Dinge mit Sinnen in den Filmen von Jacques Tati

Ein Fahrrad allein in Jour de fête

von Ivana Miloš

Die Menschen auf ihren Fahrrädern, weshalb erscheinen sie so rätselhaft? Die Fahrräder, was macht sie so faszinierend im Vergleich zu anderen Transportmitteln, die nicht derart geliebt werden? Vielleicht hat es mit ihrer fortlaufenden Bewegung zu tun, dem unbeirrbaren Drehen dieser beiden Räder – schnell genug, um uns weiter und vorwärts zu bringen und doch gerade langsam genug, um gesehen zu werden bei ihrem Drehen, Drehen, Drehen. Oder hängt es mit dem am Rad klebenden Freiheitsgefühl zusammen, einem Gefühl für Bewegung jenseits der Verbote, des Verkehrs, der Straße, jenseits von allem eigentlich. Oder es geht um diese Frage, die manche Objekte ganz besonders aufwerfen: Lebt es ein eigenes Leben, wenn wir nicht hinschauen? Was auch immer stimmen mag, das Fahrrad ist erfüllt von Magie. Deshalb sollte es kaum überraschen, dass es in der Lage ist, ganz von sich alleine zu fliehen wie in Jacques Tatis wundervollem Jour de fête. Zunächst scheint sich das Fahrrad des Briefträgers, also Tatis, mit einem fahrenden Lastwagen zu verkeilen und so in Bewegung versetzt zu werden – aber dann, nach einer scharfen Kurve, haut es ab mit drehenden Pedalen, eine Landstraße hinab, ganz allein. Einige Ziegen werfen diesem rasenden Rahmen auf zwei Rädern einen fragenden Blick zu. Tati versucht es einzuholen, aber es würde ihm nie gelingen, würde das Fahrrad nicht entscheiden anzuhalten, erneut ganz von sich allein. Selbstredend markiert diese Szene nur einen Beginn von Tatis lebenslanger Faszination für Dinge, die den Menschen entwischen. Dinge, die ihre Fesseln lösen, die ihr eigenes, oftmals haarsträubendes und lächerliches Leben führen. Nur ist das Leben der Dinge auf ewig mit dem ihrer Hersteller verbunden und so kann man nicht anders, als sich beim Beobachten dieses elegant fliehenden Fahrrades an Elizabeth Wests berühmten Spruch zu erinnern: „Der Fortschritt hätte haltmachen sollen, als der Mensch das Fahrrad erfunden hatte.

Aus dem Englischen von Patrick Holzapfel

Knautschmaterialien in Playtime

von Patrick Holzapfel

Kein Material ist geeigneter für einen, der sich über die Welt wundert, als das Knautschmaterial. Was soll das sein, werden manche fragen und ich kann hier nicht mit wissenschaftlichen Antworten dienen, werde aber dennoch versuchen, etwas über diese Stoffe zu verstehen , die man zerdrücken, quetschen, eindullen, kneten oder knautschen kann und die sich dann, sobald man von ihnen ablässt, einem für mich schwer nachvollziehbaren inneren Drängen nachgebend, langsam, mit der unbeirrbaren Bestimmtheit physikalischer Bewegungen zurück in ihre ursprüngliche Form begeben.

Ich erinnere beispielsweise die unendliche Faszination, die mich als Kleinkind überfiel, wenn ich diese perfekt runden, so offensichtlich eindrückbaren Membranen in den Lautsprecherboxen meines, seine Boxen über alles liebenden, Vaters erblickte. Nichts sehnlicher wollte ich, als mit meinen kleinen Fingern in diese weichen, glatten Membranen zu drücken, die sich bewegende Luft unter der samtenen Oberfläche zu spüren, geradezu einzudringen, in die mir unbekannte Welt hinter dem matten Schwarz, aus dem die aufregenden Töne kamen, um dann zu beobachten, wie diese Stoffe zurück in ihre perfekt runden Formen ploppen. Leider stellte sich das Ploppen nicht immer ein und so wurde mir, der ich die ein oder andere Membran zu tief eindrückte, verboten, auch nur noch in die Nähe dieses Knautschmaterials zu krabbeln. Gut, dass es für derlei bisweilen vergessene Freuden einen Filmemacher gibt, der sich weiter gewundert hat, dem es gelang, der Welt noch so zu begegnen, als würde er nicht alles begreifen oder begreifen wollen, sondern so, als wäre er ein Fremder oder tatsächlich ein Kind geblieben. Einer, der etwas Knautschendes aufspürt und dessen Bewegungen dann folgt wie die Katze einer Fliege.

In Playtime verbindet dieser Jacques Tati, von dem hier die Rede ist, die Verwunderung, die manchmal einer Verzauberung, manchmal einem Albtraum gleicht, mit der sogenannten technischen Moderne. Er treibt die Entfremdung des Menschen von den Dingen, die ihn umgeben, auf die Spitze. Da gibt es zum Beispiel einige High-Tech-Sessel in einem Glaszimmer. Tati oder sein Alter Ego traut diesen kleinen Designerobjekten nicht wirklich. Er tastet das, unter Druck nachgebende, Material ab, bevor er sich äußerst zögerlich auf einen der Stühle setzt und sofort bemerkt, dass er tiefer im Sitz einsinkt, als er erwartet hatte. Er steht wieder auf und betrachtet die Spur seines Sitzens, einen runden Abdruck im verformten Sessel, der sich mit einem plötzlichen Ploppen zurück in seine geglättete Form begibt. Tati versucht sich noch an einem anderen Stuhl. Er zerdrückt die Lehne, setzt sich, steht auf und schaut wie das Material zurück in die ursprüngliche Form springt, nur ganz ploppfrei diesmal, ganz still, was der Albernheit dieser Bewegung erst die komische und kosmische Leere überträgt. Die Stille dieses Raumes im Vergleich zur lärmenden Straße, von der aus Tati in Zwischenschnitten in Ton und Bild immer wieder auf diese Interaktion mit den Sesseln blickt, verstärkt diese herrlich sinnlose Bewegung des Knautschmaterials, die letztlich, wenn man für solche Gedanken empfänglich ist, hinterfragt, was wir da eigentlich tun, wenn wir Stühle oder andere Objekte entwerfen, die sich verformen und in Glaszimmern stehen. Man wundert sich und stolpert weiter, immer hoffend, dass irgendwann alles wie von selbst zurück in die ursprüngliche Form springt.

Alles blitze blank in Trafic

von Ronny Günl

Die Autos in Jacques Tatis Trafic müssen glänzen, sonst werden sie übersehen. Ein eifriger Mitarbeiter wedelt beim Aufbau der Karosserienschau jede hartnäckig verbliebene Staubfluse von der Motorhaube. Keine Spur soll verraten, dass dieses Fahrzeug mehr als reines Anschauungsmaterial sein könnte. Den dafür verwendete Wischmopp – man sollte eher Wisch-Mops sagen – will die Kamera für einen Augenblick mit dem zotteligen Havaneser der nervösen PR-Managerin verwechselt haben. Später im Film wiederholt sich die Verwechslung, nur weitaus morbider, als der Pelzmantel der Hippies, die sich einen Streich erlaubten, ebenfalls für das vermeintlich überfahrene Hündchen gehalten wird. Tati streift sich die Hundeattrappe über, eigentlich um den bitteren Scherz aufzulösen, doch die Nerven der Frau liegen nun gänzlich blank. Arme Hunde, man will euch wie Menschen behandeln.

Für einen Moment abgelenkt, nicht nur vom hastigen Vorbeifahren der PR-Dame, sondern vielleicht auch von der polierten Oberfläche ihres Sportwagens, kommt der Wachtmeister auf der Kreuzung ins Taumeln. Unausweichlich folgt der große Crash. Seinen absurden Hergang kann man wohl kaum rekonstruieren. Aber hätte ein bisschen Dreck auf dem Lack schlimmeres verhindert? Schöne Autos schinden Eindruck, lassen sich die Show nicht stehlen. Aber gut geputzt, werden die Boliden letztlich zu Blendern im Sonnenlicht. Der Lack zeigt sich als Reflexionsfläche und die Sicht auf die Fahrbahn wird zum strahlenden Hindernis.

Im Kino sind Autos oft ein wenig zu übermütig unterwegs, knattern gern etwas zu laut. Der Fußgänger und Hundefreund Tati kann seine Abneigung gegenüber dem flotten Verkehr kaum verstecken. Erst als zerdellte und verbeulte Blechteile mit hüpfende Reifen wollen sie ihm gefallen. Eine verspielte Abrechnung, glücklicherweise ohne ernsthaften Schaden.

Unbemerkt fällt beim Ausstellen des Schecks für die Reparatur schließlich ein Tropfen Tinte aufs Brillenglas, der die gestresste Frau nur noch Flecken in der Gegend wahrnehmen lässt. Kein seltenes, aber bedenkliches Symptom unter hoher Belastung. Der Putzwahn ist vorprogrammiert. Zwar wird die Irritation mit einem Schmunzeln weggewischt, aber trotzdem munter weitergewienert was das Zeug, beziehungsweise der Lack aushält. Auch Tati hilft fleißig mit. Anstatt Billigung der Umwelt, gilt so vielleicht die Reinlichkeit der Autos – eher als Drecksschleudern verrufen – viel mehr als Hybris der Menschen, die überall nur noch Verschmutzungen sehen können. Wer eine saubere Haube vorzuweisen hat, provoziert wenigstens keine unangenehmen Fragen. Doch am Ende besitzt wahrscheinlich jeder seine eigene Oberfläche, die tunlichst vor Verunreinigungen beschützt werden soll, sei es ein Auto, eine Brille, oder ein Bildschirm. Was würden die Hunde dazu sagen?

