Touch the Invisible Truth: Où gît votre sourire enfoui?/Sicilia!

Where does you hidden smile lie

Ein programmtechnischer Glücksfall wollte es, dass ich sehr kurz nach einem Screening von Pedro Costas Où gît votre sourire enfoui? in den Genuss von Jean-Marie Straubs und Danièle Huillets Sicilia! kam. Der Film über die Heimkehr eines Auswanderers nach Sizilien wurde in Wien im neu-eröffneten Metrokino anlässlich der Peter Handke geht ins Kino-Schau gezeigt. Basierend auf Elio Vittorinis „Conversazione in Sicilia“ entfalten die Straubs einige dialoglastige Vignetten voller Witz, Philosophie und Würde. In seiner Dokumentation, die zunächst im Rahmen der Serie Cinéastes de notre temps entstanden ist, begleitet Costa das Filmemacherpaar im Schnitt von Sicilia! Den Film nach der Arbeit daran zu sehen, war ein besonderes Vergnügen. Die Sätze über die Straub-Huillet fühlbare Stunden grübelten, fliegen wie ein Echo an einem vorbei, wenn man das Endprodukt sieht. Aber vielleicht ist Echo allgemein ein guter Begriff, um zu beschreiben was diese beiden Filme miteinander machen.

Sicilia! von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet

Womöglich muss man an einer anderen Stelle beginnen: William Lubtchansky, seines Zeichens häufig Kameramann bei Jacques Rivette und damit auch Bildermaler im unglaublichen La belle noiseuse. Er führte die Kamera bei Straub-Huillet: Blitzweiße Wände, in schwarzen Stufen davor die Menschen, wir studieren ihre Gesichter. Schon die erste Einstellung ist von einer solchen kontrastreichen Notwendigkeit, dass man seine Augen nicht abwenden könnte. Ein Mann sitzt mit seinem Rücken zu uns am Ufer. Diese Einstellung sieht man auch in Où gît votre sourire enfoui?. Gewissermaßen brennen sich die Bilder in das Gedächtnis. Jeder, der schon einen Film geschnitten hat, kennt die unterschiedlichen Erfahrungsebenen, die man mit den Bildern hat: Man lernt sie kennen, man vergisst sie, man lernt sie neu kennen, man lernt sie besser kennen, man kann sie nicht mehr sehen, man wird von ihnen überrascht, man versteht sie nicht, man lernt sie kennen, man vergisst sie, man glaubt ihnen nicht mehr, man lernt sie neu kennen bis man sie ignoriert oder stirbt. Der Film, also jener der Straubs folgt einem Rhythmus. Jenem seiner Montage und seiner Sprache. Mit Costas Film im Kopf kennt man die eigenwilligen und in sich bewegenden Regeln, denen Straub-Huillet im Schnitt folgten. Der Schnitt erfolgt wegen eines Echos im Dialog oder wegen dem Geräusch eines Vogels. Wer schneidet sonst deshalb? Manchmal wird der Ton aussetzen, eigentlich wird fast immer geschrien. In einem bemerkenswerten stilistischen Kniff werden die Figuren am Ende ihrer langen Dialogpassagen manchmal einfrieren. Es ist wie bei Brecht oder wie in den Fassbinder-Posen. Die Kamera liest dann auf ihren Gesichtern. Das Unterfangen ist von einer bewegenden Künstlichkeit beseelt. Diese Künstlichkeit ist bewegend, weil sie der Armut im Film eine noble Stimme gibt, weil sie die Poesie des Hungers malt. Der einzige Filmemacher, der sonst derart gekonnt das Notwendige, das Existentielle und das Schöne verbindet, ist Pedro Costa. Die dezentrierten und von jeglichem Schnickschnack befreiten Einstellungen von Menschen vor Wänden hat er vor allem in Juventude em Marcha erforscht. Man denke an den hilflosen Ventura in der neuen Wohnung. Man denke an diese seitlichen Nahaufnahmen, in denen die Figuren mehr auf der rechten Seite stehen und somit mehr mit dem Offscreen als dem sichtbaren Bild verbunden sind. Lubtchansky lässt die Schatten mitsprechen, Costa auch. Die Wahrheit wird in diesem Unsichtbaren gesucht. In Où gît votre sourire enfoui? gibt es diese Schatten. Es ist vor allem der Schatten der nüchternen Danièle, die stur ihre Arbeit erledigt und Straub beschimpft, wenn er seinen Mund nicht halten kann. Costa hat gesagt, dass dieser Film ein Liebesfilm und eine Komödie ist. Das bringt einen zu Chaplin, ein Mann, der ebenfalls das Arme mit dem Würdevollen, das Licht mit dem Schatten verband. Straub redet und bewegt sich tatsächlich ähnlich wie die Figuren in Siciia! Er steht auf und hält Monologe, spricht laut, verschwindet aus dem Bild und kehrt zurück.

