Yamiutso Shinzo – Vom Herzschlag im Dunkel

Das junge Paar Ringo und Inako ist auf der Flucht vor Kredithaien und landet in der Wohnung von Ringos Freund Shimamoto. Der allerdings stellt eine Bedingung: sie dürfen nur eine Nacht bleiben. Ringo und Inako versuchen auf engstem Raum, etwas zur Ruhe zu kommen. Doch was sie in Wirklichkeit belastet, sind Verwirrung, Unsicherheit, Erschöpfung und vor allem Schuldgefühle über das, was sie zuvor getan haben. Yamiutso Shinzo von Nagasaki Shunichi legt unter Verwendung von wiederkehrenden Monologen direkt in die Kamera die Emotionen des Paars bloß.

Yamiutso Shinzo von Nagasaki Shunichi

Kurz zuvor wurden seelische Abgründe mit spärlichsten Mitteln auf die Leinwand gebracht. Die Super-8mm-Version von Yamiutso Shinzo aus dem Jahr 1982 folgt einer simplen Erzählstruktur und hinterlässt ein beängstigendes Gefühl: Ein junges Paar hat eine Schreckenstat verübt, und die Kamera folgt den beiden nun einen Tag lang auf ihrer Suche nach einer Bleibe für die Nacht. In einem schäbigen Apartment ohne Heizung werden sie auf dem kahlen Boden schlafen und ihre ersten Versuche starten, das Erlebte zu bewältigen. Das Leben als Paar erscheint als Institutionalisierung: Es gibt gemeinsame Alltäglichkeiten wie das Kochen oder weniger Alltägliches wie das Haartrocknen unter der Wärme einer brennenden Glühbirne. Gegenseitige Vorwürfe und gemeinsame Trauer wechseln einander ab, eskalieren in Gewaltausbrüchen und hilflosen Zärtlichkeiten. Am Ende verlassen sie die Wohnung, schließen die Tür und hinterlassen nichts als ein schwarzes Rauschen auf der Projektionsfläche.

Die Fassung aus dem Jahr 2005 ist da schon weitaus komplexer: Auf 35mm gedreht, werden drei auf die ursprüngliche Geschichte bezogene Handlungen miteinander verbunden. Da gibt es einmal die ehemaligen Protagonisten, 23 Jahre später wieder dargestellt von Takashi Naito und Shigeru Muroi, die einander zunächst für einen Abend treffen, um letztlich im Gespräch herauszufinden, dass beide mit ihrer gemeinsamen Vergangenheit noch nicht abgeschlossen haben. Es gibt ein junges Paar, dargestellt von Shoichi Honda und Noriko Eguchi, das sich in der gleichen Situation befindet: auf der gemeinsamen Flucht vor sich selbst und vor allem vor der gemeinsamen Tat. Auch hier wieder hilflose Gewaltausbrüche mit den gleichen Vorwürfen des Mannes an die Frau, als Gebärende auch die größere Schuld zu tragen. Und es gibt zunächst fernab schließlich das Casting des jungen Paares, erste Leseproben und die Arbeit des Regisseurs, der sich nicht nur mit den Profilneurosen der Darsteller auseinanderzusetzen hat, sondern auch mit den Finanzierungsproblemen seines Projekts. Was sich in den über zwanzig Jahren aber nicht geändert hat, ist Nagasakis Bewusstsein dafür, dass es sich bei einem Paar immer um zwei völlig eigenständige Geister und auch Körper handeln kann, die selbstverschuldet in- und aneinander geraten, und dass bei allem zusammen Erlebten eine wirkliche Gemeinsamkeit dennoch unmöglich scheint. Aber dies gilt es, zu akzeptieren.

Claudia Siefen: Wie hat sich Ihre Sicht auf die Geschichte nach 23 Jahren verändert?

Nagasaki Shunichi: Natürlich halte ich die Tat immer noch für schrecklich, das tut wahrscheinlich jeder. Was ich in beiden Filmen zu sagen versuche, ist, dass dennoch jeder in eine solche Situation kommen kann. Mord ist immer eine unfassbare Tat. Dass es sich hier um Kindsmord handelt, macht das Ganze psychologisch noch interessanter, aber auch anfälliger für „Betroffenheit“. Ich habe mich erst gar nicht weiter mit der Psyche von Kindsmördern auseinandergesetzt: Das würde ihnen nur einen Sonderstatus zubilligen. Ich wollte dieses Paar als zwei ganz normale Menschen zeigen und nicht als etwas Besonderes.