Glimpses at COMEDY

„Lubitsch shows you first the king on the throne, then as he is in the bedroom. I show you the king in the bedroom so you’ll know just what he is when you see him on his throne.

Erich von Stroheim

The writers of Jugend ohne Film begin a new series called Glimpses at, in which we share our ideas about certain topics. Whether we identify humour with repetition, persistence or diversity, if it means liberation or rejection, comedies profoundly shape our understanding of cinema. Thus, let’s start with a discussion on what we find funny in a film. Laughing far away from one another and at different situations and lines, we use this opportunity to learn about each other and, consequently, about comedies.

Ninotchka

IVANA MILOŠ: What is laughter but the unwinding and undoing of constrictions and restrictions, an introduction of familiarity and equality where none have reigned before? Proper laughter, that is, and this phrase already constitutes an oxymoron. But this is what lies at the heart of comedy — opposites and extremes brought together, unadvised revelations and disclosures in the bright light of day, actions repeated to the point of absurdity, leaps into the surreal, and in all of these a common factor. For me, this shared trait is what makes comedy shine: surprise. In that sense, it is like tickling — if it’s going to work, it has to spring on you unexpectedly, from an angle beyond your field of vision. My favourite joke for a very long time was a kind of pocket-size absurdist poem, where a fare inspector asks a tram passenger for a ticket. The passenger’s calm reply to this accosting is: „Giraffe.“ Inspector: „What giraffe?!“ Passenger: „What ticket?“ It’s like having the rug pulled out from under your feet. My love for humour is the love for how such a small snippet of words can lay bare the actually absurd system we rely on in order to be capable of leading our daily lives within it. In Stanley Donen’s Indiscreet, despite all of Cary Grant’s antics on the dance floor, my favourite moment is the line spoken by an elderly British gentleman whose function as a side character has up to that point been an upholding of form and courtesy — the embodiment of society, as it were, with all its laws intact. After much tomfoolery leading up to an inevitable eruption, which we might as well call a carnival with Bakhtin in mind, the gentleman in question settles down to his table and says: „You know I’m too old for this sort of evening, I always was.“ A brilliant revelation of character as well as a rebuke of the tiresome constancy of rules made to be broken, this moment captures a simple, but relevant collapse. In stripping away the contours of society, humour makes us see through veils. It’s a magical encounter in a place where things and people are closer to their inherent selves. Maybe that’s why it only comes in bursts and fragments — its revelatory power is a force to be reckoned with.

Indiscreet

PATRICK HOLZAPFEL: Here is what makes me always laugh in a film: a character, mostly it’s a man, continues doing whatever he does although the world around him is changing in a way that would urgently ask for him to stop what he is doing. One of my earliest memories of such an incident is a scene in Mr. Magoo in which Leslie Nielsen tries to prepare a frozen chicken for dinner. Since cooking is not his strength, he needs help from a cooking programme on television. Yet, his eyesight is not at its best (to put it mildly) and when he gets distracted for a moment, his dog accidentally changes the television programme to a kind of aerobic workout broadcast. As soon as Nielsen returns to his chicken, he begins to stretch, jump and rhythmically dance with the frozen animal.

This can go pretty far. I saw Will Ferrell put a knife into his thigh, Charlie Chaplin jump out of a window (more than once) and Peter Sellers, well Peter Sellers doing almost everything with this joke (as well as Rowan Atkinson). Another favourite of this kind is even closer to life. In Bill Forsyth’s Gregory’s Girl a schoolboy is enthusiastically reading from Shakespeare in class when suddenly a window cleaner appears at the window and takes away the attention of everyone including the teacher. However, the boy is so into his reading that he doesn’t stop. It goes on and on and even if I laugh about it, I know that I have been this boy many times in my life.

One of the sentences sometimes uttered under these circumstances is already a sign of advancing chaos: I have everything under control. Strangely, men pretending to go on with what they are doing whatever is happening around them has become a norm when it comes to political behaviour or even behaviour in general. So maybe I’m not laughing because somebody is doing whatever they are doing but because a change is visible. It’s called tragic irony.

ANNA BABOS: Luc Moullet’s short, Barres is a film that I watch almost every week and it makes me laugh from time to time. I attribute my tenacious enthusiasm to the fact that the film essentializes the elements I appreciate most in comedies. First and foremost, repetition and variations. I love catalogue-like structures, examples of solutions that are offered to resolve the same situation in manifold ways. Going to the metro, the people in Barres try to dodge the system, which seems rather irrational. These people often fail. I find their falls, crashes and other kinds of physical injuries fascinating. Charlie Chaplin’s Kid Auto Races At Venice perfectly exemplifies the combination of these sources of fun, a film that had a similarly overwhelming impact on me. Apart from being a great comedy, it’s also one of Chaplin’s most reflexive early works, about a man who does everything to be the centre of attention, which makes for a liberating experience to those who find it hard to allow themselves to be eccentric.

Another facet of Barres is that it shows scenes that we might have imagined while travelling by public transport – at least I imagined some of them several times. Travelling is dead time, you do not have something else to do, so you can let your mind wander. I like Technoboss for the same reason – the main character has a lot of free time and imagines things. He also fills his job with creativity and this way of life, which might be called boring or uneventful, becomes a rather adventurous and lovely story. The film stands against the concept of boredom.

Égigérő fű was my favourite film during my childhood. I was totally amused by the unique characters. The tenement house, which is the centre of the story, works, again, like a catalogue, and the residents represent figures from an at once fable-like and realistic picture book. Only this year I realized that the whole story had been made with exceptional creativity and wit – and the simplicity of the story continued to amaze me. “That lovely green grass. I will only miss that. The grass.” says Misu’s grandfather, who is preparing to retire, but he worries about his life afterwards. We follow Misu’s adventures as he lays down green grass in the inner court of the tenement house, in order to ease the worries of his grandfather. While asking for permission and working on the great plan, he and his friend Piroska meet lots of funny characters, for instance an old lady, who has been removed from her big house to a small flat, hence all the furniture had to be cut in half to fit in. While it is hardly possible to live in a flat as crowded as this one is, the lady and her son have very creative ways to solve this situation, and their flexibility is confronted by Kamilla, an anxious adjuster, who is always preoccupied with horrible news and gets terrified by the irregularity of the old lady.

With a lot of funny scenes and surprising plot twists, Spanglish talks about a great variety of everyday issues – parenthood, marriage, cultural difference and so on. However, what makes this comedy a particularly funny and touching one, is the character of Deborah, the mother. Deborah is a neurotic woman, a terrible mother and an unfaithful lover who is in constant rage. Her unforeseen bursts and absurd reactions are hilarious – partly because of the exaggerated acting of Téa Leoni, and also because one can easily recognise and empathise with the state of unbearable hysteria. The situation is clarified step by step as we get closer to Deborah, who got herself into a vicious circle, but taking responsibility does not make solving the situation easier. In the end, her husband, John Clasky forgives her – Adam Sandler’s low-key, humorous acting is another gripping aspect of this movie.

Finishing the list of my favourite comedies, I realised that all of them are made in the mood of love and empathy. It does not mean that I do not like black humour, aggressiveness or grotesque stories, rather it speaks about my personal understanding of comedy, as something that calms me and cheers me up.

DAVID PERRIN: Ozu’s children thumbing their nose at parental authority; Jimmy Stewart as the Texan Marshal Guthrie McCabe in Two Rode Together and really not giving a damn about his civic duty, or the law for that matter (and note how different he leans back in his chair compared to Henry Fonda in My Darling Clementine); the great pleasure of watching people getting totally, joyously sloshed on screen, for example in Hong Sang-soo’s hilariously awkward table gatherings exacerbated by endless supplies of Soju; Peter Falk, John Cassavetes and Ben Gazzara as three boorish drunks desperate to mask their own despair by gulping down drink after drink and singing and stripping bare in front of strangers, or Bela Tarr’s villagers jubilantly shitfaced on Pálinka while wildly dancing and careening across the floor of their local tavern while outside the rain pounds down; the everyman presence of Matti Pellonpää (the saddest pair of eyes in Finnish cinema according Peter von Bagh) in any Aki Kaurismäki film, where the humour is so achingly dry and bittersweet you never know whether to laugh or cry; Roberto Benigni’s twitchy hyper-caffeinated body language as it tries to contain itself within the claustrophobic confines of a New Orleans prison, and even when he is still his body appears to jitter and shake (not to mention his frequent linguistic mishaps as he tries to negotiate, as a foreigner, the ecstatic poetics of Walt Whitman and the hip flattened American parlance of John Lurie and Tom Waits); Ernst Lubitsch howling with laughter on his own set, because even he can’t resist the humour in his films and finally isn’t it a delight to watch an exasperated Cary Grant stuck in a puffy silk negligée as he tries to wriggle his own clothes back from Katherine Hepburn’s lovesick grasp in one of the great screwball comedies: Bringing up Baby.

