Duisburger Filmwoche 2022: Unrecht und Widerstand von Peter Nestler

Der Film erzählt vom Unrecht, das den Sinti:zze und Rom:nja in der NS-Zeit widerfahren ist und vom Unrecht, das ihnen bis heute widerfährt. Lange wurden die Verbrechen der Nazis gegen sie nicht anerkannt, stattdessen wurden und werden Sinti:zze und Rom:nja bis heute diskriminiert. Der Film erzählt aber auch vom Widerstand dagegen, vor allem von der Arbeit Romani Roses, dessen Vorfahren nicht alle das KZ überlebt haben.

Zu Beginn der Diskussion weist Alexander Scholz daraufhin, das Z-Wort nur im historischen Kontext zu benutzen. So führen zwei frühere Filme von Peter Nestler und Rainer Komers das Z-Wort im Titel: Zigeuner sein und Zigeuner in Duisburg. Anschließend berichtet Scholz von seiner Seherfahrung, dass der Film ihn zum Recherchieren angeregt hätte, da er sich bisher noch nicht so viel mit der Geschichte der Sinti:zze und Rom:nja befasst habe. So ist auch der weitere Verlauf der Diskussion von einer gewissen Ehrfurcht vor dem Thema geprägt. Es wird betont, wie wichtig es sei, sich mehr mit den Sinti:zze und Rom:nja zu befassen, mit ihren Verfolgungserfahrungen in der NS-Zeit, sowie dem bis heute andauernden Rassismus gegen sie. Scholz nennt die Filme von Nestler und Komers „Gegendiskurse“ zu den hegemonialen Erzählungen, da die Aufarbeitung der NS-Verbrechen an den Sinti:zze und Rom:nja bisher in Deutschland zu kurz kam. So wurden auch die beiden früheren Filme von Nestler und Komers lange Zeit in Deutschland gar nicht gezeigt, Zigeuner in Duisburg wurde 1980 noch vom WDR abgelehnt, berichtet Komers. Die Form des Films wird kaum diskutiert, Scholz weist lediglich auf die „Politik des Ausredenlassens, des Raumgebens“ hin, dass es auffallend sei, dass die Gesprächspartner:innen ausreden dürfen.

Vonseiten des Publikums wird ebenfalls unterstrichen, wie wichtig der Film ist und dass er diese Leerstelle im öffentlichen Bewusstsein der NS-Erinnerung ein Stück weit füllt. Weiter wird von einem „Eindruck des durchgängigen Betroffenseins“ gesprochen, was Nestler als Grundvoraussetzung des Widerstands sieht. Daraufhin erzählt er von seinen Kindheitserinnerungen, wie er als Kind mit Antiziganismus und Nazismus konfrontiert wurde. Eine Person aus dem Publikum fügt dem ebenfalls eine Kindheitserinnerung der Begegnung mit Antiziganismus hinzu.

Jemand weiteres merkt an, dass es nicht nur Nestlers und Komers Filme zum Thema gebe und dass es gelte, auch andere Filme, die sich mit Antiziganismus befassen und die in der Vergangenheit vom Fernsehen abgelehnt wurden, wieder auszugraben und zu entdecken. Zum Schluss weist eine Meldung aus dem Publikum daraufhin, nicht nur die Sinti:zze und Rom:nja als homogene Gruppe zu sehen, sondern auch die verschiedenen, einzelnen Stimmen wahrzunehmen, „Der Schritt von der Gruppe zum Individuum steht an.“

So wichtig und aufschlussreich ich den Film inhaltlich fand, hat er mich formal nicht überzeugt. Schade, dass auch in der Diskussion das schwere Thema eine kritische Auseinandersetzung mit dem relativ konventionellen dokumentarischen Zugang nicht zuließ.

Von Anna Stocker

Welche Verantwortung tragen Filmschaffende gegenüber ihren filmischen Sujets?

