Notiz zu The Four Seasons von Alan Alda

The Four Seasons von Alan Alda ist ein Film aus einer vormaligen Zeit, in dem ambivalente Gefühlsregungen von Figuren (beispielsweise das gleichzeitige Aufleuchten einer Zuneigung und Panik, Zärtlichkeit und Angst oder Traurigkeit und Albernheit) nicht nacheinander, in voneinander getrennten Szenen, sondern zur gleichen Zeit greifbar werden. Es ist schwer zu sagen, wann dem fiktionalen Kino diese Fähigkeit zur Komplexität abhandenkam, aber man trifft sie heute nur mehr selten an, so viel ist sicher.

Dabei verrät schon der beiläufigste Blick ins Gesicht eines anderen Menschen, dass dort mehr vor sich geht, als nur diese eine, auf alles zulaufende Eindeutigkeit, mit der sich vielleicht angestrengte Plots, nicht aber das Leben erzählen lassen. Alda, dessen Regiedebüt der Film markierte, orientiert sich dabei irgendwo zwischen John Cassavetes, Éric Rohmer und Woody Allen, um beispielsweise im Gesicht von Nick, einem zu Beginn des Films unglücklich verheirateten Mann, zugleich ein verletztes, einsames Kind, einen albernen Gockel in der Midlife Crisis, einen schuldbewussten Existenzialisten, einen Egoisten, einen körperorientierten Männlichkeitsjunkie, einen treuherzigen Freund und eine verlorene Seele zu entdecken. Niemand würde auf die Idee kommen, dass man Nick (genausowenig wie die vier Frauen und zwei anderen Männer im Film) be- oder verurteilen könnte. Man kann mit oder gegen ihn empfinden, mit oder über ihn lachen, das ist alles, das ist schon viel.

Es mag sein, dass Vereinfachungen wichtig sind für die verdichteten Erzählweisen des Kinos, aber heute werden sie oft als faule, ideologisch gefärbte Ausreden benutzt, um dieses oder jenes theoretische Problem zu erläutern. Ein den Menschen zugewandtes Kino scheint nicht nötig zu sein, wenn es um Parolen geht, die Auswege aus der Unerklärlichkeit des Seins versprechen. Ich kann mir nur vorstellen wie erschrocken manche Apologeten der zeitgenössischen, politischen Propaganda dreinschauen, wenn sie mit den widersprüchlichen Gefühlen konfrontiert werden, die in einer Welt stecken, in der die süßest winselnden Tiere sadistische Neigungen offenbaren.

Ansonsten zelebriert der komödiantisch angehauchte, aber jederzeit tragische Film in vier Bewegungen, die bereits vom Titel festgelegt werden, die menschliche Mittelmäßigkeit, wobei er den mittelmäßigen zum wahren Menschen erhebt. Ein Film also von jener Sorte, wie er Menschen gefällt, die behaupten würden, das Leben verstanden zu haben, die schulterzuckend und von Enttäuschungen abgehärtet registrieren, dass sie dieses oder jenes nie erleben werden, dass das Leben eben so sei, dass man nicht nach zu viel Ausschau halten solle, weil man ohnehin nichts tun könne gegen den ungerechten, sich in Sackgassen verfahrenden Lauf des Daseins. Ein Film für Menschen, die nichts mehr erwarten vom Leben und darüber lachen können. Das macht ihn traurig in den Blicken jener, die noch leben und grandios in den Augen der Ernüchterten.

Beobachtet werden sechs bis sieben Freunde, eigentlich drei Paare, wobei sich eines auflöst, die durchs Leben schlittern, sich um Kopf und Kragen reden und dabei altern, machtlos sicherlich, aber doch ausgestattet mit dieser menschlichen Fähigkeit zur Selbsteinordnung, als wäre man immer zugleich mittendrin und am Rand der Dinge. Im Frühling treffen sie sich auf einer ländlichen Hütte, im Sommer auf einem Segelboot, im Herbst irgendwo in einem Hotel nahe der Universität ihrer Töchter, im Winter beim Skifahren.

Die vier Jahreszeiten, denen sich der Film unterwirft, von denen er sich zumindest rahmen lässt, dienen dabei nicht als bloße pastoral angehauchte Untermalung der mäandernden Dramaturgie (ein wenig gemahnt der Film an die großen Hanging-Out-Filme à la Le déjeuner sur l’herbe von Jean Renoir), nein, sie verkörpern geradezu natürlich diese Ordnung in der Unordnung, den ludus in der paidia wie Roger Caillois schreiben würde, also das, was wir beim Blick in unsere Kalender erwarten, mit dem, was uns tatsächlich widerfährt.

Aber es stimmt schon, der Frühling kehrt wieder, egal ob es nun der gleiche ist oder ein anderer. Nur diese variantenreiche Wiederkehr ist es, die ihn komplex macht, denn in ihr offenbaren sich die feinen Unterschiede zwischen den Jahren und es zeigt sich das, was man plötzlich zum ersten Mal erkennt, obwohl es jeden April erblüht. Dann liegt es an uns zu handeln, zumindest zu sehen oder uns zu winden, uns dem Strom der Zeit hinzugeben oder ihm zu widerstehen, wahrscheinlich beides zugleich. The Four Seasons fängt diese Sekunden zwischen der Flucht und dem Verharren, der Hingabe und der Aufgabe. Er zeigt die Wut, die nichts zählt und die sich in Kichern auflösende Panik. Das ist wahrscheinlich viel wert und doch hoffe ich, niemals in diesem Film zu leben, obwohl ich es wahrscheinlich längst tue.

Shared Experience

Cruel sometimes, but only out of tenderness.”[1]

André Bazin

“Just as in the theatre the lightning, the set, faithfulness to nature and other incidentals must play a subordinate role to the word, so in films the words, the technology and the technique and the logic of the visible must be secondary to the image, subordinate to the vision containing untold wonders within it, which, in cinema, can be the bearer of artistic truth.”[2]

Max Ophüls

Ist das vermessen, mein Gott, vergieb.

Aber ich will dir damit nur sagen:

Meine beste Kraft soll sein wie ein Trieb,

so ohne Zürnen und ohne Zagen;

so haben dich ja die Kinder lieb.

Rainer Maria Rilke (Alles noch nie Gesagte, excerpt)

 

In Jean Renoir’s The River the life of an English family peacefully rolls on along the Ganges, until war veteran Captain John arrives in their home. The life of Harriet, the young lady of the house, is turned upside down, and the presence of this charming young man has an impact on her friends Valerie and Melanie, too. The girls’ coming of age story is set in Indian gardens of tender romances and low-key quarrels, but the death of Bogey, Harriet’s brother, a young explorer casts a dark shadow on their worriless days.

Being a student of Elías Querejeta Zine Eskola in the Basque Country, I was glad to be in the extremely privileged position of watching The River in a cinema-screening despite all the restrictions last year. Surrounded by film students, remembering their impressions of other films we have recently watched, having in mind all the movie experiences I had during the Fassbinder and Rohmer programmes of the Basque Film Archive in Donostia, my head was full and I felt rather agitated, but still, the film immediately swept me away.

Many of my film-going-experiences from last year took place as part of university projections. Learning more and more about their taste and what other film students deem important, the presumption of their potential reception of the film started to impact my own anticipation before the screenings. The significance of watching cinema as a shared experience and getting to know the others’ perspective revealed – perhaps with even greater contrast than many other aspects I was already aware of – the immense difference between one film studies program and another. It made me think about the aching, nonsensical situation of many schools – my former, Hungarian university among them – which can’t or don’t even make the effort to organize screenings and subsequent events, to provide a possibility for students to acquire an understanding of one another.