Good Morning 

Two Rode Together

Nobody’s Daughter Haewon 

Husbands

Sátántangó

Varjoja paratiisissa

Down by Law

Ernst Lubitsch on set

Bringing up Baby

Also:
Luc Moullet – Barres
Underdog Luc Moullet’s screwball gem of a short is a mischievous paean to “Schwarzfahren”, revealing the subtle forms of civil disobedience as Paris Metro passengers perform various ingenious feats of acrobatics and DIY maneuvers to bypass paying an exorbitant subway fare.

Orson Welles – Paul Masson Wine Commercial Outtakes
This is already very well-known, but I’ll include it anyways: a bulging and visibly drunk Orson Welles refusing even an attempt to act professional or conceal his boredom and contempt for the job at hand – a wine commercial for Paul Masson for which he clearly couldn’t care less.

SIMON WIENER: Einen Film, der gängige Konventionen und Seh-Muster hinterfragt, der ausbricht aus ihn für gewöhnlich bestimmenden, ins Korsett zwängenden Formen, nennt man häufig experimentellen Film; und einen solchen stellen wir uns meist als eine sperrig-ernsthafte Sache vor. Immerhin steht viel auf dem Spiel; der Weg ins Zukünftige soll gewiesen werden, und ein solcher Film trägt die Verantwortung, Vorreiter zu sein, bisweilen vorwurfsvoll hinzuweisen auf dem Medium offenstehende, aber nicht ausgekostete Möglichkeiten.

Diese unsere Vorstellung trügt – der experimentelle Film ist seit Anbeginn auch eine äußerst humorvolle Sache. Steckt nicht gerade im Überschreiten gängiger Grenzen, im Zutagebringen eines uns zunächst Ungewöhnlichen eine zwangsläufige Absurdität? Die Einsicht in einen neuen Blickwinkel, ein neues Zeitverstehen: sie erscheint uns absurd, und ist von Übelgesinnten deswegen leicht mit Kopfschütteln als unnütze Spielerei abzutun, wie sie uns Wohlgesonnenen aus gleichem Grund bewegt und anregt; denn eine vorwärtsgewandte Kunst ist immer eng mit dem Spielerischen verknüpft, schließlich geht es darum, deren festgefahrene Regeln abzuändern, zu missachten, oder, im Gegenteil, absurd genau zu nehmen.
Hier als Beispiele Max Richter, Oskar Fischinger oder Len Lye anzuführen, liegt nahe; deren abstrakte Filme, Tänze von Formen und Farben, welche, sich abstoßend oder anziehend, untereinander Kämpfe auszufechten scheinen, oft unterlegt mit witziger Musik, mühen den meisten von uns ein Lächeln ab. Ich sehe aber auch im streng seriellen Film, etwa jenem Kurt Krens, eine grosse Portion Humor. Just diese Strenge, also die mathematisch-berechnend-seriöse Struktur dieser Filme, die dem slice-of-life, dem völlig Unbedeutenden, das ihr zugrunde liegt, und das sie formt, widerspricht, ist absurd witzig. In TV werden fünf sehr kurze Einstellungen eines Fensters, vor und hinter dem einige wenige Gestalten auszumachen sind, in immer wieder neuen Anordnungen und Permutationen aneinander gereiht; „nach Art eines Kinderreims“, wie Kren selber sagt. Humor ist ebenso zu finden in Heinz Emigholz´ Sullivans Banken, wo lange und unbewegte Kameraeinstellungen auf die Banken des bekannten Architekten gerichtet sind; rigoros beobachten wir stumme Gebäude, die den Blick der Kamera zugleich erwidern und nicht erwidern; zeugen zwar von Geschichten und Menschen, unserem so bohrenden Blick aber ausgeliefert, ohne sich vor ihm in Sicherheit bringen zu können.

Zu erwähnen auch Patrick Bokanowskis spätere Filme, etwa La Plage, wo verzerrende Linsen Urlauber am Strand in kubistisch-komische Gemälde transformiert; oder Vivian Ostrovskys Cobacabana Beach: im Zeitraffer durchwuselt eine Menschenmenge das Bild, wie zu kleinen Ameisen reduziert, und wahrlich grotesk und drollig nehmen sich die Turnübungen aus, die da praktiziert werden, durch den Zeitraffer transformiert zum irrwitzig-quirligen Ballett.

ANDREW CHRISTOPHER GREEN: In Jacques Tati’s Mon Oncle the clash between the rural and urban-industrial maintains a linkage between the past and the then-present. The audience gets a last laugh at the rural-folk who haven’t yet fully adjusted to the mechanized rhythms of city-life in contrast with the absurd technocratic control of the emerging nouveau-riche’s consumerism. Tati’s tenderness demands a counter-identification with the Oncle’s dysfunction while simultaneously prohibiting a simplistic epithet for the automated bourgeoisie. The film doesn’t escape the world that gave birth to it; it bears the marks of its contradictory situation. But unlike with most comedies, which draw their life-source from a formulaic rejection of the absurd thought that things could be otherwise, I think the warmth that permeates Tati’s film is strong enough to give us a heartfelt and sober look at what we go on thoughtlessly rejecting. My lingering experience of the film isn’t with the forgetful laughs but with the dissonant way they grind against the melancholic task of reconciling that which no longer has a place in our increasingly ugly world. I think Tati’s film can fortify us with the strength necessary to go into dangerous places and objectify ourselves. But if what I have said is true, this would mean that Tati’s film is an anti-comedy.

Mon Oncle

RONNY GÜNL: EINSAME FRAU Ich heiße Barbara und das klingt besser als Dingsbums. Ich bin eine einsame Frau und verbringe jeden Urlaub auf dieser gottverlassenen Insel.
BLÖDE WOLKE Ich sage, daß Dingsbums besser klingt als Barbara. Barbara ist ja ein ganz einfaches Wort. Da ist Dingsbums schon richtig kompliziert dagegen. Zweimal bar und dann ein a. Soll das auch schon was sein?! Bar-bar-a
BARBARA Und der, der neben dem Plapperlaplapp, warum trägt der einen Stahlhelm?
LETZTE SUSN Weil er sich fürchtet.
BARBARA Wovor fürchtet er sich?
LETZTE SUSN Vor den Deutschen.
— aus Herbert Achternbusch: Das Haus am Nil, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1981, S. 147f.

Das letzte Loch

SEBASTIAN BOBIK: What makes a comedy? How is it defined? What do we want from it? In general, the idea seems to be that if a film is happier than sad, more funny than tragic, we can speak of a comedy. So, if comedies are supposed to make me happy and tragedies sad, how come I have probably cried more in comedies than in tragedies? (Playtime, Inherent Vice, Hausu, The Last Detail,…) There is clearly a potential in comedies to move and touch us in ways that are specific to them. Something funny is something that rings true. Comedies often catch moments and behaviours in which we might feel embarrassed. Yet comedies are often also downplayed, their potential underestimated. “It’s just a comedy,” they say.

Comedies are treated as a silly little pastime.

Comedies have for a long time had the potential to threaten power. The hypocrisy of those in power can be laid bare. The Emperor has no clothes. Sometimes I think this potential seems lost these days. Comedies also have the potential to create utopias in some way, by showing us love, community and tenderness. I think of Chaplin in The Kid (or in any of his films), Kitano and the band of outsiders in Kikujiro, the townspeople in Tati’s Mon Oncle. There is an idea of not adhering to society, of resisting the norm that is celebrated in comedy more than in any other genre. Their outsiders and outcasts are allowed happy endings and prospects; their eccentricities are appreciated, not judged. Oftentimes comedies are celebrations of the art of living.

There is a saying attributed to Charlie Chaplin that goes: “Life is a tragedy when seen in close-up, but a comedy in long-shot.” It is a quote one stumbles upon quite often to the point where it has become a bit of a cliché. Obviously, it means on the one hand, that instances in life seen in the very moment can be tragic (“in close-up”) but once you step back and see the bigger picture of your life you can see the humour and comedy in that same situation (“in long-shot”). Does this also mean, that comedies are somehow wiser than dramas because they see the bigger picture? Is this why so many great filmmakers of comedy like framing in wider shots (Keaton, Chaplin, Tati…)? Though these same artists are also known for wonderful close-ups (just think of the faces of Chaplin!). So, of course, it isn’t just a question of wide versus close, but the delicacy of the close-ups themselves must play a part in this balance.

SIMON PETRI: „He was Lord Aldergate’s valet for 20 years but it didn’t last. They differed in their political views. The situation finally became impossible when Lord Aldergate joined the Labor Party.“ Listen to the butlers and look for the subplots in Lubitsch’s films. And remember to be common and land on your ass every once in a while!

Maybe after having a drink or two with Michel Simon, tasting some of Jerry Lewis‘ poisons or the left jab of Michael Clarke Duncan from The Whole Nine Yards.

Then let a strong man, Alberto Sordi, Carlo Pedersoli or Eddie Murphy take you under each arm before Zero Mostel sits on your face. You’ll be standing in a moment!

And once you’re on your feet, take a walk around the city, engage with the streets as a Tramp and as a King. When you’re in the neighbourhood, say hello to cher Levy and join the dance of Rabbi Jacob. Stop at a cinema and smile at the ingenuity and magnitude of film – it doesn’t have to be humorous per se; the overwhelming sweep of a Samuel Fuller film, the opening images of Mean Streets or The Irishman, a montage in Mauvais sang, Erich von Stroheim’s gaze, the warmth of Menschen am Sonntag will get you energised and giggling, giving the feeling of “Here we go, this is my art form!”

