Land of the Dead: POV und Hors Champs in Halloween und Profondo Rosso

Der Filmemacher und ehemalige Chefredakteur der Cahiers du Cinéma Thierry Jousse hat in einem Video über die Filmmusik bei Quentin Tarantino, das er für die arte-Serie Blow-Up gemacht hat, erwähnt, dass er zunächst Probleme mit den Filmen des Amerikaners gehabt habe bis er mit Jackie Brown verstanden hätte, dass bei Tarantino die Bilder Musik sind und die Musik Bilder. Vielleicht geht es mir ähnlich bei Dario Argento, dessen Profondo Rosso ich trotz meiner Aversionen gegen alles was ich bislang vom Italiener sah, einiges abgewinnen konnte. Zuvor zeigte das Österreichische Filmmuseum allerdings den Klassiker Halloween von John Carpenter, den ich ebenfalls zum ersten Mal sah. In beiden Filmen scheint sich die Kamera immer wieder mit den Mördern zu verbünden und man kann sich nie sicher sein, ob das was man gerade sieht nicht doch der Blickwinkel des Killers ist. Schon in der Eröffnungssequenz von Halloween, die weniger ein Kindheitstrauma als eine Vorbereitung des Publikums auf Schlimmes ist, folgen wir bis zu einem schönen Perspektivwechsel am Ende dem Blick des Mörders aus der ersten Person. Erst am Ende erfahren wir eindeutig, dass es sich dabei um ein Kind handelt und sein Opfer an jenem Halloweenabend in den 60er Jahren seine Schwester war. Dann macht der Film einen Zeitsprung und wir sehen die Flucht des Kindes, Michael Myers, der 15 Jahre später natürlich kein Kind mehr ist. Da passenderweise gerade Halloween ist und ein paar Teenagerinnen durch die Bilder hüpfen, ist der Rest des Films eine klare Sache. So klar, dass Carpenter ein und dasselbe System von Anfang bis zur Mitte des Films und ein ähnliches System von der Mitte bis zum Ende des Films wiederholt. Natürlich kann man die beiden Systeme in ihrer Anwendung nicht ganz so stark voneinander trennen, weil sie sich durchaus überschneiden und variiert werden, aber im Kern sind es genau diese zwei. Das erste System ist jenes der Point-of-View-Angst. Hier zeigt sich weshalb das Horrorgenre derart geeignet für die filmische Sprache ist, selbst wenn man es wie Carpenter in stupider, einzig auf Effekt zielender Art und Weise bedient. Es ist ein Kino der Blicke und der Abwesenheit. In dieser ersten Hälfte gibt es neben einer parallelen Ermittlungsarbeit durch den betreuenden Psychiater des Mörders drei Blicke.

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1. Blick

Der erste Blick ist jener der Protagonistin Laurie (Jamie Lee Curtis). Sie beginnt einen Mann zu sehen, der sie ganz still beobachtet. Er steht einfach da mit einer Maske. Immer wenn sie ihren Blick wiederholt oder anderen zeigen möchte, was sie sieht, ist dieser Mann nicht mehr da. Die Beunruhigung, die von diesen Bildern ausgeht, ist offensichtlich, denn erstens wissen wir im Gegensatz zur Protagonistin von der Bedrohung, die von dieser Person ausgeht und zweitens geht ein großer Horror aus von Dingen, die aus Bildern verschwinden ohne logische Erklärung. Wenn der hors-champ, also der Off-Screen selbst zu einem übersinnlichen Element wird, dann können wir auch dem Film nicht mehr trauen. Halloween nutzt diese Tatsache bis zur Schmerzgrenze aus und man fühlt sich beobachtet, weil man selbst nicht beobachten darf. Das Verschwinden der Figur löst eine entscheidende Frage in uns aus: Wohin ist er verschwunden? Die Ränder des Bildes und das, was wir nicht sehen können, werden entscheidend und da Carpenter einen Film gemacht hat wie ein Blatt Papier, das zur Hälfte weiß ist und zur Hälfte schwarz und darüber hinaus nichts zulässt, werden wir nur in solche Situationen geworfen. In seiner Simplizität und auf das Publikum zielenden Effektivität ist dieser Film der Gipfel des Grauens, eine Maschine könnte ihn gemacht haben, kein Mensch.

2. Blick

Der zweite Blick schließt an die Eröffnungssequenz an und ist sicherlich der virtuoseste im Film. Es handelt sich um den Point-of-View des Mörders selbst. Als Laurie und der kleine Junge, auf den sie am Abend aufpasst vor dem ehemaligen Haus der Myers stehen, blickt die Kamera aus dem Inneren des Hauses auf die beiden. Dann fährt die Kamera langsam zurück und offenbart die Schulter des Mörders im Schatten des verlassenen Hauses. Wir erfahren, dass der Blick aus dem inneren des Hauses sein Blick gewesen ist. Begleitet wird diese Einstellung immer mit dem Atmen von Myers. Sie wird sehr häufig wiederholt.

3. Blick

Der dritte Blick ist jener, der Laurie und ihre Freundinnen beobachtet. Hier gibt es die Erwartungshaltung des Off-Screens, dramaturgische Fatalitäten und vor allem-und das ist zugleich die Überleitung zum zweiten System-den Bildhintergrund. Der Bildhintergrund hat hier immer eine ironische Komponente. Es ist erstaunlich, dass wir uns in den Einstellungen in denen Myers in der Tiefe des Bildes auftaucht (manchmal wird er gar nur abgeschwenkt, was einen besonders effektvollen Schauder erzielt), mehr mit ihm verbinden können als in jenen, wenn wir durch seine Augen blicken. Es ist fast entspannend, wenn man ihn sieht. Die Einstellungen aus seiner Sicht dagegen behalten etwas Essentielles und Beunruhigendes im Off-Screen, nämlich seine Erscheinung, um die eigentlich den ganzen Film ein großes Geheimnis gemacht wird. Müssen wir sehen, um uns wohl zu fühlen? Ich glaube die Wahrheit liegt im Dazwischen. Wenn wir nur erahnen, nur Fetzen sehen, dann beginnt der Horror. Kamerabewegungen, Montage, Kameraperspektive, Licht und Schatten, alles in Halloween arbeitet mit diesem Wissen, der Film kann und will sich nicht für etwas anderes interessieren als den nächsten Schock. Besonders ironisch gelingt Carpenter ein solcher Moment im Bildhintergrund als er uns mal wieder sehen lässt, was die Figuren nicht sehen. So könnte der Psychiater den Mörder schon viel früher finden, wenn er sich nur im richtigen Moment an einer Straßenkreuzung umdrehen würde.

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Das zweite System unterscheidet sich zunächst einmal dramaturgisch vom ersten, denn irgendwann wird der Mörder auch zuschlagen. Daher entspricht dieses System einer Wellenbewegung, wogegen das erste System eine ansteigende Gerade war. Der zweite Blick bleibt genauso bestehen und der dritte Blick wird gar noch entscheidender, denn nun wird der Off-Screen tatsächlich zum On-Screen und unsere Befürchtungen werden begleitet von dieser eintönigen Klimpermusik und einem lauten, musikalischen Schockeinsatz. Es kommt genau ein neuer Blick dazu, der für sich schon die Einfallslosigkeit des Films deutlich macht. (aber wen interessiert das, wenn man gar nicht mehr hinsehen will? Der 5. Blick wäre daher der Blick, der sich bei manchen Zusehern von der Leinwand löst…)

4. Blick

Dabei geht es um den Blick der Abartigkeit. Dieser stellt das Böse selbst aus, das Unfassbare, das Psychopathische, das wir nicht verstehen können, auch wenn wir es sehen. So beobachten wir wie der Mörder neugierig ein Opfer betrachtet, das er mit seinem Messer in die Wand genagelt hat oder wir sehen durch die Augen von Laurie die Leichen in einem Zimmer. Zusammen mit einer Art übersinnlichen Ungreifbarkeit des Mörders, die sich immer wieder in den wie von magischer Hand zugehenden Türen, die es auch in Profondo Rosso gibt, äußert und einer völlig aus dem Kontext geworfenen Dummheit der Figuren entsteht so kein Film, sondern eine Serie von Schocker-Clips und Überwältigungen, die eine eigene Form von Spaß bringen sollen, den man wohl am ehesten mit Freizeitparkattraktionen vergleichen kann. Wie bei einer besonders gefährlichen Attraktion lebt man dabei die ganze Zeit in Angst bis es sich auflöst und man eine Art freudiges Echo eines Adrenalinkicks verspürt.

