Notiz zu Te von Szabó István

Te von Szabó István aus dem Jahr 1963 ist der Film, den Jean-Luc Godard im selben Jahrzehnt trotz zahlreicher ordentlicher Versuche nie hinbekommen hat. Die Rede ist von einem Film als verspielten Liebesbrief, als Flirt, als Dialog zwischen der geliebten Frau und der Kamera. Godard übersah, dass auch ein noch so lässiger Schnitt nicht an die Wirkung fließend ineinander übergehender Einstellungen heranreicht. Szabó dagegen erreicht einen wahrhaftigen Schwindel, den man unter Verliebten kennt, wenn man unablässig den Augen einer Person folgt, sodass alles verschwimmt und ein Raum in den anderen tritt, ohne dass man noch wüsste, wo eine Schwelle überquert worden wäre. Godard war außerdem so sehr in das Kino verliebt, dass er seine Bilder, die Liebe zeigen sollten, als filmisches Zitat verstand, ein bisschen so, als würde man einen Liebesbrief mit den Worten anderer schreiben. Ich filme dich wie Dreyer, das ist meine höchste Form der Hingabe und so weiter. Szabó dagegen ist durchaus auch in das Kino verliebt, spielt mit der Form, aber nur, um durch sie etwas sichtbar zu machen, was dem hypersensitiven Rausch des Verliebtseins sonst entrinnt, nämlich die tänzerische Eleganz im Unbedarften, die sich manifestierende Verletzlichkeit in der Hingabe und die spielerische Flüchtigkeit dieser Augenblicke, die nur scheinbar die Welt bedeuten. Im Gegensatz zu Godard war er nicht daran interessiert, ein ewiges Bild seiner Liebe auf Film zu bannen, sondern vielmehr, es von den Rahmungen des Filmstreifens zu befreien, es aufzulösen in einer sich um sich selbst drehenden Kontinuität. Diese Liebe drückt sich bei Szabó als Schwingung aus, bei Godard als Stasis. Deshalb dient die geliebte Anna Karina bei Godard auch dem Blick des Filmemachers, während Szabó den Bewegungen seiner damaligen Partnerin Esztergályos Cecília folgt. Ich muss nicht weiter betonen, dass die stupide, unter Kinoliebenden weit verbreitete Hinwendung an westliche Bildikonen dennoch Anna Karina bevorzugt, wenn es um eine Definition von Liebe und Kino geht. Man darf es den heimlich schmachtenden Intellektuellen nicht übel nehmen, schließlich können sie in den Bildern Godards dann ihr ganz eigenes Zitat entdecken und ja, auch das ist das Kino, ein sich bis in die Wirklichkeit aufeinander aufbauendes Konstrukt von Bildern, die nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun haben. Godard hat das verstanden wie kaum ein Zweiter, Szabó aber hat es besser verstanden, mit der Kamera zu lieben.

Die Tür zum Himmel: Le Sel des Larmes von Philippe Garrel

« Ecoute cette mélodie qui court entre les nuits, écoute le temps qui passe, le vent qui nous enlace, ce froid qui nous tracasse » (Jean- Louis Aubert, Va où ton cœur te dit)

Es gibt Filme, die muntern einen auf, einfach weil sie schön sind, auch wenn sie traurig sein mögen. Nachdem man Imitation of Life oder The Bridges of Madison County gesehen hat, spürt man in sich eine Art emotionale Zufriedenheit: ja, das Kino ist schön, das Kino ist gross – und die Liebe gibt es, auch wenn sie schmerzt und zerbricht. Seltener sind die Filme, von denen man sich wünscht, nachdem man sie gesehen hat, man hätte sie nie gesehen – obwohl, oder vielleicht gerade, weil sie schön sind, weil ihre zu stark strahlende Schönheit einer dunklen Wahrheit unterliegt, die einen geradeaus verletzt und zerbricht.“ [Frei umformulierter Ausschnitt aus einem gelauschten Gespräch zwischen zwei nicht identifizierten Zuschauerinnen vor einer Filmvorführung an der Cinémathèque, Juni 2018]

In den Filmen von Philippe Garrel geht es weniger darum, einen in die ekstatische Stimmung der Liebe zu versetzten, als vielmehr um die Sehnsucht nach dieser Ekstase. Am Ende von L’Enfant secret oder J’entends plus la guitare, gibt es nichts außer dieses Vakuums, das schon immer vor und nach der Liebe existierte. Selbst das anscheinend glückliche Ende in L’Ombre des femmes oder L’Amant d’un jour fühlt sich fragil an, als wäre dieses Glück das Versprechen einer Geschichte, die nie wirklich geschrieben worden wäre, beziehungsweise geschrieben werden würde.

In seinem letzten Film, Le Sel des Larmes, erzählt der Filmemacher von diesem Versprechen und der Kehrseite dieses Versprechens wie selten zuvor. Im Mittelpunkt der Erzählung steht Luc (Logann Antuofermo), ein wortkarger Junge aus der Provinz, der in Paris ankommt, um die Aufnahmeprüfungen der berühmten École Boulle abzulegen. Gerade der U-Bahn entstiegen, trifft er auf die schüchterne Djemila (Oulaya Amamra). Die zufällige Begegnung zwischen den zwei jungen Menschen, im fast expressionistischen Schwarzweiss von Renato Berta, wirkt elektrisch : „Das Gesicht Djemilas, die überrascht zu sein scheint, plötzlich auf einer Busfahrt mit dem schönen Fremden zu sein, strahlt trotz des Gegenlichtes – eine Spezialität Renato Bertas – eine Vielfalt von Ausdrücken aus, die sich langsam von den dunklen Augenringen aus erstrecken.“ [Charlotte Garson, „Ce pays en noir et blanc“ – Cahiers du Cinéma n° 767]. So ist es eben im Kino: etwas Elektrizität genügt, und gleich kann (man) eine Geschichte beginnen. Nur ist das Kino dem Leben nicht gleichzustellen, und umgekehrt: eine unerwartete Aussage von einem Filmemacher, der einst meinte, er besäße anstelle eines Herzen eine Kamera im eigenen Leib. Das wird Luc allerdings später noch lernen müssen, einmal als Geneviève (Louise Chevillotte) ihm plötzlich ankündigt, sie erwartet ein Kind von ihm und zum zweiten Mal mit Betsy, der Frau mit der Luc später im Film in einer Beziehung ist (Souheila Yacoub), die ihm eine Art Liebesdreieck auferlegt. Der Film seines Lebens setzt sich vor seinen Augen fort, doch Luc verpasst das: als er sich von Djemila unter einem Baum verabschiedet, weiß er nicht, dass dieser Abschied endgültig ist, und wenn er am Ende auf einmal erfährt, dass sein Vater gerade verstorben ist, kann er nur in der Abstraktion seiner selbst verschwinden – hinter einer Tür, der Tür zum Badezimmer, in den Himmel schauend:

« Luc alla dans la salle de bains et, comme il voyait le ciel à travers la lucarne, il se rendit compte que, puisqu’il ne croyait pas en Dieu, son papa n’était pas au ciel – mais tout simplement ne serait plus jamais là. »

Luc ging ins Badezimmer und, als er den Himmel durch die Lukarne sah, wurde er sich dessen bewusst, dass, da er nicht an Gott glaubte, sein Vater nicht im Himmel war – sondern einfach nicht mehr da sein würde.“

An der letzten Szene und der sehr einfach, fast nackt aussehenden Einstellung der geschlossenen Tür, mit der der Film endet, merkt man wie geschickt Garrel im Umgang mit dem Voiceover ist – ein Merkmal seiner letzten Filme –, denn obwohl der unsichtbare Erzähler noch vor der tatsächlichen Ankündigung das traurige Ereignis mitteilt, kann man erst nach diesem allerletzten Satz die bittere Trostlosigkeit konkret spüren, die den ganzen Raum einnimmt, in dem Luc sich nun befindet. Durch diese Spalte, die sich zwischen dem, was man rein visuell sehen kann, und dem, was nur literarisch angedeutet wird, auftut, wird gerade jener Raum umrissen, der ganz am Ende des Weges der Hauptfigur steht. Luc wird letztendlich in der Einstellung eingesperrt: auf dieses Schicksal verweisen schon der von Luc und seinem Vater gebaute Sarg sowie sein reduziertes Modell (ein kleiner Holzkasten mit Esswaren und Zigaretten, den Lucs Vater seinem Sohn schickt).

