Ein Kaffeekränzchen mit Ingmar: Auf der Suche nach Ingmar Bergman

Auf der Suche nach Ingmar Bergman von Margarethe von Trotta

Im Jahr 1994 hat Ingmar Bergman für das Filmfestival Göteborg eine Liste von elf Filmen zusammengestellt, die ihm persönlich am wichtigsten waren. Ein paar Jahre später wurde diese Liste als Bergmans favoriter/Bergman’s List zweisprachig in Buchform veröffentlicht. In Auf der Suche nach Ingmar Bergman blättert die Regisseurin Margarethe von Trotta durch diesen Band. Bergman nennt darin Klassiker wie Tarkovskys Andrei Rublev, Akira Kurosawas Rashomon, Federico Fellinis La strada oder seinen Lieblingsfilm Kökarlen von Victor Sjöström als filmische Wegbegleiter in seiner Karriere. Fast alle Filmemacher, die in der Aufzählung vorkommen sind schon tot. Bis auf eine: Margarethe von Trotta, die mit Die bleierne Zeit vertreten ist. Im übrigen ist sie auch die einzige Frau in der Liste.

Die etwas bizarre Wendung an dieser Szene ist allerdings, dass es weniger darum zu gehen scheint, welche Filme und Regisseure Bergman in seiner Karriere inspiriert haben – bis auf eine kurze Passage, in der es um sein Verhältnis zu Sjöström geht, kommen solche Dinge fast gar nicht vor –, sondern darum Trottas Freude über die lobende Erwähnung durch den Meister hervorzuheben. Es ist nicht der einzige Moment dieser Art, in dem es weniger um Ingmar Bergman und seine Filme, als um das persönliche Verhältnis von Trotta zu Bergman zu gehen scheint.

In Zeiten gleichgeschaltener Filmbiographien über Künstler oder andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die nach dem immer gleichen Muster aus Filmausschnitten, Archivmaterial und Talking Heads die immer gleiche Heldengeschichte erzählen, wäre eine solche persönliche Erzählung ja vielleicht sogar erfrischend. Wenn Trotta ganz zu Beginn ihres Films am Originalschauplatz der Anfangsszene von Det sjunde inseglet gezeigt wird, am Strand, wo Max von Sydow das erste Mal auf den Tod trifft, und sie dann beginnt diese Eröffnungsszene im Detail zu analysieren, macht das Hoffnung. Endlich kein Einheitsbrei.

Im Anschluss an diese Analyse spricht Trotta von der besonderen Bedeutung des Films, den sie 1960 als Jugendliche in Paris gesehen hat, für ihre persönliche Entwicklung. Es war ihr erster ernsthafter Kontakt mit dem Film als Kunstform. Wenn man sich damit arrangieren kann, dass Trotta in ihrer Auseinandersetzung mit Bergman sehr viel auf sich selbst projiziert und der Film an manchen Stellen zur Autobiographie wird, könnte man sich eine solche Vorgehensweise für eine Filmbiographie sogar ganz gut vorstellen. Schnell wird aber deutlich, dass Auf der Suche nach Ingmar Bergman kein solcher Film ist. Sondern dann doch eher eine leblose Künstlerbiographie, die nur auf ihre TV-Auswertung zu warten scheint. Trotta besucht alte Weggefährten wie Liv Ullmann, Bergman-Connaisseure wie Olivier Assayas und Stig Björkman und auch Ruben Östlund, weil er Schwede ist und letztes Jahr die Goldene Palme gewonnen hat. Dazwischen sieht man Filmausschnitte und Archivmaterial von Bergman.