Das Problem an dieser Strategie ist neben ihrer schnellen Abnutzung und ihrer manipulativen Haltung vor allem, dass sie den Blick beengt. Damit meine ich, dass man diese Filme nicht sieht. Vielmehr wird man mit seinen eigenen Ängsten konfrontiert, der Film hebt die ganze Zeit einen Spiegel vor das Publikum, der ihnen das gibt, was sie nicht sehen wollen, aber doch erwarten. Aber er zeigt ihnen nichts, was sie nicht erwartet haben, kein wirklicher Horror des Unvorstellbaren, keine Fantastik, keine wirkliche Überraschung. Er zeigt ihnen keine Figuren, kein Leben, keine Welt, alles findet im Kopf statt. Manche würden Halloween diese Eigenschaften als Qualität anerkennen, dann aber nur, weil sie sich selbst wichtiger nehmen als den Film.

Profondo Rosso

Anders sieht es da bei Argento aus, denn in seinem Profondo Rosso werden ähnliche Blickstrukturen weitaus virtuoser initiiert und vor allem mit Raumkonstruktionen und einer Bilderflut an Motiven verbunden. Wie in vielen seiner Filme von seinem Debut L’uccello dalle piume di cristallo an wird ganz in Hitchcock-Manier eine außenstehende Person in ein Verbrechen involviert. Im Gegensatz zu Hitchcock begnügen sich diese Männer aber nicht mit dem Fetisch des Blicks und des Wissens, sondern es scheint auch immer um das Berühren zu gehen. Argento betont das mit Nahaufnahmen von Händen, Gesichtern und Augen. Er lässt seine Figuren Gegenstände berühren und macht seine Welt spürbar. Dadurch wird auch der Horror deutlich spürbarer. Der Pianist Marcus Daly (David Hemmings) wird Zeuge eines Mordes und beginnt zusammen mit seiner On-Off Freundin, der Journalistin Gianna die Stücke des Falls zusammenzusetzen. Natürlich werden sie auch selbst zum Ziel des Täters. Es ist dies eine klassische Krimihandlung, die Argento-und damit komme ich zu meinen einleitenden Gedanken zurück-wie Musik komponiert. Im Gegensatz zum deutlich wilderen Suspiria, bei dem ich jene Wellenbewegungen, die auf Schocks hinarbeiten unter dem ganzen Wirrwarr aus visueller Reizüberflutung sehr stark spürte, scheint Argento hier rhythmisch an ganz anderen Dingen interessiert zu sein. Dabei ist er eben ein Filmemacher wie Tarantino, der nicht wirklich am Leben selbst interessiert zu sein scheint, sondern dessen Leben Film ist. Um sich nicht in Redundanz zu verlieren, bedarf es daher einer möglichst großen Überwältigungsstrategie, dem von mir angeprangerten Augenzwinkermodus, der sich selbst über den Film stellt und ein technisches Geschick, das über sich selbst hinausweist. Argento ist selbst ein Pianist, der mit den Motiven des Giallos spielt und sie nur im Bezug zum Kino ernst nimmt. Er will keine wirklich psychologisch motivierte Handlung erzählen, er mag nur wie diese in Film getaucht wirkt und aussieht, wie sie klingt. Wie Tarantino macht er Fanfilme. Da Argento aber scheinbar keine Dialoge inszenieren kann, muss er sich anderweitig helfen. So spielt er mit den Motiven des Kindheitstraumas ohne sich jemals darin zu involvieren: Der Flashback am Ende, das ständig in Verbindung mit den Morden auftauchende Lied, das diegetische und non-diegetische Musik verbindet, die Zeichnung, die als Spur dient und kinderhafte Züge trägt, die Puppen, deren Köpfe rollen werden, das junge, etwas unheimliche Mädchen, das Daly zur Geistervilla bringen wird und wer will (ich nicht) vermag auch im Mord an Gianna eine psychologische Thematik der Kinderlosigkeit interpretieren. Schließlich begnügt sich der sonst nicht mit Effekt geizende Argento bei ihr mit einem einfachen Messer im Bauch. Es gibt noch mehr solche Motive, die ein Puzzle kreieren, dessen Auflösung sich wie ein Daumenkino zusammenschließt. Wie ein Daumenkino, weil es unheimlich schnell geht und man die Blicke, die bei Carpenter so deutlich getrennt werden können, bei Argento kaum mehr sieht und weil sie nicht mehr nur auf den bloßen manipulativen Schockeffekt zielen, sondern auf eine Schönheit des filmischen Horrors. Argento drückt seine Liebe zu einer bestimmten Form des Kinos aus. Er bezweifelt gleichzeitig die Relevanz einer solchen psychologischen Leseart als er Daly sagen lässt, dass der wahre Grund dafür, dass er Pianist sei nicht in einer Verarbeitung eines Kindheitstraumas läge, sondern schlicht weil er Musik liebe. Es wirkt so als könnte Argento das über sein eigenes Schaffen gesagt haben. Sinnentleerte Obsessionen?

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Mehr noch ist Profondo Rosso ein Film über das Gedächtnis, das sich wie die Räume im Film durch Montagen und Eindrücke, durch Fahrten und Licht im Schatten bewegt. Zwar hatte er den Weg der Erinnerung in seinem L’uccello dalle piume di cristallo deutlich intensiver und dringlicher, mit sprunghaften Fetzen von Flashbacks, die wie die Messer in seinen Filmen auf die Zuschauer prasseln, gestaltet, in Profondo Rosso vermag er es aber seine Bilder mit dem Gedächtnis der Figur zu verbinden. So erschließt er zum einen die Räume in einer ähnlichen Art und Weise wie Daly sein Gedächtnis erschließen muss, um die Wahrheit zu erkennen. Es gibt Fahrten durch die Korridore, schnelle Schnitte von Fassadenbildern, Ransprünge, plötzliche Totalen und eben die ständigen Blickwechsel, die nicht nur auf eine Bedrohung, sondern auch auf eine Suche nach der Wahrheit hindeuten. So wird hier wie in Halloween mit dem hors-champs und dem Point-of-View des unbekannten Mörders gespielt, aber neben der Spannung, die diese erzeugen, involvieren sie uns auch in der Suche nach der Wahrheit. Wem gehört dieses Flüstern? Was haben wir gesehen? Warum haben wir nicht hingesehen? Warum verstehen wir nicht? Und die Räume verbergen Dinge vor uns wie unsere Erinnerung.