Wie bei vielen seiner Filme hat Garrel das Drehbuch zu Le Sel des Larmes zusammen mit – unter anderem – Arlette Langmann geschrieben, die lange mit Maurice Pialat zusammengearbeitet hat. Das Leben der jungen Suzanne, von Sandrine Bonnaire im mythischen A nos Amours gespielt, beruht sogar direkt auf der Jugend der Drehbuchautorin. Mehr als der Einfluss der Nouvelle Vague (etwa der Jean-Luc Godard von Une femme mariée, Masculin Féminin, Vivre sa vie wegen des prächtigen Schwarzweisses, oder der François Truffaut von Baisers volés wegen der Erziehung der Gefühle-artigen Erzählung) ist es gerade das Kino von Pialat, das man etwas umgestaltet, entfremdet, weil in einer irgendwie ruhigeren Form wiedergegeben – aber doch sehr deutlich – in diesem letzten Spielfilm von Garrel wiederfindet. Denn wie bei dem Pialat von A nos amours und dem Pialat von Le Garçu, wird hier gleichzeitig von der Liebe zwischen jungen Menschen und von der Liebe des Vaters erzählt, in einem Paris, der ganz anders aussieht als in den Filmen der Nouvelle Vague. Nicht die tatsächliche Stadt an sich zählt, sondern der halb geträumte, halb wach erlebte Zwischenraum zwischen den eigenen Wünschen und der rohen Wirklichkeit, zwischen der Hauptstadt, den Vororten und der Provinz, sei es im engen Hof vor der geöffneten Tür zur Strasse, vor dem einsamen Fenster in einem leeren Hotelzimmer, in dem man ewig auf die Liebe warten könnte, oder in der spartanischen Wohnung, die man sich zu dritt teilt.

« Ce qui préoccupait Luc, à cette époque, c’est qu’il n’était pas sûr que l’amour existe, car ce qu’il avait connu avec Djemila, comme ce qu’il avait connu avec Geneviève, il ne pouvait après coup nommer cela l’“amour“. Ou encore, s’il se demandait s’il avait connu l’amour, il était bien obligé de se dire que non, cela n’avait pas dépassé ses ambitions, ni atteint l’importance de l’amitié qu’il portait à son père. Mais un jour, Luc allait trouver devant lui une femme qui lui apparaîtrait comme son égale. »

Was Luc zu dieser Zeit beschäftigte war, dass er sich nicht sicher war, ob die Liebe existiert, denn sowohl das, was er mit Djemila erlebt hatte, als auch das, was er mit Geneviève erlebt hatte, konnte er nachher nicht als Liebe bezeichnen. Oder, als er sich fragte, ob er der Liebe schon begegnet sei, konnte er nicht umhin, zu dem folgenden Schluss zu kommen: nein, weder war es über seine Bestrebungen hinausgegangen noch hatte es die Stärke der Freundschaft erreicht, die ihn und seinen Vater verband. Doch eines Tages würde Luc eine Frau kennenlernen, die sich ihm als ebenbürtig erweisen würde.“

Ob Luc diese Frau wirklich kennenlernt, bleibt unbeantwortet. Viel wichtiger ist es, dass die geschlossene Badezimmertür etwas mehr verspricht, als sie tatsächlich zu verbergen scheint.

REMARKS ON NEW CINEPHILIA

A note for transparency: the bitterness in my response to Girish Shambu’s manifesto For a New Cinephilia is only partly caused by the text in question. I do see it as an elemental representation of tendencies I find inconsiderate – but however facile these tendencies may be, my strong antipathy is mainly aimed at those who wish to authoritatively misuse the powers released by these supposedly new ways of relating to cinema. Misuse means the mendacious generalization, fictionalization and arbitrary tailoring of oeuvres to make them fit the intended narrative. The lighter consequence of this attitude is the uncritical acceptance of commonly agreed upon, classifying interpretations, a failure in noticing contradictions, complexities and polemics. The harsher manifestation would be the laundering of film history, to be constantly on the alert for deleting abusive directors from a shared notion of canons, as prescribed by Shambu. It’s important for me to clarify that readers who find Shambu’s text enlightening or emancipatory are not subject to my criticism at all. It’s all the more important because I’m unsure who the actual target of Shambu’s manifesto might be. As I will argue below, critics, festivals, archives bask in all types of film appreciation, because all types coexist.

In his text, For a New Cinephilia, Girish Shambu offers an inconsistent portrait of what he calls “old cinephilia” and uses imprecise or misleading arguments to make a point. Doing this for the “right cause” and presenting it as a matter of morality makes his proposition all the more disturbing.

Shambu composes his article as a fierce and defiant manifesto, a sort of “counter-text” – when it perfectly aligns with a well-established contemporary way of thinking which enjoys a lot of currency not just in academia but also in corporate policies: an understanding of the need for “representational justice” in the face of “dominant identity groups” and “false universalism”.

At the same time, he ignores the complexities of past cinephilias, the vast accomplishments of feminist, avant-garde or simply non-auteurist writers and subcultures. Because of this ahistorical obsession with the present moment, relevance and (pseudo-)revolt, he neglects the fact that there never was such a thing as a singular, homogeneous film culture and that diversity played a role even among the staunchest auteurist critics of yesteryear.

My remarks are not meant to be extended to Shambu’s career as a scholar and critic.

Many of his efforts are inspiring to me, particularly the foundation and editing of the online journal, LOLA.

Below, I will react to Shambu’s claims point by point, keeping in line with the structure of his original article.

 

1

In the web of explanations Shambu constructs to define old cinephilia, the first one is the most fundamental and systemic – in his view, it has been the dominant mode of film appreciation or moviegoing in general since the end of World War II. As his reasoning unfolds, it becomes clear that he ascribes the hegemonic nature of this cinephilia to the impact of André Bazin and his disciples (whose stance on various subjects often placed them in opposition to Bazin – something that Shambu makes no effort to note). Thus, the large-scale hypothesis shifts somewhat as Shambu locates the origin of what he perceives as the universally presiding film culture: it is a rather specific one, formed by a minority group. He is certainly aware of this shift, it is the very subject of his criticism – a minority group dictating a quasi-absolutist vis-à-vis to cinema. In comparison, “new cinephilia,” which is what he champions, would acknowledge the manifold relations to the artform.

The ways of movie love need no acknowledgement or validation from any group of experts, they just exist. If for the “new cinephilia” the unity of a film culture is a nostalgic fantasy, why doesn’t it acknowledge the parallel existence of differing film cultures? Despite the self-consecration of certain auteurist critics, there has never been a homogeneous film culture in the Euro-Western world because different influences kicked in at different times in different places to different degrees – the instances of which could be listed endlessly. Here are three cases to sum it up.