On a big screen, the meandering choreography prevailed along the nuanced settings, the film came alive in its original duality – the plot was streaming to several different directions, nestling the audience in the beauty of everyday life while the details obliged us to keep an eye on every gesture and movement. This quality, the symbolic Technicolor and the unexpectedly changing tone of the film reminded me of another film I first saw for a university class as well. As I recall, the experience was quite confusing. The Trouble with Harry was presented as an atypical Hitchcock film, as a film of minor importance in his oeuvre, which can be best appreciated by searching for the narrative units which structure it. The impossibility to categorize and label a film within a genre or frequently used terms blocks everybody, including teachers, which inevitably results in treating films like a riddle, ignoring their richer aspects. Fortunately, the incapacity of a Hungarian university class didn’t deprive The Trouble with Harry of its complex set of virtues.

While at first glance the two films might seem very different (and maybe they are) the dominance of imagination and the simple principle that death enlists the creation of life tangle them on a deeper level. Imagination is the basic motor of the two films. In The River, India instead of representing itself serves as the visually rich scene of childhood imagination, and in The Trouble with Harry the story is building upon the fantasies and speculations of all the characters. All the nuances, like the carefully painted leaves[3] in The Trouble with Harry or the arranging of the characters in The River, and the decision of making a movie in Technicolor point to a differing intention from the documentary-like exploration of reality. That being said, the on-location photography and the non-professional cast of The River carry the film with palpable urgency, preserving an atmosphere of India – India, whose truth remain undiscovered for the English people, except, as Bazin writes, Bogey.

There is at least one character who incarnates the mystical temptation of the Orient, and this is Bogey. Remember his games with his little native friend, as a mysterious and taciturn as a bronze statue? He is the only witness to Bogey’s death, and he is the only one at the burial who does not grieve, because he alone understands the vanity of the tears and the ignorance which the Westerners’ love conceals: ignorance of the profound secret to which ‘The Unknown’ has initiated Bogey for eternity.”[4]

There is truth in The Trouble with Harry too, the tension that makes the black comedy charming and restlessly intense at once, is the constantly present idea of rebirth which comes from the tragic certainty of death. „From the opening credits, virtually every detail figures forth the renewal of the natural and human world.[5]

The universal thought of renewal and constant change in The River becomes unmistakably clear in the depiction of the Bengal, done with the directness of a documentary. It reminded me of a Hungarian poem, A Dunánál (József Attila), one I have first read in a dusty high school class but nonetheless I memorized with great enthusiasm and joy, as the romantic idea of seeing, understanding and uniting with past generations through the image of the river had a great impression on me, and as I remember, all the other youngsters of my class.

József Attila: By the Danube[6]

I.

I sat there on the quayside by the landing,

a melon rind was drifting on the flow.

I delved into my fate, just understanding:

the surface chatters, while it’s calm below.

As if my heart had been its very source,

troubled, wise was the Danube, mighty force.

 

Like muscles when you work and lift the axe,

or harvest, hammer, excavate a grave,

so did the water tighten, surge, relax

with every current, every breezy wave.

Like Mother dandled, told a tale, caressed,

laundered the dirt of all of Budapest.

 

A drizzle started, moistening the morning

but didn’t care much, so it stopped again.

And yet, like someone who under an awning

watches the rain-I gazed into the plain:

As twilight, that may infinitely last,

so grey was all that used to shine, the past.

 

The Danube flowed, and like a tiny child

plays on his fertile, dreamy mother’s knee,

so cradled and embraced and gently smiled

each playful wave, waving hullo to me.

They shuddered on the flood of past events

like tombstones, tumbling graveyard monuments.

 

II.

For hundred thousand years I have been gazing

and suddenly I see what’s there to see.

A flash, and time is fully-grown, embracing

what generations scan, and show to me.

 

I see what they’ve not seen, for they defended,

embraced, dug, murdered, their living to ply,

and they see now, in cold matter descended,

what I can’t see when I’m to testify.

 

We all relate, like blessed to the damn’d,

Mine is the past and theirs is the today

We write poems-my pencil in their hand,  

I sense them and remember what to say.

 

III.

Mother was Kun, Father was Szekely, partly,

and half, or maybe, pure Romanian.

From Mother’s lips the food was sweet and hearty,

from Father’s lips the truth was radiant.

They embrace again when I am stirring.

This fills my heart with deep melancholy-

we are all mortal. It’s me, re-occurring.

„Just wait, we’ll soon be gone! …“ – they talk to me.

 

They call, I know we are now one: this one-ness

has made me strong, for I remember well

that I am every parent in the boundless

succession to the primal lonely cell.

I am the First, who splits, proliferating

till I become my father and mother,

then father splits and mother, procreating

the multiplying me and none other!

 

I am the world – the ancient, endless story:

clan fighting clan for creed or crazy greed.

I march among the conquerors in glory,

I suffer with the conquered in defeat. Árpád and Zalán, Werbőczi and Dózsa –

Slavs, Mongols, Turks and other variants

in me, we shall redeem the long foreclosure

with gentle future-new Hungarians!

 

…I want to work. It’s hard for human nature

to make a true confession of the past.

The Danube, which is past, present and future

entwines its waves in tender friendly clasps.

Out of the blood our fathers shed in battles

flows peace, through our remembrance and regard,

creating order in our common matters,

this is our task, we know it will be hard.

 

There is only one particular detail in the contemplation of the present moment, the descending melon-rind, then the Danube is evoked by associations and emotions structured in different rhythmical unities displaying the waving and streaming rhythm of the river.

In Renoir’s film Harriet (Patricia Walters) is the poet writing about the river. Her role and the director’s relation to it is quite similar to the young female characters in the universe of Éric Rohmer, which I got close to again during the retrospective dedicated to him in the Basque Archive last year. As for instance in Rohmer’s Le genou de Claire or Pauline à la plage Laura (Béatrice Romand) and Pauline (Amanda Langlet) are presented as morally integrated personalities, in The River Harriet and Melanie (Radha Burnier) are undoubtedly the most mature ones. While the young girls’ uncontaminated morals and innocence prevail in the frustration of the adult world, they possess a lot of qualities that come from their position and age, which seems close to the directors’ own emotional positioning in their stories. Besides, in these films the conversations are depicted in a classical, theatrical way – the actors are positioned comfortably for the spectator, in the middle of the composition and in front of the camera. This technique results in wild openness as it allows us to see through the people’s pretentions.

Another crucial similarity was the current reception of the films that I experienced in the company of a film student audience. Unfortunately, the exclusive will to detect white-male misbehaviour would leave a mark on the post-screening discussions, which in case of Rohmer emerged in the form of unforgiving rigidity. In The River, Captain John’s character was excused because of the actor, Thomas E. Breen’s actual disability. While our personal background naturally defines our elemental stance in the process of reception, to enable a true appreciation of a film’s inner rules and world, we must let go of prejudices and look for experiences beyond what we know, experiences that don’t only mirror a version of ourselves on the screen. All the central characters have to say goodbye to their innocence, including Captain John, who is stripped of his childhood by the war. For Valerie (Adrienne Corri), the kiss with the Captain means the fracture in her world while, for Melanie, it means understanding her position between different cultures means the change. Harriet’s drama gets to be emphasized, as losing Bogey is a trauma for all of the family. As viewers we follow Harriet’s personal path from the idyll of the gardens and her facing the cruelty of everyday life.

