Viennale 2014: Kentucky Pride und My Darling Clementine von John Ford

My Darling Clementine von John Ford

Die Programmierung von Kentucky Pride vor der pre-release Version von My Darling Clementine im Rahmen der John Ford Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum könnte-wenn man rein vom kreativ-vermittlungsbezogenen Potenzial kuratorischer Vorgänge ausgeht-zwei Gründe haben. Der erste Grund wäre, dass man einem oft übersehenen Film-in diesem Fall Fords Stummfilm Kentucky Pride-eine besondere Aufmerksamkeit schenkt, wenn man ihm am ersten offiziellen Tag der Viennale neben einen dieser absoluten Filme von Ford, nämlich My Darling Clementine stellt. Ein anderer Weg würde in eine Verbindung zwischen den beiden Filmen führen, Abdrücke, die zwischen zwei Werken aus zwei grundverschiedenen Phasen des Schaffens von Ford flimmern.

Vielleicht findet der Dialog zwischen den Filmen aber in etwas statt, dass an diesem Abend im Unsichtbaren Kino gar nicht sichtbar war. Denn zum ersten Mal war es mir vergönnt diesen atemberaubenden Print der pre-release Fassung von My Darling Clementine zu sehen. Bekanntermaßen hatten sich die Produktions- und Regielegenden Darryl F. Zanuck und John Ford nicht auf einen finalen Schnitt einigen können. Zanuck zerschnitt Fords Visionen an einigen Stellen. So hatte ich nun zum ersten Mal die Gelegenheit diese alltäglichen Augenblicke zu sehen, in denen der faszinierende Wyatt Earp (gespielt von Young Mr. Henry Fonda, der nicht nur bei Ford immerzu spielt was er selbst und wir alle gerne wären, eine unbestechliche Gelassenheit, sicher und doch zurückhaltend, ehrenhaft und doch zielstrebig, abwesend und immer da) auf der Veranda sitzt, balanciert und atmet bevor Clementine in dieser Stadt mit dem vielsagenden Namen Tombstone ankommt. Ambivalenzen in den Figuren wie eine kurze Verständigung zwischen dem im pre-release sowieso weitaus aufregenderen Doc Holliday und Clementine während der Operation von Chihuahu. Die lyrische Seite des Western, die Zanuck natürlich nicht ganz aus den staubigen Kontrasten einer einsamen Seelenwelt entfernen konnte, ist und bleibt die große Stärke eines Films, der seine Figuren wie Geister im amerikanischen Sand inszeniert, dunkle Gestalten, die gegen die majestätische Luft laufen und dabei nie vom trockenen Humor des Regisseurs gewahr sind. Ein Schluck Whiskey ist hier immer zugleich ein Klischee, die Bewertung des Klischees, seine kulturelle Verortung, männliche Schwäche und Stärke, ein Ritual und eine Flucht. Der Duft nach Wüstenblumen ist nur jener eines Parfums, das Land ist immer eine Illusion, immer gibt es den nächsten Traum, die nächste Sehnsucht.

Henry Fonda in My Darling Clementine

In diesem Sinne ist es auch nur konsequent, dass am Ende der fordschen Fassung kein schüchterner Wangenkuss sondern ein einfacher Händedruck zwischen Wyatt und Clementine steht. Der Weg den Wyatt reiten wird, führt in das Bild Amerikas und zugleich eine endlose Wüste der Trauer. Zanuck hatte diesen flüchtigen Kuss nachdrehen lassen, ein Fremdkörper damit Hollywood funktioniert, eine zumindest etwas größere Sicherheit am Ende des Kinoabends. Ford wurde in seiner Karriere immer wieder Opfer solcher Zerstückelungen. Ob vom Regisseur beabsichtigt oder von seinem Studio Fox erzwungen steht am Ende von Kentucky Pride ein solcher Kuss (zum Teil vor Kameras!!!) und genau hier sprechen die Filme miteinander. Es geht dabei um die Frage der Vereinigung verlorener Seelen in der Weite eines Landes, das von gesellschaftlichen und politischen Prinzipien beherrscht wird, die in den männlichen Herzen von Ford keine andauernde Nähe sondern nur ein Streben nach sich Selbst und nach Mehr zulassen. In Kentucky Pride gehören diese Herzen und damit auch der Kuss Pferden. Der Regisseur versuchte sich in diesem Stummfilm an einer manchmal sehr niedlichen Jack London Erzählweise, indem er aus Sicht eines Rennpferdes in das Milieu von Pferderennen einsteigt. Dabei verfolgen wir die Geschichte des Rennpferdes Virginia’s Future, das sich verletzt, gerettet wird, von ihrer Tochter getrennt wird und schließlich voller Stolz diese bei einem Rennen beobachtet, wieder vereint, sich berührend. Ein Kontrast zweier Filme, bei denen der frühere Film ein Ende besitzt und der spätere geradewegs durch unsere Herzen reitet, als wäre da ein Horizont am Ende der Welt. Dies ist natürlich auch genrebedingt, aber im Dialog beider Filme zeigt sich wie Ford als Künstler und sein Sentiment dafür kämpfen mussten, Dinge wegzulassen, um mehr Gefühl zu ermöglichen. Der eigentliche John Ford Moment in der Beziehung zwischen den Figuren in Kentucky Pride vollzieht sich in einer Szene etwas früher im Film zwischen Mensch und Pferd. Es ist jene zerreißend poetische Anekdote als Virginia’s Futures Ziehvater Beaumont beiläufig auf einer Straße das Pferd tätschelt, ohne zu bemerken, dass es sich dabei um sein Pferd handelt. Es ist dies ein Augenblick dieser beiläufigen Nähe, dieser wahren Zärtlichkeit, die es immer nur in einer Flüchtigkeit geben kann bei Ford. Ein Sehnsuchtsbild aus Sicht des Pferdes, so wie das dringliche und emotionale Feuer in Wyatt, das ihn in den berühmten Tanz mit Clementine unter den unfertigen Symboliken einer Nation zieht.

