welche Farbe hat die Wand? Trägt sie eine Tapete? Wie gestaltet sich deren Muster? Wie ist der Boden beschaffen? Liegt ein Teppich aus? Säumen Gegenstände den Boden? Bücher? Zeitschriften? Ist es aufgeräumt?

Gibt es ein Bad? Eine Küche? Sind sie gefliest? Gibt es einen Tisch? Steht Essen auf ihm?

Ist es still? Weht der Wind herein? Hängt Rauch in der Luft?

Wo ist die Tür? Ist sie verschlossen? Ist sie geöffnet? Aus Holz? Ist sie alt? Befindet sich ein Schild an der Tür? Wo ist das Fenster? Ist ein Vorhang davor? Eine Gardine? Eine Jalousie? Lässt es sich öffnen? Wo ist der Lichtschalter?

Ist es Nacht? Oder Tag? In welchem Stockwerk befindet sich der Raum? Und in welcher Stadt? Wie klingt die Straße? Gibt es Nachbarn? Was tun sie? Strahlt Licht von außen herein? Die Sonne? Oder die Reklame? Welche Farbe hat es? Wie wirkt die Umgebung? Belebt oder verlassen? Welcher Tag ist heute? Wie is das Wetter? Sind Flugzeuge am Himmel zusehen? Kann man das Meer riechen?

Was ist nicht zu sehen? Gibt es einen Ausgang? Gehen oder bleiben? Wer lebt hier?

DAVID PERRIN: Jene Tage, an denen das Kino noch geholfen hat; als Mittel des Sich-Sammelns, des freien Durchatmens, des Augenaufgehens. Jene Filme, die einem den Appetit für die Welt wiedererweckt haben, nach denen man aus dem Kino trat und einfach nur geradeaus gehen wollte, oder mit der Straßenbahn zu einer Endstation fahren, in einer fremden Gegend der Stadt. Zum Beispiel, nachdem ich zum ersten Mal News from Home von Chantal Akerman sah und nur noch durch die Straßen gehen wollte, mit U-Bahnen und Bussen fahren, auf Bahnhofsgleisen und Haltestellen herumlungern bis spät in der Nacht, so lange bis ich mich in einen Niemand verwandelt hatte. (Was mir natürlich nie richtig gelungen ist.) Die ruhigen, langen Fahrten durch die Stadt New York, die unendlich langen Einstellungen, die auf den U-Bahnen und deren Stationen aufgenommen wurden sowie die im Morgengrauen menschenleeren Straßen in Downtown Manhattan – durch diese Bilder gewann ich eine Art Bewegungsfreiheit, die ich im Kino bisher kaum erlebt hatte. Es war, als ob die Stadt sich endlich zu einem Rhythmus verlangsamt hatte, in dem ich mich selber bewegen konnte, in dem Körper und Gefühl eins wurden. Das hatte sicher auch damit zu tun, dass ich zu der Zeit, als ich den Film sah, auch in New York lebte und in dieser übergroßen Reklame-Stadt nicht so richtig Fuß fassen konnte. Aber nach dem Erlebnis dieses Films, als ich abends aus dem Kino auf der 5th Avenue trat, rückte mir zugleich näher und ferner bis sie sich endlich zu einer tatsächlichen Weltstadt ausdehnte, einen Ort, wo man leben konnte.

Und dann gab es auch diesen anderen atemschöpfenden Film von Akerman, dessen Namen, als ich ihn zum ersten Mal hörte, sofort die Sehnsucht auslöste, am Schauplatz des Films sein zu wollen: Hotel Monterey. Das Porträt eines heruntergekommenen Hotels auf der Upper West Side in Manhattan und den einsamen, zumeist greisenhaften Bewohnern dort, vom Keller bis zum Dachboden, ein Film ohne Worte, Dialog oder Handeln. Oder doch: die Räume und deren Linien und Farben waren das Handeln; die leeren Flure, die Schlaf-, und Badezimmer, die Aufzüge verwandelten sich, unter den Blicken und sanften Schwenkungen der Kamera, in Orte der Kontemplation, zu Innenräumen der Einsamkeit. So sind sie seit den Bildern des Malers Edward Hopper noch nie erschienen. Und am Ende des Films, als die Kamera auf den Dachboden des Hotels die Skyline der Stadt im Morgenlicht aufnimmt, hatte ich das Gefühl, trotz des einen Schauplatzes, auf eine Weltreise gewesen zu sein.