Wer den Namen Ingmar Bergman vom Hörensagen kennt und vielleicht eine Handvoll seiner Filme gesehen hat, wird hiervon womöglich dazu inspiriert sich noch weitere Arbeiten des Schweden anzusehen, oder sich näher mit dessen Arbeitsweise auseinanderzusetzen. Für einigermaßen Bergman-begeisterte Cinephile gibt es aber wenig zu sehen und zu hören, was nicht ohnehin schon bekannt ist. Chronologisch arbeitet sich Trotta durch Bergmans Werkbiographie, wobei die Zeit vor 1957 weitestgehend ausgeklammert wird (einer der Gründe, weshalb es wenig Neues zu entdecken gibt). Der Film konzentriert sich vielmehr auf die Filme, die in Deutschland am bekanntesten sind. Das freut wahrscheinlich das geneigte ARTE-Publikum, das zum hundertsten Geburtstag des Schweden seine Filmbiographie vorgesetzt bekommt, sehr viel Tiefe darf man sich hingegen nicht erwarten. Als einigermaßen mit Bergman vertrauter Filmjünger wartet man eher darauf, dass die zähe Geschichte ein Ende findet.

Die unnahbare Glätte der Produktion kann auch durch Trottas Selbstreflektionen nicht aufgeraut werden. Sie wirken vielmehr fehl am Platz. Als ob die verdiente Filmemacherin sich auch ein wenig in der Sonne Bergmans glänzen wolle. Das ist auch deshalb seltsam, weil eine Figur wie Trotta so etwas nicht nötig hat, und ich sie außerdem so einschätzen würde, dass ihr ein solches Vorgehen ohnehin zu blöd wäre. Wie in Filmen dieses Formats üblich, wird auch kein einziges kritisches Wort über den Jubilar verloren. Weder seine Steueraffäre noch sein Verhältnis zu Frauen (das hätte man sich bei Trotta schon erwartet) werden kritisch beleuchtet. So changiert der Film zwischen einem Kaffeekränzchen unter alten Freunden, einer routinemäßigen TV-Übung und einer essayistischen Selbstreflektion. Ähnlich unausgegoren wie diese Aufzählung, ist dann auch der fertige Film.

Susan Sontag Revisited 1: Susan geht am Ingmar in die Kirche

Vom 19. bis 24. Mai findet im Stadtkino Wien im Rahmen der Wiener Festwochen eine Schau zum unbekannten filmischen Werk Susan Sontags statt. Ioana und Patrick besuchen die Programme und versuchen ihre Konfrontation mit dem Werk möglichst ungefiltert wiederzugeben.

Am ersten Tag wurden vier Filme gezeigt. Duet för kannibaler und Bröder Carl jeweil begleitet von einem Screen Test von Andy Warhol mit Susan Sontag. Vor dem zweiten Film gab es eine spannende Einführung von Kurator Ralph Eue.

Patrick:

◊ Vor kurzem habe ich in der Biographie von Josef von Sternberg gelesen. Er schreibt, dass er sich theoretisch mit Kunst und Film beschäftigt habe, bevor er die Technik lernte. Für ihn sei das ausschlaggebend in seiner Karriere. Ich bin eigentlich sehr seiner Meinung. Ich weiß, dass viele das anders sehen. Das man erstmal das Handwerk beherrschen muss bevor man die großen Ideen hat.

◊ Es ist nicht leicht über die ersten Filme von Susan Sontag zu schreiben. Mein Problem: Ich bin mir nicht sicher, ob ich Filme von Susan Sontag gesehen habe. Es sind schwedische Filme. Vielleicht die besten Bergman-Kopien (nicht im analogen Sinn), die ich bislang gesehen habe. Sie sind nicht amerikanisch, sie sind Ausdruck einer Bewunderung.

◊ Was mir vor allem aufgefallen ist: Sie sind handwerklich perfekt. Nein, das stimmt nicht ganz. Vor allem in Bröder Carl hatte ich große Probleme mit dem Post-Synch Dialogen, das war nur schwer zu ignorieren.

◊ Kennst du das, wenn du eine Sache nicht mehr sehen kannst in Filmen? Bei mir gehört dazu: Ein Schnitt von Mann und Frau, die zusammen ins Bett gehen auf das Frühstücksei. So gesehen in Duet för kannibaler. Hat der Film etwas eigenes? Ich weiß nicht. Ralph Eue hat es mit seiner Bergman, Antonioni und Godard Querverbindung ziemlich gut beschrieben.