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So verbirgt sich immer wieder eine weitere Ebene hinter den Oberflächen und Fassaden. Daly entdeckt die gesuchte Zeichnung hinter dem Putz einer Wand und er entdeckt sie nicht mal völlig, er schlägt mit einem Hammer durch eine Wand, um Räume zu entdecken, ein Opfer versucht mit ihren Fingern, eine Botschaft auf den von der schwülen Feuchtigkeit des Badezimmers angelaufenen Fließen zu hinterlassen, die nur sichtbar werden, wenn man im Badezimmer eine ähnliche Feuchtigkeit und Temperatur erzeugt, ganz so wie ein Madeleine-Moment bei Proust, nur auf eine raumbezogene Bildsprache übertragen. Außerdem gibt es ständig Fenster und Jalousien, Räume bestehen auch aus ihrer Kehrseite, dem oben, dem unten und dem weit entfernt. Ähnlich verhält es sich mit der Erinnerung an den Mord. Sie ist überall und dadurch hat Daly und hat auch der Zuseher das Gefühl, etwas Entscheidendes zu übersehen. Spiegel, Gemälde und die kinematographische Realität verbinden sich so in der Schlusssequenz zu einem Bilderreigen des Horrors, der stets in sich gefangen bleibt, nichts an sich heranlässt, aber im Fall von Profondo Rosso eine cineastische Eleganz aufweist, ein Gefühl für Bilder, Rhythmus, der einen nicht beschießt, sondern schauen lässt, der einem die Lust am Sehen schenkt und somit Bilder macht, die wie Musik erklingen.

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Abschließend könnte man noch auf die Bedeutung der Bewaffnung im Horrorfilm eingehen. Das Screening von Halloween und Profondo Rosso hintereinander legt das nahe, da beide Filme ihre Opfer mit langen Stricknadeln zur Verteidigung ausrüsten. Die Frage nach der Bewaffnung ist trotz ihrer scheinbaren Absurdität von hoher Relevanz, da sie letztlich mit der Körperlichkeit, Abartigkeit, Isolation und auch mit den Blicken und dem Off-Screen eines Films zu tun haben. Es ist klar, dass wenn sich eine Figur mit einer Stricknadel bewaffnet, dass sie dem Bösen, dem Schockierenden, dem Gefährlichen sehr nahe kommen muss, um sich zu wehren. Eine Stricknadel impliziert auch ein Verharren, ein Warten, man wird kaum mit dieser Waffe auf einen Gegner losrennen, man muss ihn überraschen. (ähnliches gilt für das Messer, das in beiden Filmen viel häufiger schneidende Auftritte bekommt…) Argento scheint sowieso mehr Zeit damit zu verbringen, sich zu überlegen wie schön und gewaltvoll, wie verrückt ein Mord geschehen könnte, als ob dieser Sinn macht. Das Gute daran ist, dass er dies vor allem deshalb tut, um seinen aufgesetzten Horror mit Körperlichkeit zu bestücken, die ihn greifbarer macht. Das, was hängen bleibt, also unser Gedächtnis, die Bilder, die einen nicht verlassen, sind natürlich bei jedem Zuseher unterschiedlich. Aber es ist klar, dass es bei Argento oft jene Momente des Horrors selbst sind wie ein besonders blutiger Tod oder das plötzliche hereinfahren einer Puppe und bei Carpenter einzig die Erwartung an den Horror.

Land of the Dead: Inside/Outside of a Ritual

Drei Filme kreisten am Freitag im Rahmen der Land of the Dead-Reihe im Österreichischen Filmmuseum um Schwarze Magie und unheimliche Rituale: The Wicker Man von Robin Hardy, Invocation of my Demon Brother von Kenneth Anger und The Devild Rides Out von Terence Fisher. Die hohe Bedeutung von heidnischen Kulten, Satanismus und Ritualen generell für Horrorfilme bringt mich in meinem fast als Selbstversuch angelegten Tauchgang in das Reich des Horrors auch wieder zu allgemeinen Überlegungen zum Genre. Ich hatte einzig den Kenneth Anger Film bereits gesehen und wurde vor allem von Terence Fisher und seinem in jeder Sekunde fesselnden The Devil Rides Out begeistert. Was für ein Film!

The Devil Rides Out

Nach einer gefühlt eine Minute dauernden Exposition, in der Rex seinen alten Freund de Richleau (gespielt in einer abartigen Präsenz von Christopher Lee irgendwo zwischen unbestechlicher Autorität und Komik) wiedertrifft, wirft einen Fisher mitten in sein Geschehen rund um die beiden Freunde und einen dritten Freund, Simon, der sich der schwarzen Magie hingegeben hat. Richleau durchschaut das Spiel sofort, denn er ist ein Experte in der Bekämpfung von schwarzer Magie: „I have never told you but I am…“ Fisher hält sich niemals unnötig mit Erklärungen und Psychologisierungen auf, er wirft einen mitten in seine Szenen, mit atemberaubenden Perspektivwechseln und Erschütterungen des Glaubens an die Realität und die Wahrheit des filmischen Bildes. Die Freunde geraten in einen Strudel der Abhängigkeiten und der hypnotischen Kräfte von Satan selbst und seinen Anhängern. Dabei spielen Augen und was sie sehen eine entscheidende Rolle. Fisher schneidet immer wieder in Close-Ups weit geöffneter Augen, er deformiert die Augen mancher Protagonisten und viel allgemeiner entscheidet der unwissende und wissende Blick hier alles. Denn Rex, wird praktisch wie der skeptische Zuschauer in das Geschehen geworfen. Er muss lernen zu glauben. Er steht eigentlich auf der Außenseite, aber wird durch eine nur durch Augen erzählte Liebesgeschichte und seine Freundschaft zu Richleau involviert. Dieser Richleau dagegen ist ein Wissender, er weiß mehr, er sagt ständig: „I know“. Je nachdem aus welcher Perspektive der Film erzählt, finden wir uns so in vielen Momenten voller Suspense, entweder weil wir zusammen mit den Protagonisten das Unbekannte erschließen müssen oder weil wir in Erwartung des Schlimmsten sind und in Vertrauen zu Richleau beginnen zu wissen, was sonst niemand im Film weiß. Man ist entweder innen oder außen.

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In The Wicker Man ist man außen. An dieser zunächst banal erscheinenden Frage, also ob man sich außerhalb oder innerhalb von Ritualen befindet, hängen ganze dramaturgische Strukturen, Auflösungsentscheidungen und auch weitere Fragen wie jene nach der Ernsthaftigkeit und des Zynismus des Genres, der Relevanz von logischem Verständnis und den Spannungsfeldern von Allegorien und Spiritualismus. Beide Filme beginnen mit der Ankunft eines einsamen Flugzeugs in eine fremde Welt. In The Wicker Man landet der katholische und sehr ernste Polizist Sergeant Howie auf einer verlassenen schottischen Insel, auf der ein Mädchen als vermisst gemeldet wurde. Bereits bei seiner ersten Interaktion mit den Fremden auf der Insel ist er isoliert. Sie schicken ihm erst nach mehrfachem Drängen ein kleines Boot, um ihm vom Flugzeug ans Ufer zu transportieren. In der ersten Hälfte des Films erschließt Regisseur Robin Hardy zusammen mit dem Polizisten die Merkwürdigkeiten der Insel. Dabei geht es zum einen um die latente Bedrohung eines bizarren Krimis im Schatten eines heidnischen Glaubens und zum anderen um eine humoristische Erschließung der Inselbewohner samt ihrer zum Teil ekligen, zum Teil bedrohlichen, zum Teil sexistischen Rituale. Die Besonderheit am Film ist, dass die Figur, die unseren Blickwinkel teilt, also Sergeant Howie keineswegs sympathisch ist. Er ist ein Fremder unter Fremden und so wird unsere Perspektive nochmal nach außen verlegt. Dennoch ist seine Isolation äußerst typisch für ein Genre, das immer wieder alles versucht, um seine Figuren voneinander zu trennen und so die maximale Spannung erzielen möchte. The Devil Rides Out hängt immer wieder an den Fragen von Zusammenbleiben oder sich Isolieren. Durchgehend wird es bedrohlich, wenn Figuren sich auf eigene Faust durchschlagen wollen, wenn sie nicht an die Gefahr glauben. Sinnbildlich dafür steht der Kreis den Richleau mit Kerzen und auf den Boden gemalten Schriftzeichen bildet, um das Eindringen des Teufels zu verhindern. Der Teufel versucht mit Hilfe der Imagination auf die Figuren einzuwirken und sie aus der Gruppe zu lösen. Wer glaubt, verschwindet im Horror und genau das schafft der Film hier selbst, denn er arbeitet so intensiv und lange auf die Imagination des Zusehers ein bis dieser selbst nicht mehr weiß, was er glauben darf und soll. Die Selbstverständlichkeit des Horrors und des Zweifels daran sind eine wahnsinnige Stärke des Films. Trotz humoristischer Momente und auch einer irrsinnigen Szene mit einer riesigen Spinne, nimmt der Film seine Ängste ernst. Hier liegt vielleicht einer meiner Probleme, die ich sonst häufig mit dem Genre habe: Fisher nimmt sein Genre völlig ernst und vor allem nimmt er die Ängste seiner Figuren ernst. Da gibt es keinen augenzwinkernden Zynismus sondern nur Emotion. Bei Filmemachern wie Dario Argento oder Brian De Palma hatte ich immer das Gefühl, dass sie über ihren Filmen schweben, dass sie uns eine identifikatorische Lust am Horror vermitteln wollen. Bei Fisher gibt es diese Lust auch, sie ist aber Teil einer Notwendigkeit seiner diegetischen Welt, sie wird nicht von außen auf die Filme geworfen sondern existiert auch jenseits des Films. Fisher ermöglicht auch Skeptikern den Zugang zum Genre, weil er den Zweifel mit verarbeitet, den Zweifel an Horror, den Zweifel am Übersinnlichen, aber auch den Zweifel an Film.