Solche Kinoerlebnisse scheinen jetzt immer seltener zu werden (ob es den anderen auch so geht?), und das nicht nur, weil die Kinos mehr als ein halbes Jahr geschlossen waren. Die Bilder, die heute auf der Leinwand zu finden sind, haben, für mich jedenfalls, nichts Entdeckerisches an sich; sie sind einfach da, im Vorhinein fertig und festgelegt. Die Welt starrt einen einfach blöd an, statt zu erscheinen. Daher sind die Filme Akermans, und nicht nur die zwei, die ich oben erwähnt habe, wie ein zusätzliches Licht oder Luft, die einem durch das Leben wehen und es aufleuchten lassen. So weiterleuchten!

ANDREW CHRISTOPHER GREEN: The first film I saw by Chantal Akerman was, of course, Jeanne Dielman, 23, quai du Commerce, 1080 Bruxelles. I was 23 then, and it was the first ambitious European film I’d ever seen. I was struck by how evasive it was, how excluded I felt from it. It seemed like there were scenes missing, or as if it were a sequel to a film that had established the characters with whom I should have already been familiar, and I remember thinking the subtitles must have been mistranslated by a poet taking way too much license; the few times the characters spoke with one another the dialogue was far too intense, like everything stored up in the silence between came rupturing out with a violent force of repression. I thought there must be something European about this ambiguity and non-disclosure. I knew I’d be moving to Germany in a few months and this excited me, to get a taste of the world I’d become acquainted with.

It took a good four years for the experience of that film to germinate inside me. I was studying contemporary art and slowly growing disillusioned with it, and it’s as though without my knowing it, the little gaps and intensities I saw in Akerman’s film were becoming the antidote to the shortcomings of my field, which had resigned itself from all the little mysteries that make her works shimmer. At first, I thought myself capable of resolving this discrepancy in my work, but the more evenings I spent with her and then Straub-Huillet and Ford and Ozu, the more I felt myself compelled to take them seriously, until the gap had grown so wide that I looked behind and saw I could never go back. Then it was as though one day a door between my apartment and the world outside silently clasped behind me and I resolved to myself: “Now I’ll just watch films, now I will finally do nothing but just watch films.” And I haven’t stopped since. Every night I spend my time behind a digital projector looking for the little gaps Akerman showed and hid from me for the first time in that film I saw now more than seven years ago, which, though once confusing, now illuminate the entry-points to the truth-content of the medium itself. And my appreciation of her work has grown exponentially as I witnessed her recreate such feats in not just so-called artistic films but, as if summoning the spirits of the Hawks’ and Langs’ and Walshes’ of bygone times, through a spectrum of romantic comedies, musicals, tragedies, documentaries, melodramas, and others forms I’d never have taken seriously on account of their beauty lying so dormant and opaque beneath a flashy surface we tend to only ever see ourselves reflected in.

JAMES WATERS: I’ve kept a document containing all the retrospectives of Chantal Akerman’s work held since her death. The number is approximately 257, including the repeats at the Cinémathèque française in Paris, CINEMATEK in Brussels, ICA in London and the TIFF Bell Lightbox in Toronto. Each is more definitive than the last, with a new kind of selling point. For the Cinémathèque française, in 2018, it was that Hangin Out Yonkers – long thought to be lost – had been discovered and digitized. A friend told me that this wasn’t the first showing of the film, as the previous retrospective at La Cinémathèque française screened a 35mm print in 2013, with Akerman present.

I have another document of all the Chantal Akerman retrospectives dating from May 1st, 1968 to October 1st, 2015. I don’t have an exact number, but it’s less than 200. There have been more of them in the past 5 ½ years than in the 47 – prior to 2015 – Akerman spent thinking seriously about and, henceforth, practicing filmmaking.