The other criticized facet of The River was the depiction of India, even if the film is clear about its own take on the country. What geography adds is more a „religious spirituality”,[7] not a sociological aspect. While Renoir’s amusement and attraction to India is obvious, he remains more interested in morals and in the world of youth. It becomes especially clear when Harriet tells the story of Krishna, her story, which feeds upon the mysterious traditions and land of India, but is entirely liberated from any coercion of telling the truth.

The figure of the young poetess, the overwhelming emotions of youth, the actual colliding into the universal makes me think of the Aurélia Steiner (Melbourne), a figure of a woman narrating the images in Marguerite Duras’ voice. Aurélia Steiner is an 18-year-old Jewish girl, writing letters to someone, who, in the Melbourne letter, seems to be her lover, but later, in the Vancouver letter the addressee reveals the recipient to have been her father, murdered in Auschwitz. In Aurélia Steiner (Melbourne), the reading of the letter is accompanied by the pictures of a river. While at first glance we might think that the drifting tracking shot of the river result in discrepancy, the conflict between the agitated state of mind of the writer in sound and the fluent image, the river gives a shape to the rhythm of the poem and the sweeping sound of Marguerite Duras’ recitation. The river is not an evident symbol of Aurélia’s solitude and her feeling of undefined absence, it rather makes us sense the desire to get to know the invisible. The letter invokes the tragedies of history on a macrocosmic scale – at the same time an intimate dimension is given voice, a devotion to an addressee unknown to the writer and the audience alike. The real conflict lies between the temporal and the permanent, the concrete words and the constantly changing river, the body and the soul. We feel the need of a young girl to identify herself, somehow lost in the middle of the contradictions of all, becoming one with the river, with the world, searching for someone to answer her loneliness.

This film I watched alone, on the screen of my laptop. Aurélia Steiner stayed with me for a while, Marguerite Duras’ voice gave the rhythm of my next few days. I remembered it as a personal experience, I haven’t talked about it with anyone, maybe with the intention of keeping the experience to myself, or because I just didn’t have any articulable thoughts about it. Months passed by, when on a chilly day I had bumped into a friend on the street, and in a short conversation somehow the title came up. We barely touched upon the film, just mentioned that it is a beautiful piece which we both really liked.

I was so glad this encounter recalled this facet of films, poems and art in general, I tend to forget. Artworks give a ground for our discussions, these experiences self-evidently link us with people around us, and even from the past and from the future. Although Aurélia’s questions come from her uncertainty, by watching the film, we reassuringly answer them.

Aurélia Steiner (Melbourne)[8]

I’m writing maybe a thousand letters
you, to give to you
letters of my present life.
And you, you’ll do with them
what I’d like…
you to do with them
which is, whatever you want.
That’s what I desire.
That this be delivered to you.
Where are you?
How to reach you?
How can we come close
in this love,
cancel this apparent fragmentation
of time
which separates us,
one from the other?
Listen.
I’ll never separate you from your body.
Never.
It’s three in the afternoon
The sun is out behind the trees
the air is cool.
(…)
My name is Aurelia Steiner.
I live in Melbourne
where my parents are teachers.
I’m 18 years old.
I write.

 

 

[1] Bazin, André: A Pure Masterpiece: The River. In: François Truffaut (ed.): Jean Renoir. (trans. W. W. Halsey II, William H. Simon) London & New York: Howard & Wyndham Ltd. 1974, p. 108.

[2] Ophüls, Max: The Pleasure of Seeing: Thoughts on the Subject Matter of Film. In: Willemen, Paul (ed.): Ophuls. London: British Film Institute, 1978. pp. 33-34.

[3]Hitchcock had leaves painted different colours and pinned to artificial trees in the studio to create his own version of autumn in Vermont.” Haeffner, Nicholas: Alfred Hitchcock. Harlow: Pearson Education Limited, 2005. p. 37.

[4] Bazin, André: A Pure Masterpiece: The River. In: François Truffaut (ed.): Jean Renoir. (trans. W. W. Halsey II, William H. Simon) London & New York: Howard & Wyndham Ltd. 1974, p. 114.

[5] Brill, Lesley: The Hitchcock Romance. Love and Irony in Hitchcock’s Films. Princeton, New Jersey: Princeton University Press, 1988. p. 283.

[6] József Attila: By the Danube (trans. Peter Zollman), Reprinted by permission of Corvina Kiadó, 1997

[7] Bazin, André: Jean Renoir. (ed. François Truffaut, trans. W. W. Halsey II, William H. Simon) London & New York: Howard & Wyndham Ltd. 1974, p. 113.

[8] Marguerite Duras, 1979. (unknown translator)

Il Cinema Ritrovato 2018: Ein zu kurzes Gespräch über Cécile Decugis

Renault-Seguin la fin von Cécile Decugis

Andrey Arnold: Eine spannende Programmschiene des diesjährigen Festivals droht hier fast unterzugehen zwischen alle den großen (Wieder-)Entdeckungen, Retrospektiven und Meisterwerken: Jene zu den Filmen von Cécile Decugis. Carolin, du hast den ersten Teil der Werkschau entdeckt und Sebastian und mich darauf aufmerksam gemacht. Nun haben wir alle gemeinsam den zweiten gesehen. Könntest du kurz erzählen, wer Cécile Decugis ist und warum dich ihre Filme angesprochen haben?

Carolin Weidner: Ich kann nur ahnen, wer Cécile Decugis war, die, wie Sebastian eben herausgefunden hat, vergangenen Sommer verstorben ist. Die zwei Programme, insgesamt acht Filme, umfassen – zumindest habe ich das so verstanden – Decugis‘ komplettes filmisches Werk als Regisseurin. Man kennt sie für diese Filme nicht. Man kennt aber die Filme, die sie geschnitten hat. Viele für Éric Rohmer, aber auch für andere Protagonisten der Nouvelle Vague. Rohmer spürt man auch in ihren Kurzfilmen, vor allem denen aus den 80ern. Ich liebe diesen Ton ja. Könnte ich mir stundenlang ansehen. Andrey und Sebastian, ihr habt nun nur einen dieser „Repräsentanten“ geschaut:  Edwige et l’amour. Habt ihr eine Idee, was mir so sehr an dieser Art Film gefallen könnte? Ich weiß es nämlich selbst nicht recht…

Sebastian Bobik: Von den Filmen, die wir im heutigen Programm gesehen haben, hat mir dieser am meisten gefallen. Er ist definitiv und erkennbar von Rohmer beeinflusst. Was ist daran so schön? Gute Frage… Ich kann nur sagen, was mich daran so erfreut hat. Einerseits war das natürlich die schnelle und sehr einfühlsame Art, Figuren zu zeichnen. Wir bekommen doch recht schnell eine Ahnung, wer diese Menschen im Film sind, obwohl wir ihnen nur bei einem Gespräch während des Abendessens zuhören. Ganz kurz gesagt fängt dieser Film mit einer Frau an, die einen Mann zum Abendessen in einem Restaurant trifft. Sie erzählt etwas von ihrem Leben, während er sie immer wieder mit Balzac-Zitaten bombardiert (ein Versuch sie zu beeindrucken). Auf jeden Fall gibt es diesen wunderbaren Moment, wo der Film das Gespräch verlässt und sich plötzlich kleinen Gesprächsfetzen an anderen Tischen widmet, oder einige Kellner bei ihrer Tätigkeit verfolgt, bevor er sich wieder der Protagonistin widmet und weitermacht. Diese leichtfüßige Freiheit – einfach mal andere Menschen beim Existieren einzufangen – hat etwas unglaublich Schönes und war definitiv ein Aspekt, der mich total begeistert hat.