◊ Warum hat sie Filme gemacht? Diese ersten beiden Arbeiten wirken ein wenig so, als wollte sie sich und uns etwas beweisen, oder? Vielleicht sprechen aus diesen Filme Liebe und Bewunderung für eine bestimmte Form des Kinos, vielleicht sprechen daraus aber auch Frustration über die bloße Reaktion darauf.

Bröder Carl hat mir besser gefallen. Es ist zwar irgendwie eine Mischung aus Dingen, die man in Persona (die Frage des Sprechens, der Ausdruckmöglichkeiten und des Begehrens, was dort drin steckt) und Ordet (die Frage des Glaubens, der Wiedergeburt, des Wunders), aber es gibt dort ein paar Szenen (zum Beispiel die Badewannenszene), die für mich etwas eigenes ausgedrückt haben.

◊ Ist es prinzipiell ein Problem, wenn man das Gefühl hat, dass jemand keine eigenen Dinge sagt? Eigentlich finde ich das nicht. es steckt viel Liebe darin, mehr Liebe und Originalität als andere in Arbeiten haben, bei denen nicht so leicht auf Vorbilder zu schließen ist. Bei Sontag hat es mich gestern trotzdem gestört, vielleicht weil ich diese Liebe in ihren Texten mehr gespürt habe, als in den Filmen?

◊ Insgesamt gibt es viele Medien in den Filmen: Aufnahmegeräte, Bücher, Tafeln, Schrift, Sprache, Körperlichkeit, Tanz, Musik, Essen. Und es gibt eine merkwürdige Abkehr davon, die sich am besten in den Männern äußert, die sich auf den Kopf stellen, wenn sie keine Lust mehr haben in beiden Filmen.

◊ Die Screen Tests sind wunderbar. Im zweiten war Sontag viel unehrlicher. Sie war eine Pose. Im ersten war sie einfach nur da. Sie sind beide wunderbar.

Susan Sontag

film-persona

Ioana:

◊ Es ist nicht leicht, über die ersten Filme von Susan Sontag zu schreiben. Mein Problem: Ich brauche sehr lange, um mich daran zu gewöhnen, dass ihre Filme ganz andere Register und Milieus durchwandern, als ich (ohne nachzudenken und etwas engstirnig) vielleicht erwartet habe.  Ich war bereit, etwas zu sehen, dass ein wenig mit den Filmen von Carolee Schneemann oder den Filmen von Jean Epstein in Verbindung stehen könnte. Absurd, da letztere Verbindung vielleicht aufgrund der der Beteiligung von Ralph Eue an dieser Schau induziert wurde, aber auch, weil man zwischen Schneemann und Epstein ein großes Stück von dem, was es an Film gibt, platzieren kann. Nach den ersten zwei Filmen – ja, ich finde auch, dass die Bergman, Antonioni und Godard Querverbindung es gut beschreibt, ich spüre von Ihnen am stärksten Bergman, am zweitstärksten aber Rivettes Abdriften ins Spielerische (du hast mir irgendwann erklärt, dass man das, was ich jetzt meine,  anders besser beschreiben kann, aber ich habe vergessen wie), Céline et Julie vont en bateau, das Ende von Out 1 (die Ähnlichkeiten sehe ich eher in Duett för kannibaler als in Bröder Carl).

◊ Die Probleme mit dem Post-Synch Dialogen in Bröder Carl. Ich habe sie auch und bei mir sind sie auch Teil eines größeres Problems. Oder: Sie haben in meiner Wahrnehmung des Films ein größeres Problem ausgelöst.  Ich habe die Dialoge in  Bröder Carl als sehr forciert empfunden und hatte oft das Gefühl, dass es an bestimmten Stellen zu viel ist, wenn dieser eine Satz jetzt ausgesprochen wird. Ich muss hier wahrscheinlich das Wort Fremdschämen einwerfen. Was ich ab hier nicht mehr weiß ist, ob es Fremdschämen für die Figuren ist, die sich nicht davon abhalten können, einen bestimmten Satz zu sagen, schreckliches über sich zu offenbaren (wenn es so wäre, dann wären wir gar nicht so weit entfernt von dem, was ich an Bergman bewundere, nämlich das Gift, das aus den Figuren herauskommt.) oder ist es Fremschämen für die Art und Weise wie Sontag mit Dialogen in dem Film umgeht (ist es ein Zeichen dafür, dass  Sontags Übergang von Schreiben zu Film in diesem Aspekt nicht so glatt gelaufen ist)?