I ask Chantal what she thinks of this. Here’s the response I heard:

“Nous avons suivi Pina Bausch et ses danseurs pendant cinq semaines, de Wuppertal à Milan, de Milan à Venise, de Venise à Avignon. J’étais directement frapper au cœur par ces longues pièces, qui se mélange tous dans la tête. Il est le sentiment que les images que nous avons ramenées en transmettent peu, et la trahit souvent.”

“We have been following Pina Bausch and her dance company for the last five weeks, from Wuppertal to Milan, Milan to Venice and Venice to Avignon. I was deeply touched by her lengthy performances. I have the feeling, however, that the images we’ve brought back don’t convey their essence, and often betray it.”

The programmers of these retrospectives also heard this. One in Buenos Aires wrote to me – after having made my documentation public – of the above sentences and how they came to her in a dream. When she heard them prior to the dream, there was nothing remarkable about them. Even in the dream, there still wasn’t anything overtly remarkable about these words, but she woke up in a cold sweat regardless, as one does from a dream in which one trip’s over and, in waking, opens one’s eyes before this dreamed moment of impact. By the time she had this dream, it was already 2017.

Images and quotation taken from Un Jour Pina à Demandé

SEBASTIAN BOBIK: “Today is Saturday and I’m going to make a film about laziness”. With this sentence Chantal Akerman’s Portrait d’une Paresseuse begins. It’s the first film by Akerman I saw. I suppose that is a rather unusual start into her filmography. It was also the first time I saw her image, since she plays herself in this film. The opening sentence already tells us what the film will be: Akerman will make a film about laziness. She is still in bed. She looks as if she doesn’t want to get up. “In order to make cinema, one must get out of bed“ she says. And yet she stays in bed and the film is made. I understand that she couldn’t have made the entire film in bed: organizing, setting up the shot, editing… I doubt all of these steps were done from bed. Yet I enjoy this idea. A film made in bed. Of course, she doesn’t remain in bed. We see glimpses of a morning routine. She takes vitamins. We see several shots of her partner Sonia Wieder-Atherton practicing on the cello, while Chantal Akerman watches her, or just listens to her in a different room. The final 2 minutes of the film Akerman smokes a cigarette. We watch her in a close-up. The next time I saw Chantal Akerman was also in bed. I watched her film La Chambre, which pans 360 degrees through a room several times. For a brief moment, she is again in bed, looking at us. Years later I saw Je Tu Il Elle, in which suddenly a similar image struck me once again.

ANNA BABOS: 

As you set out for Ithaka

hope your road is a long one,

full of adventure, full of discovery.

Laistrygonians, Cyclops,

angry Poseidon—don’t be afraid of them:

you’ll never find things like that on your way

as long as you keep your thoughts raised high,

as long as a rare excitement

stirs your spirit and your body.

Laistrygonians, Cyclops,

wild Poseidon—you won’t encounter them

unless you bring them along inside your soul,

unless your soul sets them up in front of you.

 

Hope your road is a long one.

May there be many summer mornings when,

with what pleasure, what joy,

you enter harbors you’re seeing for the first time;

may you stop at Phoenician trading stations

to buy fine things,

mother of pearl and coral, amber and ebony,

sensual perfume of every kind—

as many sensual perfumes as you can;

and may you visit many Egyptian cities

to learn and go on learning from their scholars.

 

Keep Ithaka always in your mind.

Arriving there is what you’re destined for.

But don’t hurry the journey at all.

Better if it lasts for years,

so you’re old by the time you reach the island,

wealthy with all you’ve gained on the way,

not expecting Ithaka to make you rich.

 

Ithaka gave you the marvelous journey.

Without her you wouldn’t have set out.

She has nothing left to give you now.

 

And if you find her poor, Ithaka won’t have fooled you.

Wise as you will have become, so full of experience,

you’ll have understood by then what these Ithakas mean.