  1. Let’s say a certain middlebrow, elitist-aspirant group wants an introduction to cinema through tastemakers based on their non-film-related output. The ideal intellectual is mainstream enough to serve as a comfort-providing, unquestionable authority but also obscure enough to satisfy that group’s need for distinction or snobbery. At a very particular moment in time and in a very particular place in the world, it may well be Susan Sontag – and this group may well learn that Robert Bresson, Jean Renoir and Roberto Rossellini are what makes film an art form. But it’s just as likely that within that same limited cultural sphere and in that same fragile, fleeting moment of history, they decide to open The New Yorker only to encounter the most powerful anti-auteurist critic in the history of film culture, Pauline Kael. They both represent the very mainstream denounced by Shambu, yet they represent complete opposites. Dark powers keep out names and tendencies from their own, fabricated version of film history. In some cases, these sins are committed with an auteurist sense of entitlement; in others, the same sort of self-satisfaction is applied to an opposing ideology. The totalizing effort on Shambu’s part, therefore, doesn’t describe forms of cinephilia at all. It only describes a certain sociological phenomenon: the competition between celebrity intellectuals and their respective (in themselves rather varied) groups of adherents.
  2. The second counter-example is not about an institutional mainstream but a quantitative one. Shambu knows that audiences watched films with all kinds of intentions and backgrounds throughout the 20th century, yet he poses as a redeemer (realizing the obvious becomes an act of moral compensation, necessitated by the ignorance of François Truffaut or Andrew Sarris). One of these intentions was to have a good time, to be entertained. And those millions in the German Federal Republic who chose to have a good time when buying a ticket for Old Shatterhand in 1964 were not tyrannized by those who were still raving about Helmut Käutner’s Die Rote and its nouvelle vagueish qualities. Nor were those few to whom Peter Nestler’s Mülheim/Ruhr meant the most that year. Large terrains of culture weren’t affected by auteurist critics, not in a bad way, not in any way. These groups, of course, always intertwined and co-existed (and they still do) – they all are film culture, together and in parts and there’s nothing homogeneous about it. Businessmen who keep films from being seen are much more likely agents of a desire for hegemony – and they indeed often dictate and define, unfortunately sometimes even archival policies. But they are rarely interested in theory – and based on Harvey Weinstein’s ideas about Wong Kar-Wai or Jim Jarmusch, auteur theory is no exception. Of course, Weinstein cashed in on the marketable label of the auteur – most evidently on the films of Quentin Tarantino – but this phenomenon is only symptomatic of the festival market and not of the specificities of the theory in question.
  3. Synchronicity is just as problematic an idea as homogeneity, so my third case is that of geographical terrains that managed to survive the violent terror of Cahiers du Cinéma – places like my home country, Hungary. It is part of the Euro-Western film cultures, and a few Hungarian filmmakers are even internationally celebrated based on the “cult of mise-en-scène.” Yet, at the highest levels of academic film theory in Hungary, it’s still a matter of complete insecurity what the auteur policy actually declares. Serious people can publish books in which they claim that Bonnie and Clyde predates Hollywood’s first auteurs. This is caused by lack of interest: serious thoughts are hard to come by about whether John Ford is an artist or not because film itself is not so much introduced and discussed as an art form – yes, I’m speaking about the country of Balázs Béla, duly noted. And I am sure that there are a number of other countries where film culture is so marginal that it is not defined by its internal conflicts and theories but by literature, fine art or music. Film culture is constituted by every person who participates, every subculture they form (purposely or unknowingly) – and that includes the avant-garde, the feminist circles, or filmmakers who proudly and unapologetically believed in participatory documentaries and film collectives, long before “new cinephilia” arose.

Disagreements within the group of young French critics during the 1950s may be less important but they obviously existed, and Shambu’s handling of their ideas is another instance of generalization. One of the several lines along which disagreements between Bazin and, for example, Jean-Luc Godard occurred was the matter of long takes and montage. And one of the reasons to disagree was how the implementation of these cinematic devices contribute to the film’s substance – which I highlight because at a later point Shambu deceptively suggests that “old cinephilia” exclusively cares for aesthetic satisfaction.

While it’s an important argument for me that “old cinephilia” was never all-powerful, its impact was evidently immense and, for certain people and in certain cases, irreversible. That is because the young critics of Cahiers wanted to be effective, wanted to self-authorize their place in journalism and in production, they sought power to use it for their own benefit. Of course, this is partly what Shambu denounces, yet it’s rather bewildering how he himself follows the tradition-defying, effect-seeking methodologies of Godard and his circle.

He also lets us know that “new cinephilia” lives comfortably on the internet. Strictly speaking, it’s not cinephilia then. The word cinephilia refers to the cinema. It doesn’t refer to the moving image, not even to celluloid, but to the cinema experience, to the communal experience, to the physical commitment one takes to learn about cinema, to the relations between cinemas and other urban spaces.

For most of us, television, the computer’s screen and other surfaces essentially and enjoyably form our insight into cinema. However, the transition of platforms, materiality and what is being lost at the cost of accessibility entail questions that should not be overlooked.

Finally, I am not sure what’s “old” and what’s “new” here.

Many effective cinephilias came decades before the prevailing of the symbolic Cahiers critics. Jean Epstein and the countless other prewar film society organizers may not be vitally important to Shambu’s point, but it would have been reassuring to know that he is aware of their socially very much committed and culturally enlightening actions.

Moreover, well-known articles about the end of the Parisian cinephilia and about a “new cinephilia” have been coming out at least since the late 1970s, or even earlier. Later on, this debate actually inspired one of film culture’s great correspondences, Movie Mutations. This, and Movie Mutations in particular, is treated with much greater awareness in Shambu’s first edition of The New Cinephilia (Caboose, 2015) – in the manifesto, all this seems to be missing due to the dulling effects of the censoring counterrevolutions that took place in the meantime.

2

The pleasures of the “old cinephilia” are not predominantly aesthetic. The respect for and interest in mise-en-scène never implied the unimportance of the social aspect. The films of John Ford are documents of a country learning to be a democracy, their popularity is an evidence of the general public’s interest in the origins of their community and his auteurist appreciation is partly based on that. Douglas Sirk, who according to Jacques Rivette was “always a real director”, made films about racial inequality, harmful insularity and suffering housewives. Charles Chaplin, one of Andrew Sarris’ “pantheon directors” is widely saluted because of his politics; Jonathan Rosenbaum even uses this as an argument against those favoring Buster Keaton.[1] François Truffaut condemned the French films of his youth because of the absolute absence of social and historical truth or relevance in them. In his documentary A Personal Journey with Martin Scorsese through American Movies, Martin Scorsese – the auteurist auteur par excellence – could have talked about Allan Dwan’s style (according to Dave Kehr, Dwan “was the most expressively kinetic director in American film” after Raoul Walsh), but he chose to talk about Dwan’s politics – and did the same in regard to Nicholas Ray, Samuel Fuller and Otto Preminger.

Besides, since when are aesthetics separated from commentary, social contribution or substance? Bazin’s mentioned preference for undisturbed long takes is also the preference for a cinema that is rooted in the world, in dialogue with reality and thus with politics, society and people. Chaplin’s artlessness is part of his emancipatory genius. The images used by Erich von Stroheim in order to tell stories of deceit are themselves shady, they are images created by and for an impostor reflecting a borderline satirical approach to power structures and male behaviour. The hectic stylistic method employed by Lizzie Borden to reconstruct Regrouping in itself helps the audience to understand the polemical workings of the filmed group.

Finally, to suggest that viewing “cinema itself as part of a larger cultural-activist project” could be a novelty and will only be accomplished by the “new cinephilia”, is ludicrous. Doesn’t this concept remind Shambu of a certain, quite old cinephile?

3

The issue of list-making was a matter of intense debates last year, started by Elena Gorfinkel’s[2] manifesto. With that in mind, I don’t intend to comment on Gorfinkel’s text in the paragraph below. I find it fierce, well-written but personally unrelatable.

The problem of “evaluation”, as derived from aesthetic pleasure, is another core of Shambu’s criticism of the “old cinephilia.” And he immediately conflates it with list-making. But list-making is not evaluation; evaluation could be defined as thinking about and outlining the obvious or discovered characteristics of the artwork and relating them to the systems of value that are held by the critic in his/her culture. Sheer listing is evidently pointless and has no intellectual substance as such. Yet, many things can start with listing, a great film program, a perceptive selection of forgotten, underrated or oppressed films or simply a path of learning, on which it is natural to look for recommendations and guidelines.

Also, listing can be accompanied by evaluation – if it’s done well, it adds up to another level of education: it doesn’t only teach the curious reader about films but exemplifies honesty and openness about taste; how one confronts their own limits, how one comes across new interests and how one admits particular doubts.

Nevertheless, lists do service to marketability – some to the selling of a huge Hollywood production, others to the establishment of an art film’s unquestionable intellectual importance. The lists I deem deserving of defence share a contradicting quality – they’re documenting impurity, conflicts and interest in films that elude classification. These are relevant because both evaluation and lists have to do with taste, which is what ultimately the “new” cinephiles have as well. If they don’t fight for their own, the industry will.

There is another problematic aspect in the “new” cinephilia’s “expansive notion of pleasure and value”. The assumption that films which “center the lives, subjectivities, experiences, and worlds of marginalized people automatically become valuable” diminishes the achievements of actual great works of auto-representation and portrayals of the underprivileged. I might add that such “automatic” values inherent in a certain subject matter (vis-à-vis those produced by acts of “evaluation”, accounting for all sorts of pleasure) inevitably remind me of that very “old” moment when it was fashionable to consider Stanley Kramer the bravest of all Hollywood filmmakers because of the topics he chose.

In fact, equating the most disturbing subject matter with the best film is already the policy of various documentary film festivals – such as Budapest’s VERZIÓ, DOK.fest München or This Human World in Vienna. Their programming and awarding prioritize urgency which unfortunately results in the reverence for films that substitute personalities with a set of disadvantages. At the same time, academia often strengthens the understanding that the history of film is a history of representation (and not that of art, let alone technique or economics), thus this policy prevails, as it has already in the 1960s.

