herzförmig

Das Wort herzförmig, was löst es in dir aus? Wenn ich es sage, siehst du dann einen blutigen, verkrampften Muskel oder einen gleichmäßigen Pulsschlag oder eine Liebe?

Als Kind habe ich von einer herzförmigen Wanduhr gelesen und ich konnte mir nicht recht vorstellen, was das sein sollte. Dann habe ich Herzen auf die Tischdecke gemalt und alle dachten, dass ich verliebt sei. Mich interessierte aber nur die Form, nicht was sie bedeuten mochte. Ich habe überall herzförmige Linien gezogen, mit den Fingern im Staub auf der Heizung im Bad, auf beschlagenen Fenstern, im Schnee. Im Wörterbuch las ich, dass als herzförmig bezeichnet wird, was der Form eines Herzens entspricht. Die Form eines Herzens.

Ich habe diese Form zunächst als Leistungsfähigkeit verstanden. Die Form, so wie ein Sportler in Form sein möchte, so soll es auch das Herz sein. Lebendig bestenfalls. Ich habe mir gedacht, dass die Herzförmigen gesund sein müssen.

Das Herz ist ja immer zugleich herumspringendes, leicht aufzuschreckendes, motorisches Ungetüm und ruhender Anker von Wahrheit und deren Fragilität. Zur Zeit schreiben alle am Ende ihrer Emails herzlich und wieder bin ich mir nicht sicher, was damit gemeint ist. In den Briefen Franz Kafkas taucht dieses Herzliche unentwegt auf, egal an wen, es liegt ihm stets am Herzen. Am Herzen liegen, wie stoisch muss man sein, um bei dem Lärm, den so ein Herz verursacht, liegen zu können?

Damals habe ich ein kleines Büchlein vollgekritzelt mit meinen Herzen, aber auch mit einer Liste von Dingen und Lebewesen, die mir herzförmig vorkamen: Laub, das Gesicht von meiner Mathelehrerin Frau Offergeld, der Baggersee, die blaue Parfümflasche meiner Mutter, am Strand vergessene Muscheln, der Aschenbecher meines Opas, wie ich mir die Vulva vorstellte, eine Wolke, die am 6. November 1996 über mein Dorf zog, Fährten von Rehen, Marienkäfer, das Gestell von Sonnenbrillen, die silbernen Manschettenknöpfe an den Hemdsärmeln meines mir Bibeln schenkenden Onkels, eine Vertiefung im Holzrahmen, der mich daran hinderte, aus dem Bett zu fallen, die kleinen Guckfenster in manchen Haustüren. Ich habe das Buch verloren, mehr kann ich nicht erinnern.

Unser Pfarrer, der auch unser Lehrer war, sagte, dass es einen Unterschied gibt zwischen einer Vergebung, die nur über die Lippen und einer Vergebung, die von Herzen kommt. Ich übte fortan zu vergeben, indem ich meine Lippen zu einer Herzform verformte beim Sprechen, ich sprach durch das Herz meiner Lippen. Niemand konnte mich verstehen, meine Mutter ermahnte mich, ich solle vernünftig sprechen.

Irgendwann fand ich dann alles Herzförmige unangenehm. Ich glaubte an eine Verschwörung der Herzförmigen, die mich heimsuchten. Diese doppelt geschwungene und dann spitz zulaufende Form umrahmte alles, was ich denken konnte. Mich widerte diese Gleichzeitigkeit aus geschwungener Sanftheit und kantiger Schärfe an, die dieser Form innewohnt. Je nachdem, ob ich das Herz von oben oder unten betrachtete, war es mir zu weich oder zu hart.

Komm endlich, du, vor dem die Herzen sinken!, habe ich später bei Francisco de Quevedo gelesen und mir vorgestellt, wie die Herzen sinken. Das hat mich ein bisschen mit den Herzen und ihrer Form versöhnt. Wohin sie sinken, habe ich mich gefragt und keine Antwort gefunden. Aber es beruhigte mich, dass sie sinken. Ich denke, dass das, was sinkt, auch fliegen kann.