Jean-Marie Straub bei Pedro Costa

Wie La belle noiseuse ist auch Où gît votre sourire enfoui? ein Film über Arbeit. Sicilia! Dagegen ist ein Film über die Spuren der Arbeit. Aber das sind die anderen beiden auch. Man könnte sagen, dass Huillet bei Costa für die Arbeit steht und Straub für die Spuren der Arbeit. Sie bedingen sich gegenseitig. Arbeit ist für Costa genauso wichtig wie Blinzeln. Ein Blinzeln mag ein Lächeln sein. Straub-Huillet suchen nach einem solchen unsichtbaren Lächeln, einer kleinen Regung, dem Unkontrollierbaren. Hier wird die Kunst des Filmemachens und insbesondere die Konstruktion einer Montage als Prozess aufgefasst, als Arbeit. So wie in La belle noiseuse immer wieder neu begonnen wird, immer wieder radiert wird, immer wieder aufgegeben und angefangen wird so wird für Sicilia! auch geschnitten. Ganz Ähnliches interessierte Costa auch in seinem Wunder Ne change rien, indem er die Sängerin/Schauspielerin Jeanne Balibar in ihrem Arbeitsprozessen begleitet, im Schatten, vor Wänden, hartes Licht der Einsamkeit und Würde. Costa und Straub-Huillet sind Rockstars, nur falls es daran Zweifel geben sollte. Ihre Wiederholungen und ihre Konsequenz, ihre Persönlichkeiten und ihre Kunst ergeben ein Gesamtbild das in den Prozess, in die Arbeit fließt. Damit erinnern sie allesamt an einen anderen Prozess-Film, nämlich Jean-Luc Godards One Plus One, indem Godard in einem Strang die Rolling Stones bei Probeaufnahmen beobachtet.

Costa sucht nicht nur nach dem Lächeln in einem gesonderten Moment. Er sucht nach der Bedeutung der Zeit für dieses Lächeln, er sucht nach diesem Lächeln in der Zeit. Der Schnitt bei Straub-Huillet wird dann kommen, wenn die Zeit reif ist. Das Lächeln kann auch existieren, wenn es versteckt ist, weil die Zeit es entblößt. Ein Funkeln in den Augen, das nicht in einem einzelnen Frame erkennbar ist. Einige Male wiederholt sich ein totaler Schwenk in Sicilia!. Er betrachtet eine felsige Landschaft, ein Dorf am Horizont und schließlich einen verlassenen Weg mit einem Busch. Hier verlangsamt sich der Film fast, denn ansonsten scheinen Schnitt, Bewegung und Sprache einem ganz eigenen, für das Filmemacherpaar durchaus schnellen Rhythmus zu folgen. Denkt man beispielsweise an die Eröffnungsszene in Juventude em Marcha so kann man die Parallelen im Zusammenspiel von Ton und Bild, Klang und Rhythmus hören, die Costa mit Straub-Huillet verbindet. Der Schwenk öffnet unseren Blick auf die konstruierten Welten. Er ist ein Dokument in der Zeit. Zudem wird damit die Bedeutung des Lands für die Figuren betont. Die Wiederholung spricht vielleicht von einer Unveränderlichkeit, wie der immer gleiche Weg zur Arbeit. Man denkt an Rossellini, man denkt an Rivette und man denkt an Kiarostami, dessen Film Where Is the Friend’s Home? Im Anschluss im Metrokino zu sehen war.

Sicilia! von Straub-Huillet

Sowohl Straub-Huillet als auch Costa behandeln die Bedeutung von Sprache im Film. Sie finden beide Wege (und das Ausrufungszeichen beziehungsweise Fragezeichen in den jeweiligen Titeln sprechen bereits davon), Sprache in ein filmisches Ereignis zu transformieren. Zum einen geht es um Sprache in der Zeit, zum anderen um die Adressierung der Sprache. Die Figuren, sei es der Sohn oder die Mutter in Sicilia! oder Straub in Où gît votre sourire enfoui? sprechen mit etwas Unsichtbaren. Sie adressieren nicht direkt die Kamera und sie sprechen auch nicht wirklich mit den Personen in der diegetischen Welt. Vielmehr sprechen sie um zu sprechen. Darin liegt neben einem Verfremdungseffekt und einer tragischen Komik auch die Geschichte einer Einsamkeit, von wahrhaftigen Seelen.Es ist auch bezeichnend, dass in beiden Filmen in Nicht-Muttersprachen der Filmemacher gesprochen wird. Für sie geht es nicht um die Information durch Sprache sondern das Wesen, das dahinter sichtbar wird, in der Zeit, versteckt, wie ein Lächeln in den Augen.

Zwei essentielle Filme für alle, die noch darüber nachdenken wollen, wo man eine Kamera positioniert, wann man schneidet und warum man einen Film zum Sprechen benutzt.

Casa de Lava-Caderno: Warum Drehbücher?

Casa de Lava Scrapbook

Jemand hat mir Bilder des Sterbens in die Hände gedrückt. Ich traue mich kaum das Buch zu öffnen. Es sieht aus wie eine zerfallene Schönheit. Es sieht aus wie ein Film.

Es ist das seit einem Jahr veröffentlichte Notizbuch von Pedro Costa zu, nach, für, bei seinem Film Casa de Lava. Pedro Costa hat Angst vor dem dritten Bild. Sein Buch folgt dieser Logik. Wenn zwei Bilder aufeinanderprallen, wie das im Kino ständig und fortlaufend geschieht, dann entsteht ein drittes Bild, jenes das vielleicht nur die Poeten akzeptieren, das aber von keinem Zuseher ignoriert werden kann. In diesem dritten Bild liegt die Tiefe eines Films. In diesem dritten Bild kann alles lauern, man kann es nicht unbedingt kontrollieren. Dieses dritte Bild ist das, was Filme bewegt. Es findet sich aber niemals in Drehbüchern.

Dieses Notizbuch ist für Costa ein besseres Drehbuch.

“It was more or less from that point that I realized that the rhetoric of cinema wasn’t for me. Neither were the social obligations, the technical and artistic diplomacy, the mythology, the fascination, the haste, the money.”