At the same time, the type of subject matter that is allowed to be portrayed is, again, very arbitrary. Whereas the mindful representation of the powerful can amount to important and intelligent criticism, it is being rejected out of hand, hence the utter misunderstanding of The Wolf of Wall Street or the complete disregard for Erase and Forget. In relation to that, I’m also puzzled by relation to the realistic and/or empathetic depiction of suffering, the suffering of women for instance, hence the controversial, changed ending of Carmen in Florence’s Teatro del Maggio Musicale. The idea that such depiction goes against empowerment and licences violence also affects cinema culture, hence the sudden hostility against Mizoguchi Kenji. In contemporary discourses, he often appears as the one who actually stimulated the position of women captured in the films (as opposed to Tanaka Kinuyo, let’s say) – yet, the historically ever-changing, sometimes contradictory receptions of his work exemplify how this artificial tailoring may not be so new after all, although the carelessness for homogeneity-defying films like The Victory of Women is stronger than ever.

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To me, this may be the least problematic segment, although it fails to acknowledge the existence of various understandings of auteurism – not all of these prioritize the oeuvre. Wanda is obviously a film by its auteur, and the fact that this auteur is its prime and most influential creator doesn’t need to be proven by other films from the same creator. Shambu is happy to neglect all the feminist journals and mainstream critics[3] who, because of vast research or by accident discovered, covered or celebrated films by women upon their first release. Also, in synchronicity with the “new cinephilia,” people who surely don’t belong to it produce extensive writing on female directors, such as Richard Brody whose articles on Elaine May, Juleen Compton, Sara Fattahi, Shirley Clarke or Josephine Decker contributed greatly to the status of these filmmakers.

5

If the “old cinephilia” is that of Sarris and the Cahiers, then it certainly doesn’t claim to be open and eclectic. The very reason for The American Cinema to exist is to outline the boundaries Sarris ascribed importance to. In his notorious interview, Jacques Rivette strips even Vincente Minnelli of an auteur status.[4] In the already quoted Movie Mutations, impurity, openness and eclecticism is a vivid topic but it mostly comes up in opposition to those who mourn a classical, pure cinephilia. In Nicole Brenez’s experience, young people (in the 1990s) were equally interested in Der Tod der Maria Malibran, Robert Bresson, Tsui Hark and avant-garde programs, too. What kind of cinephiles are these people? “I assume that my cinephilia, which looks for all cinema beyond the ‘High & Low,’ has its origins in this conscious blending and contaminating of various pure doctrines.” To which kind does Alexander Horwath belong, who wrote this in the same correspondence? The most basic problem with Shambu’s labelling is that it’s unnecessary.

To me, the most unimaginative (and worrisome) tendency of “openness” is the extended application of the Sarris canon – for instance, the presentation of Henry Hathaway, Mark Sandrich or John M. Stahl as auteurs. As far as I can tell, it is certainly not, or mostly not, the “old” cinephiles who are responsible for this. On the contrary; the desire for purity, the denial of unevenness and unclassifiable turns in artistic biographies are drives similar to those of Shambu. They don’t recognize that more often than not, filmmakers make great films which do not amount to anything coherent in relation to the rest of their oeuvre – he doesn’t recognize that film history shakes off catchwords like his, those impossible to embellish.

True inclusiveness is a misconception. It is the act of the historian from Hollis Frampton’s For a Metahistory of Film: Commonplace Notes and Hypotheses[5] with the underlying and contradicting desire of the text’s metahistorian. It calls canonizing forces to account for their arbitrariness, yet it lays open its own selective guidelines very clearly. It ascribes significance to a mainstream only to criticize and point out its shortcomings but fails to naturalize that exclusion (of women, ethnic minorities, geographical terrains, historical periods, production methodologies, genres, styles, topics) is inseparable from writing (and re-writing) art history. Thus, I can’t help but feel that it’s a will to be accepted and included by the above-mentioned businessmen. Avant-garde groups and underground cinematheques are guilty of underrepresenting women filmmakers. Yet, it seems to me that these debates are not about the particularities, and how those could be improved. Its labelling mostly helps the market which then will commit further exclusions, perhaps at the expense of new victims. True inclusiveness questions the very relevance of subcultures; it stands for an accessible mainstream that forms a non-evaluated, quota-based canon.

6

Much like this paragraph itself, #MeToo is authoritative, takes an inherently undebatable ethical position and operates with condemnation instead of consideration (and in contradiction with the foundational stance of a Rechtsstaat), which is why I find it alarming that a person with an autonomous intellect needs initiations like this to invest time in history and research the horrific events and unjust social relations of the past. Here, Shambu demands the very type of decisive power he criticizes more clearly than anywhere else – to reevaluate the corpus of cinema. Not according to a social or aesthetical proposition but based on the director’s certificate of criminal (moral) record. And what does that mean? That if somebody is a proven sexual predator, we can erase him or her from that corpus? What exactly does that solve? To what other versions of wicked people will that be expanded? Nazis? Stalinists? Liberals? To engage with culture necessitates the openness to the possibility of encountering things that will be harsh, irritating, offensive or unbearable. The main difference between legislation and morals is that the former aims to regulate society on a systemic level and some moral matters cannot be dealt with in that way. The relatively recent scandal around Jonas Mekas[6] gave me some patriotic, Central European pride. It seems to me that my everyday knowledge of life stories from the times of continuous occupations conditioned an aversion to martial law and not the acceptance of flaws or sins but the acceptance of the existence of flawed biographies and sinning people. Complexities of human behaviour are ignored and perspectives are getting excluded from consideration as their fashionability expires.

7

Depiction is not endorsement. The onscreen portrayal of all types of behavior listed by Shambu (“obsessive, dominating, abusive, violent”) can amount to auto-critique, to unreflected self-glorification, and to many other different things. Every viewer should be given the possibility to individually “evaluate” the film they’re seeing. To give a personal example, I safely and in accordance with many people think that John Cassavetes’ Husbands is a deep, absorbing and greatly self-questioning work, while James Toback’s Fingers is a film by a self-satisfied epigon. Women make confrontational cinema, it can be dark, twisted and provocative; and fortunately so, because it is often breathtaking and mind-expanding.

8

The serious problems that serious people have with the current role of identity politics is  most certainly not that it’s an obstacle to a united (film) culture.

This manifesto is not “too PC”, it’s just very thoughtless. Also, there are numerous directors whose films are harsh, provocative and don’t always respect the sensibilities deemed important by Shambu, yet, according to the manifesto, should be valued by the “new cinephilia:” Valie Export, Claire Denis, Med Hondo, Jack Smith, Wang Bing, Věra Chytilová, to name just a few.

THE IMAGE

There’s an image in the article, a still from Todd Haynes’ Carol, which is supposed to represent the type of film “prized by the new cinephilia.”

The film as well as the particular photograph may have been chosen by an editor or from a restrained image bank. The use of images in film-related texts is a problematic matter on its own right. Shambu’s misstep to choose or consent to such a recognizable and promotional still in a text that takes a stand against capitalism isn’t unusual. It must be noticed however because of substantial connotations.

If the word auteur makes any sense outside of the studio system, Haynes is an essential auteur of the style-over-substance type and Carol is the zenith of many of his preoccupations, much like Boyhood, Certain Women, The Master, The Grand Budapest Hotel or Once Upon a Time in Hollywood are for their respective creators. He would have been acknowledged regardless of the story’s relevance or the fact that he has adapted a female writer’s work. If I understand the manifesto correctly, the type of work “prized by the new cinephilia” should either be a film that would be overlooked by the “old cinephilia” but is highly valuable in representational terms, (a film like Can You Ever Forgive Me?) – or a film that defies authorship even in its methods of production, let’s say a film by a lesbian film collective.

9

In segment 9, Shambu seems to make some reasonable points even if neither of his made-up categories live in me.

10

Cinema is not separable. Cinema is part of the world, the various methods of film production are influenced by, documented and can even investigate the surrounding political, economical and ecological situation. As I pointed out earlier, many representatives of “old cinephila” dedicated their oeuvres to not only thematize matters of the world but to study the technique and the tools of their chosen medium that simultaneously extend to the film form itself.

Therefore, the assumption that a “life organized around films“ isn’t a life organized around political matters is not true. At the same time, the need for “a cinephilia that is fully in contact with its present global moment” not only fails to acknowledge the heterogeneity of cinephilias but fails to understand that every small community of the world (and their film cultures) experiences differing moments to establish this contact– which also explains the natural phenomenon of different subcultures showing interest for different type of films.