Bröder Carl hat dir besser gefallen. Die Unstimmigkeit (der Sprung zu dem, was mich an Rivette erinnert) in Duett för kannibaler scheint mir einen einstimmigeren, kohärenteren Film zu ergeben, als die zerstreutere Kohärenz von Bröder Carl. Vielleicht hat mir Duett för kannibaler mehr gefallen, obwohl ich einige Szenen in  Bröder Carl viel vollendeter finde. Aber nicht den Film als Ganzes.  Ich hoffe, dass du  verstehst, was ich meine.

◊ Es tut mir leid, aber ich muss es sagen – die Ähnlichkeit zwischen (dem Bruder) Carl und Ben Whishaw ist unheimlich.

Widerwillen im Film

Einige skizzenhafte Gedanken zum Widerwilligen im Film, vielleicht auch zum Verachtenden.

Wir denken an die abweisenden Küsse von Jeanne Moreau. Ihre Augen hassen die Welt und in ihren Augen verliebt man sich. Diese Szene im Regen bei La notte von Michelangelo Antonioni, diese mächtige Hilflosigkeit, dieses Nicht-Wollen und dennoch über die nächtlichen Jazz-Straßen gehende in Ascenseur pour l’échafaud von Louis Malle. Es ist eine Würde und Schönheit, die diese nicht akzeptieren kann. Deshalb ist es auch so unüberlegt, wenn Filmemacher sie manchmal als „Schönheit“ verwenden. Jeanne Moreau muss sich selbst hassen. Louis Malle, ein Filmemacher, der immer wieder das Widerwillige einfängt, jenes Widerwillige, das immer dann die Seele touchiert, wenn es auf das Leben an sich gerichtet ist wie in Le feu follet. So wie es sich mit Jeanne Moreau und dem Sex verhält, so ist es mit Gary Cooper und der Gewalt. Gary Cooper geht einen Schritt aus der Leinwand in den Zuschauersaal, wenn er Gewalt anwenden muss, er drückt dabei eine Unbeholfenheit und Stärke zugleich aus und genau darin liegt die Bedeutung dieses Widerwilligen, es ist eine zweite Ebene auf klaren Überzeugungen, es ist der Zweifel vor der Angst, der bei Cooper in Filmen wie Friendly Persuasion oder High Noon so deutlich zum Vorschein tritt. Es ist auch eine amerikanische Idee: Der Mann, der tut, was er tun muss. Jede Gewalt, die angewendet wird, will vermieden werden und daraus entsteht das Aufplatzen der Illusion, die man von sich selbst aufbaut, es entsteht Selbsthass, der im amerikanischen Kino oft vergessen wird, nicht aber bei Gary Cooper.

