„La Putain“ Maurice Pialat

Maurice Pialat, das sind Körper, die sich reiben, Hindernisse, an denen man hängen bleiben muss. Immer wieder vergisst eine Figur etwas, die Kamera schwenkt mit ihr, der Weg zurück, der doppelte Weg. Man bleibt hängen, an Gegenständen, an anderen Körpern, am Vergessen. Alle Räume sind zu voll. Dann ein Sprung in der Zeit. Ein Schnitt, das sind manchmal Monate, manchmal nur Sekunden. Pialat behandelt beides gleich. Beides als Schnitt. Was dazwischen passiert ist, passiert wirklich. Pialat, das ist ein Schlag ins Gesicht, ins Gesicht von Frauen und damit ins Gesicht von Männern. Es ist schwierig. Pialat, das ist wunderschön, einfach, das kann ein Hund sein, ein Schluck Wein. Wie in Van Gogh, dem schönsten und grausamsten Film des Mannes, weil Schönheit bei ihm Einsamkeit erzählt. Man verbringt Zeit mit Pialat. Zeit miteinander, die einem bewusst macht, wie einsam man ist.

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Pialat hat Angst vor dem Naturalismus und wie seine Kollegen John Cassavetes und Cristi Puiu ist sein Ausweg nicht in die Abstraktion oder Kadrierung, nein, der Ausweg von Pialat ist hinein in die Natur. Diese Filmemacher zeigen, dass es einen Naturalismus gibt, der so weit geht, dass er nicht mehr nur ein Spiel ist, nicht mehr bloß Theater. Wie sonst meist. Es gibt Körper, ja, es gibt ihre Präsenz. Sie atmen, sie rennen, arbeiten, Pialat, das ist Körperarbeit. Manchmal denkt man fast an die Dardennes dabei, aber bei Pialat da existiert das Drama im Körper, nicht der Körper im Drama. Die Dardennes sind in ihrer besseren Zeit nahe rangekommen, aber haben es nie bis zum Anschlag gewagt. Das ist Pialat, ein Anschlag. Der Krieg bei Pialat, das ist der Körper, der nicht kann, der kann, der will. Es sind kranke Körper, sexuelle Körper, sie lächeln mit Hass und schlucken ihre Tränen. Sie können nicht und können nicht anders. Gérard Depardieu ist der perfekte Körper in diesem Tanz, ein gezwungener Tanz, der nicht tanzen kann, aber tanzen muss. Wenn sich die Körper reiben wie im Meer von Nous ne vieillirons pas ensemble, dann stehen Explosionen bevor. Wie er Depardieu und Sophie Marceau von Anfang an reibend, aneinander gekettet filmt in Police, das ist Pialat. Sie sind sich nahe ohne narrativen Grund. Etwas ist in diesen Körpern, etwas Ungreifbares. Es ist fast wie bei Bresson. Ein Drang in die Schuld, das Verbrechen, das Verdorbene. Woher kommt es? Die Kamera blickt an einer entscheidenden Stelle von oben in Sous le soleil de Satan. Aber er ist kein Gott, er ist unter ihnen, selbst verdorben, nur in der Lage das zu sehen. Pialat hatte diese Einstellung zuerst gehasst, den Kameramann (wie so oft) beschimpft. Denn man muss wissen, dass Pialat nicht wirklich eine Auflösung macht. Er schafft vielmehr eine Atmosphäre, in der die Auflösung aus einer Notwendigkeit entsteht. In Loulou ist er sogar verschwunden, es hat ihm gereicht, er hatte Tage nichts gedreht, es ging um die Szene, in der der Körper von Isabelle Huppert die Familie von Depardieu besucht. Produktionsleiter wurden entlassen, Kameramänner wurden entlassen. Jacques Loiseleux hatte Angst, er war von der Produktion als neuer Kameramann bestimmt worden, Pialat kommunizierte nur über seinen Assistenten mit ihm. Aber Loiseleux wagte es. Er dreht die Szene so gut es ging ohne Schnitt. Er hatte Glück, weil ein Hund ein Huhn jagte und Depardieu darauf ansprang. Pialat war nirgends zu sehen nach dem Take. Loiseleux hatte wieder Angst. Er fragte: „Wo ist Pialat?“ Man zeigte ihm, dass Pialat sich die ganze Zeit über im Decors versteckt hielt, in einer Garage, von der aus er das Treiben beobachtete. Er hatte Tränen in die Augen und sagte kein Wort zu Loiseleux. Er nahm ihn wortlos mit sich und ging mit ihm in eine Bar. Dort bestellt er zwei Whiskey und ließ sich ein Telefon bringen. Loiseleux dachte, dass er jetzt entlassen werden würde. Doch Pialat nahm den Hörer, rief den Produzenten an und sagte ihm: „Wenn du mir diesen Kameramann gleich geschickt hättest, wären wir seit Monaten fertig.“ Es endete nicht immer so. Bei Van Gogh wurde Loiseleux entlassen.