Casa de Lava Caderno

Das Drehbuch als Rhetorik des Kinos, als seine industriell aufgezwängte Vorform. Drehbücher entstehen aus einem Ordnungsdrang, das ist klar. In den besten Fällen ist dies eine Form künstlerischer Struktur, in den schlechtesten kann man an einem Drehbuch ablesen wie viel Gage ein Schauspieler bekommt. Sie scheinen unabdingbar für das Kino, dessen Förderung und dessen finanzielle Entstehung. Man sagt, dass es hilft, um auf ein gemeinsames Verständnis des Films zwischen allen Mitgliedern eines Filmteams zu kommen. Dabei gibt es selbstverständlich unterschiedliche Formen, wobei die klassische, von Hollywood erfundene Form, jene Pseudo-Lehrform dominiert. So, so sagt man, müsse ein Drehbuch aussehen. Man dürfe dieses oder jenes in einem Drehbuch machen, man müsse sich an diese oder jene Regel halten, um ein klares Verständnis, eine einfache Kalkulation und eine Sicherheit zu gewinnen. So funktionieren Drehbücher mit ziemlich großer Sicherheit effektiv für Produzenten und Geldgeber, natürlich auch für manche Schauspieler (sie glauben es zumindest), Kamera und alle Departments, die schön unterstreichen können, was sie betrifft: Ah, hier steht rote Schuhe, wir brauchen rote Schuhe! Wenn man sich nicht daran hält, dann wird man weder ernst genommen noch kann man auf Förderung hoffen. Aber kann man einem Filmemacher diktieren in welcher Form er sich Gedanken machen muss, wenn seine Gedanken und Gefühle in einer anderen Form vielleicht viel stärker, viel tiefer und selbst viel verständlicher zum Ausdruck kommen? Nun könnte man sagen, dass dann eben Film nicht die Ausdrucksform jenes Künstlers ist, aber Film ist nun mal mehr als ein Drehbuch. Ich glaube nicht, dass das was als klassisches Drehbuch bezeichnet wird keine Berechtigung hat, aber ich glaube, dass fast alle Filme, die man aus dieser Form machen kann, gemacht wurden. Nicht umsonst weiß jeder halbwegs ernsthafte Filmemacher, dass er sich von seinem Drehbuch entfernen muss, um einen Film zu machen.

Aber wann kann man sich trauen, so zu arbeiten wie Pedro Costa? Ich fühle mich selbst zu ängstlich. Derzeit schreibe ich an einem Drehbuch, ich arbeite sehr intensiv daran, aber ich merke immer wieder, dass mir die Form fehlt, dass Worte nicht das ausdrücken können, was ich mir mit dem Film vorstelle. Ich will ständig die komplette Form des Buchs überarbeiten, dann denke ich mir wieder, dass es eigentlich in Ordnung ist, so zu schreiben, schließlich müsse man es tun, um an Geld zu kommen, um sich verständlich zu machen. Ich habe aber das Gefühl, dass ich mich missverständlich mache. Es ist ein trauriger Prozess und ich kämpfe um den Mut es anders zu machen. Ich sehe wie meine Kollegen und Freunde an ihren Drehbüchern schreiben, wie sie diese Drehbücher als ihre Arbeit am Film betrachten, wie sie sich damit beschäftigen und beschäftigen und ich sehe auch, dass sie das nicht aus einem industriellen oder zwanghaften Impetus heraus machen sondern aus einer künstlerischen Intention, einem Drang die richtige Erzählform für ihre Geschichten zu finden. Sie schreiben spannende Dialoge, finden im Schreibprozess tolle Situationen und Szenen und schaffen es ihre Ideen in diese Form zu bringen.

Bei mir bezweifelt aber nur jeder Satz die Bilder in meinem Kopf, jedes Wort das Gefühl aus meinem Bauch, jede Struktur meine Idee für einen Film. Ich habe Film gefunden als ich nach etwas gesucht habe, dass mir erlaubt frei zu blicken, zu atmen und zu leben und was ich mehr und mehr finde ist ein Gefängnis aus festgefahrenen Meinungen, die mit objektiven Wahrheiten verwechselt werden, Profilierungsneurotikern und desinteressierten, desillusionierten Zynikern.

Casa de Lava Pedro Costa

Kann mir dieses Notizbuch von Costa vielleicht Mut geben? Ich schlage es auf. Da ich den Film gesehen habe, überwältigt mich sofort eine Erinnerung und eine Neugier. Ich sehe Bilder, die mir etwas sagen und Bilder, die ich nicht kenne. Das Buch besteht aus Fotografien aus Presse und von Künstlern, Zeitungsschnipseln, Abbildungen von Gemälden und Fußballtrikots, kleinen poetischen Passagen, Notizen, Zeichnungen, Screenshots aus Filmen, es ist in gewisser Weiße ein Moodboard. Costa erzählt in einem beiliegenden Interview, dass sein Tonmann den Film habe hören können durch das Buch. Nach dem Dreh habe dieser zu ihm gesagt: Well, it was all in the book.

Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob Costa nur einen Nebelschleier um seine Arbeit hüllt und nicht eigentlich im gleichen Gefängnis haust. Denn mir ist klar, dass dieses Gefängnis überall ist. Costa liebt das Mysteriöse im dritten Bild, er liebt das dritte Bild als seine Arbeit daran. Manchmal habe ich Angst, dass mich das alles überfährt. Ja, ich mag seine Filme und ich mag die Filme vieler Filmemacher und man muss aufpassen, dass man seine eigene Sprache sucht und nicht jene von anderen inmitten seiner Cinephilie. Man lernt das Sehen durch Filme, aber man muss es auch außerhalb von Filmen anwenden. Das ist ein harter Prozess, weil ich von der falschen Seite komme. Ich muss lernen mich zuerst für die Welt zu interessieren, dann für den Film. Aber ich kann die Welt auch mit Film sehen. Nun mache ich mir nicht nur Gedanken über die Sinnhaftigkeit von Drehbüchern, weil Costa es tut. Zum einen ist er nicht der einzige und zum anderen schreibe ich aus eigener Erfahrung.

Man schmeckt den Film, wenn man sein Buch in der Hand hält. Man muss dazu sagen, dass dieses Buch-wie alles von Costa-eine Fiktion ist. Es wurde nachträglich verändert und konstruiert. Dennoch besteht es aus Elementen, die der Filmemacher im Prozess der Drehvorbereitung gesammelt hat. Im Endeffekt hat er die Reihenfolge verändert. Aber die verändert das dritte Bild, also alles. Ich glaube, dass man eine Versuchung braucht, um einen Film zu machen. Damit meine ich eine Liebe, eine Wut, eine Angst. Ich sehe das alles auf der ersten Seite des Buches. Die Passage eines Todes über Wasser, die Einsamkeit eines Gefühls, Frauen und ihr Sterben in unserem Leben. Wie verändert der Tod unser Gesicht? Ingmar Bergman hat mal gesagt, dass das absolut Beste in der Kunst das menschliche Gesicht in Bewegung sei. Wir werden von traurigen Augen angesehen im Buch, Les Yeux Sans Visage…Costa castete Edith Scob, deren Gesicht für immer verschwand bei Georges Franju und im Kino. Man fühlt sofort welchen Film Costa machen wollte.

Casa de Lava Caderno

Die Augen sterben, es geht um Krankheit und Zerfall. Auf einer Seite ruht ein Vulkan unter einem von Krankheit zerfressenen Gesicht. Daneben der Liebesbrief „Nha Cretcheu“, den Costa in seinem Juventude Em Marcha immer wieder sagen lässt. Eu gostava de te oferecer 100,000 cigarros…eine Sehnsucht für den Film entwickelt sich, es ist eine Liebesgeschichte. Gesichter von Frauen, dabei immer wieder die Maske von Edith Scob, die Augen ohne Gesicht. „Les Egyptiens n’aimaient pas morurir“, ein Zeitungsartikel, der sich mit dem Öffnen von Mündern der Toten und der Wahrnehmung des Todes im alten Ägypten beschäftigt.

Bislang waren alle Münder geschlossen im Buch.

Ganz unten ein weiteres Stück Zeitung: Ou comment éviter la seconde mort. (Oder wie man einen zweiten Tod vermeidet)

Es trifft mich wie einen Schlag, wie ein Schnitt. Das ist ein Schnitt, ein Plot-Point, eine Erkenntnis. Wenn die Kamera, wie André Bazin sagte, wie kein anderes Instrument der Repräsentation Zuneigung ausdrücken kann, wieso sollte man diese filmische Macht dann nicht auch in einem Drehbuch verfolgen? Man mag argumentieren, dass bei dem Vorgehen, das Costa nach Casa de Lava tatsächlich mehr und mehr für seine Drehs und Drehvorbereitungen (das fließt ineinander) anwendete eigentlich niemand weiß, was passieren wird. Aber weiß man das bei einem Drehbuch oder sperrt man sich eigentlich nur ein? Und vor allem: Warum sollte man es wissen?

Wie muss man sterben, damit man erlöst wird? Diese Frage stellen die Collagen. Tote Augen, sie bewegen sich nicht mehr. Aus der Dunkelheit sehen wir die Pupillen. Immer wieder Krankheiten. I walked with a Zombie von Jacques Tourneur. Diese Augen. Auch die Collagen erzeugen ein drittes Bild. Costas Scrapbook sucht nach dem dritten Bild in seinem Film. Es vermag dem Betrachter klarzumachen, was er an Essenz im Film sehen wird. Dann abstrakte Malerei. Farben, Stimmungen, alles ist da. Man muss die Bilder nicht verstehen, man muss sich nicht kennen, sie müssen nicht funktionieren oder irgendwelchen rationalen Gedanken folgen. Die Rationalität eines Films ist eine andere als jene eines klassischen Drehbuchs. Das ist ein Widerspruch, den eigentlich jeder Filmemacher aufheben muss. Es gibt verschiedene Methoden. Man kann natürlich eher Stimmungen beschreiben, vielleicht in lyrischer oder in Prosaform. Auch kann man die visuellen Informationen und/oder Metaebenen in seinen Drehbüchern mitnehmen, sie eingliedern. Man kann stichpunktartig Bilder beschreiben. Man kann nur Dialoge schreiben. Aber man muss einer anderen Logik folgen als jener der Realität, als jener des Theaters und als jener des Kopfes.