Then escape to nature and learn about it from Elaine May.

Always be chivalrous and a proud petit bourgeois like Kabos Gyula. Cherish the cuisine of his time, dedicate a Schnitzel to him; for masterstrokes, see Fragments of Kubelka.

If not, don’t be surprised if you are cursed with a Xala. When cursed, you’ll be feeling down and nothing will cheer you up, like a cunt can’t Kant.

Make sure to release the pressure, learn from Governor Feuerstein in Dargay Attila’s Szaffi. Otherwise, you’ll explode like a mosquito by Winsor McCay.

Szaffi

MAËL MUBALEGH: I often feel the popular consciousness about comedies can indicate that they are more demanding and riskier in terms of writing than dramas or more “naturalistic” orientated forms of cinema. Why is it actually so? Because comedies are supposedly made for broader audiences and thus require an unequivocal universality of tone? And if so, then what should this universality consist of? I’m personally not totally convinced of that. A lot of mainstream comedies I have seen early in my life or in more recent years have only shyly stirred a smile from me, which makes me think this hypothetical universality of laughter is merely a myth crafted by the industry in order to maintain itself within its own system of belief. Rather than trying to define what “comedy” is within my own standards, I’ll casually and swiftly go through some aspects of cinema – ancient and modern, mainstream or more confidential – that could be connected to it.

Ambivalence: here it’s not really a single film in itself, a genre or a way of filming that I link to the term, but something more like a mood that can be conveyed by an actor or an actress. Even if typecasting can work wonders, I’ve always felt more attracted to comedians who evolve in a versatile universe, jumping from a tragic part to a much lighter one. I like, for instance, that Henry Fonda can be this almost allegorical figure of justice and order in John Ford’s My Darling Clementine whose imposing stature a few years before went through a whole lot of awkward twists in Preston Sturges’ delightful The Lady Eve. In recent cinema, I have the feeling this mixture or this fluid duality is more seldom to be found. Yet it still exists in some areas. In this respect, someone like Virginie Efira might be one of the most surprising actresses of the moment: though she started her acting career quite late after working for years as a popular TV moderator for various shows, she has already proven to be able to communicate a wide range of subtle emotions. In Victoria and, more recently Sybil, both by Justine Triet, she can appear irresistibly hilarious and vulnerable, making one unsure as to how one is supposed to react as an audience: to laugh? To cry? This is the question.

Vulgarity: for a scene to be really funny, the borders of good taste must sometimes be pushed out very far – laughter and subtlety don’t always get along well with one another. I think of Kirsten Dunst in the only mildly entertaining Bachelorette by Leslye Headland: the palpable enthusiasm with which she takes upon herself the trashiest aspects of her poorly outlined, almost one-sided character of the unlucky, bitter thirty-something, is a feast in itself. Elsa Zylberstein is another actress alternatively cast in dramatic and funny roles, who shows similar qualities: in Philippe de Chauveron’s very polemical A bras ouverts, she plays quite masterfully the slightly zany bourgeois, incorrectly politically correct spouse of a left-oriented star essayist pathetically struggling to act accordingly to his self-claimed ideals. The detached manner in which Zylberstein gives shape to the outbursts of stupidity and ridiculousness of her part is very often fascinating, and thanks to this precision in acting, the over-readable, Manichean comedy of manners then sporadically verges on a Buñuelian absurdness.

Politics: Maybe more directly than drama, comedy‘s register lends itself to politics, be it on an intimate level (screwball) or a broader one (“social” comedies among others). A strategy to make someone laugh is to be nasty – one that comedy screenwriters and directors have well understood – a nastiness that can in turn become political. Mark Waters’ Mean Girls is a very good example of this ability of mainstream comedies to tackle societal issues: on the surface, it is merely a high school movie dripping with over-the-top feelings, shrouded in an almost unbearable pink and “girly” cinematography. Yet on the inside, it is most certainly one of the best movies ever made on the issue of bullying, showing the cruelty of teenagers among themselves without the slightest bit of candidness. The film moves – sometimes deeply – because it doesn’t fear the radical meanness that often characterises this period of life.

JAMES WATERS:

Our Hospitality

Vom Mond fallen – Jacques Tati

„ (…) Ja, Jacques de la lune ist Poet, wie man es zur Zeit von Tristan L’Hermite war. Er sucht Äpfel am Birnbaum und findet sie auch. Er bringt es fertig, eine Einstellung am Strand zu machen, nur um zu zeigen, dass Kinder, die ein Sandschloss bauen, mehr Lärm machen als die Wellen. Genauso filmt er eine Landschaft, nur weil genau in dem Augenblick das Fenster eines Häuschens am äußersten Ende des Bildfeldes aufgeht, und ein Fenster das aufgeht, ist eben komisch. Genau das interessiert Tati. Gleichzeitig alles und nichts. Gräser, Drachen, Schlingel, ein kleiner Alter, egal was, alles, was gleichzeitig real, bizarr und charmant ist. Jacques Tati hat den Sinn fürs Komische, weil er einen Sinn fürs Seltsame hat.(…)“ (Jean-Luc Godard; Cahiers du Cinéma, Nr. 71, Mai 1957)

Interview with Jacques Tati (1977) from nanashi no gombe on Vimeo.

„Wenn sich Menschen nicht kennen, folgen sie geraden Linien. Wenn sie sich nahe sind, gehen sie in Kurven.“ (Jacques Tati in Jacques Tati (The Entertainers), Penelope Gilliat, 1976)

Auszüge aus einem Gespräch mit Elfriede Jelinek aus dem Jahr 1972:

Wie ist zum Beispiel Playtime entstanden?

TATI: Da bin auf der Straße gegangen und habe die Gebäude gesehen und die Leute, die darin eingesperrt waren, gefangen in ihren Möbeln, und da habe ich mir gesagt, du mußt etwas machen, du mußt versuchen, das aufzubrechen und ein bißchen Musik hineinbringen, damit die Leute was zu pfeifen haben.

Hatten Sie nach diesem Mißerfolg Schwierigkeiten, Geld für einen neuen Film aufzutreiben?

TATI: Ich lebe in einem kapitalistischen Land. Die Leute, die hier das Geld geben, tun das nur, wenn sie wissen, daß sie es bestimmt wieder zurückbekommen. Also geben sie es nicht Herrn Tati, sondern Monsieur Hulot, denn der hat in einigen Ländern ganz schön Kasse gemacht. Das ist das einzige, was diese Leute interessiert. Für mich bleibt Playtime der wichtigste Film, den ich je gemacht habe. Aber ich werde so etwas kein zweitesmal machen können. Ich werde nie wieder auch nur einen Penny für so einen Film bekommen. Doch immerhin: Einmal durfte ich, und in fünf oder zehn Jahren wird man sehen, daß das der Anfang einer neuen Art von Filmkomödie war, und dann werden auch junge Regisseure das machen dürfen, und es wird endlich wieder neue lustige Filme geben, Filme, in denen reale Situationen vorgeführt werden, die jedem passieren können und die auf jedes moderne Leben, ob in Singapur, Berlin, Paris oder Sidney, anwendbar sind.

Im Augenblick geschieht das Gegenteil: Überall werden die alten Chaplin-Filme gezeigt.

TATI: Herr Chaplin ist ein sehr geschäftstüchtiger Mann. Aber das wird die Entwicklung nicht aufhalten können. Die Zeit der Komiker, die ihre Wirkung fast nur durch Slapstick erreichen, ist vorbei. Der Slapstick ist ja nichts anderes als ein sehr starker visueller Effekt. In der Stummfilmzeit, als man zwangsläufig alle Möglichkeiten visueller Komik probierte, war das auch durchaus berechtigt. Doch als dann der Tonfilm kam und die Produzenten ihr Geld dafür hergaben, daß die Autoren den Witz in die Worte legten, hat die Slapstick-Komödie ihre Grundlage verloren. Irgendwie ist das schade. Denn ein komisches Gesicht merkt man sich, einen lustigen Satz vergißt man sofort. Aber die Entwicklung ist nicht rückgängig zu machen. Es ist einfach nicht komisch, wenn man heute im Film jemandem weiße Farbe ins Gesicht schmiert, obwohl die Leute da immer lachen und obwohl man da sehr viel Farbe verwendet. Nur ist das, selbst wenn man frische Farbe benutzt, nicht der richtige Weg, die Atmosphäre des heutigen Lebens wiederzugeben und das Publikum für die kleinen Scherze des Alltags zu öffnen. Ich möchte erreichen, daß die Menschen auf unterhaltsame Weise ein bißchen sensibler und gescheiter und intelligenter werden. Ich möchte sie nicht für so dumm verkaufen.