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Im Grunde, sagt Depardieu in Police in einem falschen Zitat, sei die Welt verdorben. Depardieu sucht in diesem Film eine Frau. Plötzlich kommt das. Er wird immer offensiver. Im Krankenhaus rammt er eine Krankenschwester, dann verliert er sich spielerisch im Stoffteil einer Bardame, dann greift er seiner jungen Kollegin an den Oberschenkel, will sie küssen und schließlich landet er bei der Verbrecherdame selbst. Keine Moral außer Geilheit hinter der sich die vollkommene Leere und Einsamkeit versteckt. Manchmal ist es nicht einmal Geilheit. Es ist einfach nur wie in L‘enfance nue. Die Erklärungen bei Pialat sind in den Bewegungen, den Körpern. Es gibt keine Wahrheiten, nur ihr Treiben.

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Das Wort „putain“ fällt in all seinen Varianten die ganze Zeit bei Pialat, der La Bête Humaine liebt und vieles nicht liebt. Godard wollte einmal ein Remake von Renoirs La chienne mit Pialat in der Rolle von Michel Simon machen. Das Wort „putain“ klebt an Pialat. Es fällt nicht einfach nur, man hört es, man hört wie es gesagt wird, von wem es gesagt wird. In À nos amours ist es Pialat selbst. Die Zärtlichkeit der Erniedrigung, der Verbitterung. Es ist ein Trotz, der eine Aggression rhythmisieren kann. Pialat kann einen brechen. Nicht nur durch seine Weltsicht, seine Konsequenz, sondern auch im Bezug zum Kino. Er macht überflüssig, was man sonst für notwendig hält. Er wirft es über Bord. Es gibt keine Bilder bei ihm. Nur ihren Fluss. Vielleicht ist der Anfang von À nos amours ein Bild und das Ende von La Gueule Ouverte. In letzterem verlässt ein Auto einen Ort und die Kamera blickt zurück, das Haus des Vaters, ein ähnliches Bild wie am Ende von Love Streams von Cassavetes. In beiden Bildern steckt etwas, was in beiden Filmemachern steckt. Das Atmen am Ende. Als müsste man sich erholen. Oft steht das Atmen bei ihnen auch am Beginn. Es gibt ein Einatmen und ein Ausatmen und dazwischen bricht es los, das was den Film vergisst. Nur bei Cassavetes gibt es einen unbedingten Willen zu Leben, zu Erleben während es bei Pialat jenen der Offenlegung gibt. Pialat, das sind Racheakte.