Casa de Lava Scrapbook
Vor kurzem habe ich mich mit einem Drehbuchautoren darüber unterhalten, dass sich Filmvermittler wie Henri Langlois und Peter Kubelka bekanntermaßen dafür einsetzen/eingesetzt haben, dass auch fremdsprachige Filme ohne Untertitel gezeigt werden. Der Autor regte sich sehr darüber auf. Er sagte, dass man die Worte nicht einfach aus einem Film eliminieren könnte. Das würde seine ganze Arbeit zerstören. Hier liegt ein Sprung, denn auf der einen Seite verstehe ich ihn vollkommen, weil die Bedeutung mancher Worte tatsächlich essentiell für die Wirkung eines Films sein kann, aber dann weiß ich auch, dass das dritte Bild eines Films immer ohne diese Worte funktioniert, ohne ein sprachliches Verständnis. Es gibt ein filmisches Verständnis. Wir hatten diese Diskussion auch im Rahmen von Jugend ohne Film vor einigen Wochen nach dem Screening von Flowers of Shanghai von Hou Hsaio-Hsien. Rainer meinte nach dem Film, dass er irgendwann aufgehört habe, den Untertiteln zu folgen, weil die Wahrheit des Films (so würde er es nicht formulieren) im Rhythmus, den Bildern, den Figuren, dem Licht gelegen habe. Andrey dagegen meinte, dass man nicht einfach ignorieren darf, dass da was gesagt wird und dass sich in jedem Fall die Frage nach dem: Was reden die da?, stellen würde. Seiner Zeit habe ich zunächst Andrey beigepflichtet, obwohl mir Rainers Aussage in ihrer Romantik sympathischer schien. Heute würde ich sagen, dass es zwei Wahrheiten gibt im Film. Zwei Herzen, ein zweiter Tod. Rainers Aussage folgt dem Film selbst und dessen Fähigkeit das dritte Bild zu bewegen, Andreys Aussage folgt dem Betrachtungsmodus und sagt, dass es da ein erstes und ein zweites Bild gibt und man nicht einfach ignorieren kann wie diese funktionieren. Die Frage ist also weniger eine nach wahr oder falsch sondern vielmehr nach der eigenen Wahrnehmung. Film ist sowieso größer als man selbst.

Wenn ich also mit mir kämpfe, dann ist das kein theoretischer Kampf auf der Suche nach einer überlegenen Form sondern einfach die Suche nach einer Form, die meiner Wahrheit entspricht. Es ist weitaus einfacher, darüber zu reflektieren als es letztlich umzusetzen. Denn, wenn die Wahrheit nicht in den vorgefertigten Mustern funktioniert, dann wird man damit leben müssen, dass man nicht verstanden wird, dass man nicht gefördert wird, dass man nicht gesehen wird.

Und wenn Film in der Lage ist ganz bei sich zu sein (es gibt auch tolle nicht-filmische Filme), dann brauchen sie sicher keine Untertitel. Man wird die Worte trotzdem hören.

A Midsummer Night’s Dream: Costa markiert Dinge, andere streicht er durch. Da ist wieder seine Verweigerung, die uns fasziniert. Weil es eben nicht darum geht, alles zu verstehen, sondern gerade darum, Dinge auszulassen, Dinge zu verweigern. I scent human blood, and smile, ein rotes Kunstwerk, schwarz-weiße Szenenbilder und ein Hund mit abgeschnittenem Schwanz auf etwas, das aussieht wie ein jüdisches Denkmal. Wir sehen Tania, ein 14jähriges Mädchen mit kurzen Haaren. Sie wurde von einem Mann attackiert, der ihre neuen Schuhe gestohlen hat. Nachdenkliche Gesichter. Costa interessiert sich für die Haut, die Regungen, den Tod, der durch alles sieht.

Casa de Lava Scrapbook

Plötzlich Bilder vom Krieg. Ein landendes Flugzeug, ein farbiges Bild von einem Hilfskonvoi. Dazu Drehbuchschnipsel, kleine Dialogfetzen. Natürlich entsteht eine Faszination auch daraus, dass ich oft nicht weiß, was dieses oder jenes Bild darstellt, woraus dieser oder jener Auszug aus literarischen Texten oder dieser oder jener Screenshot stammt. Das macht aber nichts, denn es geht nicht um die einzelnen Bilder, sondern nur wie sie zusammen klingen. Zu oft wird in Besprechungen des Drehbuchs und auch am Set mit Kameramännern das einzelne Bild ohne den Gedanken an das andere Bild, das vorhergehende oder das nachfolgende betrachtet. Als würde ein einzelnes Bild, ein einzelner Satz, eine einzelne Geste schon ein Film sein. Es ist, wie Adrian Martin einmal formuliert hat, der Übergang von Tag und Nacht, der Übergang von Lächeln und Ernsthaftigkeit, das Transzendieren und Dynamisieren von Räumen, die zwischen den Bildern entstehen, was einen Film ausmacht. Wenn jemand im ersten Bild blickt, dann wird das zweite Bild dadurch verändert.

Abstrakte Form. Ein Junge, vermutlich von den Kap Verden steht in einem expressionistisch anmutenden Bild im Schatten. Jemand hat seine Hand zärtlich auf seinen Kopf gelegt. Daneben ein Gemälde. Es scheint ähnlichen Formgesetzen zu folgen. Aber an der Stelle des Jungen erscheint ein Skelett. Wieder so ein Plot-Point. Verlorene Jugend, Sterben. Es gibt eine politische Konnotation. Menschen rennen, wieder ein Flugzeug. Die Geschichte der ehemaligen portugiesischen Kolonie wird greifbar. Nicht die Fakten dahinter sondern die damit verbundenen Gefühle. Kein Text könnte das derart präzise widergeben. Soldaten und Rock’n Roll…Post Punk Bliss: Twist and Shout.

