O partigiano: Blaupause der Versöhnung

Die Ära des Kinos, das Einfluss auf die öffentlichen Meinung nimmt, ist vorbei. Es ist aus heutiger Sicht gar nicht so einfach sich in eine Zeit zurückzuversetzen, in der das Kino als wirkliches Massenmedium agieren konnte – das aktuelle Kinofilme den zentralen Gesprächsstoff in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Schule bilden.

In dieser Hinsicht ist die Viennale-Retrospektive 2019 zum Partisanenfilm sogar doppelt interessant. Zum einen natürlich, weil das „Genre“ des Partisanenfilms (wenn man es so nennen will), ein zutiefst populäres Genre ist. Was sonst als nationale Heldengeschichten vor dem Hintergrund ausländischer Invasoren eignet sich, alle Klassen, Geschlechter, Altersgruppen gleichermaßen anzusprechen?

Partisanenfilme sind der ideale Nährboden zur Mythenbildung. Das haben die Filmproduzenten in allen besetzten Ländern nach dem Krieg (und zum Teil auch schon während des Krieges) schnell erkannt. Ob nun Jugoslawien unter dem früheren Partisanengeneral Josip Broz Tito oder Italien auf der Suche nach einer neuen, post-faschistischen Identität oder die unter sowjetischem Einfluss stehenden Länder in Osteuropa – alle suchten fieberhaft nach Geschichten, um die nationale Einheit zu stärken.

Trenutki odlocitve, © Slovenska kinoteka

Der heroische Kampf der Widerstandskämpfer gegen die Deutschen und ihre Verbündeten bot sich da als Chiffre an. Einzig: Es ist alles nicht so einfach. Denn die eben erwähnten Verbündeten rekrutierten sich nicht nur aus Truppen der Achsenmächte. Die Mehrzahl der Helfer und Helfershelfer der Nazis waren in allen besetzten Länder Kollaborateure aus der Mitte der Gesellschaft. Überall gab es bedeutend mehr Mitläufer als aktive Widerstandskämpfer. Die große, pragmatische Masse, die sich weggeduckt hat, gar nicht eingerechnet.

Eine erstaunliche Menge an Filmen der Retro behandelt (implizit oder explizit) diesen Umstand: Die Frage nach dem Danach. Einige der Filme scheinen sogar mehr daran interessiert zu sein, Verhandlungsgrundlage für ein Nachkriegszusammenleben zu bieten, als am nationalen Gründungsmythos zu schrauben. Für manche Filme ist das sogar die zentrale Frage, die es zu lösen gilt. Der Kampf gegen die Deutschen tritt dabei fast in den Hintergrund. Spannend ist dabei, welch unterschiedliche Lösungen die Filmemacher finden, um das Thema zu behandeln.

Trenutki odločitve von František Čap ist aus dieser Perspektive betrachtet ein absolut zentraler Film der Retrospektive. Der Film erzählt von einem Arzt, der eines Nachts einen verletzten Partisanenführer operieren muss. Er wird vor die Wahl gestellt: Den Verwundeten den Kollaborateuren der slowenischen Heimwehr überlassen oder ihn aus dem Krankenhaus zu den Partisanen zu schmuggeln? Er entscheidet sich für letzteres, erschießt auf der Flucht einen der Heimwehr-Soldaten und geht selbst in den Widerstand. Doch die Tat des Arztes wird nicht als Heldenakt gewertet. Die Entscheidung seine Familie zurückzulassen und großen Gefahren auszusetzen quält ihn. Nicht zu morden, sondern Leben zu retten, war bis dahin sein Lebensinhalt.

Eine weitere Figur wird im Verlauf des Films vor eine wichtige Entscheidung gestellt. Um sich den Partisanen anzuschließen, muss die Gruppe rund um den Arzt einen Fluss überqueren. Die einzige Möglichkeit dazu ist ein Fährmann. Er gehört wie der Arzt zu jenen Slowenen, die nicht eindeutig einer Seite zuzuordnen sind. Anders als der Arzt tendiert er – der Vater eines Heimwehrsoldaten – jedoch zu den Kollaborateuren. Umso mehr als sich herausstellt, dass sein Sohn es war, der vom flüchtigen Arzt erschossen worden ist. Er muss sich also ebenso entscheiden: Verrät er den Arzt und seine Gruppe oder bringt er sie über den Fluss?

Eine weitere, melodramatische Wendung erleichtert ihm die Entscheidung: Der Arzt bringt in einer komplizierten Geburt das Kind seiner Schwiegertochter zur Welt. Eine Metapher für eine mögliche Versöhnung zwischen den beiden Seiten. Trenutki odločitve ist eine parabelhafte Erzählung, ein melodramatischer Stoff als nervenaufreibender Thriller inszeniert. Der Widerstand als aktiver Kampf ist hier nur der Hintergrund, vor dem sich das wahre Drama abspielt. Das Drama der Überwindung eines tiefen Misstrauens und tiefer Verletzung innerhalb der Bevölkerung.