 

„Monsieur Hulot ist der Beweis dafür, dass das Unerwartete oder Unzusammenpassende jederzeit auftauchen kann, um die Ordnung der Schwachsinnigen zu durchbrechen.“ (André Bazin)

„Tatis Film ist der erste Film in der Geschichte des Kinos, der nicht nur mehrfach angeschaut werden sollte, sondern auch aus verschiedenen Distanzen. Wahrscheinlich ist es der erste wahrhaft offene Film. Wird es der einzige bleiben?“ (Noël Burch, Praxis du cinéma, 1969)

Interview mit Jonathan Rosenbaum

„Was mich persönlich zum Lachen bringt, ist alles, was offiziell ist. Ich meine, ein Clown auf der Bühne bringt mich weniger zum Lachen als ein Premierminister, der im Bewusstsein seiner starken Persönlichkeit auftritt. Ich warte darauf, dass ihm ein Missgeschick passiert.“ (Jacques Tati)

Abbas Kiarostami: Ein Augenzwinkern im Abspann

Gegen Ende der Abbas Kiarostami Erinnerungs-Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum habe ich mir an drei aufeinanderfolgenden Tagen die Filme im Kino angesehen, die ich vor mittlerweile zwei Jahren im Zuge einer akademischen Abschlussarbeit auf ihr Mischverhältnis von Realität(en) und Fiktion(en) sezierte. Insofern waren die Kinobesuche aus reinen Vergnügen eine späte Form der Befreiung, selbst wenn sich die angelesenen und -gedachten Theorien auf die Filmerfahrung legten, wie der erste Raureif auf die dezemberlichen Windschutzscheiben. Ohne einer universitären Deadline im Kopf ereignete sich nun beim Kinozusehen der 35mm-Kopien von Va zendegi edameh darad/ Und das Leben geht weiter (1992), Zir-e derakhtan-e zeytun/ Quer durch den Olivenhain (1994) und Bad ma ra khahad/ Der Wind wird uns tragen (1999) eine für mich überraschende Erkenntnis: Kiarostami hat Humor! Zum einen nistet er sich in den Dingen ein. Zum anderen springt er in den Dialogen hervor. Sein Freud und Leid ist die Wiederholung. Kiarostamis Humor hat aber – wie ginge es anders? – mannigfaltige Schichtungen. Eine Spurensuche:

Vater und Sohn in Und das Leben geht weiter stehen im Stau. Um diesem zu entkommen, nimmt der Vater eine Seitenstraße und fragt fortan nicht nur einmal nach dem Weg, sondern andauernd. Doch selbst wenn ihm die Gefragten Auskunft erteilen können, befolgt er diese nicht, sondern folgt stur der Straße, denn, so seine Logik, solange eine Straße da ist, führt sie auch wo hin. Die Inszenierung des Staus (vor allem der Moment, in dem der Junge eine warme Cola durch das Autofenster in ein anderes Auto reicht, wo sie einem Baby zu Trinken gegeben wird) lässt mich an Trafic von Jacques Tati denken. Dort steht Monsieur Hulot, der in einem gelb-blauem Lastwagen auf dem Weg zu einer Automobilmesse in Amsterdam ist, gleich zweimal im Stau – perfekte Gelegenheiten für die Kamera, die anderen Autofahrer beim tastenden Griff zur (und in die) Nase und beim Gähnen zu beobachten. Monsieur Hulot und seine wechselnden fahrbaren Untersätze in diversen Tati-Filmen resonieren auch in der Beziehung zwischen dem Mann und seinem Auto in Und das Leben geht weiter: gegenseitige Abhängigkeit schmieden Mann und Auto aneinander – er nutzt es als Fortbewegungsmittel und Lebensraum, es benötigt Wasser und Benzin für den überhitzen Motor und äußert dieses Verlangen in gut hörbaren Geräuschen. Recht trotzig reagiert der Mann gegen Ende des Films auf den zweifelnden Blick eines Passanten, ob sein Auto die steile, bröckelige Straße schaffe: es sei immerhin das einzige Auto, das er habe, es müsse es schon schaffen. So kriecht das kleine gelbe Auto in einer der finalen Panorama-Einstellungen mutig auch die vertikalste Straße hinauf. Kurz vor der letzten Kurve versagt allerdings sein Motor und es rollt rückwärts den Abhang hinunter. Der Mann steigt aus, blickt auf einen entfernten Hügel, wo die zwei Jungen, die er einholen wollte, unermüdlich voranschreiten. Die Musik (es klingt nach Vivaldi) setzt mit melancholischen Klängen ein. Wiederum im Panorama gefilmt, sieht man wie der Passant, den der Autofahrer vorher am Straßenrand stehen ließ, hilft, das müde wiehernde Auto ins Bild-Off zu schicken, um anschließend mit schweren Säcken auf dem Rücken die Straße emporzusteigen. Aha, Mensch versus Maschine und der Fußgänger siegt, denkt man sich, und die Zahnräder der Modernekritik fletschen schonmal ihre Zähne. Doch als der Fußgänger oben angekommen ist, gibt es eine musikalische Wendung, Vivaldi wird verspielter, fröhlicher und – siehe da! – das kleine gelbe Auto brummt wieder ins Bild und fährt, diesmal mit mehr Schwung, abermals den Hang hinauf. Wieder stockt es kurz vor der letzten Kurve – , schafft den Berg aber schließlich mit Müh und Not und nimmt diesmal den bereits auf den Hügel befindlichen Passanten mit.

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Im Auto, das neben der Kamera die unverzichtbarste Maschine für Kiarostamis Filmschaffen ist, ereignen sich außerdem die absurdesten Dialoge. Die Fahrer sind meist Alter Egos Kiarostamis. Diese sind immer Städter, immer Intellektuelle, immer Außenseiter, die in die ländliche Idylle, bzw. Unglücksorte (Erdbebenregion rund um Koker) eindringen. Doch sie sind immer auch reflektierte, leicht starrköpfige Individuen, die gerne viel reden. Auch die DorfbewohnerInnen (zumeist sind es jedoch Männer oder junge Burschen) sind nicht auf den Mund gefallen und werden auch gehört. Ein Aufeinanderprallen solcher Gegensätze erzeugt unweigerlich komische Momente. Quer durch den Olivenhain beispielsweise dreht sich um die (Nicht-)Beziehung zwischen der fleissigen Schülerin Tahereh, die selten spricht, aber wenn sie es tut, dann widerspricht sie gerne, und ihrem Verehrer, dem Analphabeten Hossein, der große, sozialistische Ideen hat und wortreich von einer emanzipierten Ehe träumt. Er sitzt auch im Auto, als die Filmassistentin vor einer blockierten Straße haltmachen muss. Die Bauarbeiter scheren sich nicht drum die Straße frei zu räumen, im Gegenteil, sie legen eine solche Nonchalance an den Tag, dass der reschen Assistentin fast die Kühlerhaube hochgeht. Auffordernd sieht sie Hossein an (der allzu oft herumkommandiert wird), der aber macht deutlich, dass er nie wieder auf dem Bau arbeiten werde und rührt keinen Finger. Diese Direktheit der ProtagonistInnen, die sich durch Aussagen oder auch durch vehementes Schweigen äußert, wirkt oft wie ein Drahtseilakt zwischen absurder Komik und sturer Rebellion, kann dabei aber auch viel mehr sein. Bezeichnend dafür ist die Schlusssequenz des Films: Hossein folgt Tahereh quer durch den Olivenhain und beschwört sie mit einem schier untragbaren Redeschwall, dass sie ihm doch antworten solle. Die Szene zieht sich endlos, die Kamera nimmt eine immer größere Distanz von dem potentiellen Liebespaar ein, bis sie nur noch Punkte in einem wogenden Blaugrün sind. Plötzlich stockt die Bewegung, man vermeint wahrzunehmen, dass Tahereh sich kurz umdreht und ein unhörbares Wort sagt – der winzige Punkt, der Hossein ist, springt im Takt zu Domenico Cimarosas Oboe Konzert wie ein fröhliches Welpen über das Gras zurück. Kiarostamis Humor, der durch die Distanz der Einstellung und der Choreografie zwischen Musik und Bewegung seinen Ausdruck findet, umweht hier ein Hauch von Romantik und Poesie.

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Am häufigsten musste ich in Der Wind wird uns tragen schmunzeln. Der Film öffnet mit einem Panorama auf eine liniendurchzogene, gold-grüne Landschaft, darin fährt ein Auto. Man hört einen Dialog, der, wie anzunehmen ist, unter den im Auto sitzenden Männern geführt wird. Es ist das Auto, das dreistimmig monologisiert und den Weg sucht, der absurderweise anhand des Baumbestands beschrieben ist. Beim alleinstehenden Baum müsse man abbiegen, nur ist der Hang, wie eine der Stimmen bemerkt, gesäumt von alleinstehenden Bäumen (insofern das kein Widerspruch in sich selbst ist). Körperlose Stimmen ziehen sich als komisches Element durch den ganzen Film. Zwei, der drei Männer existieren nur als Stimmen im Off-Screen, entweder sind sie im Dunkel eines Zimmers verborgen oder die Kamera bleibt auf Behzads Gesicht, der der Organisator der Truppe ist. Dieser ist abhängig von einem kleinen Apparat, dem Handy, der ihn immer wieder durch den Ort zu seinem Auto sprinten und auf den Friedhofshügel rasen lässt, damit er die unhörbaren Anweisungen seiner Auftraggeberin erhören kann. Nach diesen Gesprächen spricht Behzad zu einem Loch, so scheint es, doch in dem Loch, das für den zukünftigen Funkmasten gegraben wird, befindet sich ein (nie sichtbarer) singender Arbeiter. Dessen Freundin wiederum sucht Behzad in einem dunklen Keller auf, um Milch zu holen – zu hören ist seine Rezitation eines Gedichts von Forough Farrokhzad, der Milchstrahl des Melkens, ihre zögerlichen Erwiderungen; zu sehen sind ihre melkenden Hände, der bunte Stoff ihres Kleides, das Gitter des Stalls. Ein erotisches Phantom, das nicht nur den Mann im Erdloch und den Mann mit Handy und Auto umtreibt.