In beiden Filmen sehen wir schwarze Pferde im Regen. In ihnen spiegelt sich vielleicht eine Einsamkeit und Schutzlosigkeit wieder, die nicht zuletzt auch für die Menschen in den Filmen gilt. In die Ecke gedrängt, wehrlos und doch voller Würde und Überlebenstrieb. Es ist entweder so, dass Wyatt Earp selbst wie ein Pferd getrieben wird oder dass die Pferde auch ohne ihre Reiter weiterziehen würden. Zumindest bis ein großer Produzent ihnen sagt, dass sie anhalten müssen.

My Darling Clementine von John Ford

(Aber niemand kann verhindern, dass Ford sich dafür interessiert wie es aussieht, wenn ein sterbender Mann einen letzten Schuss in einen Trinktrog feuert, vorbeigaloppierende Pferde einen staubigen Wüstenschleier entfachen, der das Unsichtbare als poetisches und doch reales Konstrukt offenbart oder ein Mann kurz nachdem er vermeintlich Schlimmes getan hat über einen Balken stolpert.)

Viennale 2014: Young Mr. Lincoln von John Ford

Young Mr.Lincoln

Mit der Retrospektive für John Ford im Österreichischen Filmmuseum und der Peter Handke geht ins Kino-Schau im Metrokino hat die Viennale 2014 einige Tage vor ihrem offiziellen Beginn am 23.Oktober bereits Fahrt aufgenommen.

Schon in den ersten Bewegungen von Young Mr. Lincoln bemerkt man das verspielte Gewicht mit dem Ford seine weltbekannte Figur heroisiert. Eine Fiktion ist das, die von einer coolen Zärtlichkeit durchdrungen wird, von einer entdramatisierten Narration, die den absolut vorhandenen Pathos in einer Art versteckt, die man wohl selten gesehen hat. Vergleicht man den Film-und das bietet sich ja durchaus an-mit Steven Spielbergs Lincoln so bemerkt man recht schnell welch außerordentlicher Regisseur Ford und welch beschränkter Filmemacher Spielberg ist. Beginnen könnte man bei den Darstellungen und Darstellern von Abraham Lincoln. Gibt der außerordentliche Daniel Day-Lewis jene ikonische Figur bei Spielberg wie ein Theaterdarsteller, als Alleinunterhalter für die, mit seiner Kraft überforderte Kamera so verhält es sich bei Henry Fonda und Ford so, dass die Darstellung immer im Verhältnis zur Kamera entsteht. Als würde ein unsichtbares Gewissen die Bewegungen und moralischen Sätze des jüngeren Lincolns lenken, als würde uns jederzeit klar, dass wir einen bestimmten politischen und persönlichen Blick auf diesen Mann erkennen. Der Abstand zur Kamera oder das prominente Framing des markanten Hutes des späteren Präsidenten in der Bildmitte im Gerichtssaal deuten auf dieses Vorgehen hin. Ford mystifiziert seinen Blick derart und lädt ihn so auf, dass wir uns nie sicher sein können, ob es sich lediglich um eine nostalgische Glorifizierung oder doch um eine ironische Liebeserklärung handelt. Außer in der letzten Szene kommen diese Momente nie mit großen Gesten, sie sind einfach Teil der anekdotischen Vorgehensweise (Drehbuch: Lamar Trotti) des Films. Bei Spielberg werfen die großen Schatten an den Wänden, das überbetonte Kerzenlicht und das strahlende Weiß, das durch die Fenster und Türen dringt (ganz zu schweigen vom Blau, in den der Film getunkt ist) immer schon mit einer Schwere um sich, die einen so lange ob der Bedeutung des Ganzen anschreit, dass man schlicht sein Interesse verliert. Ford benutzt Film hier als Sprache mit der er-der Filmemacher-aus einer bestimmten Perspektive von etwas erzählt während Spielberg technische Mittel benutzt, um etwas aus einer amerikanischen oder gar universellen Perspektive zu vermitteln. Der Effekt ist spiegelverkehrt. In Spielbergs Film hat man das Gefühl, dass er aus einer anderen Zeit stammt und nur im Kontext einer bestimmten Kultur funktioniert, während Ford mit seinem Understatement ein Gewicht und eine Bedeutung ermöglicht, die entweder ehrlich ist oder als politische Propaganda bestens funktioniert. Natürlich bedient er sich sämtlicher Stilmittel, die Spielberg in seiner Betrachtung des Mannes benutzt, aber bei Ford ist man sich immer einer zurückhaltenden Bewunderung bewusst während Spielberg so tut als wäre sein Ansatz die Wahrheit selbst. In beiden Filmen wird viel über Logik und Moral gesprochen, aber während Spielberg nicht anders kann als den Stoff durch einen merkwürdigen Filter zu neutralisieren, lädt ihn Ford mit einem subjektiven Gefühl auf. Spielberg legt in einen äußerst komplexen historischen Vorgang ein äußerst emotionalisiertes und vereinfachtes Drama während Ford in einen einfachen Fall eine äußerst komplexe Wahrnehmung einflößt. Vielleicht ist der Vergleich ein wenig unfair, weil Ford-man sieht es als er am Ende nicht widerstehen kann, Lincoln in ein Gewitter spazieren zu lassen-in diesem Ausschnitt des Lebens noch nicht das Gewicht der Geschichte finden kann wie Spielberg, bei dem es um die amerikanische Frage schlechthin geht.

