Around the World in 14 Films: The Woman Who Left von Lav Diaz

The Woman Who Left von Lav Diaz

Seit dem Gewinn des Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen in Venedig mit The Woman Who Left ist Lav Diaz einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Die Zeiten, in denen er unter einer kleinen, cinephilen Anhängerschaft als Geheimtipp galt, sind somit vorbei. Darf man in solchen Fällen stutzig werden, misstrauisch sein ob der Aufmerksamkeit und des Lobs vonseiten einer Branche, die sich jahrelang herzlich wenig um diese Filme geschert hat? Muss man fürchten, dass ein solcher Preis nur zu gewinnen ist, wenn ein Filmemacher seine Kompromisslosigkeit aufgibt? Ist bei Diaz eine Tendenz festzustellen, wie man sie bei manchen Cannes-Dauerbrennern, wie den Gebrüdern Dardenne in ihren letzten Filmen gesehen und gespürt hat?

Zweifel schienen möglicherweise berechtigt, doch The Woman Who Left weiß sie zu entkräften. Das Filmschaffen von Lav Diaz hat sich in den letzten Jahren etwas verändert, seine Filme lassen sich einfacher in einer konkreten Raumzeit verorten, die Erzählungen wirken oftmals gestraffter und nehmen sich weniger Zeit zu mäandern; sie sind nun einfacher auf einzelne Aussagen oder ihre „politische Relevanz“ reduzierbar. Trotz allem kann man Diaz schwer vorwerfen, dass er sich der Logik einer Marktförmigkeit unterwirft, zu sehr betont er auch in The Woman Who Left die filmische Dauer, in der sich seine Erzählungen entfalten, zu frei und unvorhersehbar bewegen sich seine Figuren, zu fein die Bruchlinien, die sich aus dem Driften des Films ergeben; alles Qualitäten, die sich schon in seinen früheren Filmen finden.

The Woman Who Left von Lav Diaz

Es ist schwierig über die Filme von Diaz zu schreiben; das Schreiben scheint der Monumentalität nie gerecht zu werden. Das bezieht sich nicht nur auf die Laufzeit, sondern auch auf die politische Dimension seiner filmischen Arbeit und vor allem auf die Haltung zu den Bildern und zur Welt, die durch den Film transponiert wird – der Glaube daran, dass auch im Kino ein Davor und ein Danach existieren, dass das Leben (und das Leben ist auch die kleinste Zelle der Geschichtsschreibung) mit all seinen Konfrontationen und Konsequenzen berücksichtigt werden muss, auch wenn es gerade nicht im Bild zu sehen ist; und der Umkehrschluss – das gerade die Randgestalten der Geschichte, die marginalen Vorkommnisse des Lebens oft mehr über die Ereignisse Bescheid wissen, als das kondensierte Spektakel (die Grundfigur des kommerziellen Kinos). Es bleibt mir nur eine Flucht zu den eben genannten Momenten, eine Flucht ins Beispielhafte, ein lückenhaftes Aufzählen subjektiver Empfindungen und Beobachtungen, ein Versuch Emotionen zu teilen. Fern von dem Punkt alle Filme von Diaz zu kennen, aber mittlerweile mit seinem Werk einigermaßen vertraut, stellt sich bei mir bei jedem seiner Filme ein Gefühl von Vertrautheit ein. Diese Vertrautheit ist eng an wiederkehrende Motive und Bildtypen gekoppelt, die – wie auch zum Beispiel die immer gleichen weißen Lettern auf schwarzem Grund in den Filmen von Woody Allen  – zu einem Proust’schen Rückerinnern führen. Ein Gefühl von Nähe macht sich dann bemerkbar, von Vertrautheit, von Mitwisserschaft. Natürlich ist dieses Gefühl nicht exklusiv den Filmen von Lav Diaz vorbehalten, sondern hat wohl insgesamt mit der Erfahrung von Kunst zu tun, wie sie, für den filmischen Diskurs, vor allem von den großen passeurs beschrieben und vorgelebt wurde.

Ein Gefühl des Miteinanders, der Teilhabe, entsteht. Zunächst ist das ganz pragmatisch gedacht: Für vier, acht oder zehn Stunden verbringt man Zeit im Kinosaal mit einer (meist überschaubaren) Anzahl anderer Kinogänger und mit den Bildern auf der Leinwand. Darüber hinaus tritt man selbst in die Welt ein, beobachtet parallel zur Kamera das Geschehen, entdeckt Gerüche, Geschmäcker, findet Freunde, Seelenverwandte, arbeitet, feiert – man wird selbst zum Film. Es geschieht eine Menge Dinge in dieser Zeit, denen man mal intensiver, mal weniger intensiv folgt; und wie im echten Leben, ist man kaum in der Lage die Übersicht über alle Vorkommnisse zu behalten, um sie im Anschluss in chronologischer Reihenfolge aufzuführen. Einen Film von Lav Diaz zu sehen, oder besser, zu erfahren, ist wie das Treiben, in einem Fluss, der mal aufgestaut wird, mal abebbt, aber immer weiterfließt, bis man irgendwann aus ihm steigt und in eine Welt zurückkehrt, der die Monochromie fehlt.