Even more than these or any other shortcoming of the text, I am truly repulsed by its self-satisfied, moral superiority that makes disagreements impossible.

 

[1] About Modern Times, „I don’t have much patience with colleagues who dismiss Charlie Chaplin by saying that Buster Keaton was better (whatever that means). To the best of my knowledge, with the arguable exception of Dickens, no one else in the history of art has shown us in greater detail what it means to be poor, and certainly no one else in the history of movies has played to a more diverse audience or evolved more ambitiously from one feature to the next.

[2] https://www.anothergaze.com/elena-gorfinkel-manifesto-against-lists/

[3] Wanda for instance was recognized by both Vincent Canby and Roger Greenspun

[4]I’m going to make more enemies…actually the same enemies, since the people who like Minnelli usually like Mankiewicz, too. Minnelli is regarded as a great director thanks to the slackening of the “politique des auteurs.” For François, Jean-Luc and me, the politique consisted of saying that there were only a few filmmakers who merited consideration as auteurs, in the same sense as Balzac or Molière.

[5] http://hollisframpton.org.uk/frampton16.pdf

[6] You can read about it here: https://www.nybooks.com/articles/2018/06/07/jonas-mekas-i-was-there/ I recommend J. Hoberman’s take in particular: http://j-hoberman.com/2018/06/why-i-cannot-review-jonas-mekass-conversations-with-film-makers/

Vom Mond fallen – Jacques Tati

„ (…) Ja, Jacques de la lune ist Poet, wie man es zur Zeit von Tristan L’Hermite war. Er sucht Äpfel am Birnbaum und findet sie auch. Er bringt es fertig, eine Einstellung am Strand zu machen, nur um zu zeigen, dass Kinder, die ein Sandschloss bauen, mehr Lärm machen als die Wellen. Genauso filmt er eine Landschaft, nur weil genau in dem Augenblick das Fenster eines Häuschens am äußersten Ende des Bildfeldes aufgeht, und ein Fenster das aufgeht, ist eben komisch. Genau das interessiert Tati. Gleichzeitig alles und nichts. Gräser, Drachen, Schlingel, ein kleiner Alter, egal was, alles, was gleichzeitig real, bizarr und charmant ist. Jacques Tati hat den Sinn fürs Komische, weil er einen Sinn fürs Seltsame hat.(…)“ (Jean-Luc Godard; Cahiers du Cinéma, Nr. 71, Mai 1957)

Interview with Jacques Tati (1977) from nanashi no gombe on Vimeo.

„Wenn sich Menschen nicht kennen, folgen sie geraden Linien. Wenn sie sich nahe sind, gehen sie in Kurven.“ (Jacques Tati in Jacques Tati (The Entertainers), Penelope Gilliat, 1976)

Auszüge aus einem Gespräch mit Elfriede Jelinek aus dem Jahr 1972:

Wie ist zum Beispiel Playtime entstanden?

TATI: Da bin auf der Straße gegangen und habe die Gebäude gesehen und die Leute, die darin eingesperrt waren, gefangen in ihren Möbeln, und da habe ich mir gesagt, du mußt etwas machen, du mußt versuchen, das aufzubrechen und ein bißchen Musik hineinbringen, damit die Leute was zu pfeifen haben.

Hatten Sie nach diesem Mißerfolg Schwierigkeiten, Geld für einen neuen Film aufzutreiben?

TATI: Ich lebe in einem kapitalistischen Land. Die Leute, die hier das Geld geben, tun das nur, wenn sie wissen, daß sie es bestimmt wieder zurückbekommen. Also geben sie es nicht Herrn Tati, sondern Monsieur Hulot, denn der hat in einigen Ländern ganz schön Kasse gemacht. Das ist das einzige, was diese Leute interessiert. Für mich bleibt Playtime der wichtigste Film, den ich je gemacht habe. Aber ich werde so etwas kein zweitesmal machen können. Ich werde nie wieder auch nur einen Penny für so einen Film bekommen. Doch immerhin: Einmal durfte ich, und in fünf oder zehn Jahren wird man sehen, daß das der Anfang einer neuen Art von Filmkomödie war, und dann werden auch junge Regisseure das machen dürfen, und es wird endlich wieder neue lustige Filme geben, Filme, in denen reale Situationen vorgeführt werden, die jedem passieren können und die auf jedes moderne Leben, ob in Singapur, Berlin, Paris oder Sidney, anwendbar sind.

Im Augenblick geschieht das Gegenteil: Überall werden die alten Chaplin-Filme gezeigt.

TATI: Herr Chaplin ist ein sehr geschäftstüchtiger Mann. Aber das wird die Entwicklung nicht aufhalten können. Die Zeit der Komiker, die ihre Wirkung fast nur durch Slapstick erreichen, ist vorbei. Der Slapstick ist ja nichts anderes als ein sehr starker visueller Effekt. In der Stummfilmzeit, als man zwangsläufig alle Möglichkeiten visueller Komik probierte, war das auch durchaus berechtigt. Doch als dann der Tonfilm kam und die Produzenten ihr Geld dafür hergaben, daß die Autoren den Witz in die Worte legten, hat die Slapstick-Komödie ihre Grundlage verloren. Irgendwie ist das schade. Denn ein komisches Gesicht merkt man sich, einen lustigen Satz vergißt man sofort. Aber die Entwicklung ist nicht rückgängig zu machen. Es ist einfach nicht komisch, wenn man heute im Film jemandem weiße Farbe ins Gesicht schmiert, obwohl die Leute da immer lachen und obwohl man da sehr viel Farbe verwendet. Nur ist das, selbst wenn man frische Farbe benutzt, nicht der richtige Weg, die Atmosphäre des heutigen Lebens wiederzugeben und das Publikum für die kleinen Scherze des Alltags zu öffnen. Ich möchte erreichen, daß die Menschen auf unterhaltsame Weise ein bißchen sensibler und gescheiter und intelligenter werden. Ich möchte sie nicht für so dumm verkaufen.

 

„Monsieur Hulot ist der Beweis dafür, dass das Unerwartete oder Unzusammenpassende jederzeit auftauchen kann, um die Ordnung der Schwachsinnigen zu durchbrechen.“ (André Bazin)

„Tatis Film ist der erste Film in der Geschichte des Kinos, der nicht nur mehrfach angeschaut werden sollte, sondern auch aus verschiedenen Distanzen. Wahrscheinlich ist es der erste wahrhaft offene Film. Wird es der einzige bleiben?“ (Noël Burch, Praxis du cinéma, 1969)

Interview mit Jonathan Rosenbaum

„Was mich persönlich zum Lachen bringt, ist alles, was offiziell ist. Ich meine, ein Clown auf der Bühne bringt mich weniger zum Lachen als ein Premierminister, der im Bewusstsein seiner starken Persönlichkeit auftritt. Ich warte darauf, dass ihm ein Missgeschick passiert.“ (Jacques Tati)

Schattenfresser: Jaime von António Reis

Jaime von António Reis

Zum ersten Mal auf 35mm gesehen im Rahmen des Underdox Filmfestivals in München; einer der wenigen Filme, die nicht besser werden können durch das Darüber-Schreiben, man kann eigentlich nur schweigen, verarbeiten und wieder sehen. Ein Film, der einen verfolgt und in Beunruhigung nicht schlafen lässt.

Jaime ist einer von sechs Filmen, die der Poet und Filmlehrer António Reis realisiert hat. In den meisten Fällen und in Jaime zum ersten Mal entstanden die Arbeiten in enger Zusammenarbeit mit seiner Lebensgefährtin Margarida Cordeiro. Sie arbeitete auch als Psychiaterin und in diesem Beruf kam sie mit dem Leben und Werk des Landarbeiters Jaime Fernandes und in der Folge auch mit António Reis in Verbindung. Fernandes war über 38 Jahre Insasse einer psychiatrischen Klinik in Lissabon. Dort fertigte er in den letzten drei Jahren seines Lebens zig außergewöhnliche, berührende, verstörende und wunderschöne Zeichnungen an. Der Film arbeitet wie ein Porträt des verstorbenen Künstlers, darf aber nicht mit einem solchen verwechselt werden. Statt einer Bloßstellung oder Romantisierung erleben wir die Kunst einer Annäherung, die verstehen will. Statt einer naheliegenden Erzählung von der Engführung einer psychischen Krankheit und schöpferischer Kraft, wählt Jaime die Poesie einer Einsamkeit in der Entstehung von Kunst. Statt dem Zeigen von kranken Menschen löst er die Dichotomie zwischen krank und gesund auf.