Young Mr. Lincoln von John Ford

In Young Mr. Lincoln wird einmal beschrieben, dass Lincoln einen Fluss genauso betrachtet wie eine Frau, die er liebt. Genau das gleiche gilt für den Blick von Ford, diese Romantik, diese Einsamkeit. Lincoln ist eine eigene Form des Loners, den beispielsweise John Wayne im selben Jahr für ihn in Stagecoach gab. Zunächst betrachten wir ihn als jungen Mann am Scheideweg, ein Denker, ein Bücherwurm, eine verlorene Seele. Er widmet sich dem Recht und nach einem ungeklärten Mordfall am Rande eines grandios gefilmten Festes mit Holzstammteilungen und Tauziehen schlägt die große Stunde von Lincoln, der die Angeklagten, zwei Brüder von denen nicht klar ist, wer den Mann ermordet haben soll, verteidigt. Ein Mann des Volkes, der mit seiner unbestechlichen Moral und Logik und mit einer gesunden Prise Humor die Leute begeistert. Dieser Humor ist ein entscheidendes Element im Film, weil er eine Distanz schafft, die den Pathos bricht. Außerdem existiert eine Art Traumlogik in den Bildern, dieser romantische Touch mit Sehnsuchtsbildern aufgeladen, die einem immerzu sagen, dass diese Ikone das Kino ist und nichts anderes. Dabei agiert die kinematographische Verklärung aber selbst nie verklärend, sondern macht sich immer als solche bemerkbar. Vielleicht ist der Unterschied zwischen Ford und Spielberg, dass Ford einen romantisch-politischen Film über Geschichte gemacht hat und Spielberg eine romantisch-politische Geschichte mit Film.

Im Gericht trifft in der Figur der Mutter der zwei mutmaßlichen Mörder die juristische Wahrheit auf die emotionale Wahrheit. Genau in diesem Spannungsfeld bewegt sich der Film und vieles in der amerikanischen Geschichte mit dem Lincoln konfrontiert war. Die Mutter verweigert ihre Aussage, weil sie niemals einen ihrer Söhne belasten könnte. Hier vereinen sich das Drama von Film und das Theater des Gerichts. Nur Ford bemüht sich keineswegs um dieses Drama. Ihn interessiert das Verständnis, das Lincoln für diese Frau hat. Die Kamera isoliert die Frau kaum sondern setzt sie immer ins Bild mit dem jungen Lincoln, der aus ihr lernt und damit bekommt der Raum des Gerichtssaals bei Ford eine filmische Komponente, die ihn über jenen Spielraum für ein theatrales Schuss/Gegenschuss Dispositiv hebt. Bei Ford ist das Gericht ein Film: Raum mit Tiefe (man beachte den Richter im Hintergrund), Off-Screen (man bemerke das betrunkene Aufstoßen eines der Jurymitglieder) und mit einem Staging im Raum.

Young Mr.Lincoln mit Henry Fonda

Ein letztes Beispiel für die Regiekraft von John Ford. Nach dem ersten Verhandlungstag befinden wir uns plötzlich in einer trauten Familiensituation der Angeklagten. Kerzenlicht, ein Holztisch. Ford filmt die traurigen und sich liebenden Gesichter kommentarlos. Es ist ein Moment poetischer Schönheit und es ist nicht ganz klar wie es dazu kommen konnte, da es gerade nicht besonders gut aussah für die beiden Brüder vor Gericht. Die Kamera und Montage gewähren uns erst nach einiger Zeit einen Blick auf das Ganze und wir bemerken, dass sich diese Szene hinter Gittern abspielt. Eine Illusion, die gebrochen wurde und dadurch zur vollen Schönheit gelangt.