The Woman Who Left von Lav Diaz

Dschungeldickicht: Nur schwer findet sich das Auge im schwarzweißen Wirrwarr der Ranken, Sträucher, Bäume und Blätter zurecht. Das Schwarzweiß gepaart mit gestochen-scharfer Digitaloptik lässt das Bild flächig erscheinen. Ohne Anhaltspunkt und ohne Bewegung ist es schwer unterschiedliche Bildebenen wahrzunehmen. Für einige Sekunden steht der Dschungel meist für sich, bis es im Unterholz zu rascheln beginnt, und sich über irgendeinen verborgenen Pfad Menschen ins Bild bewegen. Durch ihre Bewegung gewinnt das Tableau an Tiefe, die Orientierung fällt leichter, das Suchbildrätsel löst sich auf. Dieses Bildmotiv kommt in The Woman Who Left nur ein einziges Mal vor (wenn mich meine Erinnerung nicht trügt), erinnert aber sofort an ähnliche Inszenierungen der philippinischen Landschaft in Filmen wie From What Is Before oder A Lullaby to the Sorrowful Mystery, die in weniger urbanem Terrain spielen.

Eine einsame Straßenlaterne erleuchtet ein Stück Straße. Im harten Licht der Laterne werfen die stehenden, sitzenden, kauernden Gestalten am Straßenrand harte Schatten. Im Dunkel der Nacht unterhalten sich die Gestalten, albern herum, streiten. In den Gesprächspausen breitet sich nächtliche Stille aus, unterbrochen von fernen Motorengeräuschen und zirpenden Insekten. Die Zeit dehnt sich in diesen Momenten, denn in der Nacht fällt die Hektik des Tages ab. Unter Straßenlaternen verhandeln Lav Diaz‘ Protagonisten den weiteren Verlauf ihrer Geschichte, unter Straßenlaternen verbringen sie Zeit miteinander. Die Nacht ist hier keine Zeit düsterer Stimmung, keine Zeit der letzten Entscheidungen, keine Zeit des Grusels, sondern ein unaufgeregter Teil des Lebens, dazu geeignet neue Bekanntschaften zu machen, intime Gesprächssituationen herbeizuführen und sich in der Dunkelheit seiner Isolation zu erfreuen. In The Woman Who Left sind es die Szenen zwischen Horacia und dem buckligen Straßenverkäufer, wie sie am Straßenrand unter Laternenlicht sitzen, die am stärksten das Gefühl der gelassenen Beobachtung evozieren, so wie auch schon die Szenen in den Winternächten New Jerseys in Batang West Side, die irgendwann zu Zugehörigkeit und Vertrautheit wird.

Es ist somit unerheblich, ob The Woman Who Left kürzer und stringenter ist als andere von Diaz‘ Filmen, denn das entscheidende Gefühl der Vertrautheit, des Mit-dem-Film-seins, das ich versucht habe zu skizzieren, stellt sich auch hier ein. Trotz dieses Gefühls, kommt es mir nicht so vor, als würde ich die Regeln dieser Welt vollständig kennen, als könnte ich aus den gezeigten Welteindrücken, die oft eine täuschend getreue Wiedergabe der Realität suggerieren, ein Denksystem ableiten, eine einheitliche Idee von Humanismus dechiffrieren. Der Sog der Vertrautheit ist ein anderer, als jener der Massenmedien, die mich betäuben und mit einer fertigen Botschaft impfen wollen. Es geht hier weniger um eine Deutung (zumindest um keine, die im Vorhinein festgelegt ist), als um die Geste des Zeigens. Darin liegt dann vielleicht auch die (politische wie filmpolitische) Haltung von Diaz, mit der sich erklären lässt, weshalb Szenen an- und auslaufen dürfen, weshalb das Bild selten durch Unschärfen oder Kamerabewegung korrumpiert wird, weshalb die Alltäglichkeit eine vergleichsweise wichtige Rolle spielt – es ist seine Form der Kritik an anderen medialen Darstellungsformen und Bewegtbildinszenierungen. Ist The Woman Who Left etwas zugänglicher, an manchen Stellen vielleicht sogar deutlicher? Ganz bestimmt. Ist Lav Diaz deshalb von seinem Weg abgekommen? Meiner Einschätzung nach ist er das nicht. Vielmehr hat er etwas Anderes entwickelt, das dem Geist seiner früheren Arbeiten entsprungen ist, sie in eine andere Richtung lenkt, aber nicht verrät.

2014: Ein Bildgedicht

P'tit Quinquin von Bruno Dumont

2014 ist….

…Erwachsenwerden.

Boyhood von Richard Linklater

Boyhood von Richard Linklater

…Licht, Schatten und Ventura.

Cavalo Dinheiro von Pedro Costa

Cavalo Dinheiro von Pedro Costa

…Eintauchen in unendliche Kinowelten.