Selbstverständlich haben die Spitzfindigen unter den Linguisten längst bemerkt, dass das Herz auch im Scherz verborgen liegt. Ich frage mich, ob es mir besser ergangen wäre, wenn ich als Kind die Scherzförmigen gesucht hätte. Sie nehmen die Dinge weniger Ernst, das gereicht ihnen sicherlich zum Vorteil. Die Liste scherzförmiger Dinge ist unerschöpflich. Aber das Herz liegt auch im Herzustellenden, Vorherzusehenden, in den Herzogen, es trägt alles eher zur Verwirrung bei. Und ich habe noch gar nicht angefangen von Wörtern wie dem Herzhaften zu schreiben. Man stelle sich vor, jemand würde in einen Käse beißen und dieser würde schmecken wie ein Herz. Nicht, dass viele nicht eine gewisse Freude, um nicht zu sagen Lust empfinden, wenn sie Innereien verspeisen, aber dann sprechen sie selten vom Herzhaften, auch wenn es angebracht wäre.

Aber was löst nun dieses Wort in dir aus? Herzförmig. Das Herz als umfassendes, verwirrendes, sich ständig wandelndes Symbol, die Form als das, was einfängt, ordnet, erkennbar macht. Ein Paradox zweifellos. Ein Herz wird in Form gegossen, die Form kann aber nicht zum Herzen werden. Zumal das, was wir als herzförmig beschreiben, nicht wirklich aussieht wie ein Herz. Diese Form vereinfacht das Unförmige der eigentlichen Herzen.

Also habe ich mir die Mühe gemacht, zu einem Arzt zu gehen, ich muss so 15 Jahre alt gewesen sein, um ihn darum zu bitten, mein Herz zu röntgen. Er entdecke dabei eine Unregelmäßigkeit, nichts Schlimmes, wie er mir versicherte. Dass ich aber ein unregelmäßiges Herz hatte, gefiel mir und den Scan, den ich nach Hause nehmen durfte, studierte ich aufmerksam. Er hatte nichts Herzförmiges an sich. Was ich als mein Herz bezeichnen muss, ist eine unscheinbare, blasse Tasche, die irgendwie zwischen meinen Rippen hängt, kaum zu verstehen, dass es nicht von ihnen aufgespießt wird. Ohne die Bewegung, das Pumpen, die Kontraktion, würde man fast glauben können, es handle sich um einen Fremdkörper, der sich da auf einer Seite des Brustkorbs ausbreitet.

Ich gebe zu, dass es ein bisschen zu einfach ist, irgendwelche biologischen Halbwahrheiten mit symbolischen Bildern aufzuwiegen. Dazu ist das mit den Herzen und wie sie gesehen werden einfach zu unverfänglich. Es schadet den Herzen ja nicht, dass sie gar nicht so aussehen, wie sie dargestellt werden. Trotzdem ist es so, dass mich das Thema nicht losgelassen hat, vermutlich weil ich den Fehler beging, die Anatomie mit dem Bild zu verwechseln und vice versa. Wann immer mir also wer von Herzen erzählt und wie sehr alles zu Herzen ginge und wie das Herz einen Sprung machte und dass man mich herzlich grüße und wie man sein Herz verloren hätte, sehe ich ein Stück Fleisch mit Adern und allem, was dazugehört. Wenn aber wer sagt, dass ein Herzinfarkt erlitten wurde oder das Herz nicht im besten Zustand wäre oder man die Aorta perforieren müsse, dann sehe ich diese wohlgeschwungenen Formen des Herzförmigen und ich verstehe nichts. Ich denke, dass ich mich glücklich schätzen kann, denn so lässt sich das Unerträgliche besser stemmen und das Emotionale bekommt eine Grundierung im Endlichen. Man kann nicht ohne Körper lieben sozusagen.