Einige Überlegungen zur Moral bei der Herangehensweise dokumentarischer Filmarbeiten und die dadurch entstehenden Machtverhältnisse

Duisburger Filmwoche, 11.11.2022: Das Screening zum Film Zusammenleben von Thomas Fürhapter beginnt und schon nach den ersten Minuten bemerke ich: irgendetwas stimmt nicht. Der Film nimmt uns mit in die thematischen Integrationskurse der Stadt Wien, in denen österreich-typische Verhaltensweisen behandelt, Vergleiche zwischen dem Eigenen und dem Fremden gezogen und Themen wie Ehe, Sexualität und Tod gestreift werden. Die Kurse sollen dabei einen Raum für Austausch bieten. In den Gesichtern der Teilnehmenden, die in langanhaltenden Kameraeinstellungen eingefangen werden, erkennen wir: Konzentration, Verwirrung, Langeweile. Oder vielleicht auch etwas ganz anderes. Was der Film nämlich nicht deutlich macht: den Kontext, in welchem die Bilder, die wir sehen, zueinanderstehen. Die Dokumentation selbst ist in ihrer filmischen Form eine strenge Konstruktion, der es bereits innerhalb des Films gutgetan hätte, hinterfragt zu werden. Darauf wartet man allerdings vergebens.

Über die verschiedenen Herangehensweisen im Dokumentarfilm wurde bereits häufig diskutiert. Und doch schaffen es bestimmte Filme, diese Debatte immer wieder auf ein Neues herauszufordern. Zusammenleben ist einer davon. Ich möchte an dieser Stelle nicht die Frage danach stellen, ob sich Filmschaffende auf ein behutsam zurückhaltendes, einfühlendes Beobachten beschränken sollten oder eingreifen dürfen beziehungsweise sogar müssen. Erst recht möchte ich die verschiedenen Methoden nicht gegeneinander ausspielen, eine als unzureichend abtun und der anderen einen höheren Stellenwert zuteilen. Vielmehr möchte ich mich den dahinterliegenden moralischen Fragen widmen:

  • Inwieweit kann Wirklichkeit eingefangen und wiedergegeben werden?
  • Wird die sogenannte Realität nicht vielmehr durch den subjektiven Abbildungsprozess der Filmschaffenden miterzeugt?
  • Inwieweit entsteht ein Machtgefälle, begründet im Handlungsspielraum der Filmschaffenden und der Handlungsohnmacht der gezeigten Personen?

Bevor ich auf den eingangs genannten Film zurückkomme, möchte ich ausgehend von diesen Fragen etwas aus meiner Sicht Grundlegendes festhalten: Ein Film stellt immer eine subjektive Sichtweise auf etwas dar und vermag daher kein objektives Gesamtbild greifen, erst recht keine Wirklichkeit wiedergeben. Die Auswahl des Filmmaterials, der Kameraeinstellungen, der gefilmten Motive und Personen, des Schnitts etc. beruhen auf einer Vielzahl von Entscheidungen, die in Abhängigkeit von der sozialen Herkunft, den alltäglichen Erfahrungen sowie emotionalen Entscheidungen der Filmschaffenden zu betrachten sind. Folglich ist alles, was von einem vermeintlich neutralen, abbildenden Blick der Kamera eingefangen wird, letztlich auf einer subjektiven Ebene von den Filmschaffenden mitkonstruiert. Nicht zu vergessen, dass die bloße Anwesenheit einer Kamera bereits eine veränderte Situation schafft, wodurch das Gefilmte zumeist schon maßgeblich mitbestimmt wird.

Zusammenleben sei ein Film, in welchem man den Menschen beim Denken zusehen könne, so die einleitenden Worte des Moderators Sven Ilgner in der Podiumsdiskussion. Der Film nimmt sich einer Reihe von Porträtaufnahmen an und versucht, in beobachtenden Einstellungen und langatmigen Kamerafahrten durch die Flure der Institution, die Vielfalt und Individualität der Kursteilnehmenden einzufangen und ein Bild über die Institution zu kreieren. Doch was ich sehe, ist kein vielseitiger Kamerablick auf die individuellen Teilnehmenden. Es ist vielmehr eine filmische Form, der man zusieht, eine Konstruktion, die weder etwas über die zu sehenden Menschen noch über die Struktur selbst erzählt. Jeder Blick scheint eine im Schnitt entstandene Konstruktion zu sein. Der Film lässt auch sonst keine Möglichkeiten eines anderen Blickes zu und verharrt stets in der einseitigen Blickrichtung. Auch die Kursteilnehmenden selbst kommen nicht zu Wort, wodurch sich die strukturelle, formale Kameraführung nicht nur gegen den Versuch eines umfassenden Einblicks in die Institution, sondern auch gegen die Teilnehmenden selbst wendet. 