Jaime von António Reis

Wie macht man ein solches Leben spürbar? Fernandes litt an Paranoider Schizophrenie und begann nach seinem 60. Geburtstag Bilder zu malen mit einfachen Stiften oder Streichhölzern, die er in Quecksilber eintunkte. Diese wurden später in bedeutenden Orten in Portugal ausgestellt. Reis zeigt mit Ausnahme einer von der Zeit angefressenen Fotografie aus den Internatstagen des Protagonisten zu Beginn und am Ende des Films kein Bild von Fernandes, er versucht nichts zu repräsentieren oder nachzuerzählen. Es gibt keine Gespräche mit Menschen, die sich an Fernandes erinnern. Stattdessen hört er auf die Schatten zwischen den Bildern, die sich von selbst erinnern, lässt Ton und Bild in dissonanten Harmonien auseinander gleiten, traumwandelt durch Fragmente der Bilder und Aufzeichnungen von Fernandes. Er filmt das, was noch da ist, was überlebt und bleibt. Ein materialistischer Ansatz, der ganz offenbar auf etwas aus ist, was nicht materialistisch ist: Wahnsinn und Schönheit; etwas das immer da war, aber so „als würde die Zeit nicht existieren“, wie Manoel de Oliveira, an dessen Acto da Primavera Reis als Assistent arbeitete, es einmal formulierte.

Gleich zu Beginn erscheint die Psychiatrie wie ein Gefängnis. Ein stiller Horror eingesperrter Sehnsüchte, man könnte an Jean Genet denken, nur dass die Provokation von Jaime nicht sexuell sondern humanistisch ist. Schatten lungern an den vertrockneten Wänden im Hof, die Insassen befinden sich in einer Kreisform, die Michel Foucault in Ekstase versetzt hätte. João César Monteiro griff diese Bilder zu Beginn von Jaime in seinem Recordações da Casa Amarela wieder auf. Die Endlosigkeit manifestiert sich hier bereits in einer Ausweglosigkeit. Die Schnitte zwischen den Bildern erscheinen ungemein sanft und vorsichtig. Gleich zu Beginn blicken wir durch einen Cache wie durch ein Schlüsselloch in den Hof der Psychiatrie. Aus den Notizen von Fernandes wurde vorher mit gleicher Strategie ein Zitat entnommen. Ein Cache stellt ein Zitat heraus. Dieser Vorgang wiederholt sich durch den ganzen Film. Man liest hervorgehobene Sätze aus dem Notizbuch: „Jaime ist hier bereits achtmal gestorben.“. Dieser Cache steht zum einen für die Neugier der Filmemacher. Sie nähern sich an, blicken auf das, was von Fernandes bleibt (Bilder, Notizen, Orte, Gedanken; wie die verlorenen Steine, die ein Junge gesammelt hat bevor er verschwand) wie durch eine Lupe, treffen eine Auswahl. Zum andere aber steht er für all das, was sie nicht filmen oder sehen können. Er steht für die Moral einer solchen Annäherung; die Distanz, die man weiterhin wahren muss. Aus dem Off dringen manchmal Stimmen. Sie gehören der klagenden, nach ihrem Mann rufenden Witwe von Fernandes und einem befreundeten Insassen. Niemals würde sich Jaime erlauben etwas über seinen abwesenden Protagonisten zu sagen. In keiner Sekunde des Films vergisst man, dass es eine Distanz zwischen den Blickenden und dem Verstorbenen gibt. In ihrem Film Ana trieben Cordeiro und Reis diese Ethik der poetisch-anthropologischen Annäherung auf eine beeindruckende Spitze. Es geht hier nicht darum, eine Freakshow zu zelebrieren. Vielmehr vermag das Kino zu ehren wie man Menschen ansehen könnte. In einem wunderbaren Interview mit João César Monteiro spricht Reis über seine ersten Erfahrungen mit dem Kino. Er erzählt von der Suche nach einem strategischem Punkt für die Camcorder beim Filmen einer öffentlichen Veranstaltung im Rahmen einer Gruppenarbeit in einem jungen Filmclub in Porto. Dabei betont er die geographische Vermessung und die Wichtigkeit des Nicht-Störens der Öffentlichkeit.

Diese Ethik, die durchaus vergleichbar ist mit jener von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub, hat etwas Strenges an sich, etwas Einschüchterndes. Ihr Problem ist nur, dass ihre härtesten Vertreter nichts anders neben sich akzeptieren. So und nicht anders, sagen sie. Die Idee eines einzigen Punktes, von dem aus man ein gerechtes Bild eines Menschen machen könnte, ist verführend. Ist sie aber auch richtig? Es lässt sich wohl mit Sicherheit sagen, dass ein solcher Punkt nicht willkürlich gewählt werden darf. Allerdings scheint mir dieser Punkt im gleichen Maße an den Filmenden zu hängen wie an den Gefilmten. Will heißen, dass es dabei um eine Relation geht, die keinen einen fairen Punkt zulässt, sondern eine unendliche Anzahl an möglichen Gerechtigkeiten. Allerdings nur eine für die Relation zwischen diesem individuellen Filmenden und seinen Protagonisten in ihrer jeweiligen Zeit und vor den jeweiligen Umständen. Das große, an dieser Stelle immer genannte Beispiel ist die Kamerafahrt in Kapò von Gillo Pontecorvo. Jacques Rivette, der das Kino von Cordeiro und Reis sehr schätzte, hatte sich in einem Text für die Cahiers du Cinéma Nr. 120, der seither von Anhängern und Skeptikern gleichermaßen missbraucht wurde, gegen eine Zufahrt auf das Gesicht von Emmanuelle Riva ausgesprochen. Ohne auf die Details eingehen zu wollen, ging es ihm vereinfacht um die Ungerechtigkeit dieser Einstellung. Etwas zwischen Filmenden und seinem Subjekt war für Rivette über eine moralische Grenze getreten. Entscheidend dabei scheint mir aber nicht nur, dass Pontecorvo mit einer Kamera auf eine Schauspielerin zufuhr, die einen Selbstmord in einem Elektrozaun vorspielte, sondern dass Pontecorvo derjenige war, der dies tat. Ihn loszulösen von seiner subjektiven Position und zu behaupten, dass es eine grundsätzlich ungerechte Position gibt, auch wenn ich Rivette Recht gebe (was etwas aus der Mode geraten ist), dass diese Einstellung hochproblematisch ist, ist absurd. Diese Absurdität jedoch ist ambivalent, weil in ihrem Drang nach objektiven Wahrheiten auch ein Funken Wahrheit steckt. Luc Moullet etwa schlug einige Jahre früher bereits vor, dass Moral eine Sache der Kamerafahrten wäre. Tatsächlich spiegeln sich in Kamerabewegungen Modi der Annäherung und Distanz. Entscheidet man sich etwas näher anzusehen oder nicht? Auch existiert ein großer Unterschied, ob man in eine Nahaufnahme schneidet oder in sie fährt.

Jaime von António Reis

Die Distanz aus der Reis die Insassen zu Beginn des Films beobachtet, mit leichten Schwenks, nie näher kommend, nur registrierend, erzählt tatsächlich von einer enormen Vorsicht. Die Schatten im Hof schützen die Menschen vor der Neugier der Kamera. Vergleicht man diese Bilder zum Beispiel mit jenen von Raymond Depardons San Clemente spürt man einen enormen Unterschied. Depardon wirft sich mitten hinein in die Welt eines Irrenhauses. Jedoch ist sein Ansatz ethisch auf keinen Fall verfehlt. Es kann ja nicht darum gehen, dass man keine Bilder machen darf von etwas. In den vielen Streitereien zwischen Jean-Luc Godard und Claude Lanzmann ging es oft genau darum. Was darf man filmen und was darf man nicht filmen bezüglich des Holocausts? Godard hielt daran fest, dass man niemanden verbieten sollte, etwas zu filmen. Ruth Beckermann sagt in ihrem Voice-Over in Die papierene Brücke, dass man manche Dinge besser nicht filme, weil sie dann Erinnerung blieben. Ein Film wie Saul fia von László Nemes kennt gar keine Skrupel und glaubt, dass er filmisch die Erfahrung eines Konzentrationslagers wiedergeben kann. Allerdings ist eine der wenigen wichtigen Rollen, die das Kino in dieser bilderüberfluteten Zeit noch einnehmen kann, jene, die den Umgang mit Bildern bewusst macht, lehrt und ihm Gewicht verleiht. Eine Ethik im Umgang mit Bildern ist angebracht und notwendig. Ein Kino, das den blinden Durst nach Bildern frönt, hat keine Bedeutung. Ganz anders ist es bei Cordeiro und Reis, die auch deshalb so relevant heute sind. Für Reis war es in der Poesie und auch im Kino immer wichtig, nur das zu sagen und zu zeigen, was wirklich notwendig ist. Die Dialoge, die er für Paulo Rochas Mudar de Vida schrieb, erzählen von dieser Sparsamkeit, die zur Essenz dringen möchte und sich offen hält, zuzuhören.