Kapitán Dabac, © Slovenský filmový ústav

Der slowakische Film Kapitán Dabač von Pal’o Bielik geht einen anderen Weg. Der namensgebende Protagonist wird hier zum mythischen Helden stilisiert. Zuerst muss auch er sich entscheiden. Denn am Anfang des Films ist er noch Offizier der slowakischen Armee, die auf der Seite der Deutschen kämpft. Er ist jedoch nach den Erfahrungen an der Ostfront bereits desillusioniert, gibt sich dem Alkohol hin.

In einer kathartischen Wendung desertiert er schließlich und schließt sich den Partisanen in den Wäldern an. Er wird zu einer Legende im bewaffneten Widerstand. Sein Wissen um militärische Taktiken und im Umgang mit Waffen machen ihn zu einem wertvollen Mitstreiter. Zwar hat er die Seiten gewechselt aber so wirklich glücklich wird er auch als Widerstandskämpfer nicht. Eine Botschaft schwingt hier klar mit: Am besten wäre es, wenn sich hier gar niemand mehr gegenseitig umbringen würde.

Der Offizier Dabač steht stellverstretend für eine Wahrheit, vor dem man aber gerne die Augen verschließt. Kollaborateur oder Partisan zu sein, ist für den Großteil der Bevölkerung keine Schwarzweiß-Entscheidung, sondern richtet sich in der Regel nach den herrschenden Umständen. Es ist ein schmaler Grat auf dem nicht nur Dabač, sondern praktisch alle Figuren wandeln. Und wenn sie sich der einen oder anderen Seite zuwenden, dann sind die Gründe dafür – auf einer individuellen Ebene – oftmals durchaus verständlich.

Die wahrscheinlich am wenigsten heroischen Protagonisten der ganzen Schau, hat aber Gli sbandati von Francesco Maselli aufzuweisen. Die Hauptfigur ist der Sohn eines wohlhabenden Industriellen (und Kriegsprofiteurs), der mit seiner Mutter aus der Großstadt auf die Landvilla geflüchtet ist. Er ist total apolitisch, verbringt den Sommer mit seinen Freunden ähnlicher Schlagart vergnüglich am Badeteich. Der Krieg tangiert ihn kaum.

Gli sbandati, © G.B. Poletto, Cineteca Nazionale

Erst als – unter großem Protest – eine Familie von Bombenopfern aus der Stadt in der Villa Zuflucht findet. Nur unter Widerstand öffnen sich die herrschaftlichen Tore. Zwar handelt es sich hier um keine aktiven Kollaborateure, die auf Partisanen schießen, aber es gehört mit zu den hässlichsten Szenen der ganzen Retrospektive, wenn die jungen Schnösel und die blasierte Mutter großen Aufruhr machen, damit ihnen diese heruntergekommenen Gestalten nicht ins Haus kommen.

Doch das ist erst der Anfang. Es folgt natürlich die große Besinnung des Protagonisten. Aus Liebe für die Tochter der Flüchtlingsfamilie, die Sympathien für die Partisanen hegt, stellt er sich gegen die deutschen Besatzer, seine Mutter und seinen besten Freund und nimmt Widerstandskämpfer in der Villa auf. Der Bruch mit seiner Herkunft ist aber nicht endgültig. Letztlich fliehen die Partisanen und die Flüchtlingstochter ohne ihn und werden von den Deutschen gestellt. Er bleibt bei seiner Mutter – in Sicherheit. Maselli gönnt seinem Protagonisten nicht einmal den Heldentod, sondern entlässt ihn von Zweifeln geplagt in die letzten Kriegsjahre.

Es ist ein erstaunlich schonungsloses Porträt eines jungen Mannes, der nicht fähig ist, eine Entscheidung zu treffen. Das hebt Gli sbandati von den ersten beiden Filmen ab. Die Entscheidungen des Protagonisten sind nur halbherzig, nicht endgültig und letztlich gibt er sich pragmatisch der bequemsten Lösung hin. Man kann davon ausgehen, dass die Mehrheit der Bevölkerung so agiert hat. Eine Wahrheit, die der italienischen Öffentlichkeit nicht so gut gefiel. Gli sbandati wurde aufgrund seiner ungemütlichen politischen Botschaft nie als Klassiker des italienischen Kinos kanonisiert. Die heroischen Aufständler in Neapel entsprachen eher dem post-faschistischen italienischen Selbstbild.