AA: Ich habe noch zu wenige Filme von Rohmer gesehen, um den Vergleich kommentieren zu können. Und das ist vielleicht auch gut so, weil ich die Freude, die mir dieser kurze, unscheinbare, aber enorm reichhaltige Film bereitet hat, so nicht unter irgendwelche Scheffel stellen muss. Etwas, was Cécile Decugis selbst recht oft getan hat, wenn man dem Katalogtext und der Einführung unseres Screenings von Jackie Raynal und Bernard Eisenschitz glauben darf. Was ich an Edwige et l’amour mochte, ist die Mischung aus Leichtigkeit und Genauigkeit, Härte und Zärtlichkeit, mit der sie in sehr kurzer Zeit sehr viel erzählt, ohne viel Aufhebens darum zu machen. Ein Telefonat. Ein Besuch in einem Restaurant. Ein Gespräch der Hauptfigur mit ihrem Freund. Das war’s – und trotzdem erfahre ich sehr viel daraus. Beispielsweise, das hat Sebastian schon angesprochen, wie Bildung als Imponierinstrument genutzt wird. Wobei sich das nicht nur in den Balzac-Referenzen von Edwiges Date erschöpft, sondern ausgeweitet wird auf andere Gäste des Lokals – etwa einen Mann, der eine Frau, die an einem anderen Tisch sitzt, mit einem Renoir-Gemälde vergleicht. Der Film führt ihn dadurch aber nicht bloß vor, weil wir die Frau auch zu sehen bekommen – und er irgendwie auch Recht hat. Und die Frauen scheinen dieses Imponiergehabe zu durchschauen, freuen sich aber auch irgendwie dran, was der Film nicht verurteilt. Nebenher ist auch noch Zeit, sich zu erfreuen an der irgendwie ulkigen, eifrig-eilfertigen Art, mit der die Kellner des Restaurants die Treppe auf- und ablaufen oder zeremoniös den Wein einschenken (erst dem Mann zum Vorkosten, versteht sich!), der in einem kleinen, preziösen Körbchen liegt. Das und noch mehr packt der Film, der sehr präzise geschnitten ist, mühe- und zwanglos in ein paar Minuten. Konnten wir dir als Männer jetzt zureichend erklären, warum dir der Film gefallen hat, Carolin?

CW: Den Beobachtungen kann ich mich zumindest anschließen und sie haben mich ebenso erfreut. Ich bedanke mich für eure Mühen!

SB: Ich glaube, wir könnten noch längere Zeit darüber reden, was für wunderbar subtile Kleinigkeiten in den Film verpackt sind und wie er (denke ich) die Perspektive einer Frau erfrischend treffend einfängt, eben, weil er von einer gemacht wurde. Trotzdem fände ich, wir würden den anderen Filmen im Programm unrecht tun, wenn wir sie hier ausklammern. Die restlichen Filme im zweiten Programm waren nicht fiktional, sondern bewegten sich zwischen Zeitdokument, Essayfilm und Dokumentarfilm. Ich würde recht gerne über Paris hiver 1986-1987 und La Grève de la battellerie, Paris, été 1985 reden. Beides sind Filme unter zehn Minuten, in denen Decugis ganz bestimmte Momente in Paris einfängt. Einerseits einen Winter, andererseits einen Streik. Es sind zwei recht unscheinbare Filme, im Programm wurden sie von weitaus längeren eingeklammert. Dennoch war ich überrascht, wie kurzweilig sie waren – und ich meine das auf eine gute Art und Weise. Schließlich könnte man doch meinen, dass Winteraufnahmen aus Paris, die nicht wirklich etwas erzählen und acht Minuten lang laufen, etwas langweilig sein könnten. Ich denke, in diesen Filmen beweist Decugis auch, wie wahnsinnig gut sie mit Montage umgehen kann. Es war auch faszinierend zu sehen, wie sie zum Beispiel Ton und Musik einsetzt. Beides sind Elemente, die sie in diesen Filmen sehr gezielt einsetzt. Im Film über den Pariser Winter setzt etwa erst nach einigen Minuten Musik ein. Sie dauert nicht sehr lange, untermalt aber einige Momente und macht sie dadurch besonders. Ebenso fängt sie in den letzten Szenen plötzlich einen kleinen Dialog ein. Ich fand solche Kleinigkeiten faszinierend…

AA: Konntest du mit dem zweiten Teil unseres Programms etwas anfangen, Carolin? Du wurdest ja quasi angefixt von Decugis‘ Alltags- und Beziehungsminiaturen, und mit denen hatten die Essayfilme nur sehr wenig zu tun. Oder doch?

CW: Erstmal noch zur Winterminiatur: Ich kann gar nicht fassen, dass der Film acht Minuten lang ist, er kam mir viel kürzer vor! Da bin ich durchgeflogen wie eine Schneeflocke. Details, die mir gefielen: wie die Statuen auf die verhüllten Pariser blicken. Was für schöne Frisuren einige tragen. Und welch massive Pelze! In dem Film habe ich gemerkt, wie viel Reichtum doch in dieser Stadt stecken muss. Ein guter Kontrast zum „Streikfilm“, der mir entwischt ist. Und in Sachen Länge: da erstaunt es mich genauso, dass die beiden letzten – zwei ziemliche Brocken, wenn ich da so sagen darf – jeweils nur zwanzig Minuten länger waren als der Schneefilm. Vielleicht war ich von den Abendessen im Restaurant davor aber auch noch gut gekräftigt. Die monatelange Abrissarbeit (Renault-Seguin la fin) und der sterbende Vater zum Schluss (René ou le roman de mon père), puh. Toll, doch. Aber jetzt muss ich doch wieder zurück an die Orte der Speise. Kommt ihr mit?

SB: Liebend gerne!

AA: Ich war gerade kurz davor, zuzustimmen, aber jetzt will ich doch noch ein paar Worte zum Abrissarbeitsfilm anmerken. Der war schon auch für mich anstrengend nach der relativen Leichtigkeit des ersten Films, aber schön fand ich ihn trotzdem. Was mir an ihm eingegangen ist: Dass Decugis hier die Demontage einer Renault-Fabrik dokumentiert, in deren Mauern sehr viel Arbeits- und Streik-Geschichte steckt, die mit ihr verschwinden wird, und diese Geschichte ist nur auf dem großteils sehr prosaischen Informationsfließband der Tonspur zu greifen, während das Bild in seiner Abstraktheit immer trauriger wird, je länger der Film geht: Die Abrisskräne und Bagger wirken, aus der Distanz betrachtet – und der Film blickt nur aus der Distanz, wie ein zufälliger Beobachter oder Anrainer (die Fabrik steht auf einer Insel, die nie betreten wird) – zunehmend wie mechanische Hirschkäfer oder Metallosaurier, die termitenartig ein organisches Gebäude aushöhlen und niederfressen. Es ist ein ganz spezifisches, eindringliches Bild, das hier in kurzer Zeit entsteht, die mir aber zugegebenermaßen auch etwas lang vorkam. Unabhängig davon tut es mir doch sehr leid, dass ich das erste Programm versäumt habe.