Jaime baut Kontrapunkte zwischen Bild und Musik (Stockhausen,Telemann und Louis Armstrongs St. James Infirmary Blues). Es kommt zu überraschenden Verschmelzungen der Lebensumstände des Verstorbenen mit dem Kino, der Zeichnungen mit einer surrealistischen Vision der Welt, des Lebens mit dem Versuch es in Bildern zu beschreiben, von Wahnsinn und Schönheit. In gleicher Weise arbeitet auch die Tonebene, die wie ein Ruf aus dem ländlichen Ursprung von Fernandes von Wind und Wasser erzählt. Man spürt wie sich eine Narbe öffnet, die man nicht mehr schließen kann. Was wir sehen, sind die Wunden, die geblieben sind. Wir sehen sie im Fließen des Wassers des Flusses Zêzere in der Heimat von Fernandes, sicherlich ein Bild des Lebens, aber so fern durch die ausgetrockneten Kakteen vor der Psychiatrie. Fernandes wuchs am Fluss auf, fischte viel. Diese Aspekte werden nicht erwähnt vom Film, aber man kann sie später in seinen Bildern sehen: Das Fließen, den Strudel. Wir sehen Menschen, die gleich Skulpturen auf ihre Erlösung warten (Reis arbeitete auch als Skulpteur). Immer wieder Gegensätze wie jenes von Gittern und einer Katze, die einfach durch sie hindurchgeht. Ebenso plötzliche surreale, metaphysische Bilder wie das eines Regenschirms unter dem Getreidekörner liegen oder von drei Äpfeln, die golden glänzend von der Decke baumeln. Die Montage folgt nicht einem kausalem und schon gar nicht einem temporalen Prinzip. Man könnte von einer Aufzählung der Dinge sprechen, dem beinahe tragischen Versuch etwas zu verstehen durch das Sehen. Es ist auch der Versuch die Bilder von ihrer Banalität gegenüber komplexen Vorgängen zu befreien. Bilder treten wie Worte in Gedichten in einen größeren mythologischen Zusammenhang. Die allgegenwärtige Angst vor der kinematographischen Metapher ist Reis unbekannt. Er dynamisiert seine filmischen Räume mit Bedeutungen. Erstaunlicherweise entsteht dadurch der Eindruck eines biographischen, in Ansätzen gar psychologischen Mosaiks. Reis selbst wehrte sich gegen solche Begriffe. Für ihn waren es Erinnerungen, nicht Dokumentationen. Auf diese Weise dokumentiert er Erinnerungen.

Jaime von António Reis

Woraus entstehen diese Bilder? Jene von Fernandes und jene des Films? Die Bilder beginnen die Welt zu bevölkern. Dämonen und Mischwesen sind darauf zu sehen, ihre starrenden Gesichter existieren mit einem Mal nicht in einem Vakuum, sondern im direkten Dialog mit der Welt, in der Fernandes lebte, in der Reis es später tat und in der wir es heute tun können. So filmt er zum Beispiel eine Ziege. Fernandes arbeitete als Ziegenhirte. Diese Ziege ist eingesperrt in einem dunklen Raum, wirkt etwas verloren. Sie beginnt ihren eigenen Schatten zu fressen. Monteiro bezeichnet sie in besagtem Interview, in gewohnt provokanter Manier, als die schönste Schauspielerin des portugiesischen Kinos. Reis selbst äußerte, dass die Menschen, die wir im Film sehen, jene, die geblieben sind, auch jene sind, die Fernandes malte. Das System von Reis knabbert an den Grenzen der Wahrnehmung. Die getrennten Bereiche zwischen scheinbar entgegensetzten Phänomenen wie eben Schönheit und Wahnsinn, aber auch Abstraktion und Natur werden durch die Gleichzeitigkeit von einer materialistischen Bildabfolge und einem beständigen Gegeneinander von Bild und Ton verknüpft. In dieser Hinsicht wird Jaime zu einem der größten Filme über Kunst und wie sie entsteht. Reis sammelt akribisch alles, was in ein Kunstwerk einfließen kann. Es ging ihm auch darum, die Kunstwerke selbst zu sammeln, da viele der Bilder von Fernandes zerstört wurden. Jeder Faden wird demütig aufgehoben und in feinsten Bewegungen präsentiert. So existieren die Bilder in der Natur, die Natur im Menschen und all das im Raum einer spürbaren Ungerechtigkeit und Einsamkeit.

Nach der Arbeit an diesem Film machten sich Cordeiro und Reis auf ihre für das portugiesische Kino von heute so entscheidende Hymne an die Vertriebenen, Trás-os-Montes zu realisieren. Ein Film, der wie ein schnell verloren gegangenes Gewissen der Nelkenrevolution den Blick abwendet von der intellektuellen Elite und stattdessen die Kehrseite ästhetischen Wohlstands beleuchtet in einer der ärmsten Regionen Europas. Jaime lässt sich in dieser Hinsicht als erster Klageruf verstehen. Aus den Tiefen einer als wahnsinnig erklärten Seele hört man Stimmen rufen und sie sind nicht einverstanden. Sie sind nicht einverstanden und machen einen anständigen Film.

Dedo de Dios: Le Livre d’Image von Jean-Luc Godard

Le livre d'image von Jean-Luc Godard

Zur Eröffnung des 13. Underdox-Filmfestivals in München wurde Jean-Luc Godards neuer Film Le Livre d’image gezeigt. Es war eine fehlerhafte Vorführung, denn das Münchner Filmmuseum ist nicht für die Vorführung (eine Dolby 7.1. Anlage wird benötigt) ausgerüstet. Der Film verwendet ein äußerst ausgeklügeltes Tonsystem, in dem etwa die Stimme von Godard einmal göttergleich aus allen Ecken schallt und mal wie aus einer Reihe weiter hinten flüsternd ertönt. Bild und Ton sind so heftig getrennt, dass man beinahe den Schmerz darin spürt. Es kam zu Aussetzern im Ton, die man durchaus für gewollt halten konnte. Sie waren es aber nicht, sodass ich nun über meine Kinoerfahrung mit dem Film aus einer beschränkten Position schreibe.

Ein wenig bittere Ironie liegt darin, denn wie das Publikum vor dem Beginn des Films informiert wurde, hatte der kürzlich verstorbene Enno Patalas die Soundanlage im Filmmuseum vor Jahrzehnten für einen Godard-Film, nämlich Allemagne 90 neuf zéro einbauen lassen. Dass sie nun ausgerechnet für einen Godard-Film nicht gut genug war, schmerzt. Letztlich hat es dem dekonstruktivistischen Denken der Bilder wenig Abbruch getan. Vielmehr hat es dem Bilderbuch noch eine weitere Ebene – wenn auch ungewollt – hinzugefügt. Dieses Fragmentieren der Tonebene ergab an mancher Stelle sogar eine wunderbare Verbindung mit Godards äußerst kritischem Umgang mit Untertiteln. Wie bereits in seinem Film socialisme wird lange nicht alles übersetzt; manchmal werden einem nur Schlagwörter zugeworfen. Das ist Absicht, denn der Filmemacher sucht den Dialog zwischen Bild und Ton als Text, nicht zwischen Text und Ton im Bild. Ein großer Fehler ist es trotzdem, dass dieser Film in diesem Kino so gezeigt wurde und die Tatsache, dass sich viele Zuseher (mich eingeschlossen) nicht sicher waren, ob das gewollt war oder nicht, ändert nichts daran, dass man einen Film so zeigen sollte wie intendiert.