Guardians of the Galaxy von James Gunn

Guardians of the Galaxy von James Gunn

…philippinischer Dschungel.

Mula sa kung ano ang noon von Lav Diaz

Mula sa kung ano ang noon von Lav Diaz

…Awesome!

The Lego Movie von Phil Lord/Chris Miller

The Lego Movie von Phil Lord/Chris Miller

…Erinnerung an einen guten Freund.

Life Itself von Steve James

Life Itself von Steve James

…ein Land der Wunder.

Le Meraviglie von Alice Rohrwacher

Le Meraviglie von Alice Rohrwacher

…All that Jazz!

Whiplash von Damien Chazelle

Whiplash von Damien Chazelle

…stumme Gewalt.

Plemya von Myroslav Slaboshpytskiy

Plemya von Myroslav Slaboshpytskiy

…ein Puzzle.

Gone Girl von David Fincher

Gone Girl von David Fincher

…Kappadokische Kammerspiele.

Kış Uykusu von Nuri Bilge Ceylan

Kış Uykusu von Nuri Bilge Ceylan

…endloser Konflikt.

Das erste Meer von Clara Trischler

Das erste Meer von Clara Trischler

…Fußballspielen im Schnee.

Al doilea joc von Corneliu Porumboiu

Al doilea joc von Corneliu Porumboiu

…die Bestie Mensch.

The Salt of the Earth von Wim Wenders und Julian Ribeiro Salgado

The Salt of the Earth von Wim Wenders und Julian Ribeiro Salgado

…ein Doppelgänger.

Enemy von Denis Villeneuve

Enemy von Denis Villeneuve

…Entschleunigung.

Journey to the West von Tsai Ming-liang

Journey to the West von Tsai Ming-liang

…schräge Vögel.

Birdman von Alejandro González Iñárritu

Birdman von Alejandro González Iñárritu

…ein Unterschlupf in einer kalten Winternacht.

L'Abri von Fernand Melgar

L’Abri von Fernand Melgar

…lebendige Kunst, lebendige Geschichte.

National Gallery von Frederick Wiseman

National Gallery von Frederick Wiseman

…Christbäume und Einsamkeit.

Christmas Again von Charles Poekel

Christmas Again von Charles Poekel

…nicht in Worte zu fassen.

P'tit Quinquin von Bruno Dumont

P’tit Quinquin von Bruno Dumont

…im Kinosaal erblinden.

Adieu au Langage von Jean-Luc Godard

Adieu au Langage von Jean-Luc Godard

…ein Besuch bei einer Erinnerung.

Gyeongju von Zhang Lu

Gyeongju von Zhang Lu

…Liebe und Unschuld.

Still the Water von Naomi Kawase

Still the Water von Naomi Kawase

 

 

 

Die 13 Kinomomente des Jahres 2014

Horse Money

Wie jedes Jahr möchte ich auch 2014 meine Kinomomente des Jahres beschreiben. Diese Liste ist keineswegs endgültig, da ich sicher in den kommenden Jahren viele Schätze entdecken werde, die es verdient gehabt hätten, auf meiner diesjährigen Liste zu stehen. Ich beschreibe ausschließlich Momente aus Filmen aus dem Jahr 2014. Dabei gehen natürlich eine Menge Filme verloren, die ich dieses Jahr zum ersten Mal gesehen habe und die mir vielleicht die wahren Kinomomente des Jahres bescherten. Damit meine ich zum einen die zahlreichen Retrospektiven im Österreichischen Filmmuseum (hier vor allem jene von John Ford, Hou Hsiao-Hsien und Satyajit Ray), im Stadtkino Wien (Tsai Ming-liang), im Metrokino Wien (Peter Handke Schau), auf Crossing Europe (Joanna Hogg) oder der Diagonale (Agnès Godard). Außerdem gibt es natürlich Filme, die erst dieses Jahr regulär oder nicht-regulär ins Kino kamen, die ich aber zum Jahr 2013 rechne. Dazu gehört allen voran die Entfremdungshypnose Under the Skin von Jonathan Glazer oder der zugedröhnte Scorsese-Zirkus The Wolf of Wall Street.

Dies ist also weder eine subjektive Liste der besten Filme des Jahres noch gibt es in ihr irgendeine relevante Reihenfolge. Vielmehr ist es eine Liste, die in mir geblieben ist. Die kleinen Erinnerungen, die Träume, die man nach den Filmen hatte, die Ekstase, die man manchmal an Sekunden und manchmal an Stunden eines Films festmachen kann. Es geht um diese Atemzüge, in denen mein Herz aufgehört hat zu schlagen und ich das Gefühl hatte, etwas Besonderes zu sehen. Wenn Film in seiner Gegenwart schon wieder verschwindet, dann bekommt unsere Erinnerung daran eine besondere Bedeutung. Die Erinnerung speichert, verändert oder ignoriert einen Film. Sie ist nicht denkbar und nicht lenkbar. Genau hier trifft uns das Kino mit seiner Wahrheit. In der Erinnerung liegt auch die Fiktion, die im diesjährigen Kinojahr eine solch große Rolle gespielt hat. In vielen Filmen wurde die Frage gestellt, wann und wie Geschichten entstehen, wie sie an unsere Lügen, unsere Vergangenheit und an unsere Träume gebunden sind. Das Kino existiert zweimal. In der Gegenwart seiner Projektion und in der Gegenwart unserer Erinnerung.