CW: Als die Metallosaurier ins Spiel kamen, konnte sich die Energie kurz auf mich übertragen. Wie sich diese fiesen, kleinen und gierigen Köpfe in diese nunmehr Schrottskelette verbeißen, da steh ich drauf. Könnte ich mir genauso als Loop anschauen. Mir fällt auf, dass ich immer wieder auf diese Kategorie stoße: ob ich mir etwas lange ansehen könnte. Weiß ich auch nicht, was ich davon halten soll. Im ersten Programm gab es derartige Situationen aber auch: in Italie aller retour beobachtet man zwei Menschen im Urlaub, wobei sich der Mann als ziemlich betrüblicher Klotz entpuppt. Das ist so eine schreckliche Situation zwischen den beiden, vielleicht erleichtert mich es, das auf der Leinwand zu sehen. Die misslichen, langweiligen, blöden Sachen, die dann letztlich doch alle gleichermaßen erfahren müssen. Zumindest hoffe ich das. Ein bisschen gemein von mir. Cécile Decugis jedenfalls ist eine interessante Person, ich finde es schade, dass sie doch so unbekannt scheint. Hier in Bologna waren auch kaum Leute im Kino, um sich ihre Sachen anzusehen. Ich habe auch von namhaften Anwesenden gehört, die das nicht ausgehalten haben, was ihnen da Wunderbares dargeboten wurde. So ist das. Ich verspreche jedenfalls, den zarten, aber auch spröden, politischen Ton von Decugis aus Bologna zu tragen, wohin, weiß ich aber noch nicht genau.

Von einigen Landschaften des Éric Rohmer

In Cinéma, de notre temps: Éric Rohmer. Preuves à l’appui gibt es eine hübsche Stelle, die vor allem hinreichend entblättert, wie Rohmer nur allzuoft verhandelt wird: Auf der Suche nach Compact Cassetten in seinem neuen Büro in Paris zupft Rohmer einige Keksdosen hervor und schmunzelt erfreut vor sich hin, dass diese Dosen besonders gut dazu geeignet seien, nach dem Verzehr der Kekse eben solche Cassetten zu bergen (meist 12 Stück pro Keksdose). Und während sein Interviewpartner Jean Douchet ganz ehrfürchtig dreinschaut und auf eine wortreiche Ausführung dieser interessanten These wartet, zupft Rohmer weiter gut gelaunt vor sich hin. Nix mit Keksdosen-These! Den freundlich-schlaksigen Rohmer im blauen Hemd gewandet möchte ich, die ihn nie persönlich kennengelernt hat, mir als nervös und nicht weniger humorvoll vorstellen. Die arg verkopften Texte, die in erster Linie zu seiner filmischen Arbeit existieren, sagen wohl wieder einmal mehr über die jeweiligen Autoren aus, als über die Filme und deren Regisseur Éric Rohmer (1920-2010) selbst.

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Ich selbst bin da nun mit Sicherheit keine Ausnahme; in den Filmen von Rohmer fielen mir immer besonders sein Humor auf und seine Freude an Landschaften, seine Freude an der Natur, die meist von recht verquasselten Protagonisten bewohnt wird. Einen Mitbegründer der Nouvelle Vague, vor allem einen Literaturwissenschaftler (der sich für die deutsche Sprache begeistert) so hat es sich wohl eingebürgert, hat man ausschließlich tiefgründig zu besprechen, von Humor ist da textlich selten eine Spur, auch wenn so mancher Schauspieler vor allem von Rohmers stillem Humor geschwärmt hat und immer noch schwärmt. In der oben genannten Dokumentation aus dem Jahr 1994 lässt Rohmer durchblicken, dass er sehr gerne im Zug fährt: blättert in Notizbüchern, liest hier und da still einen Absatz, grinst vor sich hin, um dann des öfteren den Satz »Ach, das hier interessiert Sie bestimmt nicht!« fallen zu lassen. Und Douchets Stirn wirft sich in wildeste Falten. Rohmer, der Reisende, vorbeisausend an blühenden Landschaften, wolkigen Horizonten, in Hefte kritzelnd.

Etwa an die Côte d’Azur in La Collectionneuse. Der Film betoniert Rohmers augenzwinkernden roten Faden, dass junge Frauen nur dazu auf der Welt sind, um Männer in ihrer Midlife-Crisis ordentlich zu verwirren. Die Herren sehen sich verführt, ja, geradezu missbraucht von der Begierde einer jungen Frau. Grandios entwirrt Rohmer und ertappt er bei solch recht dümmlichen Gedankengängen. Manchmal ist ein nacktes Knie einfach nur ein nacktes Knie, während sich die männliche Welt sofort provoziert fühlt. Auf nach Annecy in Le genou de Claire, wo Rohmer wieder einmal die Existenz eines weiblichen Knies und die männlichen Reaktionen darauf auf die Spitze treibt. Wieder sonnendurchflutet haben ältere Herren auch hier wortreich der berechnenden Weiblichkeit zu widerstehen, oder eben auch nicht.

Die Stadt Paris wird von Rohmer mit derselben Zärtlichkeit beleuchtet, die er seinen weiblichen Darstellern angedeihen lässt. Paris vu par… aus dem Jahr 1965 lässt Rohmer mit seiner Kamera den Place de L’Étoile umkreisen, eine zärtlich-wilde Mischung aus Dokumentation und kleiner erdachter Episode; rote Ampeln in einer Stadt wird man hiernach mit völlig anderen Augen betrachten. Oder ein anderes Frühwerk, nämlich La carrière de Suzanne. Zwei Studenten in Paris gehen ihren Leidenschaften nach, was das weibliche Geschlecht betrifft. Der eine recht aktiv, der andere eher beobachtend im Hintergrund und beide sind sich klar, dass Suzanne ein recht durchtriebenes Exemplar darstellt. Doch ist ausgerechnet sie es, die sich zum Schluss völlig ihrer Bedürfnisse bewusst ist und das gutbürgerliche große Los zieht! Auch bei La boulangère de Monceau ertönt und erstrahlt Paris, während ein junger Student eine wunderschöne Blondine ein zukünftiges Abenteuer verspricht, zwischendurch wird ein fülliges, nettes brünettes Mädchen noch in Betracht gezogen aber auch wieder verworfen, nachdem die Blondine wieder auf der Bildfläche erscheint. Und es wird ausgerechnet jene Dame sein, die doch »nur« in den ehelichen Hafen führt, während die Brünette mysteriös verschwindet. Paris, eine Falle? In Rohmers frühen Arbeiten begegnet man diesen Geschichten häufig. Ein wenig Aufregung ist recht nett, aber bald muss alles doch bitte wieder so ausschauen, wie es einem die Eltern vorgelebt haben. Dass die betreffenden Personen ihrem Schicksal wortreich entgegenschauen und zu analysieren verstehen, lässt einen oft genug schmunzeln während uns Rohmer mit seiner Kamera zügig an die Hand nimmt. Ton und Musik tun da ihr Übriges (wir erinnern uns an die Compact Cassetten zu Beginn).

Hinaus in die Bretagne an den Strand von Dinard in Conte d’été. Dort lässt Rohmer einen jungen Mann mitsamt seiner Gitarre in Verwirrung fallen und Schuld hat natürlich wieder eine Frau. Während Gaspard sich über seine Zukunft Gedanken macht und auf seine Freundin wartet, könnte es doch sein, dass eine andere Frau einmal eine wichtige Rolle in seinem Leben spielt. So geht es oft zu bei Rohmer, der es gerne vermeidet, Menschen bei der Ausübung ihrer Berufe zu zeigen: Die Liebe spielt eine völlig idealisierte Rolle, seine Protagonisten verzweifeln an dieser Idealisierung, scheinen aber ohne selbige, nicht durchs Leben gehen zu wollen. Derartige »Berufsverweigerung« zeigt sich übrigens besonders charmant in Les amours d’Astrée et de Céladon; da ist über hundert Minuten die Rede von verliebten Schäferinnen und Schäfern, und wann bekommt man denn ein paar Schafe zu sehen? In den ersten 12 Minuten laufen sie hier und da zweimal wollig durchs Bild. Und das muss uns dann ausreichen.