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Wen man wollte, könnte man Der Wind wird uns tragen auch als running gag lesen, denn die Struktur des Films besteht aus der möbiusartigen Wiederholung des Handyläutens, des Rennens zum Auto und der Fahrt auf den Hügel (inklusive unbefriedigendem Telefonat). Nach dem gefühlten fünften Mal stellt sich wohl beim Großteil der ZuseherInnen Ermüdung ein. Wiederholungen des Komischen sind zwar beliebte Stilmittel, haben aber geringe Haltbarkeit. Die Spurensuche in Kiarostamis Filmen nach den Spezifika seines Humors lässt aber erahnen, dass gerade die vehementen Wiederholungen einen wichtigen Aspekt desselben ausmachen. Weiteres kristallisiert sich durch die Analogie mit Jacques Tati heraus: Dessen Objektkomik, das Spiel mit diegetischem und nicht-diegetischem Sound, die Sprache, die Suche nach dem Weg, das Vorhandensein der Kunstfigur Monsieur Hulot verweisen darauf, dass klassische Konzepte Kiarostami nicht fremd sind (es heißt, er wäre ein großer Slapstick-Fan gewesen). Im Gegensatz zu Tati aber platziert Kiarostamis seine humoristischen Handlungen und Bilder nicht in ein strukturiertes, choreografiertes und künstliches Setting, sondern in eine Welt, die unbedingt als real wahrgenommen und von authentisch wirkenden, beständig redenden Charakteren bewohnt wird, was seinem Humor eine (wenn man so will) humanistische Note verleiht. Die Poesie schleicht sich schlussendlich ständig ein, am liebsten durch die kongeniale Anwendung des sich Entziehens: zuerst sind es die Jungen in Und das Leben geht weiter, die am Horizont verschwinden, dann ist es die Erwiderung Taherehs auf Hosseins Heiratsantrag, die uns durch die Distanz der Kamera entgleitet, und schließlich ist es das Dunkel, in das die Melkende in Der Wind wird uns tragen gehüllt wird. Die Kunst der Distanz, des sich Entziehens scheint somit das prägnanteste Merkmal Kiarostamis Humor zu sein, von dem im Abspann nur ein Eindruck zurückbleibt … ein Augenzwinkern.

Viennale 2016: Inimi Cicatrizate

  • Rainer, you complained about the woman sighing at a screening of Inimi Cicatrizate. I watched the film alternating between sighing and holding my breath. I experienced voluptuous pain when reading each of the excerpts from Blecher’s work quotes presented as intertitles and was at each moment mesmerized by Jude’s mastery of mise en scène. It is a film of odd beauty, one easily gets lost in its richness. There is absurdity in Inimi Cicatrizate, but it is another kind of absurdity, one that has choked on itself (Patricks review of the film).
  • Further moments of bliss with Peter Hutton: two men walking up the suspension cable of a bridge in Three Landscapes.
  • After so many festival days, the Viennale feels just like the merry-go-round-roundabout traffic-jam scene in Tati’s Playtime. In (the negligible) O Cinema, Manoel de Oliveira e Eu, João Botelho claims that the secrets to de Oliveira’s health were drinking whiskey and eating toasted bread with pure olive oil. I guess that having Playtime for breakfast in Gartenbaukino might work in the same way for all of us.
  • Six years after Meek’s Cutoff Kelly Reichardt makes a discreet-feeling and great film about people meeting people and almost every decision in it seems to come out of necessity.
  • Luc Dardenne confesses that in La fille inconnue he and Jean-Pierre have tried to create a charater with a sort of consciousness which they feel has dissappeared from society. I wish I could feel less like I’m being preached to.
  • Having to sit in a box in the Historischer Saal of the Metro Kino and watching the film with the view blocked by (beautiful perhaps) sculpted wood makes one think about the Eric Pleskow Saal with a feeling that almost resembles fondness.
  • Hans Hurch awards the Meteor(ite) Prize to Jem Cohen but we all suspect him of having betrayed the filmmaker by giving him not a piece of meteorite but something he brought from his trip to Greece.
  • For all those who have, like me, always wondered if filmmaker use special effects in order to make Emmanuel Salinger’s eyes appear bigger – no, they don’t. I’ve seen him in the lobby of Metro Kino.

Das Staunen von Jacques Tati

Ich wusste nie, ob Jacques Tati Zeit zum Staunen hat. Die Frage stellte sich mir, weil ich in meinem Leben ohne Vorwarnung und mit zunehmender Häufigkeit mit Momenten konfrontiert werde, die mich an Tati denken lassen. Ich stelle mir dann die Frage, ob Tati sozusagen das Opfer zum Beispiel einer nicht funktionierenden Tür, eines kleinen Missgeschicks oder ob er der Betrachter wäre. Ziemlich sicher ist er der Designer, denn wir sind uns wohl alle einig, dass es ohne Tati solche Türen und Maschinen gar nicht gäbe in der Welt. Denn wie Chaplin vor ihm, hat Tati die Orte und vor allem die Situationen (wenn man denn von Situationen sprechen will und nicht von Zuständen) markiert, die er filmte. Sie gehen jetzt durch ihn hindurch, weil er durch sie gegangen ist.

Tati, den wir gar nicht nicht mit Hulot verwechseln wollen (der Grund wird sich noch zeigen, wenn er denn will) hat einmal festgestellt, dass Menschen gerade gehen, wenn sie sich nicht kennen und in Kurven gehen, wenn sie sich nahe sind. Er ist also ein Betrachter. In Playtime gibt es eine Sequenz in einem verglasten Wartezimmer. Tati geht umher. Er sieht Dinge an, er probiert sie aus. Zum Beispiel diese Stühle dort im Wartezimmer. Sie passen sich elastisch der Form und des Drucks der Sitzenden an und sobald sich diese erheben, verharrt das Material noch einige Augenblicke in dieser Form, bevor es mit einem dezenten Geräusch in die Ursprungsform zurückspringt. Tati wird zunächst mit den Stühlen konfrontiert, weil er sich auf sie setzt. Es ist also, wenn man so will, keine Beobachtung, die er hier macht, sondern eine Erfahrung. Doch wenn man die Sequenz genau betrachtet, dann bemerkt man, dass Tati bereits bevor er sich setzt, durch reine Beobachtung bemerkt, dass es sich um ungewöhnliche Stühle handelt. Er entwickelt eine Neugier. Probiert unterschiedliche Stühle aus und betrachtet. In den heraufbeschworenen Unfall einer Konfrontation mit der Absurdität der Modernität geht dieser Mann sehenden Auges hier. Und das obwohl seine Anwesenheit in diesem Raum schon einem absurden Unfall gleicht. Denn vor dem Wartezimmer auf die Ankunft eines Mannes wartend wird Tati, als dieser ankommt, in das Zimmer geschickt, um dort zu warten.

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Andererseits rutscht Tati immer wieder leicht aus in diesem Wartezimmer in Playtime. Das hat wenig mit Betrachtung zu tun und viel mit dem Boden, dem unvermeidlichen Boden. Es sind fast beiläufige Rutscher, kein großer Fall, nur eine Störung des Normalen. Wie die vollgestellten Räume bei Pialat, ein Hindernis. Das ist auch eine Frage: Sucht Tati diese Missgeschicke, finden sie ihn oder sind sie einfach? Man denkt an das Fahrrad in Jour de fête, es fährt von selbst. Hat Tati hier Zeit, um zu Staunen? Ich stelle diese Frage, weil ich mich wundere, ob man Staunen würde. Ich habe nämlich ganz im Gegenteil den Eindruck, dass aus einer Mischung von Beobachten und Missgeschick bei Tati, der ja auch Hulot ist (so wie Hulot ein beobachtender Filmemacher ist, ein Filmemacher des Unfalls und der Antizipation) eine Passivität entsteht. Zwar wird er nicht durch die Welt geschoben, aber von der Welt geschoben. Diese Passivität ist die Folge des Driftens und Schauens, bei dem jedes Missgeschick ins nächste übergeht, keine Pointen oder Gags zugelassen werden wie sie andere Filmemacher schon lange gemacht hätten, sondern nur der Übergang einer beständigen Verzweiflung. Playtime ist nicht nur deshalb einer der verzweifeltsten Filme, ein Film der konstanten Überforderung, des Fehlverstehens. Letztlich ist Hulot nicht passiv, er macht einen Film. Er blickt und bewegt sich. Passiv wird unter seinen Blicken und Bewegungen die Welt. Gleichgültig. Das Staunen von Tati, wenn es denn eines gibt, wird nicht wie in Hollywood untermalt von einer forcierten Mimik der Überwältigung. Vielmehr ist es die Tatsache der Überwältigung, motorisch und psychisch, die sich hier in die Bewegungen und das Betrachten einschreibt. Das Staunen in Hollywood bezieht sich immer auf das Große, Angsteinflößende, Wunderschöne, jenes bei Tati immer auf das Absurde, Nicht-Funktionierende, Bizarre. Das Staunen von Tati gilt jenen Dingen, die wir selbst so kennen, aber nie so wahrgenommen haben, jenes aus Hollywood gilt dem, was wir nie erleben werden. So ist sich das Bestaunte in Hollywood auch der Staunenden bewusst. Es reflektiert, dass es betrachtet wird. Es wird ein Spektakel liefern, es wird einen Anfang und ein Ende haben. Bei Tati dagegen ist das Bestaunte gleichgültig gegenüber der Umwelt. In den Worten des Filmemachers nehme es sich selbst zu wichtig.  Es geht einfach weiter, es ist nichts, es existiert nur im Blick und der Bewegung des Filmemachers Hulot.