Cavalo Dinheiro von Pedro Costa – Ventura spuckt

Horse Money Pedro Costa

Eigentlich ist Cavalo Dinheiro ein einziger Augenblick, in dem jedes Blinzeln zu einer filmischen Sensation wird. Wenn ich mich allerdings für einen dieser Flügelschläge der Augenlider entscheiden muss, ist das jene Szene, in der wir aus einer weiteren Einstellung den erschöpften Ventura sehen. Er hat einen Husten- und Spu(c)kanfall und steht im Schatten einer Lichtung. Mit gebeugter Haltung bebt er zwischen Häusern, Welten und Zeiten. Dabei sind Vögel zu hören, wie ein Moment des Friedens in der (körperlichen) Revolution. Ein derart poetisches Leiden habe ich selten gesehen und gehört.

Feuerwerk am helllichten Tage von Diao Yinan – Die Zeit springt

Feuerwerk am helllichten Tage

Es ist dieser Sprung in die Zukunft, der mit einem Moped in einem Tunnel beginnt, der den Schnee, den verdreckten Schnee in die schwarze Kohle bringt. Das Moped verlässt den Tunnel und fährt an einem Betrunken vorbei. Es wird langsamer, dreht um. Hier beginnt das virtuose Spiel der Perspektivwechsel, eine Verunsicherung, eine Leere in der Stille und eine Anspannung im Angesicht der Mitmenschen. Es ist ein Phantom Ride, der umdreht, um zu stehlen. Am Straßenrand liegt völlig betrunken in einem Winterschlaf unsere Hauptfigur. Wir passieren ihn nur als Randfigur, aber wir ergreifen die Gelegenheit. Ab diesem Zeitpunkt herrscht ein Schleier der Verunsicherung über Bilder, Figuren und den Film selbst, der einen kaum mehr loslassen kann.

P’tit Quinquin von Bruno Dumont – Van der Weyden schießt in die Luft

Kindkind Dumont

In Bruno Dumonts Unfassbarkeit P’tit Quinquin herrscht eine anarchistische Derbheit, die sich in der ironischen Umarmung einer Absurdität und Deformation entlädt wie man sie wohl noch nie gesehen hat. Der Naturalist hat sich in einen Surrealisten der Realität verwandelt und mit der zuckenden und stolpernden Figur des Polizisten Van der Weyden hat er die perfekte Verkörperung seiner Welt erschaffen. In einer der vielen irrsinnigen Szenen dieser Figur schießt der gute Mann zum Schrecken seiner Umgebung spontan in die Luft. Es gibt keinen Grund dafür, außer vielleicht den Knall selbst, die Freude und das Adrenalin daran und genau hierin liegt der neue Existentialismus des Bruno Dumont. Man muss lachen und dann fühlt man sich ganz alleine.

Maidan von Sergei Loznitsa-Die Kamera bewegt sich

Maidan Loznitsa

Mein formalistisches Herz erlitt einen Orgasmus als ich sah wie sich der Fels in der revolutionären Brandung, der von einer statisch-poetischen Kamera verkörpert wurde, dann doch dem Schicksal seiner Lebendigkeit ergeben musste und sich ob der zahlreichen Angriffe, dem Chaos der politischen Ungerechtigkeiten und den Prozessen einer Gemeinschaftlichkeit bewegen musste. Mitten im Kampfgeschehen stehend, flieht die Kamera hektisch wackelnd einmal in eine andere Position. Es ist die einzige Kamerabewegung im Film, an die ich mich erinnern kann. Alles andere ist statisch. Fast erstickende Sanitäter torkeln um sie herum und im nebeligen Hintergrund offenbart sich langsam eine schwarze Wand aus Polizisten. Stimmen sind zu hören und immer wieder ein Knall und plötzlich wird uns klar, dass wir gefährdet sind. Denn die Distanz, die wir haben, kann nur gebrochen werden, wenn sie eine Distanz bleibt und in ihrer Distanz angegriffen wird.

Jauja von Lisandro Alonso-Dinesen zieht seine Uniform an

Jauja Alonso

Jauja ist ein Film voller Erinnerung. Vielleicht nehme ich aus diesem Grund ein Bild aus dem Film, das darüber hinausgeht, weil es neben dem somnambulen Aussetzen einer zeitlichen Regung auch einen einsamen Stolz erzählt, der so wichtig ist für unsere Wahrnehmung einer Person, sei es in Träumen, durch die Augen eines Hundes oder im Kino. Kapitän Dinesen (der aus undefinierbaren Gründen für mich beste Name einer Figur im Kinojahr 2014) hat festgestellt, dass seine Tochter in der Leere der Wüste verschwunden ist. Im murnauesquen Mondlicht macht er sich hektisch auf den Weg. Dann bricht er plötzlich ab. Ganz langsam richtet er seine Uniform her. Er kleidet sich. Er bereitet sich vor. Aus der Panik erwächst die Spiritualität, aus dem Mond wird ein entstehender, glühender Feuerball.