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Mich erinnerte The Devil Rides Out in seiner grün-schummrigen Farbgestaltung, in seiner hypnotischen Sogkraft und in seinen virtuosen Perspektivwechseln, die fast immer eine neue Form der Spannung erzeugen an Alfred Hitchcocks Vertigo. Nicht zuletzt wird in beiden Filmen die Zeit selbst angezweifelt. Beide umarmen in einer kinematographischen Eleganz und Souveränität die Schönheit von Angst. So verschwindet die junge, vom Teufel besessene Frau im zarten Spurt in einen dichten Wald, ganz so als würde sie gleich unter der Golden Gate Bridge abtauchen. Bei Fisher steht kaum etwas über den Rändern, er zeigt immer das Entscheidende und nicht das Offensichtliche, seine Szenen beginnen da wo es interessant wird. So ist die Reaktion oft wichtiger als die Handlung selbst. Ein Beispiel ist ein Schnitt als Richleau seinen Verwandten von den Geschehnissen erzählt und wir in die Szene kommen als diese darauf reagieren. Das Mystische vermag Fisher in Rauchschwaden, unleserlichen Zeichen oder beschlagenen Fenstern beschwören, bei ihm ist der Wind eine Veränderung des Gesichts, der mit aller Kraft versucht zu Isolieren und in uns Einzudringen. Ein tatsächlich sinnlicher Horrorfilm, der sich im Gegensatz zu The Wicker Man und zahlreichen anderen Vertretern der Schau nicht um körperliche Nacktheit bemühen muss, um ein Gefühl von Erotik zu erreichen. Das Erotische liegt hier im Spirituellen und in den abhängigen Augen. Der Spiritualismus steht im krassen Gegensatz zur Strangeness und Komik des Rituals in The Wicker Man, den ich eher als ethnographisches Portrait eines bedrohlich-grotesken Kults bezeichnen würde, denn als Horrorfilm. Schon der Produzentenhinweis vor dem Film deutet auf eine solche Verunsicherung gegenüber der tatsächlichen Existenz der Bewohner von Summerisle und ihres Kults hin. Man würde sich bei den Bewohnern der Insel für den Einblick in ihre Rituale begleiten. Auch die Aufnahmen beim Prozess am Ende des Films haben einen dokumentarischen Wert, die Kamera wirkt direkt involviert, so als würde sie dem Geschehen nur folgen. Die Stilisierung des Fremden und Fantastischen weicht hier-und das ist neben der inhaltlichen Wendung das eigentlich erschreckende am Film-einer dokumentarischen Ästhetik.

The Wicker Man

Hardy übt sich in der völligen Isolation seiner Hauptfigur: Eine Insel, sprachliche Differenzen, Unverständnis und unterschiedliche Vorstellungen von Glauben und Gerechtigkeit. Gewissermaßen hätte der Film auch ein spannendes Double Screening mit Rosemary’s Baby von Roman Polanski abgegeben. Zwei Filme, die sich scheinbar über ihren Horror stellen, aber dann doch einen Zweifel mit all seinen brutalen Konsequenzen schüren. Der Unterschied liegt in der Psychologie der Protagonisten und auch der Zuseher. Denn an einer tief aus dem Inneren empfunden Angst hat der Kultfilm (in jeder Hinsicht) The Wicker Man gar kein Interesse. Vielmehr geht es ihm um eine schwarzhumorige Fremdheit, die sich im seltsamen Mix außerordentlicher Momente wie einer unkommentierten Orgie am Strand, einem nackten Balztanz mit Gesang der Tochter des Wirts aus dem Nachbarzimmer, eigenwilliger Musicaleinlagen oder einer abgetrennten Hand als Schlafmittel offenbaren. Das Abartige zeigt sich in allen drei Filmen des Abends. Es ist in The Wicker Man und Invocation of my Demon Brother, dass es in den Horror führt und in The Devil Rides Out in Form der Spinne und des reitenden Teufels, dass es ihn bezweifelt und spirituell erhöht. Ein Reiz von The Wicker Man, dessen hohe Bedeutung für das Genre ich kaum nachempfinden kann, liegt in der Spannung zwischen dem Lachen über und die Angst vor der Abartigkeit. Einzig scheint sich Hardy dieser Spannung nicht immer bewusst zu sein und so wirft er bis vor kurz vor Schluss mit pseudo-anarchistischen Verfremdungseffekten in seine Abartigkeit und macht sie damit nicht noch abartiger sondern bricht sie als filmisches Konstrukt. Er wird dafür gefeiert natürlich, aber er verspielt auch das Herz des Films. Christoph Huber erwähnte in seiner Einführung den Status des Films als Citizen Kane des Horrors. Diese Formulierung klingt besser als sie ist. Die Kontrolle über die Sprache von Welles, mit der charmanten Unbeholfenheit von Hardy zu vergleichen, ist eine Beleidigung.