In Le rayon vert reisen wir in den Nord-Westen von Frankreich, nach Cherbourg. Die Hauptfigur Delphine bringt uns hier mit ihrer Schüchternheit und Passivität zum Wahnsinn, denn eifrig auf der Suche nach der wahren Liebe wäre es genau eben dies, was sie niemandem eingestehen würde. Alles soll ihr einfach widerfahren, alles soll magisch geschehen, denn wertvoll sind Erlebnisse ja nur, wenn sie von einer höheren Macht sozusagen angekündigt werden. Delphine bringt damit nicht nur ihre Freunde zum Verzweifeln, aber mit wilder Haarmähne und traurigem Blick widerfährt es ihr dann doch. Delphine will ja, oder will sie doch nicht? Die Räder des Zuges rattern weiter, etwa nach Biarritz, direkt an der Atlantikküste. Ah, das Meer!

Oder ins Rhonetal, der herrlichen Landschaft des Midi in Conte d’automne. Umgeben von Weinreben und wohlmeinenden Freunden lässt Rohmer eine Frau nach der Liebe eines Mannes schmachten. Aber woher soll man diesen auf die Schnelle nehmen? Die Natur als Ereignis des Wachsens, denn die Reben brauchen viel Sonne, um einmal zu Wein zu werden. So auch die Beziehungen zwischen den Menschen, soll denn einmal Liebe daraus entstehen. Angebliche Geheimrezepte, was den Wein und auch die Liebe angeht, lösen sich schnell in Luft auf und erweisen sich schließlich auch als völlig unnötig.

Im Norden Frankreichs, genauer in Montfaucon, zeigt uns Rohmer den Alltag einer Landwirtin. Der Gemüseanbau kann Monique Sendron nicht genug sein und so zeigt uns Rohmer in Fermière à Montfaucon einen Einblick in die dortige Kommunalpolitik. Und das, was gerade vor den Augen des Regisseurs geschieht, versucht er, objektiv einzufangen. Ländliche Romantik sucht man hier vergebens. Fast so etwas wie eine Dokumentation also während sein Spielfilm L’arbre, le maire et la médiatèque viele Jahre später diese Romantik hemmungslos verarbeitet. Da hüpft eine Schriftstellerin wortreich durch einen Garten, bestaunt die blühenden Bäume, jauchzt auf beim Betrachten von formschönem Gemüse und zartgrünen Kräutern. Ach, auf dem Lande ist ja alles in so hübsche Farben getaucht! Während ihr Liebhaber, der besagte Bürgermeister, darauf hinweist, dass an der Natur nun wirklich nichts Entzückendes ist. Die Dinge werden gepflanzt und müssen also wachsen. Basta. Und während die Dichterin noch darauf hinweist, dass der Mensch an sich in die Städte gehört, deckt eine Journalistin noch einen Skandal auf, bringt ein kleines Mädchen alle doch noch zur Vernunft und alle Beteiligten singen zum Schluss. Und die Wolken ziehen vorüber. Das Zitat Rohmers übrigens, mit dem dieser Text betitelt ist, findet sich in einem Brief von Rohmer aus dem Jahr 1972, den er damals an das Österreichische Filmmuseum schrieb, und zu einem bevorstehenden Besuch in Wien darum bat, ihn doch mit dem Zug anreisen zu lassen, denn … All‘ meine Filme waren im Zug erdichtet. Unterwegs mit Rohmer, immer noch.

Das Kino ist ein fatales Spiel

Schon länger regt sich in mir die Frage, ob die Anwesenheit einer Filmkamera eher zu einer Lockerung der Realität beiträgt oder dadurch eine größere Ernsthaftigkeit einsetzt. Vereinbart man in Anwesenheit der Kamera einen Spielcharakter oder ist man im Angesicht dieses Instruments, das Unsichtbares sichtbar macht, ist man noch deutlich mehr in der Bedeutung, dem Sinn und der Sinnlichkeit dieser Realität verhaftet. Ich denke, dass die Lösung immer beides zugleich sein muss. Das Spiel führt letztlich zum Sinn und der Sinn fordert ein Spiel.

Immer wieder arbeiten Filmemacher mit unterschiedlichen Methoden, den Schauspielprozess sichtbar zu machen. Nehmen wir als Beispiel Cristi Puius Trois exercices d’interprétation, der eigentlich gar nicht als Film für die Öffentlichkeit gedacht war. Tatsächlich handelt es sich hierbei um einen filmgewordenen Schauspielworkshop. Drei Gruppen von Schauspielern probieren sich in einer zeitgenössischen Interpretation von Vladimir Solovyovs Three Conversations. Dabei kommen einige Elemente zum Vorschein, die das Schauspiel im modernen Kino definieren. So geht es um das Prinzip der Wiederholung, also das Sichtbarwerden der Arbeit am Schauspiel. Diese Wiederholung gleicher Textpassagen durch unterschiedliche Schauspieler, diese Variation macht uns zugleich auf die Bedeutung und die Möglichkeiten des Schauspiels aufmerksam. Wie ein Satz gesagt wird, hat enorme Relevanz. Der Filmemacher, der wohl am meisten an dieser Arbeit am Spiel gearbeitet hat, ist Jacques Rivette. In Filmen wie L’amour fou oder La Bande des quatre sehen wir immer wieder den Prozess des Spiels, die schmerzende Wiederholung, die Leere nach und von ausgesprochenen Texten, die Schwierigkeit eines Ausdruck, die Zweifel und die Alltäglichkeit im Umgang mit dieser Arbeit, die ein Spiel ist. In neuen Kontexten eröffnen sich neue Perspektiven auf den jeweiligen Text. Rivette verbindet dabei immer private Situationen seiner Figuren mit ihren Rollen im Film. Noch eine Stufe weiter damit ging John Cassavettes in seinem Opening Night, da dort Figuren, Rollen und tatsächliche Schauspieler in einen merkwürdigen Dialog treten.

L'amour fou von Jacques Rivette

L’amour fou von Jacques Rivette

Durch dieses Spiel mit dem Spiel wird also zugleich auf eine Meta-Ebene des Schauspiels verwiesen und diese Meta-Ebene durch eine Intimität gebrochen. Denn was wir jederzeit sehen, ist die Menschwerdung von Rollen, etwas Individuelles, Körperliches und Sinnliches dringt durch die gleichen oder ähnlichen Textpassagen und verändert deren Ton. Die Kamera erzeugt diese Intimität und zerstört sie zugleich. Es überrascht nicht, dass wir am Ende des Films genau mit dieser Frage konfrontiert werden von Puiu. Ist eine völlige Konzentration, eine völlige Intimität vor einer Kamera überhaupt möglich? Oder „spielen“ wir immerzu etwas, weil die Kamera Konsequenzen hat? Die Angst vor dem Sichtbarmachen greift um sich und das liegt nicht daran, dass die Kamera Intimität zerstört, sondern daran dass sie Intimität erhöht. Man denkt an das frühe Kino oder direct cinema und die Interaktion von Passanten mit der Kamera, man denkt an dieses ewige Posieren. Daran liegt es vielleicht auch, dass mir Dokumentationen, in denen die Protagonisten zumindest ab und an in die Kamera blicken logischer vorkommen als solche, in denen man sich verkrampft darum bemüht, dass es keinen Kamerablick gibt. Wozu? Um die Fiktion zu wahren? Wenn man sich beispielsweise Raymond Depardons Faits divers ansieht, wird man immer wieder kurze Interaktionen mit der Kamera bemerken, die nichts von der Direktheit und Intimität nehmen, sondern ganz im Gegenteil, zu diesen beitragen.