La meraviglie von Alice Rohrwacher-Bienenschwarm

Land der Wunder Rohrwacher

La meraviglie ist wohl der einzige Film auf dieser Liste, der dem Leben nähersteht als dem Tod (obwohl er vom Tod erzählt…). Eine schier unendliche Energie geht durch die Alltäglichkeit des Kampfes dieser Bienenzüchterfamilie. Wie ein Sinnbild ohne Metaphorik fungieren dabei die Einstellungen, die sich im Surren und Treiben der Bienenschwärme verlieren. Denn die Lebendigkeit des Films und die organisierte und nur scheinbare Richtungslosigkeit finden sich auch in den schreienden Massen an Bienen. Aber welch Wunder dort wirklich möglich ist, zeigt sich in der Zärtlichkeit des Umgangs der älteren Tochter, die in einem perfekten Erklingen von Schönheit inmitten des Chaos eine Biene aus ihrem Mund klettern lässt. Magie und das ewige Summen bis die Zeit vorbei ist.

Turist von Ruben Östlund-Der POV Hubschrauber

Höhre Gewalt

Ruben Östlund beherrscht in seinem Turist die Psychologie seiner Figuren und jene des Publikums zur gleichen Zeit. Diese zynische Souveränität korrespondiert in ihrer perfiden Perfektion mit dem Inhalt und so ist es nur konsequent, dass Östlund sie mindestens an einer Stelle zusammenbrechen lässt. Diese Stelle findet sich im schockierendsten Perspektivwechsel des Kinojahres. In einem Moment der völligen Erbärmlichkeit, des grausamen Schweigens nach einer Offenbarung des Geschlechterkrieges, fliegt ein Spielzeugufo durch das Zimmer im Touristenhotel. Östlund schneidet in einen POV aus dem Gerät und bricht damit nicht nur die Anspannung sondern zeigt welch sarkastischer Horror sich hinter dieser Psychologie verbirgt. Ich springe jetzt noch, wenn ich mich daran erinnere. Es ist wie eine Erinnerung an die Welt inmitten des Dramas. Es sei natürlich gesagt, dass Turist ein Film ist, der sich mit der Bedeutung eines einzigen Moments befasst. Aber er sucht vielmehr die Momente, die aus einem Moment resultieren.

Journey to the West von Tsai Ming-liang – Lavant atmet

Denis lavant Tsai

Im Fall der Meditation Journey to the West ist es ein Ton, den ich nicht vergessen kann. Es ist das ruhige Atmen des schlafenden Denis Lavant. Seine vibrierenden Nasenflügel, sein Erwachen, das antizipiert wird. Seine ruhende Kraft, die alles mit ihm macht, was es in den Bewegungssinfonien bei Carax kaum geben kann. Ich höre es. Es ist gleichmäßig und es ist von einer ähnlichen Schönheit wie jede Sekunde in dieser Rebellion der Langsamkeit.

Winter Sleep von Nuri Bilge Ceylan – Der verbale Tod

Winterschlaf Ceylan

Nuri Bilge Ceylan erforscht in seinem Winter Sleep die Kraft von Film als Literatur. Er bewegt sich auf einem philosophischen Level mit großen Schriftstellern und macht fast unbemerkt auch noch ungemein gute Dinge mit dem Kino. Ein solcher filmischer Augenblick findet sich in der plötzlichen Abwesenheit der Schwesterfigur nach einem intensiven Dialog mit ihrem Bruder, einem verbalen Mord der Widerwärtigkeiten, Lügen und grausamen Wahrheiten. Sie befindet sich hinter einer geschlossenen Türe und die wie das so ist mit Worten, wird einem die Tragweite von ihnen zumeist nicht im Moment ihrer Aussprache bewusst, sondern im Moment der Reaktion. Hier ist die Reaktion eine Abwesenheit. Im Dunst eines erdrückenden Winters des Selbsthasses.

Phantom Power von Pierre Léon – Die Hände von Fritz Lang

Pierre Léon

Man ist schon trunken, ob der Musik und der Worte, dann kommen die Bilder. Es sind nicht jene Bilder von Léon selbst, sondern es ist dies eine Liebeserklärung an Fritz Lang. Die Hände von Fritz Lang, die zärtlich krallen, die halten und fallen, vielleicht töten, manchmal lieben. Sie sind Bewegung und Erinnerung, in ihnen findet sich ein Stottern im Angesicht einer Sucht, sie sind wie eine Unmöglichkeit zu berühren, sie berühren.

