Tsai Ming-liang Retro: The River

Es gibt einige wenige Filme, die durch ihre vollendete Schönheit einen tiefen Schmerz vermitteln. Bei diesen Filmen treffen sich Gewalt und Poesie, Angst und Geborgenheit, Schönheit und Einsamkeit, Lust und Selbsthass alleine durch ihre Bildsprache. Dazu zähle ich unter anderem „Juventude em Marcha“ von Pedro Costa, „Història de la meva mort“ von Albert Serra, „Twentynine Palms“ von Bruno Dumont und älteren Datums, alles was ich je von Kenji Mizoguchi und Andrei Tarkowski sehen durfte, „Walkabout“ von Nicolas Roeg, „Morte a Venezia“ von Luchino Visconti oder „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ von Rainer Werner Fassbinder. Was Mark Peranson in Bezug auf den Locarno-Gewinner von Albert Serra „The Beauty of Horror or The Horror of Beauty“ nannte, wird in Tsai Ming-liangs „The River“ auf eine neue Ebene geführt. Der Film, der 1997 den Spezialpreis der Jury auf den Filmfestspielen in Berlin gewann, dreht sich rund um die grausamen Nackenschmerzen von Hsiao-kang und erzählt die Geschichte seiner Familie weiter, die wir auch aus Filmen wie „Rebels of the Neon God“ oder später „What time is it there?“ kennen und weiterverfolgen werden.

Zu Beginn begegnet Hsaio-kang einer alten Freundin, die ihn davon überzeugt mit an ein Filmset zu kommen. Dort springt er spontan als Wasserleiche am Rand eines dreckigen Flusses ein. Später schläft er mit der Freundin in einem Hotelzimmer. Das wird das letzte Mal sein, dass wir sie im Film sehen. Auf dem Weg nach Hause, beginnt er Schmerzen im Nacken zu haben, die sich zu einer regelrechten Plage entwickeln. In der Folge erzählt der Film von den Versuchen der Familie und von Hsiao-kang diese Schmerzen zu behandeln. Es entfaltet sich ein Portrait innerfamiliärer Isolation, das in jeder einzelnen Sekunde Einsamkeit und die Unmöglichkeit zur Kommunikation klarmacht. Inzestuöse Tendenzen und Handlungen fliegen durch die Luft, aber nie mit einem Vergewaltigungsimpetus, sondern immer mit einer Schönheit und Zärtlichkeit, die einen nur schocken kann.

The River

Hier breitet sich eine Welt vor dem Zuseher aus, die nicht mehr weiß, wohin mit sich selbst. Traurigkeit und Sex vermischen sich zu einem hoffnungslosen Versuch Einsamkeit loszuwerden oder sich einfach gut zu fühlen. Tsai Ming-liang legt in jede seiner Einstellung die Poesie eines großen Künstlers. Körperlichkeit wird spürbar als weich-glänzende Versuchung und als brutaler Schmerz. Auf den Körpern dieses Kinos spielen sich Dramen ab, die durch nichts erklärbar sind außer der Menschlichkeit der dazugehörigen Seelen. Eine Geste, die im einen Moment als besonders liebevoll empfunden wird, wie als der Vater seinen Sohn den Nacken auf dem Moped hält, damit dieser fahren kann, wird im nächsten Moment zur kaum ertragbaren Fatalität. Diese Familie ist völlig zerstört und der Prozess des Begreifens ist derart schonungslos, dass man ihn in seiner vollen traurigen Wucht, zu spüren bekommt.

Die Mutter hat einen Liebhaber und steckt auch sonst voll sexuellem Verlangen, das nicht erfüllt wird. Doch auch ihr Liebhaber kann sie nicht befriedigen. Tsai Ming-liang braucht keine Worte, um die Beziehung zwischen der Mutter und dem Vater auf den Punkt zu bringen. Ein kurzer Moment, der die beiden aus weiter Entfernung im Aufzug eines Krankenhauses zeigt, genügt um alles zu wissen. Die Blicke berühren sich noch weniger als das Fleisch. Auch die Vater-Sohn Beziehung wird schon alleine dadurch entfremdet, dass Hsiao-kang in der ersten Szene mit seinem Vater ohne Reaktion auf diesen, der dadurch wie ein gewöhnlicher Passant wirkt, vorbeifährt. Der Vater selbst holt sich seine Befriedigung mit anderen Männern in einem Dark Room. In diesem Dark Room werden sich Vater und Sohn später begegnen, beleuchtet nur von einem warm-kalten Lichthauch, der auf den Gesichtern vereinsamte Schatten wirft und sie austrocknet. Tsai Ming-liang deutet an, dass zumindest der Vater nichts über seinen Partner weiß, ganz sicher kann man sich aber nicht sein. Eine elliptische Lyrik, die von den hier häufigen, aber generell im Kino des Regisseurs seltenen Steadycamfahrten in eine Bewegung versetzt wird, die durchaus der eines Flusses ähnelt. Die langsame Geduld mit der sich diese und andere Szene vollziehen, lässt eine Zärtlichkeit und Wahrheit aus ihr erwachsen, die man nicht wahrhaben will, aber jederzeit als wahrhaftig erspürt. Als würde einen die Hand eines Geliebten zärtlich streichen, während man sich an ihr festhaltend, in die dunkelsten Katakomben der menschlichen Existenz wandert. Man wird dabei erwischt, wie sich etwas Grausames wundervoll anfühlt.