Gary Cooper Grace Kelly

Dieser Zweifel am Tageslicht in den letzten Stunden der Nacht, das Vergessen der Nacht in der Sonne; großes Filmemachen findet die Dunkelheit im Glanz der Sonne. Es ist die Müdigkeit der Bewohner von Fontainhas bei Pedro Costa, die nicht wie in Hollywood von A nach B gehen können, da sie zu müde sind, zu müde, um einen Liebesbrief zu schreiben, es sind die versteckten Frauen bei Mizoguchi, die Frauen bei Mizoguchi, auch wenn sie sich nicht verstecken, sie scheinen nie gefilmt werden zu wollen, es sind die Figuren bei Renoir, die keine Lust auf das Framing haben, die das Bild verlassen wollen, oft auch die Welt verlassen wollen im Anflug von Gewalt oder Liebe, es ist die Art wie Jacques Tourneur in Canyon Passage einen Western inszeniert, als hätte er keine Kraft, keine Lust auf dieses Genre, die Beiläufigkeit des Lebens, die Geschwindigkeit, die keinen Film zulässt, Film, der den fatalen Augenblick festhalten kann und der fatalen Schönheit in ihrem Zerfall beisteht und sie dabei doch entblößt. Die Schönheit des Kinos ist widerwillig, sie ist eine Illusion. Widerwillige Illusionen wie bei Abbas Kiarostami, bei dem der Zweifel am Licht jederzeit mitschwingt und ein neues Licht generiert. In Canyon Passage scheinen die Figuren schneller zu gehen, als in anderen Western, sie sprechen ihre Zeilen trocken herunter, aber das Trockene ist nicht unbedingt das Widerwillige, denn das Trockene strahlt eine gewisse Souveränität aus, eine Abgeklärtheit gegenüber der Machtlosigkeit, während das Widerwillige deutlich mehr leidet und deutlich weniger akzeptiert.

Nehmen wir drei Szenen, in denen das Widerwillige hervortritt. In Opening Night muss Gena Rowlands betrunken auf die Bühne treten. In ihrem Widerwillen und ihrer Verachtung taucht ihr Wille auf, ihre Kraft und Würde, denn das Widerwillige ist keineswegs die Ausnahme, es ist die Regel und das nicht nur in diesem Film. Film ist hier in der Lage einen unsichtbaren Kampf gegen innere Kräfte sichtbar zu machen. Selbsthass, Trägheit oder Angst können (im Kino) zu Hindernissen werden, die weit über die billigen Drehbuchkniffe von teuren Drehbuchratgebern hinausreichen. Es ist die Zeit, die nicht nur in Opening Nights dieses Hindernis bedingt, Zeit als auf uns zukommender Druck, als Schwüle, der wir uns nicht entziehen können, Schwüle, die unsere Schönheit zerfließen lässt; es ist Film, der dieses Zerfließen in Schönheit verwandeln kann. Die zweite Szene stammt aus Anchorman: The Legend of Ron Burgundy von Adam McKay. Steve Carell als Brick Tamland ist an der Reihe mit dem Versuch, ein Date mit der neuen Nachrichtensprecherin Veronica Corningstone zu bekommen. Er will das gar nicht. In dieser herrlich komischen Szene offenbart sich die ganze Absurdität des Widerwillens, der eben nicht zuletzt darin besteht, dass man so viele Dinge tut, die keinen Sinn ergeben. Beim Sprechen seines fehlerhaft auswendig gelernten Anmachspruchs bewegt sich Carell schon leicht nach hinten, hier wird der Widerwille zur Flucht während man nach vorne geht, ein Vertigo-Effekt des menschlichen Verhaltens. Gibt es einen Schwindel im Widerwillen? Schwindel als Lüge, Schwindel als Krankheit. Es ist sicher eine Lüge dort, eine Lüge, die sich selbst belügt, aber noch viel mehr den Gegenüber, denn der kann – im Gegensatz zur Kamera – den Widerwillen oft nicht erkennen. Das ist es auch, was den Widerwillen so geeignet für das Kino macht. Es ist eine Chance für den Kinematographen etwas Unsichtbares zu entdecken, was sich nur durch die Kamera festhalten lässt; nur durch das Kino können wir den Widerwillen in einer fremden Person wirklich spüren und ihre Lüge zu unserer Wahrheit werden lassen. Mit dem anderen Schwindel verhält es wie in Vertigo von Alfred Hitchcock, denn das Vertrauen in Überzeugungen und Bilder löst sich mit der Zeit und in der Zeit und durch die Zeit auf. Dieses schwindende Vertrauen bricht den Willen, es ist als würde man den Partner beim Betrug erwischen, dann schwindet der Wille zur Liebe wie am Ende von La notte, bei dem der Widerwille allerdings schon vor dem Betrug kommt. Wenn Jimmy Stewart am Ende auf den Turm klettern muss, dann ist da ein Wille und das Wider liegt im Ungreifbaren, in der Erinnerung, im Psychologischen. Hitchcock verbindet den Widerwillen auch mit dem Glauben an das Übernatürliche, Übersinnliche. Ohne diesen Glauben herrscht oft ein Zweifel, der das Überwinden des Widerwillens nicht zulässt. Das Kino als Über-Sinn, also müssen wir ans Kino glauben, um unseren Widerwillen aufzuheben, aber das Kino ist tot, also glauben wir noch an die Präsenz seiner Geschichte? Ein Widerwille gegenüber der Gegenwärtigkeit der Gegenwart, eine Emotion des Museums so wie Vertigo.