Al doilea joc von Corneliu Porumboiu – Die Angst von Porumboiu

Porumboiu Bukarest

Es ist nur eine kleine Randbemerkung, man bemerkt sie kaum, aber sie ist entscheidend. In diesem Gespräch zwischen Vater und Sohn, im Angesicht eines verschneiten Fußballspiels äußert Corneliu Porumboiu, dass er als Kind Angst hatte vor dem Fernseher. Diese Angst wird nicht weiter erläutert und sein Vater, der das Spiel als Schiedsrichter leitete, geht nicht weiter darauf ein. Aber in dieser Formulierung liegen die Unheimlichkeiten und dir Zärtlichkeit des Films zur gleichen Zeit. Ist es die Angst des Sohnes, wenn er seinen Vater unter Druck sieht? Ist es die politische Angst eines Rumäniens kurz vor der Revolution? Ist es die Angst vor dem Schnee, der Kälte, dem Ende der Welt? Ist es die Angst vor der Zeit, die Angst vor der Erinnerung, ist es gar keine Angst sondern eine Illusion? Ist es eine Vorteilsregelung, wenn der Vater darauf nicht eingeht, ermöglicht er so das Leben und das Spiel, den Fortgang von allem?

From What is Before von Lav Diaz – Es beginnt der Regen

Lav Diaz Locarno

Ich war mir plötzlich ganz sicher, dass es Geister gibt. Vor kurzem war ich in einem Wald und alles war ganz still. Plötzlich hörte man einen Wind kommen und erst eine halbe Minute später erreichte dieser Wind die Bäume unter denen ich wartete. Er zog durch sie hindurch und weiter in die Tiefen des dunklen Dickichts. Bei Diaz kommt so der Tod. Zunächst sehen wir einen Mann und eine Frau im digitalen schwarz-weiß einer übermächtigen Umwelt an einem Fluss. Plötzlich sieht der Mann etwas Off-Screen, ein unheimliches Gefühl entsteht. Dieses Gefühl entsteht alleine aus der Zeit, die Diaz fühlbar macht. Es beginnt zu regnen. Etwas ist passiert, wir haben es gespürt. Es wirkt als würde ein böser Geist erscheinen, man bekommt es mit einer unsichtbaren Angst zu tun. Dabei denke ich an den Wind im Wald. Dann erscheint im Bildhintergrund eine leidende Frau. Sie bricht zusammen und beklagt weinend den Tod ihres Sohnes. Kurz darauf sitzt sie in einem Kreis und singt über den Tod ihres Sohnes und ihr Schicksal. Die Frauen und Männer, die um sie sitzen beginnen nach und nach zu weinen. Es läuft einem kalt den Rücken herunter, man muss selbst weinen, man spürt jeden Tropfen Verlorenheit, persönlich und politisch.

Leviathan von Andrey Zvyagintsev – Das Meer

Leviathan

Immer wenn Zvyagintsev das Meer filmt, findet seine Kamera das profunde Wesen seiner Ambition und erreicht eine spirituelle Kraft, die dem modernen Kino ansonsten aufgrund seines reflektierten Zynismus abgeht. Leviathan ist ein Film wie die Philosophie einer brechenden Welle, ein wundervolles Monster im Ozean, es treibt dort seit Jahrhunderten. Es ist ein suizidaler Magnet, eine andere Welt, eine Grenze. Das Meer ist auch trügerisch, denn hier finden sich zugleich der Tod und das ewige Leben. Es ist eine sehnsuchtsvolle Lüge und in der Weite erblickt man entweder die Hoffnung oder die Hoffnungslosigkeit. Das Meer kann uns alles geben und alles nehmen. Hier ist die Natur, die Bewegung und die Reise in einem Bild.

Filmfest Hamburg: Before From What Is Before

Jauja von Lisandro Alonso

In der letzten Nacht in Hamburg tropft es plötzlich in meinem Zimmer. Ein defektes Wasserrohr hat zunächst einen riesigen gelben Fleck an der Decke meines Hotelzimmers hinterlassen und dann dringen kleinste Tropfen durch die dicke Wand und gleich dem Ticken einer Uhr, beginnen sie den Boden zu bewässern. Mein Schlaf wird dadurch empfindlich gestört und ich fühle mich selbstverständlich wie in einem Tsai Ming-liang Film. Mit weißer Unterhose und gleich eines Raubtiers (also zumindest in meinem Kopf) untersuche ich Lee Kang-shengesque die Decke, blicke aus dem Fenster, in meiner Erwartung an Lav Diaz, der am letzten Tag auf dem Programm steht mit seinem Locarno-Gewinner From What Is Before.

Diaz hat die Zuseher seiner Filme einmal als „Warriors“ bezeichnet. Sie würden sich auf die enorme Länge vorbereiten. Außerdem wäre es völlig in Ordnung für ihn, wenn Zuseher seine Screenings verlassen würden und wieder kommen würden. Ob dies eine Reise nach Jerusalem zur Folge haben muss, die sich später im Rahmen des Hamburger Filmfests abspielte, sei dahingestellt. Jedenfalls bleibt Diaz eine cinephile Meisterprüfung, die völlig zu Unrecht oft auf ihre Länge reduziert wird. An anderer Stelle habe ich mich genauer mit dem Film beschäftigt.