The Invocation of my Demon Brother

Bleibt noch Invocation of my Demon Brother, oder? Da ist noch etwas. Denn dort wo Anger den Film selbst zum Ritual oder besser zum Teil des Rituals macht, indem seine Bilder sich fast wie ein Geschwür zu den Sounds von Mick Jagger durch den Projektor schlängeln, da fühle ich mich in meinem eigenen Ritual, meiner eigenen Isolation erwischt. Schließlich ist jeder Kinogang ein solches Ritual. Auch dort gibt es Menschen, die innen und außen sind. Im Rahmen einer Horrorschau fühle ich mich wie ein Außenstehender. Da kommen Menschen ins Filmmuseum, bei denen ich mir nicht ganz sicher sind, ob sie sich dem Anlass entsprechen verkleidet haben oder ob sie immer so herumlaufen, andere scheinen über jede Kleinigkeit in einem Horrorfilm zu lachen, wieder andere erzählen nach den Filmen begeistert von B-Movie Schauspielern, von denen ich mein Leben lang nicht gehört habe. Es gibt Applaus nach manchem Film, die Haltung zu den Filmen ist eine viel wärmere, sie ist enthusiastischer und das irritiert mich, da die Filme so oft von etwas Fremden und Kalten erzählen. Kurator Christoph Huber erwähnt in seiner Einleitung die besondere Verbindung von Fans und Film im Horrorgenre. Er tut dies im Bezug zu den Diskussionen unterschiedlicher Schnittfassungen und deren Bedeutung für die Wirkung eines Films. Solche Diskussionen sind für mich absolut nachvollziehbar, jedoch verschließt sich mir, weshalb diese-jenseits der natürlich häufiger vorkommenden Zensur bei Horrorfilmen-nicht auch jenseits des Genres zu einer besonderen Beziehung zwischen Fans und Film führen sollte. Fehlt mir ein Glaube, eben jenes augenzwinkernde Einverständnis, dass das was ich sehen werde anderen Gesetzen gehört? Wohl kaum, denn das Übersinnliche und Magische, das Fantastische äußert sich für mich eben durch eine Aufrichtigkeit und nicht durch ein zynisches „Wir wissen doch alle, dass das nicht echt ist“-Gehabe. Zap, you’re pregnant. That’s witchcraft… In diesem Sinn ist Kenneth Anger vielleicht ein wirklicher Film des Horrors gelungen, ein Film, der achte seiner Magick Lantern Cycles, der den Horror durch Bilder und Töne evoziert, der ein Ritual im Kinosaal und mit dem Zuseher vornimmt. Es ist als würde man dieses Ritual wirklich erleben und es spielt auch gar keine Rolle mehr, ob man außen oder innen ist. Wenn es im Kino darum geht, sich zu verändern, dann sind Rituale der Ausdruck des Kinos, wie eine Taufe. Nur eine Taufe bedeutet noch lange nicht, dass man glaubt.

Land of the Dead: The Horror of Film: Toby Dammit und Cuedecuc, Vampir

Kaum habe ich nach dem Screening von “Carrie” von Brian De Palma und “Suspiria” von Dario Argento im Rahmen der Land of the Dead-Schau im Österreichischen Filmmuseum meine Schwierigkeiten mit der filmischen Manipulation geäußert, schon sehe ich mit „Toby Dammit“ von Federico Fellini und „Cuadecuc, Vampir“ von Pere Portabella zwei Filme, die genau diese Manipulation thematisieren und in den wahren Horror der Filme drehen. In dieser äußerst spannenden Programmierung taten sich neue Aspekte des Genres auf, die sich mit der Konstruktion von Horror und dem (politischen) Horror, der dahinter lauert, beschäftigen und zudem auch Fragen an Rhythmus und Ton im Genre stellen. Schließlich verunsichern die beiden Filme ihre Zuseher mit ihren Blicken hinter die Kulissen und finden so den Horror der Konstruktion. Ganz beiläufig entdeckt man so noch ein fast vergessenes Fellini-Glanzstück.

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„Toby Dammit“, ist im Rahmen des Omnibusprojekts „Histoires Extraordinaires“ mit drei Edgar Allan Poe-Verfilmungen entstanden. Die anderen beiden Segmente, die uns nicht gezeigt wurden, stammen von Louis Malle und Roger Vadim. Auch Fellinis Episode „Toby Dammit“ ist eine solche Poe-Verfilmung, selbst wenn sich der italienische Meister nur in Ansätzen an der Vorlage „Never Bet the Devil Your Head“ bedient sondern eher ein freie Reflektion über den eigenen Motivkomplex (Traumwelten, existentialistisch-kriselnde Männer, in die Kamera blickende Frauen manchmal mit riesigen Hüten, extravagante Fahrten, High Society Blabla, Paparazzi, satirische Nonchalance, Rom bei Nacht, Nino Rota und einiges mehr) mit der makaberen Mystik von Poe kreuzt. Der britische Shakespeare-Filmstar Toby Dammit (Terrence Stamp) reist zu einer Preisverleihung nach Rom. Dort taumelt er durch die Hölle der gefälschten Oberflächen von Film und Fernsehen. Er bewegt sich wie ein Vampir, sieht auch so aus und hat Visionen von einem kleinen blonden Mädchen, das er in einem Interview als den Teufel bezeichnet. Der Film entwickelt sich zu einem Horrortrip. Mit einem rohrenden Ferrari jagt der nahe am Zusammenbruch stehende Mann nach einem Ausraster auf der Preisverleihung durch den nächtlichen Nebel und verliert sich völlig. Dann sieht er wieder das blonde Mädchen…Das alles funktioniert ganz außerordentlich gut. „Toby Dammit“ ist ein fast vergessener Schatz, ein großartiger Film, der sich wunderbar als Brücke zwischen der Hochphase von Fellini mit Filmen wie „La Dolce Vita“, „8 ½“ oder „Giulietta degli spiriti“ und der künstlerischen Umarmung des Artifiziellen in Filmen wie „Satyricon“ oder „Roma“ verstehen lässt. Hier ist ein Protagonist, der deutlich aktiver ist als die Marcello-Existentialisten bei Fellini. Seine Aktivität ist zwar von Surrealismus und Todestrieb bestimmt, aber sie macht am Ende des Films nicht genau dort weiter, wo sie angefangen hat, es gibt nicht das selbstbemitleidende Schulterzucken von Mastroianni, sonder die Flucht in die totale Fatalität. Folgerichtig schraubt Fellini sein sowieso schon hohes Tempo in Kamerabewegung und Schnitt nochmal nach oben. „Toby Dammit“ markiert auch die erste Kollaboration von Fellini mit Kameramann Giuseppe Rotunno, der menschlichen und gesellschaftlichen Verfall wie kaum ein zweiter in Schönheit portraitieren kann. (Man denke an seine Bilder in „Il Gattopardo“ von Luchino Visconti unter anderem). Hier wird Rom von der ersten Sekunde als Hölle gezeichnet. Ein orangener Dunst hängt über dem Flughafen, unheimliche Gestalten überall, manchmal sind es aufgemalte Figuren, manchmal echte Menschen, manchmal Attrappen, ich bin mir nie sicher, die Kamera passiert sie in einem schwindelerregenden Schönheitsrausch, der überwältigend unheimlich wirkt. In einer riesigen Summierung von POV-Schüssen aus dem rasenden Ferrari entsteht eine hypnotisch-hysterische Suche in der Dunkelheit über verlassene italienische Landstraßen, die einen völlig gefangen nimmt. Es entsteht ein Gefühl für Rhythmus, der einen in eine Horror-Trance versetzt. Wie wichtig Rhythmus und Trance für das Genre sind, zeigt sich dann vor allem in Verbindung zu „Cuadecuc, Vampir“ von Pere Portabella.

Cuadecuc Vampir2

Dieser ist zugleich ein eigenständiger Film des Horrors als eine Dokumentation des Drehs zu Jésus Francos „Count Dracula“ mit Christopher Lee. Dabei folgt der Film mit einer deformierten Tscherkassky-Romantik dem Dreh und der Geschichte um den Fürsten der Dunkelheit. In grenzwertig hohen Schwarz/Weiß Kontrasten entsteht ein Rauschen der Bilder und eines Noise-Trance Soundtracks (Elektro, Oper, Hämmer, eine Bohrmaschine???), der sich immer wieder in einer betulichen Melodie entblößt bis auch diese in ihre Einzelstücke zersetzt wird. Dabei wird bis zum Ende kein Wort gesprochen. Es ist ein Stimmungsbild eines Filmdrehs, das wie eine Erinnerung an Eindrücke von der Entstehung eines Films in uns überlebt. Hier vermischen sich Film und Nicht-Film zu einer fast ununterscheidbaren Poesie des Horrors. Es ist als würde Miguel Gomes einen Horrorfilm drehen.