CS: Wenn ein junges Paar gemeinsam sein Baby umbringt – in Ihrem Film erzählen beide von Schlägen ins Gesicht und davon, wie sie es auf den Boden geworfen haben –, dann handelt es sich um zwei ganz normale Menschen?

NS: Ich wollte auf jeden Fall eine moralische Verurteilung verhindern, zumindest meinerseits. Dass beide diesen Mord begangen haben, ist ein schreckliches Erlebnis, mit dem sie für den Rest ihres Lebens umzugehen haben. Aber ich wollte zeigen, dass dieser Mord nicht ihrem Charakter entspringt. Es geht, wie bei allem im Leben, um den jeweiligen Moment, der bestimmend ist dafür, was wir tun und was nicht. Und dass eine solche Selbstbestimmung nicht immer ein Muster für unser weiteres Leben ist. Vielleicht mache ich in zwanzig Jahren ja noch eine dritte Version.

CS: In beiden Versionen ist es die Frau, die von Erscheinungen des toten Kindes verfolgt wird, psychisch das Ganze nicht verarbeiten kann, und es ist in beiden Filmen der Mann, der seine Hilflosigkeit mit Gewalt und Verdrängung kompensiert.

NS: Ich glaube, Frauen sind psychisch stärker als Männer. Das äußert sich auch in der Fähigkeit, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und schließlich darin, Leid zu ertragen. Frauen haben da eine ganz andere Umgangsweise, die ich selbst immer noch nicht verstehe. Meist sieht es danach aus, als seien Frauen hilflos der männlichen Gewalt ausgeliefert, aber sie gehen einfach anders mit ihr um, was einen gewissen Typ von Mann zur Gewalt erst provoziert. Ich weiß es auch nicht genau. Auf jeden Fall sind sie stärker, kämpferischer, und es fehlt seitens der Männer einfach an Verständnis für diese Kraft. Aber ich schildere hier nicht „Männer und Frauen“, sondern ganz bestimmte Charaktere, die nun wirklich kein Bild der Gesellschaft abgeben sollen. Das ist auch nicht meine Aufgabe. Im Gegenteil: So etwas wäre ziemlich sinnlos.

CS: Warum gibt es in der Fassung von 2005 diese zusätzlichen Szenen vom Filmset? Vergrößert das nicht die Distanz zur Geschichte?

NS: Zunächst soll das Ganze keine biografischen Bezüge vermitteln. Dass der Zuschauer sich darüber im Klaren ist, ist mir ganz wichtig. Es sollte eher einen größeren Bezug der Darsteller zur Geschichte herstellen. Das Ganze ist immerhin 23 Jahre her, und ich wollte zeigen, wie sehr sich beide immer noch damit beschäftigen. Diese Figuren sind in ihnen mitgewachsen, und heute sehen sie das junge Paar, das in der gleichen Situation steckt. Darum geht es: Alles ist immer ein Miteinander, und die Problematik des Miteinander wollte ich zeigen. Der Altersunterschied war an einem besseren Verständnis der Geschichte auch nicht unbeteiligt: Damals waren die Darsteller und ich im gleichen Alter, und nun musste ich mit diesen beiden jungen Leuten arbeiten. Sie haben die Fassung von 1982 vor dem Dreh zwar gesehen, aber an einem gegenseitigen Verständnis, was uns persönlich angeht, war ich überhaupt nicht interessiert. Ich glaube auch, dass es die Arbeit erleichtert, wenn etwas natürliche Distanz vorhanden ist. Ich muss sagen, dass ich die beiden erst verstanden habe, als wir die nächtliche Tanzszene gedreht haben, in der das junge Paar aus dem Wagen steigt und am Strand herumtanzt. Da hat es bei mir „klick“ gemacht. Und das hat mir auch gereicht. Menschlichkeit muss man erlernen, und vielleicht trägt das Kino etwas dazu bei, sich für seine Mitmenschen zu interessieren. Aber man sollte das vielleicht auch nicht nicht überschätzen.