Mein letzter Tag in Hamburg ist ein besonders warmer Tag für die Jahreszeit. Das ist an sich nicht wirklich bemerkenswert jedoch spielt es in die Vorbereitung auf einen Lav Diaz Film durchaus eine Rolle. Es geht um Trinken, Essen und Bewegung. Denn im Gegensatz zu Diaz und den meisten Zusehern bin ich nicht der Meinung, dass man eine Sekunde seiner Filme verpassen sollte. Es gibt Szenen in diesem Film und auch in den anderen Filmen des Regisseurs, die das Gesehene komplett umdrehen, die es einordnen, verändern und die für ein Verständnis des Films absolut unentbehrlich sind. Vielleicht wäre es konsequent, im Stil von Luis Buñuel Toiletten statt Kinosessel im Kino aufzustellen.

Misunderstood von Asia Argento

Incompresa

Also gehe ich spazieren und decke mich mit einer Fülle an Verpflegung ein, trinke, esse und mache tatsächlich Lockerungsübungen. Unmittelbar vor Beginn gehe ich auf die Toilette. Ein „Warrior“ eben…und ich habe dabei einiges an Zeit die vergangenen Tage in Hamburg gedanklich zu resümieren. Es war ein sehr ansprechendes Festival für mich und insbesondere zwei Filme, die ich so nicht auf der Rechnung hatte, haben mich begeistert: Turist von Ruben Östlund und The Tribe von Myroslav Slaboshpytskiy. Darüber hinaus bin ich zwei weiteren Großwerken von Regisseuren begegnet, die ich schon zuvor absolut verehrte. Zum einen Lisandro Alonso, der mit seinem Jauja einige neue Aspekte zu seinem Schaffen hinzufügt und dennoch sein unheimliches Auge für Bildgestaltung in einem bestimmten Setting beibehält und eine meditative Ironie entfaltet. Und außerdem Winter Sleep von Nuri Bilge Ceylan, der mich nach wie vor völlig irritiert. Wenn man hart mit dem Film ins Gericht gehen wollen würde, dann könnte man ihn durchaus mehr als Hörspiel denn als Film bezeichnen. Schließlich musste ich dreieinhalb Stunden derart intensiv mitlesen, da es außer weniger Szenen fast ausschließlich um Dialoge geht. Aber dann ist da das Wesen dieser Dialoge. Winter Sleep ist nämlich nicht nur ein Film mit Dialogen sondern in großem Maße auch ein Film über Dialoge. Es geht um die Selbstrechtfertigung, Selbstbelügung, den Selbsthass, den Menschenhass, die Funktion von Sprache und Denken darin. Das ganze findet in einer inhaltlichen und philosophisch-psychologischen Tiefe statt, die man aus großer Literatur kennt. Für mich der schwächste Film eines großen Regisseurs.

Zu einer ganzen Reihe interessanter und erwähnenswerter Begegnungen rechne ich Ventos de Agosto von Gabriel Mascaro, Incompresa von Asia Argento, Timbuktu von Abderrahmane Sissako, Favula von Raúl Perrone oder Hermosa juventud von Jaime Rosales.

Meine zwei großen Enttäuschungen sind Mommy von Xavier Dolan und Fehér Isten von Kornél Mundruczó. Ersterer ist ein Schritt zurück für den durchschnittlichen kanadischen Lieblingsjungen einer unreflektierten Kinowelt, die sich nur allzu bereitwillig von Style blenden lässt. Dolan hat sehr wenig zu erzählen (in Konsequenz ist Mommy ein schlechteres Remake von J’ai tué ma mère) und er weiß auch nicht unbedingt wie er das erzählen soll. So lässt er fast in zwanghafter Manier seine Popsongs laufen, um eine Art Rhythmus zu entwickeln, der nie aus den Bildern sondern immer aus der Musik kommt. Seine Grundformel besteht darin hysterische, neurotische und auf manipulative Weise liebenswerte Menschen in Konflikte zu bringen. Dabei bedient er sich in einem 1:1 Instagram-Look, der zu einer dramaturgischen Funktion aufsteigt. Dolan ist kein böser Mensch, kein schlimmer Regisseur. Aber der unverständliche Hype, der seiner Arbeit entgegengebracht wird, ist ein schlechtes Zeichen für das Kino. Ich bin mir bewusst, dass ich diese Aussagen nicht einfach so hinstellen kann. Daher will ich sie mit einer bemerkenswerten Kritik von Adam Nayman rechtfertigen, der ich zu 100% zustimmen kann. (was selten vorkommt).