Wohin also mit den Bildern, die uns hier gezeigt werden?

Ich frage mich, inwieweit im Vorfeld eine Auseinandersetzung mit der Thematik und den Kursen stattgefunden hat. Das Format der Integrationskurse bedingt bereits die Reproduktion stereotyper Darstellungen, in dem die migrierten Personen sich wie Schüler:innen belehren lassen, nichts entgegnen und selbst kaum zu Wort kommen. Die gewählte filmische Form setzt dem nichts entgegen – die ohnehin mit Klischees besetzten Bilder werden weder kommentiert noch eingeordnet. Besonders in dem Aspekt des Blicks auf das Fremde, auf die anderen, besteht das Stereotype in diesem Film. Das deutsche oder österreichische Publikum schaut zusammen mit Fürhapter auf die „Migranten“, schmunzelt vermutlich an der ein oder anderen Stelle über die kulturellen Unterschiede und Integrationsschwierigkeiten, während sich die porträtierten Menschen nicht äußern können, wir sie nicht kennenlernen. Der Film schlägt damit keine Brücke zu den gezeigten Menschen, sondern lässt eine Wand zwischen „uns“, der Kamera und „den anderen“ stehen. Die distanzierte Kamera schafft es nicht, die Oberfläche zu durchbrechen und bietet damit lediglich einen Nährboden für Missverständnisse.

Worum es mir an dieser Stelle geht, ist die Verantwortung, welche Filmschaffende gegenüber den Menschen, die sie zeigen, tragen. Bei diesem Film fehlt es an jeglicher Verantwortung seitens des Filmemachers. So stellt sich auch die Frage, an wen der Film gerichtet ist. Es ist ein rein formaler Blick auf die Kurse, ohne diese in einen Kontext zu setzen. Das spiegelt sich auch in der Tatsache, dass der Film weder Aussagen über den Grund für die Kurse oder die Hintergründe der Teilnehmenden trifft noch sich zu der Situiertheit der Filmschaffenden positioniert oder die Form selbst reflektiert. So scheint es auch nicht allzu verwunderlich zu sein, dass dem gesamten Dreh ein grundsätzliches Machtgefälle unterlag. Denn der Regisseur habe nach eigener Aussage die Kurse aufgrund der unterschiedlichen Sprachen selbst nicht verstanden. Fürhapter habe sich, wie er selbst sagt, für den Diskursraum zwischen Institution und Kursteilnehmenden interessiert. Dieser Diskursraum kommt in dem Film allerdings nicht zustande. Die filmische Form konstruiert ihren eigenen Diskurs und bleibt dabei nur bei sich, ohne das dahinterstehende Gerüst zu beleuchten. Die Annäherung an porträtierte Sujets in Form des Direct Cinema kann funktionieren. Es bedeutet aber nun mal nicht nur mit der Kamera auf etwas draufzuhalten. Die Frage sollte also nicht sein, ob die Filmtechnik es ermöglichen kann, die Oberfläche einer Thematik zu durchstoßen und tieferliegende Zusammenhänge sichtbar und erfahrbar für die Zuschauenden zu machen, sondern wie sie das umsetzt. Tatsache ist doch, dass sich in dem Endprodukt immer die Vorgehensweise, wie sich Filmschaffende den Menschen annähern, widerspiegelt. Damit meine ich die Recherche zu dem filmischen Thema, aber auch Gespräche und die Auseinandersetzung mit den Menschen, die gezeigt werden. Dabei sollte auch die eigene Subjektivität in den Kontext der Arbeit gestellt sowie die Entstehung des Films in seiner Prozesshaftigkeit begriffen und innerhalb der filmästhetischen Form thematisiert werden.

Von Laura Baumgardt