La bande des quatre von Jacques Rivette

La bande des quatre von Jacques Rivette

Beim Spiel kommen bei den besseren Filmemachern immer die Menschen und Körper hinter den Spielern zum Vorschein. In unserer Zeit hat sich der Schauspielbegriff längst von seinen naturalistischen oder rhetorischen Funktionen gelöst. Vielmehr geht es uns beim Spiel um eine Erfahrung, in deren Dauer wir Zeuge einer Menschwerdung sein dürfen. Natürlich hängen daran immer noch naturalistische Ideale, aber diese zielen jetzt im eigentlichen Sinne darauf, dass der Schauspieler als Person verschwindet. Nicht die realistische Darstellung interessiert Filmemacher wie Cristi Puiu oder Claire Denis, sondern das Spiel selbst, diese schmale Linie zwischen der Fiktion und der Dokumentation des Prozesses, indem wir gleichzeitig die Illusion einer Identifikation spüren und uns doch ermahnt fühlen, weil wir lernen zu wissen, dass die Erscheinung eines Menschen und sein Spiel immer dazu dienen, etwas essentielles zu verbergen. Diese Essenz finden wir genau dann, wenn wir beides zugleich sehen. Das Ergebnis der Erscheinungsarbeit und die Arbeit an der Illusion. Ansonsten ist das Spiel auch die Flüchtigkeit und Bescheidenheit der Darstellung. Es geht beim Spiel für das Kino nicht um den großen Schauspielmoment, den Monolog, der tränenreiche Abschied, vielmehr geht es um den Körper, der alles erfährt und dadurch erfahrbar macht, es geht um die Sinnlichkeit. Wir haben Respekt vor dieser Sinnlichkeit und es ist keine Überraschung, dass nicht erst seit Robert Bresson immer wieder der Laiendarsteller gesucht wird, um sozusagen diese Sinnlichkeit in aller Naivität und Unschuld vor die Kamera zu werfen. Dieses Vorgehen wird heute deutlich schwieriger, weil auch die meisten Laien mit Mechanismen der fatalen Kamera vertraut sind und darin geübt, ihre Sinnlichkeit zu verstecken. Als Folge greift die Arbeit mit dem Spiel im Kino zu extremeren Mitteln, die sich in Filmemachern wie Albert Serra, der so lange dreht bis seine Laien völlig erschöpft sind und nicht mehr kontrollieren können, was sie tun oder Bruno Dumont, der Schauspielern keine Information über ihre Position oder den Kontext der Szene gibt und beständig auf eine Deformation von Verhaltensweisen setzt, äußert. Vor allem Serra ist dabei auf der Suche nach einer Unschuld, eine Unschuld, die alle jagen im Schauspiel, diesen Moment, in dem etwas zum ersten Mal passiert und man es sieht. In diesem Zusammenhang ist es keine Überraschung, dass Erich von Stroheim unbedingt einen echten Messerstich am Ende von Greed haben wollte. Er wollte den Schmerz in den Augen seines Darstellers sehen. Er hat ihn nicht bekommen.

Aurora von Cristi Puiu

Aurora von Cristi Puiu

Es ist aber auch klar, dass eine Freude am Spiel in diesen Unschuldschoreographien kaum zum Vorschein kommen kann (zumindest dachte ich das bis P’tit Quinquin). Was ich damit sagen will, äußert sich womöglich auch in der beständigen Verwendung professioneller Schauspieler im Neuen Rumänischen Kino, dass doch eigentlich von seiner Verortung hin zu einem Bazin-Realismus nach Laiendarstellern schreit. Doch wenn wir Cristi Puius eigene Performance in Aurora ausklammern, werden bei den großen Namen des zeitgenössischen rumänischen immerzu professionelle Darsteller benutzt. Woran könnte das liegen? Eine Überlegung wäre, dass die Filmemacher des italienischen Neorealismus an einer dokumentarischen Wahrheit interessiert waren, die heute schon lange überholt ist. Die Rumänen scheinen vielmehr Interesse am Wesen der Fiktion zu haben beziehungsweise am Verhältnis zwischen Fiktion und Realität. Ein Film wie Corneliu Porumboius When Evening falls on Bucharest or Metabolism behandelt auch folgerichtig das Leben hinter dieser Illusion, das Spiel hinter dem Spiel. Ist dann alles ein Spiel?

Wenn es nach Arnaud Desplechin geht, dann ist zumindest das Kino ein Spiel. Darum geht es, um das Spiel. In seinem La vie des morts zeigt sich, dass nicht die Offenbarung einer komplexen Charakterpsychologie entscheidend für Identifikation und Menschwerdung im Kino sind, sondern die versteckte Existenz dieser Psychologie in den Körpern der Darsteller. Wir müssen spüren, dass hinter den Fassaden ein Leben lauert. Wie Desplechin, Olivier Assayas oder die schon erwähnte Claire Denis kann man dieses Leben durch kurze, flüchtige Momente spürbar machen, eine Geste, ein Blick (und es ist klar, dass der Schauspieler selbst hier genauso verantwortlich ist wie die Montage oder die Kamera). Eine andere Möglichkeit liegt in der Sprache. Das Verhältnis von Schauspieler und Text wurde im deutschen Kino nie vielschichtiger behandelt als von Rainer Werner Fassbinder. Bei ihm verraten sprachliche Formulierungen das Sinnliche und Politische hinter dem Spiel, obwohl sie jederzeit als solches markiertes Spiel sind. Ein solches Vorgehen wird im deutschen Kino heute oft hinter angestrengten und noch häufiger scheiternden Realismusbemühungen liegen gelassen. Der Meister im Umgang mit dem Verhältnis zwischen Text und Schauspieler ist aber sowieso ein Franzose, Éric Rohmer. Bei ihm geht es beim fatalen Spiel im Kino um eine Energie, die aus einem Text oder einer Idee etwas Konkretes macht, etwas Gegenwärtiges, das trotz aller Gegenbehauptungen nicht nur dem Theater sondern auch dem Kino eigentümlich ist. Bei Rohmer geht es nicht nur darum, was gesagt wird, sondern immerzu auch darum wie es gesagt wird. Der moralische Diskurs seiner Filme wird erst durch die Stimmen manifest, man könnte ihn zwar schreiben und lesen, aber erst dadurch, dass die Moral bei Rohmer an Körper gebunden ist, wird sie relevant. Jeder Satz, jedes Zucken kann etwas über eine Figur oder Menschen aussagen.