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Dann staunt Tati doch in diesem Wartezimmer. Er staunt über einen anderen Mann. Der andere Mann passt besser zu diesen Stühlen, in diese Welt. Das ist auch so eine Sache mit Tati und Hulot, dem Filmemacher. Er ist immer zugleich in der Welt, verloren, umzingelt und aus ihr herausgefallen, als Beobachter. Oft verschwindet er deshalb. Entweder unter den vielen im Bild oder ganz aus dem Bild. Federico Fellini hat einmal dasselbe über seinen Freund und Mentor Roberto Rossellini gesagt. Ein Mann, der scheinbar nicht anwesend ist und doch mitten in der Welt alles so viel stärker wahrnimmt, als alle anderen.   Ein Fremder, könnte man sagen. Nicht bezüglich des Ortes, sondern gegenüber der Zeit. Das beste Bild dafür hat Tati natürlich selbst gefunden, es sind die Fußabdrücke, die er immer wieder hinterlässt. Er ist da, obwohl er schon nicht mehr da ist. Hulot kadriert den anderen Mann und Tati in einer Halbtotale, wobei Tati im Bildhintergrund sitzt, seinen Schirm zwischen den beiden auseinander klaffenden Beinen aufstützt und bewegungslos, man möchte sagen machtlos, die stockenden, sich wiederholenden Rituale des Mannes betrachtet. Was Hulot uns nicht gibt ist ein Close-Up. Diese Verwunderung ist keine Sache der Emotion, sie ist eine der Passivität. Diese Szene könnte auch einfach am Zuseher vorbeigehen. Das Staunen überträgt sich nicht. Ganz im Gegenteil wird es eine Frage der Aufmerksamkeit. Deshalb die Frage: Ist da ein Staunen? Sobald die Frage gestellt ist, hastet Tati zur nächsten wirklichen Unwirklichkeit: Eine riesige Fensterfassade, großes Thema im Film. Einen Augenblick glaubt man, dass es sie gar nicht gibt, so durchsichtig ist sie. Tati steht davor und er staunt. Er staunt, weil er nicht mal bemerkt, was hinter ihm passiert. Der Mann, auf den er wartet, passiert ihn. Dieses Staunen macht Tati erst passiv. Es setzt ihn außer Gefecht. Aber immer nur bis zum nächsten Staunen.

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In Mon oncle dann eine Verfremdung des Staunens. Es entsteht auch durch die Perspektive. Mehrfach sehen im Film Dinge anders aus, weil sie aus einer bestimmten Perspektive betrachtet werden oder von einer Architektur, die zu dieser Perspektive zwingt, deformiert werden. In einer der vielen Sequenzen im Garten halten die Hausbesitzer ihre Nachbarin aufgrund des halbgeöffneten Eingangstores für eine Verkäuferin, später nutzt ihr Sohn einen Spalt im Zaun für seine versteckten Scherze (ein Kind, dass Hulot der Filmemacher auch geblieben ist). Die Perspektive, die auch immer eine Frage der Kadrierung ist, zeigt, dass der in dieser Welt betrachtende Tati der gleiche Mann ist wie der Filmemacher Hulot. Der Sohn versteht ihn und dreht sich in einer exakt auf die zufallende Tür abgestimmten Bewegung. Außerdem weiß er, dass er sich hinter einer Mauer verstecken muss, um vom Küchenfenster aus, nicht gesehen zu werden. Der blockierte Blick ist ein großes Thema bei Tati. Eigentlich ist es ein Staunen darüber, dass kein Staunen mehr möglich ist. Oder es ist nur noch Staunen möglich, weil es keine Berührung mehr gibt.

Später reißt der Junge einen Ast im Garten ab. Heimlich zeigt er sein Missgeschick Tati. Nun kann dieser dieses Missgeschick weitaus besser nachvollziehen, als sein Fehlen. Statt es zu Reparieren versucht er folgerichtig die Symmetrie der zwei an der Wand angerichteten Dreizack-Formationen von Ästen (ja, das ist es) wiederherzustellen, indem er den entsprechenden Ast auch auf der Gegenseite abreist. Gleichzeitig erscheint rechts von der Mauer immer wieder der Vater des Hauses, der in einem Wippstuhl sitzt und regelmäßig nach hinten ins Bild wippt. Der staunende Blick bei Tati ist auch ein paranoider Blick. Einer, der nicht ertappt werden will. Der verschwinden will. Aber nicht immer kann. Eine alte Seele in einer neuen Welt. Schließlich ist das Staunen auch eine Sache des Tons bei Tati. Er hat es selbst „le gag sonore“ genannt. Ein Geräusch das nicht stimmt. Eine Differenz zwischen Ton und Bild, die nicht zuletzt aufgrund der Arbeitsweise von Tati zustande kam. Direktton gibt es praktisch nicht. Beim Tennisspielen in Les vacances de Monsieur Hulot klingt der Ball wie eine Blechdose. Es überrascht nicht, dass Tati mit dieser Differenz aus Ton und Bild dermaßen im Einklang ist, dass er mit seiner unkonventionellen Technik seine Gegner in die Verzweiflung treibt. Es ist Hulot der Filmemacher, der das Chaos, das kurze Staunen über diese komischen Bewegungen und Geräusche festhält. Hier trennen sich der Beobachtende und der in der Welt seiende. Tati und Hulot, der eine als Instrument des anderen, beide im Kino und darüber hinaus.

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In Trafic klettert Tati auf einen Baum. Es fällt ihm erstaunlich leicht. Was ihn behindert ist der künstlich angebrachte Wein an der Häuserfassade. Das Fenster ist blockiert davon. Der Blick ist blockiert davon. Der Eingang ist blockiert davon. Nach einiger Zeit passiert, was passieren muss. Tati hängt kopfüber im Wein. Er ist gezwungen dort zu verharren, als ein junges Pärchen kommt. Passiv. Er muss beobachten, obwohl er im Schlamassel steckt. Die Kamera jedoch, der Film, verlässt Tati an dieser Stelle. Er folgt dem Auto der jungen Frau. Als wäre die Kamera Tati. Staunend, machtlos wandernd, mitten in der Welt und doch so weit weg.

Music for the Deaf: Pastorali by Otar Iosseliani

Please allow me a short remark before starting with my initial reaction to Pastorali by Otar Iosseliani. When I first started writing about film it was all because of a strange impulse that wanted to understand and save the memories of a certain film through writing. It somehow had to be an immediate response as if I was afraid to loose the emotions this or that film educed from me. After writing about cinema for a couple of years this impulse has somehow grown weaker. I think it happened not because my excitement was less or my understanding was better, but just because I experienced the quality, pleasure and reason of slower writing. As we say: To let thoughts grow in itself, to read other stuff about it, to see more, to see again, to find a more precise position. When watching Pastorali yesterday night at the Austrian Film Museum all this reason vanished. I just had to write. Or in other, more commonly used words: It is a film that restored my faith in cinema (though I didn‘t really need it at this time).

Pedro Costa‘s notion that with his films he wants to write letters for those who are too tired to write gets a whole new turn when thinking about Otar Iosseliani‘s stunning Pastorali. The notion of this film could be: The images give music for those that are not able to hear it.

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In this film that moves our gaze through the daily struggle and life of a rural village in Georgia, a couple of musicians try to practice their music at a village that doesn‘t really ask for it. Their music disappears and flourishes beneath the sounds of the place. People fighting, screaming, always working, it is a grubby and noisy place full of animals and emotions. Even a peaceful apple tree is screaming with the sound of insects. It is like a dance, it is, in Iosseliani‘s words, like a skeleton that moves and rubs image against image in the most poetic way possible. The musicians are always interrupted when they start, every movement is juxtaposed with another movement and a muddy irony establishes a musical poem with images that remind of Jacques Tati as well as of Lucian Pintilie. The letter Iosseliani writes is not possible. The musicians hardly understand the rural people. Yet, a connection gets established through music or better: “the musical“ as the film moves on. In the end, a girl of the village listens to music after the musicians have left the place. It is a memory but it is also a sound as well as it is part of the heart of the people. Iosseliani‘s artistic education started with music and music shapes his cinema.

We could approach a description of the film by talking about different musical patterns. The first one that comes to mind is: Repetition. In Pastorali images reappear. There is for example a farmer almost collapsing under the sheer mass of the hay he is carrying. We see him two times with the hay. Women are constantly hanging out the laundry or cleaning up. We see them so often that the working women become something like an establishing shot. The musical patterns are also constructed around the ideas of arriving and leaving. Movements get repeated in different directions that way. For example the bus bringing the musicians arrives at the beginning of the film and leaves at the end. This way a feeling of volatility gets established.