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Die Bewegungen der Kamera und die Bewegungen vor der Kamera folgen dabei dramaturgischen Prinzipien des Horrors. Sie werden langsam schneller, es gibt einen Schockmoment, dann atmet man wieder durch. Einzig eine inhaltliche Verortung fehlt. Diese braucht man sich auch auf keinen Fall herstellen, denn „Cuadecuc, Vampir“ funktioniert nach einer inneren Logik über seinen Rhythmus. In beiden Filmen des Abends entsteht eine Trance, die man als Tanz mit dem Teufel bezeichnen kann. Im Gegensatz zu Argento verzichten Fellini und Portabella darauf ihre rhythmischen Horrorbewegungen mit platten Dialogen und albernen Momenten in das Reich des Trash zu überführen sondern bewegen sich entlang der Essenz des Genres. In einer Sequenz entsteht eine Erwartung an eine Katastrophe/einen Schock alleine durch den lauter werdenden Ton. Es ist natürlich kein Geheimnis, dass Ton eine der wichtigsten Rollen für das Horrorgenre spielt, aber es ist äußerst interessant, dieses Gefühl so nackt zu erleben.

Cuadecuc Vampir

Und der Film wird zum Horror. So sind es bei Fellini die grell leuchtenden Fotoapparate, die oberflächlichen Fratzen der Filmproduzenten, das gelangweilte Nichts aus den weiblichen Darstellern und der geheuchelte Applaus einer Branche am dekadenten Abgrund während es bei Portabella das Schuss-Gegenschuss Prinzip von erschrockenen Gesichtern und der langsamen Bewegung eines Dollys um eine Ecke sind oder Hände, die aus dem Off mit Kunstblut auf Gesichter spritzen. Merkt man bei Fellini eine Bitterkeit über die grausamen Absurditäten der falschen Menschen so sucht Portabella immer wieder die wahren Momente dieser konstruierten Figuren und schneidet sie unbemerkt zwischen seine Bilder des diegetischen Geschehens: Ein kurzer Ekel über die Flüssigkeit nach dem Take, ein plötzliches Lächeln in die Kamera. Dabei manipuliert „Cuadecuc, Vampir“ auf seine ganz eigene Weise, denn er spielt bis zum Anschlag mit den Möglichkeiten der Montage. Gesichter und Ausdrücke werden gegeneinander geschnitten und erzeugen eine Angst, die nur vor dem Film selbst entsteht. So wird für einige Sekunden die Vorrichtung gezeigt, auf der sich die Fledermausattrappe vor und aus dem Fenster bewegt. Dies lässt uns zwar die Konstruktion durchschauen, aber Portabella schneidet die Bilder so in seinen Film, dass der Horror einfach weitergeht. Die Maske des Horrors fällt und bleibt gerade deshalb und wer will kann dabei vor allem bei Portabella eine anti-faschistische Allegorie sehen. Denn wer in Dracula die Verkörperung von General Francsico Franco sieht, der wird einiges über den Horror einer faschistischen Regierung erfahren, wenn dieser sich seine unheimlichen Augen aus dem Gesicht nimmt und als ganz normaler Mensch vor uns sitzt. Am Ende liest Chirstopher Lee dann aus dem Roman den Tod seiner ikonischen Figur vor. Er muss zweimal beginnen. Als er endet, wird seine Figur doch wieder zu Dracula. Es ist ein Spiel, wir durchschauen es, aber dennoch verunsichert es uns und macht uns Angst. Nur weil die Maske des Horrors fällt, fällt noch lange nicht der Horror darunter. Das Ende von „Cuadecuc, Vampir“ bricht mit dem Horror und bestätigt ihn zugleich.

Toby Dammit2

Ein faszinierendes Double-Screening, das den Spiegel auf den Horror richtete und nicht das offenbarte, was man erwartet hat.

Land of the Dead: Over the Red Top: Carrie und Suspiria

Am zweiten Tag wartete das Österreichische Filmmuseum im Rahmen seiner “Land of the Dead” Retrospektive mit zwei Filmen, die ich zu meiner Schande bis dato noch nicht gesehen hatte: „Carrie“ von Brian De Palma und „Suspiria“ von Dario Argento. Die Programmierung dieser beiden Filme nebeneinander entwickelte eine sehr eigenwillige Dynamik, die voller Spuren des Genres war und mich dennoch heillos überforderte. Das liegt schlicht daran, dass beide Filme mit ihrer Over-the-Top Brachial-Stilisierung einem derart manipulativ ins Gesicht schreien, dass ich als Fremder des Horrorfilms irgendwann Wahrnehmungsprobleme bekam. Aber vielleicht zielen die Filme auch genau darauf. Ich werde wieder einige allgemeine Betrachtungen zum Horrorgenre und dessen Wirkung auf mich anstellen.

Weiches/Hartes Rot

Suspiria

Ein zartes und hartes rot (bei De Palma ist es manchmal mehr rosa als rot) beherrscht beide Filme. In „Carrie“ beginnt das schon bei der Haarfarbe der Protagonistin und vieler Protagonisten (Romain Gavras was watching…) und geht weiter in die schulischen Räume und finden ihren Höhepunkt natürlich im Schweineblut, das in der Prom-Night über die junge Frau, die im Inbegriff war, sich zu finden, geschüttet wird und eine übersinnliche Katastrophe auslöst. Dieses Blut findet sich bereits in der ersten Szene, in der De Palma den Zuschauer von Shampoo-Erotik in einen kurzen Moment des Schauderns wirft, bevor er sein soziales Mobbing-Thema im Film platziert. Carrie White, erzogen von einer manisch katholischen Mutter, hat ihre Menstruation bekommen und weiß nicht damit umzugehen. Sie ist ein Mobbingopfer, eine Außenseiterin. Aber niemand ahnt, dass sich mit ihrer Menstruation auch dunkle Kräfte in der werdenden Frau, die von einer tollen Sissy Spacek gespielt wird, entstehen. Es gibt keinen diegetischen Grund für die Dominanz von rot hier, es ist eine Frage der Stimmung und des Stils. De Palma taucht fast seinen gesamten Film in dieses weiche rot und unterstützt sich mit seiner Vorliebe für Split Diopter Lenses, die es ihm ermöglichen das Staubkorn im Bildvordergrund und den Komparsen in der hintersten Ecke scharf zu halten. (In seinem „Blow Out“ perfektionierte De Palma dieses Vorgehen). Dabei schwebt seine Kamera genauso weich wie die rote Farbe. Die virtuosen Fahrten durch die Räume, die wohl in der Prom-Night ihren definitiven Höhepunkt erlebt als die Kamera zunächst immer schneller um das tanzende Paar kreist (auch diese Einstellung sollte De Palma in „Blow Out“ perfektionieren) und dann den Spuren des Schweinebluts folgt, um den Suspense bis zum Anschlag zu spannen, sind der stilistische Höhepunkt des Films.