The River

Beeindruckend ist die Lichtsetzung nicht nur in dieser Szene, die zwar droht den restlichen Film zu überfahren, es aber nicht tut. Das Licht macht die Konturen unter der Haut frei, die von Anstrengung und Verzweiflung erzählen. In „Visage“ wir Lee Kang-sheng als Regisseur diesen Wunsch äußern. Er will die Adern seiner Hauptdarstellerin Laetitia Casta im Gesicht sehen. Gläserne Körper voller Transparenz, die sich für den Zuschauer offenlegen, nicht aber für sich selbst, prägen die körperliche Materialität in „The River“. Durch Licht und Kamera legt sich eine romantische Hypnose in die Räume des Films und zwar in jener minimalistischen Façon, die auch die Montage on „The River“ durchzieht. Nur die Körper und ihre Spiegelung sind so bei der Sexszene im Hotel zu erkennen. Manchmal sieht man mehr, weil man ganz wenig sieht. Die hermetischen Wahrnehmungen der einzelnen Figuren und Räume können auch keinen Horizont mehr sehen. Wie in so vielen Filmen des in Taiwan arbeitenden Regisseurs dringt auch in „The River“ Wasser in die Wohnung der Familie. Es wirkt fast wie ein Ausbruch der grausamen Emotionen, die sich in den Magen schleichen und dort einen Stein ablegen. Zunächst gelingt es dem Vater das Wasser zu kanalisieren, aber später wird sein improvisiertes System bestehend aus einem Wellblech und einem Rohr zusammenbrechen. Als könnte das Wasser das alles nicht ertragen. Ein Schrei, der nach innen geht. Am Ende trennen sich die Wege von Vater und Sohn. Der Vater verlässt das Zimmer und der Sohn verschwindet auf einem Balkon ohne Aussicht. Der Fluchtpunkt ist verstellt, aber wenigstens muss man sich nicht mehr ansehen, wenigstens kann man alleine sein.

Der Widerspruch besteht auch in der Intensität der Sexszenen und der Kälte der restlichen Aktionen. Als wäre der Sex im Film eine kleine Insel, auf die die Figuren sich zu retten versuchen, um dann festzustellen, dass es danach genau gleich weitergeht oder sogar noch schlimmer wird. Die Nackenschmerzen von Lee Kang-sheng sind zudem derart greifbar, dass man sich selbst beginnt im Kinosessel körperlich unwohl zu fühlen. Sein Spiel-das darauf beruht, dass er nach dem Dreh von „Vive l’amour“ tatsächlich an derartigen Schmerzen litt-ist voll körperlichem Leid. Faszinierend bleibt, dass aus seinen Augen ein anderer Schmerz spricht, als aus seinem Körper. Hier wird immer zugleich physisch und psychisch gearbeitet. Die Filmszene zu Beginn enthält viel, was wir später sehen werden. Die Unzufriedenheit der Regisseurin mit der Position und Bewegung der Dummy-Wasserleiche sind gewissermaßen ein Statement des Regisseurs, der sagt, dass selbst, wenn alles verloren ist, wenn nichts mehr da ist, es noch entscheidend ist, dass es sich um wahre Menschen handelt. Das sterbende Treiben einer Welt ist ein Menschliches. Fast ist „The River“ auch ein Body-Horror Film, denn ein merkwürdiges Gefühl über die Herkunft der Nackenschmerzen bleibt. Liegt es am dreckigen Fluss, liegt es am Sex mit der Frau, liegt es an Hsiao-kangs Haltung im Fluss, ist es Zufall? Der junge Mann kann nicht mehr richtig essen, kann kaum gerade gehen und schon gar nicht mit seinem Moped fahren. Wie schon beim Taiwan Fever in „The Hole“ und bei der Luftverschmutzung in „I don’t want to sleep alone“ inszeniert Tsai Ming-liang eine unsichtbare Angst, die ein gemeinsames Leben noch unmöglicher macht als es sowieso schon ist. „The River“ ist ein großer Film und er beschreibt den Horror der Schönheit und die Schönheit des Horrors in einer Traurigkeit und Offenheit, die einen sprachlos zurücklässt, sodass man seine eigenen Adern im Gesicht spüren kann. Ein Film, der sich anfühlt als würde man im Moment des Sterbens einen Orgasmus haben.