/C.P. Cavafy: Ithaka, translated by Edmund Keeley/

The Middle Distance

Pierre Bonnard Autoportrait

Pierre Bonnard autoportrait

Bonnard Examining Leaves, Marthe Bonnard, 1900

~

„Bonnard, the great master of the blur. To create the blur in art, the hand must be precise, firm, like that of a surgeon.“

– David Perlov

yoman-naomi-perlov

„It is necessary to see them in the middle of the field, moist fingers raised to catch the wind and ears pricked up to hear what it’s saying. So the most naked sensations serve as a compass. Everything else, ethics and aesthetics, content and form, derives from this.

–  Serge Daney on  Trop tôt / Trop tard  (trans. Jonathan Rosenbaum)

 

Notes on a shot from La folie Almayer by Chantal Akerman

la folie almayer 1

La Folie Almayer 2la folie almayer 1

“Through this taxonomic organization, Baillie suggests that cinema evolved out of consciousness and over time assumed forms increasingly distant from the deep self. In presenting these cinematic modes in reverse chronology, Baillie suggests that the cinema’s original and true nature is as a document of consciousness. – R. Bruce Elder on Bruce Baillie’s Quick Billy

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It begins with a look. One can hear the swirls, time distended in the water. It’s the sound of an eye that searches – Akerman’s – set on distinguishing “right” from “correct”. The boat arrives at a destination, but this isn’t what’s seen, at least not onscreen. Instead, we wait. It takes 1min 45secs for the camera to learn properly; learn properly how to swim, how to brush past palm leaves and, finally, how to compose a shot. Its essence is shown first before our people wander through, the ancillary subjects. Only in retrospect did this shot exist. At the time, it was a decomposed frame. We’re shown the piecemeal but remember a whole, the shot that never quite coalesced.

Akerman asks us to remember three things:

  1. That film is a choice
  2. That this choice takes time
  3. That most filmmakers are afraid to make this choice

This third fear is the only false move. There are only wrong choices if one spends too little time learning how to swim.

Anleitung für eine Welt ohne Zuhause: Beobachtungen aus dem Kino 2019

– Zunächst zu einigen Katzen vor einem Eingang in Pedro Costas Vitalina Varela. Auf einem Quadratmeter bilden sie eine Familie. Ein kurzer Blick reicht, sie schauen nicht zurück. Es waren beileibe nicht die einzigen Tiere, die man dieses Jahr im Kino sehen konnte: Esel, Wachtel (Schanelec), Wildschwein (Köhler, Winckler), Hunde (Tarantino unter vielen anderen), Kröte (Pierre Creton), verletzte Eule (Kosa & Da Costa), Hühner (Azevedo Gomes), eine Kuh (Laxe), ein Puma (Torres Leiva), Affen (Aïnouz), Hase (Côté).

– Tiere erzählen uns etwas über ein Zuhause. Sie binden es nicht an ein Gebäude, an einem Raum (das passiert, aber dieser Raum ist oft ein Gefängnis, meist eine Zwischenstation), sie binden es an Ernährung und Fortpflanzung. Man ist wo, um zu überleben.

– Parasiten gab es auch im Kino (wie immer). Auch im übertragenen Sinne. Bei Bong Joon-ho, auch bei Ivan Marković und Wu Linfeng in ihrem From Tomorrow on I will oder gar in Rian Johnsons Knives Out. Denn wo es keinen Platz zum Leben und zum Überleben gibt, muss man Lebensräume teilen, sich einnisten, sich von der Ernährung der anderen ernähren. Brad Pitt teilt einen Wohnwagen hinter dem Freiluftkino mit seinem Hund (ist das derselbe Wohnwagen, in dem manches Geheimnis in Billy Wilders Kiss Me Stupid verschwindet?). Anleitung für eine Welt ohne Zuhause.

Kiss Me Stupid übrigens spielt eine ganze Zeit lang herum auf der unvergesslich heimeligen, bürgerlichen Zufriedenheitsbekundung: Domestic, domestic!