Dann kommt plötzlich wieder jene unschuldige Liebe ohne die man kaum schreiben kann. Das spannende ist ja, dass erst durch unsere Wahrnehmung des dritten Bildes die anderen Bilder an Schönheit und Bedeutung gewinnen. Sie treffen dann auf uns wie ein Blitz. Jacques Tourneur, Charlie Chaplin oder Bruno Dumont sind Meister dieser Bilder, die vor einem geboren werden, weil sie wie eine Offenbarung aus dem vorherigen Bild erleuchtet werden. Wenn sie da sind, ist das eine Erkenntnis. Es sind Geister, die schon immer da waren. Man kann sie nur fühlen und wenn man sie dann sieht, ist es wie mit einem Spiegel. Man sieht alles und nichts. In der Mitte findet sich die Postkarte, die laut Costa ursprünglich ganz am Anfang seines Buches war. Showing GHOSTS! Everywhere and of any colour…

Ein Bild von Issach de Bankolé irgendwo zwischen einsamen Rollstuhlfahrern. Das Casting wird mit integriert in diese Filmwelt des Buches. Tortura! Die Bewegungslosigkeit, Machtlosigkeit, der Film bekommt eine Bewegung vor unseren Augen. Kranke Menschen liegen auf Betten. Bilder aus Zeitungen von spielenden Mädchen an der iranischen Grenze werden mit Beauty-Shots aus Modemagazinen kombiniert. Vergänglichkeit, Hoffnung, zwei Welten, zwei Leben, Distanz, alles steht da. Costa klebt eine Mauer über ein Gesicht.

Casa de Lava Pedro Costa

Natürlich folgt eine Collage wieder einer eigenen Logik, die eigentlich nicht jene des Films ist. Eine offensichtliche Verwandtschaft mit der Montage, die Tatsache, dass man Bilder, Texte und Leerstellen lassen kann, rechtfertigen aber zumindest die Vorgehensweise. Dennoch ist wie beim klassischen Drehbuch die Melodie, die Präzision, die Stimme des Autors entscheidend. Diese zu finden, ist ein Prozess der Einsamkeit. Sobald man glaubt, dass man fertig ist, hat man verloren. Deshalb habe ich auch Schwierigkeiten mit der klassischen Drehbuchform. Sie wirkt so abgeschlossen, sie untergliedert sich. Warum untergliedert sie sich? Aus praktikablen, industriellen Gründen, nicht im Ansatz aus Gründen, die mit dem Film zu tun haben. Eigentlich laufen Filme vor unseren Augen. Wie kann man das in einem Drehbuch vermitteln? Dadurch, dass man fesselnd schreibt. Aber was hat ein fesselnder Schreibstil mit dem Film zu tun? Niemand kann mir erzählen, dass die filmische Sprache auch nur im Ansatz etwas mit der schriftlichen Sprache zu tun hat. Das erfährt jeder Drehbuchautor spätestens, wenn seine in Papierform gut klingenden Dialoge plötzlich falsch erklingen. Das bedeutet nicht, dass es nicht filmische Pendants für Sprache gäbe. So haben die Coen-Brüder in ihrem No Country for Old Men zum Beispiel Bilder, Schnitte, Töne und Stimmungen gefunden, die jener der Worte von Cormac McCarthy entspricht. Selbiges ist John Hillcoat in seinem soliden The Road nicht gelungen. Die Collage ermöglicht also auch, die Bewegung eines Films zu empfinden. Wenn man dieses Buch von Costa einmal in den Händen gehalten hat, erscheint es absurd Filme ohne Bilder zu schreiben.

Es geht um die medizinische Versorgung in Afrika. Hier trifft Spiritualismus auf Industrialisierung. The Horse and the Money. Es ist ein Glaubensverlust. Der Blick geht zum Himmel, das klinische Weiß eines Krankenhausflurs, ein Friedhof im Lava-Staub vor malerischer Kulisse, eine einsame Frau mit einem weißen Kleid. Die Medizin schreitet voran. Wir sehen Labormenschen, Anzugmenschen, sie machen Versuche mit Afrikanern oder sind Afrikaner, die Versuche machen. Es geht um Epidemien, die fehlende Versorgung. Ängste. Immer wieder gibt es Bilder von Baustellen. Figuren, die sich in luftiger Höhe bewegen. Vertigo, ist da ein Unfall, ist da nur eine Angst, ein Traum, das Gefühl, das Gleichgewicht zu verlieren? Costa klebt kleine Bilder der Trikots englischer Fußballmannschaften neben die Baustellen und dazwischen steht ein kleiner Text über die ägyptische Kunst und ihre Verbindung mit dem Tod.

Über was spricht man, wenn man stirbt? Jemand berührt diese harte Arbeit, diese Unerbittlichkeit mit seinen Fingerspitzen. Alle haben Gänsehaut. Man spürt die Gänsehaut im Kino. Vielleicht ist es sowieso zu viel verlangt. Vielleicht nehme ich das Drehbuch zu ernst. Denn ziemlich sicher ist, dass diese Gefühle auch und sehr oft aus Filmen erwachsen, die in klassischer Form geschrieben wurden. Ich kenne viele Filmemacher, die sagen würden, dass dieser oder jener ein Film ist, bei dem alles schon im Drehbuch war, die sagen würden, dass man von den guten Drehbüchern alles lernen kann. Aber für mich haben all diese guten Drehbücher immer nur dann funktioniert, wenn ich vorher den Film gesehen hatte. Bei Drehbüchern, die ich vor dem Film gelesen habe, haben sie mich im besten Fall für den Film interessiert. Aber darum geht es wohl. Nur warum muss es dann in eine solche Form gegossen sein? Ich wiederhole mich, aber ich verstehe die Gründe dafür, sie sind nur belanglos für die Filme. Vielleicht kann ich auch einfach keine Drehbücher lesen und schreiben oder ich habe es noch nicht lange genug versucht.