Timbuktu

Timbuktu

Fehér Isten dagegen ist wirklich eine Beleidigung. Ein mit allen Mitteln nach billiger Empathie hechelndes Stück Spielberg-lebt!-Pathos-Kuschelrock im Kino. Die Disney-Story wäre ja an sich nichts Schlimmes, aber jeder Disney-Film, den ich kenne baut auf ambivalentere Figuren, eine vielschichtigere Geschichte und mehr psychologischer Tiefe in den Charakteren. Natürlich bleibt es beeindruckend, dass Mundruzcó mit einer derartigen Quantität und Qualität an echten Hunden arbeitete, aber jenseits einiger wahrlich epischer und fesselnder Momente mit denen, liegt die einzige Faszination darin, dass man sich während dem Schauen für ein Making-Of interessiert. Dabei donnert der Film mit Musik und Bildsprache derart massiv ins Kino, dass jede Form von Menschlichkeit und Subtilität verloren geht.

Es ist fast 13Uhr, einige Seelen warten schon auf Lav Diaz im Kinosaal. Andere liegen bis kurz vor Beginn vor dem Kino auf einer Wiese. Man muss das Licht verlassen, um es lange Zeit zu sehen.

Ich betrete Kinoseele.

Locarno-Tagebuch: Tag 1: Nur noch 338 Minuten!

Lav Diaz

Gleich zweimal wurde ich schockiert, bevor ich überhaupt in Locarno angekommen bin. Erstens, die Schweizer sind gar nicht so unsympathisch, wie ich es von ihnen gewohnt bin. Zweitens, die für ihre Pünktlichkeit berühmte Schweizer Bahn kommt mit Verspätung an. Locarno selbst, ähnelt meines Erachtens eher einem beschaulichen italienischen Küstendorf, als dem, was ich mit „Schweiz“ verbinde. Die Leute sind hier auch sehr italienisch kommt mir vor – erkennt man auch daran, dass sie Fremdsprachen nur rudimentär beherrschen.

Aber genug der Trivialitäten (wenn Gott und meine Kamera so will, dann gibt es morgen sogar exklusive Fotos). Es geht hier schließlich um Film und hinter mir liegen nun nach dem ersten Tag auch zwei Filme. Einerseits, der Eröffnungsfilm Lucy von Luc Besson und andererseits, Lav Diaz‘ Fünfeinhalbstünder Mula sa kung ano ang noon (From What Is Before). In Anbetracht der kommenden Strapazen habe ich mir den letzteren Film (strategisch brillant) gleich in den ersten Tag meines persönlichen Festivalprogramms gepackt. Um der (hoffnungsvoll überfüllten) Eröffnungszeremonie auszuweichen, kam aber zuerst Lucy in der nachmittäglichen Pressevorstellung zum Zug.

Scarlett Johansson in

Lucy

Zu dem ist bloß zu sagen: Was für ein Blödsinn! Was wissenschaftlich beginnt, wird schon bald pseudo-philosophisch und endet schließlich esoterisch. Luc Besson kann dabei natürlich nicht auf eine Vielzahl an Schießereien verzichten, was leider nicht ganz mit den Malick-artigen kontemplativen Passagen harmoniert. Indiewire nannte den Film „the dumbest smart movie or the smartest dumb movie“ des Sommers, dem „smart“-Teil kann ich leider nicht zustimmen. Besson wollte gleichzeitig ein Action-Feuerwerk zünden und „anspruchsvolles“ Publikum ansprechen. Das Ergebnis ist ein Griff ins Klo. Nicht einmal Morgan Freemans weiser Duktus vermag es die hohlen pseudo-wissenschaftlichen Phrasen als fundiert zu verkaufen und weshalb Scarlett Johansson sich nun nach Under the Skin zum zweiten Mal als „Weltenverschlingerin“ besetzen ließ, bleibt offen.

Der erste große Knaller des Festivals folgte der ersten Enttäuschung auf den Fuß. Wenn man den Verantwortlichen des Festivals eines lassen muss, dann, dass sie Eier haben. Der fünfeinhalbstündige Mula sa kung ano ang noon wurde ohne Pause gezeigt – dafür wurde beim Eingang Mineralwasser verteilt. Ich habe als einer der wenigen im Saal bis zum Ende meinem Harndrang widerstehen können und bin ein bisschen stolz auf mich.

Lav Diaz himself

Grau in Grau, beinahe monochrom präsentiert sich eine namenlose philippinische Ortschaft in den 70er Jahren. Fast konturlos fügen sich die Menschen in die Naturkulisse ein. Mensch und Natur vereint – geradezu paradiesisch muten die Verhältnisse an. Aber dieses Paradies ist kein rein christlicher Garten Eden. Die Unschuld in diesem mythischen Paradies wird exemplifiziert durch ein Kind, den Jungen Hakob, und eine Närrin, Joselina, rund um die sich die elliptischen Episoden des Film ranken. Als sie schließlich beide das Land verlassen, verschwindet auch die Magie, der Mythos stirbt sozusagen aus. Das Kriegsrecht wird verhängt und das einstige Paradies endet in Chaos und Tod. Eine recht freie Interpretation, aber zum Denken bleibt in diesen fünfeinhalb Stunden genug Zeit. Großes Kino der kontemplativen Momente!

PS: Jugend ohne Film sucht noch immer nach einem Filmfestival, dessen Kinos weiter voneinander entfernt sind als die der Grazer Diagonale.