– Sílvia das Fadas nennt ihren Film (im Englischen) The House is Yet to be Built. Bei Costa wird an einem Haus gebaut. So ist das mit dem Kino. Irgendwer baut immer. Nirgendwo wird wer wirklich fertig, selbst wenn zahlreiche Retrospektiven von Filmemachern unter 40 weltweit das Gegenteil behaupten. Wir besichtigen unfertige Häuser statt Ruinen. Ziegelstein auf Ziegelstein bis alles wieder zerfällt.

– Zum Beispiel, weil eine Liebe das Haus verlässt. Dann verändern sich auch die Wände, alles wird enger, unbewohnbarer, unheimlicher. Frank Beauvais erzählt eine solche Geschichte in seinem Ne croyez surtout pas que je hurle. Getrennt von seinem Lebenspartner findet er sich isoliert in einem Haus. Seine einzige Zuflucht ist die Filmgeschichte und das Internet. Kann man darin wohnen?

– Es gibt ja viele Listen derzeit mit den besten, wichtigsten, unvergesslichsten Filmen der Dekade. Vorschlag für eine solche Liste mit den Filmen, in denen man womöglich wohnen könnte: Listening to the Space in my Room (Robert Beavers), No Home Movie (Chantal Akerman), Three Landscapes (Peter Hutton).

– Die alten Mafiosi bei Scorsese übrigens leben am Ende in gar keinem Zuhause jenseits ihres Macho-Kartenhauses, das lange zusammengefallen ist. Wenn man stirbt, kann man sich von den alten Sünden nichts mehr kaufen. Aber vielleicht ist die Fantasie der eigenen Wichtigkeit wichtiger als das, was man von außen sieht. Ein Zuhause, das im Kopf entsteht.

– Oder in der Kunst wie im séanceartigen Amazing Grace von Sydney Pollack, Alan Elliott. Dort wird eine Gospelaufnahme von Aretha Franklin zu einem Zusammensein, das vielleicht temporär, ziemlich sicher filmisch überhöht, aber doch voll von der Kraft tatsächlicher Heimat ist. Und Heimat ist sowieso ein Raum aus Zeit. Egal wie man es dreht und wendet, dieser so beschämend instrumentalisierte Begriff politischer Debatten, ist emotional, weil er an der Zeit hängt. Marcel Proust, Autor von Heimatgeschichten. (Man sehe dazu auch Luke Fowlers Mum’s Cards.)

– Auf der Suche nach einem Zuhause (oder auf der Flucht vor seinem Zuhause) befindet sich auch der Protagonist in Synonymes von Nadav Lapid. Sprache, Gestus, Kleidung, Bewegung, Ernährung, Sex und Beruf. Alles wird Ausdruck einer fehlenden Heimat, einer verlorenen Heimat

Synonymes ist eigentlich der bessere Joker. Beides Filme auf dem durchhängenden Drahtseil, das zwischen einer herumschleudernden Welt und dem vom eigenen Kern losgelösten Individuum gespannt wurde. Luciérnagas von Bani Khoshnoudi erzählt die gleiche Geschichte nur ohne den Ausbruch. Verinnerlicht vereinsamt, orientierungslos träumend, begehrend verlassen. Es soll nur keiner denken, dass man schreit.

– Ein Zuhause ist auch ein Ort, an dem man arbeiten kann und darf. In Chão, einem der herausragenden Debüts des Jahres, dokumentiert Camila Freitas vier Jahre lang das Aufbegehren einer Gruppe landloser Arbeiter im sich selbst ausrottenden Brasilien. Auch die Autowerkstatt in Sebastian Brameshubers Bewegungen eines nahen Berges ist ein solches Zuhause der Arbeit.

– An manchen Orten wird sowieso nur mehr mit Steinen geworfen. Glashäuser, sagt man, gibt es nicht. In Little Joe von Jessica Hausner gibt es nur Glashäuser. Irgendwo könnte mal ein Zuhause sein oder es war dort und man hat es vergessen. Für den Preis eines Lächelns und in der Unsicherheit gegenüber allem Glück, das egoistisch geworden ist. Ein Zuhause ist kein geteiltes Glück mehr, so viel ist klar.