Carrie3

In beiden Filmen wird das Rot weggewischt. Carrie badet nach ihrem Blutbad in Wasser (zuvor eine wunderschöne Einstellung ihrer Füße neben dem blutdurchtränkten Handtuch) und Suzy, die Protagonistin in Dario Argentos „Suspiria“ versucht den merkwürdigen Wein, der ihr in der mysteriösen und gefährlichen Tanzschule jeden Abend gebracht wird, in das Waschbecken zu schütten. Allerdings klebt die Flüssigkeit mehr an den Rändern des Waschbeckens, als darin zu verschwinden. Bei Argento steht ein surrealer Bilderreigen, der sich immer wieder neu findet und dennoch einer inneren Logik zu gehorchen scheint, über dem Gesamtrot von De Palma. Natürlich schulden beide Filmemacher ihren Abflussfetisch Alfred Hitchcock, der das Ganze in „Psycho“ ja bekanntermaßen ohne die Farbe selbst gemacht hat. Dennoch ist dieses Bild bei ihm eindrücklicher rot und ich beginne ein wenig zu verstehen, warum Lav Diaz sich auch Farbfilme gerne in Schwarz/Weiß ansieht. Ansonsten gibt es bei Argento eine Menge Kunstblut, das sich in meiner Erinnerung wie laute Spritzer über den Film verteilt. Und es gibt einen Red Room, einen Übungsraum für die jungen Tänzerinnen, der während meiner Betrachtung die Prom Night heraufbeschwört. Die auffälligste Verwendung von Farbe in „Suspiria“ und vor allem von Rot findet sich jedoch in einer Art Horrormotivik, die Wände beleuchtet wie normal nur Filmmusik agiert. Der Horror scheint sowieso die ganze Zeit aus dem Film selbst zu entstehen und nicht aus seiner Geschichte. Es sind Lichter im Hintergrund, Lichter im Vordergrund, die verstörende Kultmusik der Goblins, eine plötzliche Supertotale, ein POV-artiges Heranfahren, die Dunkelheit…J. Hobermann hat zurecht bemerkt, dass der Film mehr Sinn für das Auge als für das Gehirn macht. Jedenfalls tauchen einzelne, farbige Spotlights an den Wänden auf im Moment des Horrors. So tanzen rote Schatten auf den angstgefrorenen Gesichtern. Irritierenderweise versetzen mich solche Szenen nicht in einen Zustand des Horrors sondern holen mich aus dem Horror heraus, denn ich sehe plötzlich einen jungen Italiener hinter der Kamera, der das Licht anschaltet. Einen viel stärkeren Horroreffekt erzielt beispielsweise Chantal Akerman mit einem ähnlichen Einsatz einer einzelnen Lichtquelle in „Jeanne Dielman, 23 Quai du Commerce, 1080 Bruxelles“. Ein nur vielleicht gewagter Vergleich. Die Künstlichkeit der unterschiedlichen expressionistischen Farbpalletten erzeugt ein Meta-Gefühl für das Genre. Licht und Dunkelheit und die unnatürliche Kraft von Farben sind voller Bedeutung für den Horror. Man kann „Suspiria“ wohl am besten als Farbflut bezeichnen. Ein spezieller Technicolor-Entwicklungsprozess ermöglichte Argento ein dreigeteiltes Farbmuster aus Grün, Rot und Blau. Eine mögliche Interpretation liegt in der psychedelischen Hexenkraft, die den Film ab der Ankunft in der Tanzschule heimsucht.

Suspiria3

In diesem Haus, dass immer wieder an das Schloss in Jean Cocteaus „La Belle et la Bête“ erinnert, spielen auch beim Film selbst die Farben verrückt. Doch dort wo Cocteau einen ausgeprägten Schönheitssinn aufweist, ist Argento ein Holzhammer, da seine nicht zu leugnende Sensualität nicht aus den Figuren und ihren Bewegungen kommt, sondern aus der schieren Überfüllung. Einen Schönheitscredit vermag man Argento noch für die Zulawski-artige Betonung der Farbe hinter den Pupillen geben (wobei Zulawski sich da womöglich von Argento hat inspirieren lassen…). Die Überfüllung entsteht natürlich auch durch die Doppelprogrammierung zweier Filme, die ganz bewusst over the top gehen, die hysterisch schreien und den Horror in seine expressivsten Art im Kino explodieren lassen. Ich habe den Eindruck, dass der Ton in „Suspiria“ ein wenig lauter als gewöhnlich ist im Filmmuseum. Das erscheint mir etwas unnötig, weil ich schon bei Filmen im Haus gesessen bin, bei denen jeder Ton zählte und erzählte, die fast zu leise gespielt wurden und nun dieser sowieso schon laute Film, bei dem es oft schlicht darum geht, dass es verstörend und laut ist, aber nicht um die Nuancen im Ton, so gespielt wird, dass ich alle fehlenden Nuancen höre. Natürlich gehört sich das trotzdem so, weil Argento eben laut gehört. Die euphorischen Argento-Jünger im Kino würden mir da Recht geben. Das bewusste Über-das-Ziel-hinaus-schießen bewirkt auch ein hohes komödiantisches Potenzial. Vor allem bei „Carrie“ sind viele Schmunzler und Lacher dabei, die sich aus dem Verhalten der Figuren im Verhältnis zur Kamera vollzieht. De Palma zeigt sich als wunderbarer Beobachter von stilisierten Teenage-Klischees. Dagegen entstehen Lacher bei Argento vor allem aus harten Schnitten nach Schockern. Insbesondere der Schnitt auf bayrische Schuhplattler hat es in sich. Außerdem entsteht ein Humor aus der Irrationalität des Verhaltens der Figuren (die Nonchalance mit der Suzy ihr Getränk trinkt, die Gespräche unter den Tänzerinnen) und der Absurdität mancher Brutalität wie die Attacke einer Fledermaus oder den merkwürdigen Blicken des rumänischen Bediensteten. Dasselbe gilt natürlich auch für den Einsatz von Farbe, der eben einem expressionistischen statt einem natürlichen Ideal folgt.

Suspiria2

Während rot bei De Palma eine weiche Farbe ist, erscheint sie bei Argento hart. Die Kamerabewegungen von Argento sind deutlich abrupter, er ist getriebener als der souveräne De Palma, der über der Welt und seinem Publikum schwebt. Das bedeutet nicht, dass Argento nicht weiß, was er tut, sondern lediglich, dass er mehr an den Horror glaubt und De Palma mehr an sich selbst und Alfred Hitchcock.Rot ist in beiden Filmen eine Farbe des Horrors. Allerdings ist die Farbe sowohl bei De Palma als auch bei Argento von außen auf die Filme geklatscht. Sie ist ein offensichtliches Stilmittel und kommt nicht aus der Seele der Figuren, aus dem Horror in ihnen selbst. Das liegt zum einen an der Exploitation-Nähe des Blutes selbst und zum anderen am manipulativen und selbstreferentiellen Stil der beiden Regisseure. Eigentlich funktionieren diese Filme mehr wie Pat O’Neill artige Spiele mit der Publikumserwartung als ein narratives Kino, das sich mit der äußeren Welt beschäftigt. Hier stoße ich an meine Grenzen, denn ich befinde mich nun mal im fotorealistischen Camp der Filmbetrachtung und des Filmschaffens. Mir ist bewusst, dass Film immer Fiktion ist, aber diese Fiktion setzt sich aus dokumentarischen Teilen zusammen. Um frei Gilberto Perez zu zitieren: Das Licht der Kamera ist Dokumentation, jenes des Projektors ist Fiktion. Bei De Palma und Argento spielt der dokumentarische Charakter keine Rolle, sie haben kein Interesse an einer Welt, die sie nicht beherrschen können. Einzig in seinen komödiantischen Szenen, vermag De Palma ein solches Gefühl zu evozieren. Die Tatsache, dass „Suspiria“ in Deutschland spielt, hat schlicht keine nennenswerte Bedeutung. Sie verrät das Desinteresse von Argento für die Welt. Ich spüre sie die ganze Zeit wie kleine Teufel hinter der Leinwand, die mich und meinen Blick lenken. Die Künstlichkeit ihrer Filme, die ich prinzipiell mag, entsteht nicht aus einer Weltsicht sondern aus einer auf das und vor allem im Fall von De Palma gegen das Publikum gerichteten Idee. Dasselbe gilt für den Einsatz von Rot. Wie bei abstrakten Avantgarde-Künstlern gibt es keine Welt sondern nur die Welt des Films bei ihnen. Ich verstehe Cristi Puiu, wenn er sagt, dass er seinen Studenten auch vermittelt, dass sie nicht nur Filme sehen sollen. „Suspiria“ und „Carrie“ sind derart filmische Filme, dass sie die filmischste Eigenschaft von Film ignorieren: Ein Dokument der Welt zu sein. Ich bin mir bewusst, dass das ein wenig gezwungen und prinzipienhaft ist und ich will damit nicht sagen, dass diese Filme schlecht sind oder kunstlos. Aber sie sind redundant und können mich nicht über ihre Existenz im Kinosaal hinaus bewegen. Sie langweilen mich mit ihren aufgesetzten Blicken und ihrem fehlenden Beobachtungssinn. Sie sind Genremasturbationen. Ich will Zeit haben für meinen Blick, ich will nicht gelenkt werden. Ich fühle mich sowohl in „Carrie“ wie in „Suspiria“ vergewaltigt, die Filmemacher haben mich nicht respektiert. Ich respektiere ihre Qualität, aber hinterfrage ihre Ethik. Gut, dass es sowas gibt, denn sonst würde ich vergessen wie sich der wahre Horror in Rot in Ingmar Bergmans „Viskningar och rop“ und Michelangelo Antonionis „Il deserto rosso“ anfühlt.