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Moreover themes or motives get combined after a certain time. For example, lets look at the sun and the window. The sun is (as so often in cinema) mostly present off-screen. But certain shots focus on the distant planet. One announces a kind of eclipse through dark clouds, one is just the peace of a well deserved evening. The window is a more prominent motive in the film. One of the inhabitants builds a new window and causes violent protests by his neighbors who are not happy about the window facing their garden and house. A huge argument develops while the window is set up into the unfinished building. As all good metaphors in cinema this window is a metaphor for too many things to nail it down to one. Later a mediator tries to communicate through the window but there is a distance now that allows silence or privacy. There are much more windows in the film. Constantly people are looking ot of them. Are they in a prison or on a stage? Then it gets evening and the window merges with the sun. In a shot unmatched in its beauty we gaze through the window at the sun. Even if there was no reason to build this window, this shot alone justifies it all. Suddenly the rather absurd work with the window gets a sense. Here we can also find one of the underlying ideas of the music in the images as beneath all this chaos and stumbling lies beauty and necessity. After this shot the filmmaker cuts to the owner of the window smiling confidently, while staring at the sun through the window.

Another musical pattern we might refer to is the rhythm or pace. As the musicians restart their practice from time to time the movement of images and sounds draws a deep breath and starts from the beginning. The feeling of a very organic “Stop and Go“ gets enhanced by the way natural forces are presented in the film. We can think about rain and sunshine here or the way Iosseliani shows the passage from day to night and back again. Seemingly the pace comes from a nature the films observes. It follows the rhythms of the village and every attempt to add something external to the place (starting to play the music) gets swallowed until it is a part of the organic poetry of sounds.

The editing of Pastorali is close to António Reis, Robert Beavers or Artavazd Peleshian. On the one hand we can clearly sense a sort of intellectual pattern that works with political juxtapositions or associations (Eisenstein is the common man of reference here). For example if you can see apples, then you have to see where the tree is standing, too. If you can see the beauty of the horse, you have to see the struggling of the cow. If you can see all those people being transported at the same back of a truck, then you have to see yourself watching them from a passing train. However, there is also something else that can be related to this rather unusual combination of directors cited above. There is a playful, tender element that searches for an image between what we can see, it was named a third image, but with Pastorali I would prefer: A musical image. Peleshian talked about a montage with images that don‘t exist. He talked a lot about the combination of the visual and the aural. With Pastorali the aural is a melody. Peleshian named his montage, a montage of contexts where images are shown in different contexts. Iosseliani plays with this by using irony and poetry at the same time. A good example would be an unforgettable fishing scene in which two “fishermen“ (one wearing a tie, a shirt, very short trousers and gumboots) have a very strange method of getting their fish out of the water. The sequence begins with an explosion without context. Something exploded in the river, a spout of water in the air. We don‘t know what caused the explosion. Our two fishers run to the place of the explosion in the river and collect the dead fish. Now, for the first time in this sequence our perception is shifting but still different possibilities remain as to what might have caused the explosion. After a while we finally see it. One of the guys throws a grenade into the river. As we still have to deal with the absurdity and violence of this procedure we see in what we can call a Georgian-John-Ford-shot a man on a horse arrive from a distance. Now again, we do not know why he is coming and who he is. There is no context, just the idea of arriving. First there is just the sound and the image. The context shifts when he finally arrives and we see that the rider is a guard who cares shit about what his two friends are doing. As the context grows more and more important throughout the scenes it becomes clear that a sole image is not to be listened to without its context. It feels like discovering melodies in a musical composition. We can say that context is also a question of sounds and music in Pastorali. It is as if every element of the soundtrack adds to the musical composition. Iosseliani works with repetitions, juxtapositions and rhythms on the soundtrack, too. For example we can hear singing birds as well as a roaring airplane. Sudden screams as well as tender muttering. Like with Tati a feeling emerges that makes us accept all those sounds as part of the same universe, a universe that goes on without the put-on drama we tend to fall for.

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This is to say, of course, Iosseliani‘s montage is not really comparable to the one‘s of Beavers, Reís or Peleshian, it is just a combination of form, music, poetry, politics, tenderness, playfulness and the importance of their theories that brings them to mind. This brings us back to the skeleton where everything works for itself but also as part of a bigger flow. The musical image is also an image of love in Pastorali. There is a love story told through two images rubbing against each other: Secret gazes, little movements, the excitement of arriving and the melancholy of leaving. The story exists but isn‘t told between a young woman of the village and a musician. Like the music, the love is never really allowed to blossom as it blossoms in-between the images. There is a smile, a look through the window, a way to look at the mirror and of course, the movement between two shots that carries in it a longing. It is not only a film about music and love, it is a film of music and love.

Jean Mitry has written that there is no rapport between musical and cinematic rhythm. In an emotional response after seeing Pastorali I am tempted to say: He is wrong.

Rotterdamnation: “Being a buffalo is an art”

  • Highlight des Festivals bislang (wenn ich das nach Entdeckungen betrachte und Philippe Garrel um einige Zeilen verschieben darf)  ist Pietro Marcellos Bella e perduta. Die (innere) Stimme und die Augen (keines Esels, sondern) eines Büffels fungieren als emotionale und philosophische Führer  durch einen Film, der vermutlich unvereinbare Register, die ich vielleicht ein anderes Mal genauer beschreiben muss, auf eine wunderbare, Seltsamkeitsgefühle induzierende Art vermischt. Es geht dabei nicht nur um die Vermischung vom Dokumetarischen und Fiktionalen, von der “Hybridität” des Films, die an sich, egal wie meisterlich verwoben, schwer noch das Gefühl einer frischen Entdeckung verursachen kann. Mit verlassenen Schlössern, einer commedia all’improvviso Figur, die die Kommunikation zwischen den Toten und  den Lebenden ermöglicht und einer merkwürdigen Art, dann und jetzt zu thematisieren und zu zeigen im Kopf, stelle ich den Film beiseite und bereite mich darauf vor, nach dem Festival mehr daran zu denken.
  • Sie saßen auf den Sofas und dann merkte ich, dass sie Chaplin anschauen:

 

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  • Für mich fängt das Festival erst richtig an, für die meisten scheint es schon aus zu sein. Einige Sofas und Tische, wo manchmal Interviews geführt werden, sind seit gestern verschwunden und Pressescreenings wird es auch nicht mehr geben.
  • In der nicht-wackelnden Fragilität von L’Ombre des Femmes, die zusammen mit einer weichen Klarheit kommt, habe ich etwas gefunden, von dem ich nicht wusste, dass ich an Film vermisst habe. Ich denke da nur zur Hälfte an Stanislas Merhar. Vielleicht ist es Notwendigkeit. Vielleicht ist es die Schönheit des jahrelangen Engagements, sich mit Beziehungen auseinanderzusetzen. Hast du gesehen, wie die Figuren zittern?

 

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  • Entweder springt Regen eigentlich aus dem Boden raus, oder ich habe ein Loch in einem Schuh.
  • Nach dem Festival ist es endlich Zeit, weitere Filme von Artavazd Pelešjan zu sehen und dann Marcellos Il silenzio di Pelesjan. Ich hoffe, dass Pietro Marcello und Julian Radlmaier, dessen Ein proletarisches Wintermärchen mir immer spannender scheint, sich kennen. Ich hoffe auch, dass mein Kopf sie nicht wegen Schlössern, sondern wegen einer ähnlichen Auffassung von  Film(emachen) zusammenbringt.
  • In einem Kino gibt es Tati-Poster! Habe ich das letztes Jahr auch gesehen und vergessen?

 

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  • Ich habe in The Whispering Star eine Androidin gesehen, die in einem Raumschiff lebt, dass eigentlich ein Haus aus den 50er(ishen) Jahren ist. Dort sind Insekten (Schmetterlinge) in den Neonlampen gefangen. Fukushima. Es wird nur geflüstert und der Film ist schwarz-weiss mit einer Eskapade in Farbe und ich finde, dass er ein geniesbarer, hüllen-stylisher Film ist und ich hätte ihn vielleicht doch lieber am Anfang meiner Teenagehood gesehen.
  • Ich glaube, dass alle meine Waffel von gestern gesehen haben und auch eine wollten, weil heute, als ich wieder eine kaufen wollte, gab es keine große mehr, nur viele kleinere.

Cinemañana: 13 travel tips for the summer

1. Travel to Italy. Find this creature and eat it.

Plein Soleil

2. Go to Alphaville and destroy Alpha 60

Alphaville: une étrange aventure de Lemmy Caution von Jean-Luc Godard

3. Find the waterfall in Loong Boonmee raleuk chat. Dress like a princess. Get raped by a fish.

Loong Boonmee raleuk chat von Apichatpong Weerasethakul

4. Or travel to Twentynine Palms.

Twentynine Palms von Bruno Dumont

5. Try to find Jauja.

Jauja von Lisandro Alonso

6. Climb Stromboli pregnant. While it erupts.

Stromboli von Roberto Rossellini

7. Visit Anatolia, drop your apple and let it roll down a hill, into the creek bed.

Bir Zamanlar Anadolu’da von Nuri Bilge Ceylan

8.  Go to Căpâlniţa. Pick up some American soldiers while an Elvis impersonator sings “Love me tender”

California Dreamin' (nesfârșit) von Cristian Nemescu

9.  After seeing Sylvania:

Duck Soup von Leo McCarey

10. Find out how green my valley was.

How green was my valley von John Ford

11. Go sailing on the Caspian Sea. Join the „Lights of the Communism” kolkhoz and fall in love with Masha.

У самого синего моря von Бори́с Ба́рнет

12. Go to the seaside. Burn that tent and exercise.

Les Vacances de M. Hulot  von Jacques Tati

Les Vacances de M. Hulot  von Jacques Tati

13. Return to Italy. Go to Venice and die

Morte a Venezia von Luchino Visconti,