– Für was also kämpfen die Menschen? Dafür sein zu dürfen, auch ohne Zuhause? Oder wollen sie ihr Zuhause zurück, das, was davon übrig ist, verteidigen, bis zum letzten Ziegelstein, in den Trümmern übernachten, aus ihnen erwachen? Kämpfen sie für die Bilder, die ihr Zuhause ersetzen? Denn auch Bilder können ein Raum aus Zeit sein.

– Manche fliehen auch oder reisen zumindest. Sie wollen Fremde sein und Fremde bleiben, die Geschichte passieren, als gäbe es nur die Orte, Blicke und Begegnungen und nicht das Gewicht des Lebens und der Industrie, die dieses paralysiert.

– Nicht umsonst beginnt Corneliu Porumboius La Gomera mit Iggy Pops The Passenger. Ein solcher ist auch Elia Suleiman, der sowieso nichts findet, nichts finden will und wenn dann, dass alles irgendwie überall gleich ist. Das Zuhause ist überall verloren, die Heimat überall verdorben. Ein bedenklicher Gedanke von einem Mann aus Palästina.

– In seinem augenverwöhnenden Cézanne begibt sich auch Luke Fowler auf eine Reise. Sie führt in in die Heimat des französischen Malers, in dessen Welt aus Oberflächen, Farben, Material. Cézanne hat aus und auch über sein Zuhause geschrieben: „Ich verstehe die Welt nicht, und die Welt versteht mich nicht, darum habe ich mich von der Welt zurückgezogen“

– Hat das Kino verlernt, Bilder eines Zuhauses zu zeigen?

– Eigentlich nicht, es gab sogar ziemlich starke, aufgeladene, glühende Bilder eines Zuhauses. Etwa bei Terrence Malick (natürlich) oder auch bei Oliver Laxe und seinem O Que Arde. Und auch bei Costa gibt es einen unvergesslichen Flashback hinein in das, was ein Zuhause war oder hätte sein können. Aber in all diesen Filmen geht etwas verloren, wird etwas zerstört. Nichts bleibt bestehen. Heimat war und Zeit ist ein Raum, der aus Verlust besteht.

– Bilder des Rückzugs (sind sie einmal gemacht, ist auch dieser Ort verloren): Ein Schlafzimmer in La Bel été von Pierre Creton, ein Gemälde in Portrait de la jeune fille en feu von Céline Sciamma, der Vater, der Schweiß vom Gesicht seiner singenden Tochter wischt in Amazing Grace, das Meer in Una luna de hierro von Francisco Rodriguez, eine Frau im Moos liegend in Ich war zuhause, aber…, eine Umarmung des Glücks am Krankenbett in Martin Eden von Pietro Marcello.

– Andere treffen sich im künstlichen Wald und erzählen sich vom wilden Sex, den sie kaum haben können. Das erinnert an die zahnlosen Gangster in The Irishman, ist aber Albert Serras Bloßstellung von Voyeurismus und Männlichkeit in Liberté. Nichts ist hier domestic, domestic, aber alles wirkt unehrlich, im wahrsten Sinne des Wortes unaufrichtig.

– Das Kino zeigt in diesen Zeiten besonders gut, die Orte, die gar nicht sind, die immer nur sein wollten, die einmal waren, die nur ein Traumbild sein.

– Das Kino schlittert durch die Neonnächte in unbewohnten Hotelzimmern ohne Sonnenlicht. Jeder Funken, jedes Brennen ist schon ein ganzes Leben. Im Aufbegehren liegt ein Hoffnungskeim, der freier atmen kann, wenn er nicht hinter vier Wänden versteckt wird, wenn keine Mauer, das wenige Licht davon abhält, den Samen zu berühren.

– Zeigt das Kino, was vom Kino übrig blieb? Die Flüchtigkeit verlorener Häuser, die kurzen Ideen eines möglichen Lebens, der Zerfall einer greifbaren Welt.