Casa de Lava Caderno

Jetzt zieht es Costa in die Wüste. Nomaden und hoher schwarz/weiß Kontrast, der Staub wandernder Gestalten. Weltreisende der Filmgeschichte zwischen Hiroshima, den Kap Verden und dem Unbekannten; die Melancholie der Reise. Die Wanderung endet in der Massenvernichtung. Wo sind meine Verwandten? Auf einem anderen Kontinent, du kannst ihnen schreiben. Das Buch wird auch zu einem ethnographischen Dokument. Das Setting des Films ist hier. Man muss verstehen, dass dieses Buch nicht-wie das mit Drehbüchern oft ist-ein Zulieferer ist sondern ein autonomes Stück Ausdruck und Kunst. Bestenfalls sind das Drehbücher auch, aber wie viel Seele kann etwas haben bei dem man schreibt: Innen.Tag—Wohnzimmer? Das kommt mir falsch vor. So ist es nicht, wenn man an einem Tag in seinem Wohnzimmer sitzt und so ist es auch nicht für die Figuren. Die Schönheit der Insel, die Landschaft, Casa de Lava ist ein ethnographischer Landschaftsfilm, eine Geisterstudie, ein Film über Sterben und Einsamkeit, ein Gedicht über die Schönheit der Frauen. Menschen halten sich. Es geht um Fürsorge, um Zärtlichkeit, Liebe in Zeiten des Sterbens. Wir finden Iñes Medeiros, eine jener Costa Frauen, sie sind Mütter, sie sind immer Mütter und tragen das Geheimnis all ihrer Kinder in sich. Tintenkleckse zwischen den Fotos, die Zeichnung einer nackten Frau, immer anmutig, nie gierig.

Die Beschreibung eines Lebens auf der Straße mit Krankheit aus einem Buch: It’s never dark. The street light shines through the thin blue plastic. Es geht um die Außenseiter, um die Bettler und Ausgestoßenen. Kranke, arme Menschen. Aber Costa blickt nicht primär auf soziale Umstände sondern auf die Seele, die Erinnerung, die Trauer dahinter. Eine Frau sitzt mit einem Kleinkind im Arm in einem Lichtstrahl. Würde behalten, Weiblichkeit behalten.

Man hat das Gefühl, dass ein Wind durch dieses Buch weht. Er verbindet Landschaften, Menschen und die Herstellung eines Films. Ein Interview mit Edith Scob, Schauspielen sei ein komischer Beruf. Wieder ein Sterben, harte Arbeit, Sehnsucht. Davon können Filme sprechen. Am Ende gibt es einige leere Seiten. Es endet nicht. Es kommt mir jetzt vor wie ein Aufruf an mich. Man kann es anders machen. Man kann suchen und arbeiten. Man muss es tun. Ich bin normal nicht dafür einen solchen Prozess öffentlich zu teilen, aber in diesem Fall ist es für mich als würde ich mir selbst sagen, dass es geht. Und das ist es wert. Indem ich es aufgeschrieben habe und nochmal erfühlt habe, indem ich es Stück für Stück durchgeblättert habe, hat mit Pedro Costa mit diesem Buch wieder gezeigt, dass ich noch viel stärker sein muss, dass ich noch viel konsequenter sein muss und dass es für meine theoretischen Gedanken und Gefühle bezüglich Film, die ich hier seit längerer Zeit äußere, ein praktisches Äquivalent gibt. Und an diesem Lavahaus aus Film werde ich weiter bauen.

Cinemañana: How to disappear completely

Clips/Idee: Ioana Florescu
Text: Patrick Holzapfel

Modern Times

Ioana Florescu hat sich wieder auf die Suche gemacht. Diesmal hat sie Menschen gefunden, die uns am Ende von Filmen den Rücken zukehren und gehen. Wir werden sie nicht mehr wieder sehen,

That there, that’s not me, I go where I please,I walk through walls,I float down the Liffey

Gycklarnas afton von Ingmar Bergman

Un condamné à mort s’est échappé von Robert Bresson

In solchen Momenten zerfließen die Filme vor unseren Augen: Film is The Art of Absence. Was davor, danach, daneben, dahinter, darüber, darunter, dazwischen passiert ist entscheidend. Ein solches Ende macht uns klar, dass wir Filme nicht einfach betreten und schon gar nicht besitzen können. Wir können sie nur betrachten so lange sie uns lassen. Aber der Raum und die Zeit im Off werden nur in uns existieren und in den Figuren, nicht aber auf der Leinwand, dieser riesigen Lupe, dieser wahren Lüge; fängt Blicke wie andere Schmetterlinge,

Ich werde aufstehen und in die Leinwand springen, um den Figuren zu folgen. Ich will an der Leinwand kleben wie eine tote Spinne und langsam darin versinken. Vielleicht kann ich den Figuren dann folgen? Ich renne Chaplin hinterher. Ich verfolge ihn durch die Nacht. Hoffentlich kann ich ihn nie berühren,

Es muss ein Leben hinter den Bildern geben,

I’m not here,This isn’t happening,I’m not here, I’m not here

Le Bonheur von Agnès Varda

La grande illusion von Jean Renoir

Ungreifbar und unbegreiflich schweben schwarze Silhouetten ins Nichts. Narren glauben, dass diese Bilder von einer ungewissen Zukunft sprechen, obwohl sie eindeutig in der Gegenwart verankert sind. Danach ist nichts mehr. Es wird irgendwann schwarz werden. Die Zukunft ist eine Illusion im Kino. Diese Geister sterben am Ende ihrer Filme. Die Filme auch. Aber sie werden wiedergeboren. Wer sich in seinem Sitz bewegt und glaubt, dass dies nun das Ende des Films sei, weil Filme nun mal so enden, verpasst den letzten Blick des Kinos. Unfähig sich zu rühren, unfähig weiter zu folgen,

Hat die Kamera ihre Lust verloren? Sind diese Bilder ihr letzter Lebenshauch, vielleicht ein letztes trauriges Blinzeln, die letzte Erinnerung an eine Welt?