Gena Rowlands Opening Night

Wir denken an den Widerwillen zur sozialen Interaktion in Cristi Puius Aurora, an die fehlende Bereitschaft zu einem normalen Leben in Filmen wie Casino von Martin Scorsese oder Zero Dark Thirty von Kathryn Bigelow, wir denken an die Selbstzerstörung von Erich von Stroheim, bei dem sich Widerwillen gegenüber des Anderen in jeder Geste manifestiert und der Kleidung immerzu abschätzend trägt und wie Jeanne Moreau genau darin seine Würde findet, die driftende, treibenden Gestalten des Kinos, die nicht genau wissen, wohin es sie führt, wie Mouchette, die konsequent nur im Selbstmord sein kann, wie die Erinnerung (oder mehr) einer Liebe in Solaris von Tarkowski, die wir hinter Türen sperren, gewaltvoll, im Kino ist Widerwillen immer viel gewaltvoller als im echten Leben, weil im Kino das Gefühl, der Impuls reagiert, wie in den Melodramen von Douglas Sirk, in denen ein riesiger Spalt zwischen dem was man will und dem was man rational tun muss, klafft.Und dann gibt es da Ingmar Bergman. Bei ihm spielt sich immerzu ein Melodram und die Vernichtung dieses Melodrams zur gleichen Zeit ab. Das Melodram, das sind seine Naheinstellungen und die Schreie in seinem Kino, diese Blicke in die Seele, plötzliche Panik, Ausbrüche des Gefühls, der Trauer. Und der Rest, das ist immerzu der Widerwille, jenes Element, das diese Gefühle nicht herauslassen will, das abgehärtete oder abgeklärte Versteckspiel der Emotionen, das sich vielleicht mit Existentialismus beschreiben oder zumindest damit erklären lässt. Der heftigste Ausbruch dieses Widerwillens sind das Schweigen, das Lachen und das Spielen der Figuren bei Bergman. Ihr Lachen versteckt oft ein Grauen, ihr Spielen vergisst es und transformiert es und macht es dadurch greifbar und ihr Schweigen ist genau jener Druck der Zeit, der uns verstummen lässt, ein Widerwille zu sprechen, ein Widerwille gegenüber sich selbst, es ist nicht nur Persona, dieses Echo einer Selbstverachtung, einer Angst und eines unterdrückten Melodrams, das selbst zum Melodram wird, findet sich von Kris bis Saraband. Der Unterschied scheint mir nur, dass Bergman manchmal den Willen hatte, diese Gefühle zu filmen und manchmal den Widerwillen zu filmen, selbst gefilmt hat. Letztere sind seine besseren Filme.

Erich von Stroheim

Dieser Konflikt dominiert das Kino und egal was einem schlaue Industrielehrende verkaufen wollen, das Kino ist dafür geboren, diesen inneren Konflikt darzustellen: Was man will und was man nicht kann, was man kann und nicht will. Darunter liegt die zitternde Schwäche einer Wahrheit, die zerfließt und die wir nur für flüchtige Momente der Einsamkeit erspüren können, in einem Schnitt bei Godard, den Augen Gary Coopers, dem Gang von Jeanne Moreau oder Robert Mitchum oder einer Kamerabewegung bei Josef von Sternberg.