La vie des morts von Arnaud Desplechin

La vie des morts von Arnaud Desplechin

Doch das Spiel – zumal im Kino – ist natürlich auch eine Sache der Verwandlung. Wie Jean-Luc Godard bemerkte, ist das Kino eine Kunst der Masken und Verwandlungen. Die Möglichkeit einer ständigen Transformation; wenn das Kino ein Spiel ist, dann spielt es auch mit seiner Kontinuität und seiner Wahrscheinlichkeit. Filme wie Holy Motors von Leos Carax, Phoenix von Christian Petzold oder Time von Kim Ki-duk arbeiten mit der Verwandlung und der ewig faszinierenden Frage nach dem Erkennen und der Identität. Oft wird dann die Dramaturgie zu einem Spiel, man sieht Figuren dabei zu wie sie sich unerkannt in einer Rolle bewegen, aber man kennt ihr Geheimnis und wird so Zeuge eines Spiels statt einer Sinnlichkeit bis plötzlich aus diesem Spiel eine Sinnlichkeit bricht. Es ist klar, dass dieses Spiel mit der Verwandlung auch ein Spiel mit der Form beherbergt. Es ist keine Überraschung, dass die meisten Filmemacher, die sich Gedanken über das Spiel im Kino machen, sich auch Gedanken über das Spiel des Kinos machen. Die Kombination zweier Bilder oder das Abpassen des exakten Moments eines Schnitts sind mir immer vorgekommen wie ein Spiel. Insbesondere im digitalen Zeitalter trifft das wohl mehr denn je zu. Erstaunlich aus heutiger Sicht wie man auf eine derartige Kunst Regeln legen konnte. Aber wie wir sehen ist das Regelhafte und das Wahrhaftige im Kino immer in einem spannenden Wechselverhältnis, ganz ähnlich wie die Unschuld und das Spiel.

Mit Masken wird das Spiel auch zu einer Flucht, die das eigentliche Leben verbirgt und gerade dadurch bewusst macht. Jean-Luc Nancy hat geschrieben, dass der Sinn der Erscheinung in der Realität liegt, die sie verbirgt. Ähnliches gilt für das Spiel im Kino, obwohl das Kino weniger Verantwortung hat als die Erscheinung an sich. Damit will ich sagen, dass es im Kino manchmal auch reicht, eine Freude am Spiel auszudrücken wie das nicht zuletzt in Holy Motors geschieht oder auch in American Hustle von David O. Russell. Doch selbst diese Flucht gelingt nicht ganz, weil der Zuseher immerzu in der Lage ist, das filmische Schauspiel mit dem täglichen Schauspiel zu vergleichen. So wird die Freude des Spiels im Kino bei Carax ganz schnell zu einer Kritik des Spiels im Leben. Ist das so? Das Spiel liegt aber auch im Unsichtbaren. Erich von Stroheim war ein Meister dieser Inszenierungen, die man nicht wirklich sieht, aber spürt. So hat er sich bekanntermaßen bis hin zu den korrekten Unterhosen (selbst wenn diese nie sichtbar waren) seiner Komparsen um das Unsichtbare des Spiels bemüht. All das Wissen, all die Arbeit, die man im Ergebnis nicht mehr sieht, aber spürt. Sie hängt mit Körperhaltung, spontanen Gesten oder auch nur der Dauer zwischen Frage und Antwort zusammen. Oder würde jemand daran zweifeln, dass man mit seidenen Unterhosen, auf die das kaiserliche Emblem Österreichs gestickt ist, anders durch Reih und Glied geht, als mit seiner normalen Baumwollunterwäsche?

Holy Motors von Leos Carax

Holy Motors von Leos Carax

Wir bemerken also, dass es einen Unterschied gibt zwischen Filmen, die einen avancierten Umgang mit dem Spiel wählen und solchen, die das Spiel zelebrieren. Zu letzteren gehört sicherlich Hong Sang-soo, der ähnlich wie Puiu in seinem Schauspielworkshop viel mit der Wiederholung von Konstellationen und Dialogen arbeitet. In neueren Werken wie Our Sunshi oder In another country greift durch den eigenwilligen Einsatz des Spiels im Kino eine Art augenzwinkernder Surrealismus, der letztlich doch genau durch diese Unwahrscheinlichkeiten und simplifizierten Konstellationen eine sinnliche Wahrheit und Komplexität der Realität offenbart. Nehmen wir In another country, in dem Isabelle Huppert drei verschiedene Französinnen in Korea spielt, die immer wieder in ganz ähnliche Situationen geworfen wird und immer wieder auf einen grandiosen Life Guard, der immer vom selben Schauspieler gespielt wird, trifft. Dieses clevere Spiel mit dem Cast ermöglicht auf der einen Seite ein Anzeigen der Konstruktion des Films, wieder diese Meta-Ebene, aber zugleich ermöglicht es eine sinnliche Erfahrung von Traumzuständen, Sehnsüchten und dem Verhalten zwischen Fremden, eine Art Erforschung von Unbeholfenheit. Genau umgekehrt in der Besetzung ging bekanntlich Luis Buñuel in seinem Cet obscur objet du désir vor, in dem eine Figur von zwei verschiedenen Schauspielerinnen gespielt wird. Wieder wird dadurch der Schauspielprozess sichtbar, aber gleichzeitig offenbart sich eine Sinnlichkeit, die mit unserer Wahrnehmung zu tun hat.

Our Sunshi von Hong Sang-soo

Our Sunshi von Hong Sang-soo

Es stellt sich auch die Frage, welche Distanz ein Filmemacher wählen muss, um das Kino zum Spiel werden lassen. Es scheint klar, dass in klassischen Schuss-Gegenschuss Auflösungen weniger Raum für wahrhaftiges Spiel bleibt, die Totale jedoch verneint ganz oft das Gesicht, in dessen Regungen sich doch die schärfste und zugleich feinste Linie zwischen dem Spiel und der Realität des Kinos finden lässt. Auf der anderen Seite kann man das Spiel mit dem Spiel so ziemlich aus allen Perspektiven betreiben. Schuss-Gegenschuss kann im Gesicht von Jimmy Stewart ähnliche Gleichzeitigkeiten zwischen Sinnlichkeit und Meta-Ebene erzeugen wie eine Totale bei Hou Hsiao-Hsien. Es geht hierbei um eine Balance zwischen Freiraum und Käfig, die ewige Debatte über Kontrolle und Freiheit im Kino. Beim Spiel gibt es beide Extreme. Es gibt Filmemacher wie Bresson, David Fincher oder Jean-Pierre Melville, die alles kontrollieren und gerade dadurch eine Art Freiheit im Spiel erreichen und es gibt Filmemacher wie Serra, Lisandro Alonso oder eben Puiu, die sehr viel vom Leben, von der Welt hineinlassen in das Spiel und dadurch gerade das Spiel in den Vordergrund rücken. Ein perfekter Kompromiss findet sich in der letzten Szene von Beau travail von Claire Denis. Dort reagiert wie so oft bei Agnès Godard die Kamera auf den Schauspieler, sie wahrt die Distanz für den Freiraum und beginnt dann mit ihm zu tanzen. Letztlich geht es beim fatalen Spiel im Kino um diesen Tanz, der erst das Fatale ermöglicht (und das wollen wir doch). Die Kraft zwischen Kamera und Spiel, eine Liebesgeschichte mit einem unendlichen Spektrum an möglichen Emotionen.

Die einzige Übung, das einzige Spiel ist letztlich das Kino selbst, die Umsetzung. Alles andere ist reine Theorie. Es gibt als zugleich kein Spiel und nur Spiel im Kino. Und es ist das Kino, das uns immerzu mitteilt wie ernst es ist und wie weit weg von der Realität es ist. Zum Schluss nochmal Cristi Puiu:

“So this is how cinema has to be made now, I think—every film must be an exercise. Though these specific exercises were not made with the intention of being shown publicly, I am very happy that programmers are now inviting the film to festivals. I think that it deserves to be seen, and that the exposure is great for the people I worked with. “Actors” is really an administrative term. We live in society without wanting anarchy, so we say that some people are actors, others are directors, others are cinematographers, physicists, mathematicians, doctors, and so on. But I don’t believe this to be true. Anybody can be anything, the only differences come from your choices to study one domain or another. I am working with a camera, you have a computer to type on, others are using medical equipment, and there are no professions. There are only people trying to understand the world better by using different sets of tools.”