Orphée von Jean Cocteau

Das Kino braucht keinen Vorhang, denn es gibt den Off-Screen und die Tiefe des Bildes. Und es gibt noch mehr,

Sie kehren mir den Rücken zu. Ich sehe ihre zuckenden Schulterblätter, ich sehe Punkte in der leidenschaftlichen Landschaft. Ihre Füße sind echt. Jeder Schritt hinterlässt eine Spur in meiner Pupille, eine glühende Narbe unter meinen Lidern,

Wer genau hinhört, kann den letzten Atemzug der Filme vernehmen. Es ist ein langes Seufzen, das wie ein verlorener Wind über die Ewigkeit der Vergangenheit treibt, ein feuchter Film, der sich auf den Augen bildet und unmerklich über die Wangen brennt wie ein sanfter Reifen auf Asphalt. Ein Film setzt niemals einen Punkt sondern immer Kommas,

In a little while, I’ll be gone, The moment’s already passed, Yeah, it’s gone

Professione:reporter von Michelangelo Antonioni

In Another Country von Hong Sang-soo

Film ist gemacht für den Übergang von Tag auf Nacht und Nacht auf Tag. Immerzu sehen wir in den Filmen die Geburt und den Tod des Lichts. Ein Zustand in dem noch alles möglich ist. Diese gehenden Gestalten am Ende des Films sind der endgültige Übergang als Geister aus der Maschine. Sie könnten auch fliegen. Ihre Langsamkeit sagt mir, dass ich sterben werde. Mit ihnen oder ohne sie, langsam oder plötzlich. Es ist der Horizont, indem sie verschwinden bevor er selbst verschwindet. Vielleicht klammert sich der Blick an die Dauer der Entfernung, vielleicht hetzt er ihnen nach, aber auch der Blick wird sterben.

Irgendwann kann man nichts mehr sehen.

Wie der Expressionist ein Romantiker ist, die Angst der Natur nicht länger ertragen kann, so ist die verschwindende Filmfigur eine romantische Angst, die ihren Rahmen nicht mehr ertragen kann. Aber diese Figuren verlassen den Rahmen nicht. Sie verschwinden in ihm. Ich verstehe nicht wohin sie gehen. Das liegt daran, dass sie nicht im Raum verschwinden sondern in der Zeit.

Being There von Hal Ashby

Of Freaks and Men von Alexei Balabanov

What Time is it There? von Tsai Ming-liang

I’m not here, This isn’t happening,I’m not here, I’m not here

Eine wunderschöne Mücke saugt mir das Blut in Zeitlupe aus. Ich sehe ihr zu und spüre den langen Schauer meines platzenden Blutes, das in den Körper der Mücke fließt und weiß, dass dieser Moment in meinem Gedächtnis bleiben wird, wie das letzte Echo eines Hilfeschreis in den Bergen, wie der Geschmack eines letzten Kusses auf den Lippen verweilt. Die Erinnerung an diese Bilder ist jene des empfundenen Schmerzes bei ihrer Betrachtung.

Strobe lights and blown speakers

Rocco e i suoi fratelli von Luchino Visconti

Fireworks and hurricanes

Modern Times von Charlie Chaplin

Bilder des Bedauerns. Ich hätte besser sehen können. Ich bedauere nicht, dass sie gehen. Ich bedauere, dass ich sie nie gesehen habe, nicht so geküsst wie ich sie küssen wollten, nicht so gekannt wie ich wollte. Warum drehen sie sich nicht noch einmal um? Ich wollte nie mehr blinzeln. E.E. Cummings,

or if your wish be to close me, i and
my life will shut very beautifully,suddenly,
as when the heart of this flower imagines
the snow carefully everywhere descending;

Out of the Past von Jacques Tourneur

I vitelloni von Federico Fellini

Warum tanze ich auf dem Gedächtnis von Geistern? Im Sonnenuntergang, jemand spielt ganz zufrieden eine Violine, Boccherini, ich sitze auf einer Veranda, es ist warm genug und ich kann einmal den Zweifel vergessen, die Angst, weil ich begreife, dass ich keine Bedeutung habe.

Ich werde irgendwann aufstehen. Die Lichter gehen an. Sie sollten nicht. Ich werde eine Jacke tragen und den anderen Zeitmenschen aus dem Kino folgen. Ich werde der Leinwand den Rücken kehren, sie kann meine zuckenden Schultern sehen, meine echten Füße, die den Boden noch nicht berühren können. Man kann mich noch eine ganze Weile sehen. Dann werde ich zu einem Punkt in einer Landschaft. Nur mein Blick ist geblieben. Bis auch er stirbt.

I’m not here, This isn’t happening, I’m not here, I’m not here

Ladri di biciclette von Vittorio De Sica

The Searchers von John Ford

We’re gonna live forever,