Carrie2

Nein, ich weiß: Nicht jeder Film darf, muss, soll, kann so sein wie man es sich selbst vorstellt, die Filmkultur ist viel zu reich, um sie mit Prinzipiendenken zu erfassen, um sie auch wirklich genießen zu können. Ich glaube, dass jeder der das Kino liebt auch diese Filme liebt. Sie sind so reich an Form, Farben, Bewegungen, Geräuschen und Emotionen. Zudem sind sie unheimlich inspirierend, angefangen vom unfassbaren Szenenbild in „Suspiria“, zu dem Ausharren von Zeit in „Carrie“ bis zu den Bildikonen, die beide Filme schaffen und weitertragen. Beide Filme werden von hochinteressanten musikalischen Kompositionen begleitet und man wird in eine Trance des gefangenen Blicks geleitet. Meine ethischen Betrachtungen sind selbst in sich gefangen und redundant. Sagen sie etwas über das Wesen des Horrors aus? Vielleicht steht am Ende dieser beiden Werke, dass Horror immer eine liebevolle Hingabe des Zusehers verlangt, ein Vertrauen und ein eskapistischer Rausch in uns.

Vielleicht war diese Frontalprogrammierung zweier derart schreiender Horrorfilme auch zu viel für mich? Vielleicht habe ich verlernt, unschuldig Filme zu sehen? Vielleicht ist das gut so? Vielleicht mag ich Kino nicht? Vielleicht sind diese Filme nicht unschuldig? Vielleicht ist das gut so? Vielleicht habe ich doch Recht? Vielleicht stimmt alles, vielleicht stimmt nichts.

Der Crossing Europe Selbstversuch: Dracula 3D von Dario Argento


Ich schaue den Film „Dracula 3D“ als Außenseiter. Als leidenschaftlicher Filmsnob mache ich normalerweise einen weiten Bogen, um jenen cinephilen B-Movie Trash, der die Herzen der Kinonerds bis zur Decke schlagen lässt und der den brachial gefüllten Saal schon beim Auftritt von Herrn Argento persönlich erbeben lassen. „Do you wanna say something about the aestethics or should the audience find out for themselves“, fragt der Moderator. Argento entgegnet italienisch grinsend: “The aestethics? It is my aestethics.” Lustiger Moment. Meine Beobachtungen zum Film sind nicht im Sinn einer klassischen Kritik zu verstehen, dafür fehlt mir einiges an Einblick und prinzipiellem Verständnis. Vielmehr versuche ich-von einem anderen Kinoplaneten kommend-die Faszination am Mitternachtskino nachzuvollziehen. Ich will verstehen, wenn mir Menschen begeistert erzählen, dass sie jetzt Hai-Horrorfilme schauen oder, dass sie Ameisenkillerfilme lieben oder eben Slasher-Trash-Bluspritzorgien, weiß der Teufel was. Also…
Es beginnt (nach einem sehenswerten Video aus Argento-Schnipseln und grellem Geschrei von Hélène Cattet und Bruno Forzani) die alte Geschichte vom Vampirfürsten in dreidimensionalen Bildern und Kinderfarben, ein Stück Irrsinn hier und da, wenn die italienischen Schauspieler auf Englisch mächtige Einzeiler von sich geben oder der (nicht bewegliche) deutsche Exportschlager Thomas Kretschmann mit rumänischem Akzent englisch spricht, um Dracula zu verkörpern. Highlight aber sicherlich Rutger Hauer als Van Helsing, der dem Zuseher nach jeder Szene ein Zeichen zu geben scheint, wie seltsam das alles doch ist. Sehr wahrscheinlich jedoch ist dieser Effekt nichts anderes als unfreiwillige Komik. Lachen tut jedenfalls kaum wer im Kino, ich trinke einen Schluck Wasser und kratze mich unter der riesigen, roten 3D-Brille.
Argento mischt zu/sehr/unheimlich große weibliche Brüste mit Blut, ein bisschen Romantik, Spezialeffekte und ein wenig Grusel und macht das in einem 3D, das aussieht wie frisch aus dem Kinderparadies. Sein Framing scheint oft wie aus einem „How to Film 3D“ Handbuch. Er stellt Büsche in den Vordergrund und platziert seine Figuren wie vor einem Greenscreen, sodass man immer das merkwürdige Gefühl hat, dass sie gar nicht in der diegetischen Welt sind, sondern irgendwo auf halbem Weg im Rechner steckengeblieben sind. Seine Blenden haben nichts in diesem Film verloren. Sie nehmen dem Film jedes Gefühl für seine Umgebung und durch die Technik evozierte Gefühl für Modernität. Außerdem geht jeder Rhythmus, jedes Einlassen auf diese Technik dabei verloren. Es scheint einen geheimen Kultcodex zu geben, den ich als Fremder in diesem Universum nicht ganz verstehe. Eine Grundannahme, die besagt, dass man solche Filme nicht gleich ansehen kann/darf/muss/soll wie andere, zumindest nicht dann, wenn man jede unschuldige Freude verspüren will, die Argento seinem Publikum zu geben scheint. Ich hinterfrage die Aussage, dass man sich jedem Film anders nähern muss. Ich hinterfrage, dass man die Qualität eines Films in den Grenzen seines Genres festlegen muss. So richtig zünden will der Film kaum, man kann nicht gerade von einem tobenden Publikum sprechen, ab und an ein Lacher, ab und an schrecken schreckhafte Menschen kurz hoch. 
 
Dracula verwandelt sich in bekannter Manier in so manches Tier. Eine animierte Eule (ich habe Angst, muss an Béla Tarrs circa zehnminütige Zufahrt auf eine Eule in „Sátántangó“  denken), ein animierter Wolf, ein merkwürdig animierter Schwarm von Fliegen (wundervoll) und in einem aufwühlenden Moment, eine riesige grüne, megaanimierte Gottesanbeterin, die ich zunächst für eine Heuschrecke halte, ehe man mich am Folgetag aufklärt. Ab und an muss ich lachen, aber ich zucke auch mit meinen Beinen leicht und voll Entzücken und Verachtung zugleich. Das passiert manchmal, nicht zu oft.
Dann gibt es auch die Musik, sie versprüht Klassik wie Argento Blut. Spannung, Romantik, die großen Themen und Gefühle. Manchmal langweile ich mich, nicht weil der Film einen Raum dafür geben würde, sondern weil er fast zu gewöhnlich scheint. Ich suche dann nach dem Hyper-Trash, den das Programmheft mir versprochen hatte, ich hatte irgendwie mehr Gottesanbeterinnen erwartet. Mir scheint es als wäre die Giallo-Kultfigur Argento inzwischen auf einem Boden gelandet, den seine Fans kaum wahrhaben wollen. Der Applaus nach dem Film ist deutlich müder als zuvor. Die Energie verliert sich in einer gezwungenen (im Gegensatz zu freudigen) sexuell und gewaltvoll überladenen Niedlichkeit, die weder schockiert noch wirklich verwundert, noch jene üppige Eleganz aufweist, für die das Schaffen des Regisseurs lange Zeit stand. „The aesthetics? Which aestethics?“ Ich habe es versucht, ich werde länger brauchen bis ich es wieder tue.