Le livre d'image von Jean-Luc Godard

In Cannes, wo der Film seine Uraufführung erlebte und mit einem Spezialpreis bedacht wurde, äußerten sich bereits viele Schreibende über die Schwierigkeit, einem Godard-Film mit Worten zu begegnen. Beschreibungen entzieht sich sein Kino seit vielen Jahren und ein langsames Verstehen stellt sich oft erst nach mehreren Sichtungen ein. Daher wage ich einen Versuch, der als fortlaufend zu verstehen ist. Die folgenden Notizen werde ich in den kommenden Wochen immer wieder ergänzen:

Es ist wieder so bei Godard, dass man am Ende des Films auf neue Weise erfahren hat, was das Kino war, ist und sein könnte.

Am Anfang ein schriller Frequenz-Ton. Er ist ein Weckruf oder ein Signal für den eingetretenen Tod. Wo beginnt der Film? Im Schwellenbereich zwischen einem Ende und einem Anfang. Es folgt ein schwarzes Bild. Es scheint, als wäre es das gewesen, schon bevor es beginnt. Dann erscheint ein Zeigefinger, der gleich dem Dedo de Dios bei Puerto de las Nieves auf Gran Canaria wie eine Warnung oder ein Hinweis aus dem Schwarz des Kinomeeres zu uns spricht. Wir müssen aufpassen, wir sind gefragt.

Bei seiner Veröffentlichung hatte ich Alexander Horwaths Text „Das Versprechen des Kinos“ auf Perlentaucher, ob seines kulturpessimistischen und in meiner Wahrnehmung konstruiert hoffnungsvollen Ton nicht ganz verstanden. Nach dem Sehen von Le Livre d’Image ist mir der Text näher. Ich habe das Gefühl, dass es gleichermaßen um eine Rückversicherung geht, wie um eine Korrektur der Erwartungen. Der Text liest sich wie eine Ergänzung zu Godard. Vieles ist anders, aber manches überschneidet sich. Das Kino bewegt sich gefühlt seit Jahrzehnten auf ein Ende zu, vor allem auf sein eigenes. Die einen springen auf diesen Zug auf, die anderen leugnen ihn. Die Wahrheit könnte irgendwo in der Mitte liegen. Kein Ende, aber auch kein Anfang. Nostalgie einer Utopie.

Die Zersetzung der Bilder wird gefeiert, bedauert und dokumentiert. Godard kennt keine Grenzen im Umgang mit Fremdmaterial. Statt der weiterverbreiteten, von Filmarchiven, Online-Zensoren und Rechtsinhabern propagierten Dominanz des intellektuellen Besitzes vertritt er eine Politik der Aneignung. Bilder und Zitate sind Teil eines kollektiven Denkens. Sie auf Autoren und Autorinnen zu reduzieren, hält den möglichen Fortschritt auf, den wir aus ihnen gewinnen könnten.

Der Film besteht aus fünf Kapiteln. Fünf Kapitel wie Finger an der Hand. Godard nimmt dieses Motiv der Hand wieder auf. Es spiegelt sich in den Kapiteln, dem warnenden Finger zu Beginn und dem Halten eines Filmstreifens als durchgehendes Motiv im Film. Die Hand, die baut, die Hand, die zerstört.
1. Remakes
2. Les Soirées de St. Pétersbourg
3. Ces fleurs entre dans les rails, dans le vent confus des voyages.
4. L’esprit des lois
5. La région centrale

Zitat des ägyptischen Kritikers Joseph Fahim in einem Text von Bilge Ebiri: “The last chapter of The Image Book transpires as a deconstruction not only of the Arab narrative imparted by the West since the invention of cinema, but of the occidental control of cinema history. Arab cinema has always been ignored by Western historians and academics. The images introduced by Godard in here are unknown to most Western critics who waxed poetic about the film.”

Le livre d'image von Jean-Luc Godard

Der Film gleicht einer verzweifelten, virtuosen Suche nach einer womöglich verloren gegangenen Verbindung zwischen Bildern und der Realität. Es ist das alte Thema von André Bazin und der Nouvelle Vague. Was haben die Bilder mit der Welt zu tun? Godard montiert ganz bewusst Bilder aus westlichen Filmen mit „realen“ Bildern von Terrorakten. Mehr noch als die Art und Weise zu hinterfragen, in der Bilder gemacht werden, wird offengelegt wie Bilder gesehen werden. Es wirkt ein wenig so, als würde der Film rückblickend untersuchen, welche Fehler wir als westliche (Kino-) Welt in dieser Verbindung zwischen Repräsentation und Realität gemacht haben. Das letzte Kapitel, benannt nach Michael Snows Film, beschäftigt sich dann mit der arabischen Welt und den Bildern, die wir davon haben und nicht haben in unserem kulturellen Gedächtnis. Es ist der Vorschlag einer Korrektur oder zumindest die Recherche einer möglichen Korrektur.

Da Godard auch Bilder seiner eigenen Filme verwendet und manches fragiles Seufzen und wütendes Befragen aus dem Hintergrund an seine Histoire(s) du cinéma erinnert, entsteht der Eindruck einer notwendigen Redundanz. Sie ist notwendig, weil der Film in seiner collageartigen Anordnung von Bildern (zum Beispiel mit den politischen/kinematographischen/poetischen Themen Zugfahren oder Wasser) von der Wiederholung der Geschichte erzählt. Den gleichen Fehlern, den gleichen Denkweisen zwischen Kolonialisierung und Krieg. Selten hat man diese Fehler so präzise anhand und in und durch Bilder gesehen.

An einer Stelle geht es um den sich öffnenden Krater zwischen dem gewaltvollen Akt der Repräsentation und der Ruhe der Repräsentation selbst. Die Kamera, die ruhig und friedlich filmt wie die Erde erschüttert wird. Nicht nur darin regt sich ein immenser Zweifel an Bildern. Gleichzeitig also gibt es hier ein Denken, das abhängig ist von Bildern, die die Geschichte von mindestens einem Jahrhundert in sich tragen und zum anderen ein Gefangensein in diesen Bildern und dem, was sie von der Welt vermitteln können. Was wäre denn ein aufgeregtes, echauffiertes, engagiertes Bild? Würden wir dieses Bild akzeptieren?

Godards Lösung sind Fragmente. Le Livre d’Image besteht aus unzähligen Fragmenten aus Literatur, Kunst und Film. Jean Vigo, Victor Hugo, Bertolt Brecht, Nicholas Ray, Hollis Frampton, Max Ophüls (das Ende des Films, ein Todestanz aus Le plaisir, erzählt von jenem Tanz zwischen Schönheit und Tod, die den ganzen Film heimsucht), Dziga Vertov, Edward Saïd, Honoré de Balzac, Rainer Maria Rilke, Arthur Rimbaud, Nicholas de Staël, André Derain, Albert Cossery oder Masaccio. Er findet im Detail, in der kleinen Sekunde Wahrheiten, die sich nur dann zusammenfügen, wenn man dem eigenen Impuls widersteht, alles zusammenfügen zu wollen. Nicht die Zuordnung ist erfordert (denn der Film trifft seine eigenen, subjektiven Zuordnungen), sondern ein Sich-Einlassen, ein Neu-Schreiben von Bildern. Dennoch glaubt man – und hier liegt durchaus ein Problem des Films – dass man mehr erfahren würde, wenn man sämtliche Anspielungen und Bilder richtig einordnen könnte, wenn man alles verstehen würde. Ist das aber so?

Man spürt durchgehend, wer einem diese Bilder zeigt. Noch mehr sogar, mit wem man diese Bilder sieht. Le Livre d’Image ist eine Schule des Sehens, wobei bereits für einen mit anderen Augen gesehen wurde. Man muss also nur noch die Augen öffnen und mit den gleichen geöffneten Augen andere Bilder, als jene des Films sehen. Diese Vermischung aus passiver Betörung, die der Film, ob seiner beinahe hypnotisierenden Qualitäten durchaus versprüht und sinnlicher Aktivierung hängt zusammen mit dem fundamentalen Konflikt im Kino von Godard. Jenem zwischen der Liebe zum Kino und dessen Ende. In dieser Hinsicht ist der Film auch eine Erinnerung an die Utopie einer Cinephilie. The Thoughts That Once We Had von Thom Andersen ist ein Verwandter des Films.

Es gibt zugleich eine Relevanz der Bilder und deren Flüchtigkeit; Bilder sind wie Geschichte, sie schreiben sich, sie werden geschrieben, sie existieren, aber nicht immer. Sie müssen projiziert werden, noch mehr, sie müssen gedacht werden. Wenn Godard Bilder zurück in unser Gedächtnis bringt, dann erinnert er uns auch an das Vergessen und die Bedrohung, die davon ausgeht.