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Sie passieren, wenn man nicht zusieht. Im Off, man sieht ihre Folgen, den Hass, die Liebe, das Blut wie bei Van Gogh. Wenn man spürt, dass er sich umbringt, dann muss man es nicht mehr sehen. Pialat filmt auf diese Art den Tod, den Sex und den Fehler. Sie gehen irgendwo zwischen zwei Bildern verloren, um von dort aus zu existieren, wirklich zu existieren. In Nous ne vieillirons pas ensemble sind es wirkliche Wellen, die durch diese unbestimmte Zeit brechen. Die Quantität der Zeit wird dabei verwischt zugunsten einer Qualität. Nicht wie viel Zeit vergangen ist zwischen einem Streit und einer Versöhnung in diesem Film ist wichtig, sondern welche Zeit vergangen ist. Man sieht es an den Gesichtern, den Körpern, den Berührungen, der Gleichgültigkeit. Kaum ein Filmemacher hat so sehr gegen die leere Dauer und für deren Konsistenz gefilmt. Was die Dauer mit uns macht. Nicht mit dem Zuseher wie bei Tsai Ming-liang, sondern mit dem inneren Kampf, dem Banalen, dem, was man leben will und sucht. Es wird einem schlecht, weil man ein Gefängnis spürt in seinen Filmen, eine beständige Unmöglichkeit des Ausbruchs, der hier versucht wird. Pialat ist nahe an seinen Figuren, fast zu nahe. Er kesselt sie ein, erzeugt Fieber. Aber seine Kamera blickt nicht nur auf diese Eingekesselten. Sie ist selbst bei ihnen, mit ihnen, sie kann nur folgen, aufnehmen, kurz da sein, vielleicht nicht da sein. Es ist in dieser scheinbaren Einfachheit, in der sich die Verlorenheit einer Schönheit etabliert. Eine Verlorenheit, die nie schön ist. Jean-Luc Godard hatte Pialat in einem Brief zu Van Gogh gratuliert. Einer der schönsten Filme sei das für ihn. Schön in seiner Art und Weise, die uns entkommt wie im besten Kino, die uns entweicht, zwischen dieser Schönheit ist eine andere Geschichte. Sie existiert nur im Kino, man glaubt kaum, dass man sie gesehen, ja gespürt hat. Sie war da. Man kann dann nur sagen: Schaut euch diesen Film an. Obwohl man nichts gesehen hat, nur das Schöne. Man liegt im Feld, man tanzt, man trinkt.

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Verdorbenheit heißt Unschuld bei Pialat. Es ist ein Aufschreien der schwachen Identitäten, des Wankelmuts. Ich liebe dich, ich töte dich, eingebettet in einen Klassizismus, der alles tut, wirklich alles, um kein Klassizismus zu sein. Dabei ist es egal, ob die Protagonisten Stars sind, ob sie Kinder sind, Jugendliche wie in Passe ton bac d‘abord oder alte Männer. Man kann nichts von sich wegschieben bei Pialat. Man kann sein Kino nicht leugnen, nicht einfach als Kino bezeichnen. Was ihm vorgeworfen wurde und wird ist klar: Menschenfeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit und so weiter. Als er die Goldene Palme für Sous le soleil de Satan entgegennahm gab es Buhrufe. Pialat streckte seine Faust in die Luft und sagte: „Wenn ihr mich nicht mögt, mag ich euch auch nicht.“. Dabei befreit Pialat all seine Figuren. Er befreit sie von den Rahmungen, er schenkt ihnen Freiheit. Pialats Kino, das ist die Freiheit, der beständig Versuch gegen eine Mauer zu rennen und auszubrechen. Er zieht die Figuren aus, ja, er macht es nicht immer zärtlich oder vorteilhaft, nein. Aber er zeigt uns und auch ihnen selbst, was darunter liegen könnte, es sind Möglichkeitsformen, die sich in sich brechen, gegeneinander springen, neues entstehen lassen. Wer man ist bei Pialat, das wird immer wieder neu verhandelt, man bekommt diese Freiheit. Vielleicht ist man ein letzter Blick, ein erster Blick, ein Kleid, ein Kuss, ein Schlag ins Gesicht, ein Lachen, eine Träne oder nichts von alldem, was man zeigen kann, zeigen will. Pialat, das ist die wilde Suche nach dem, was man ist. Sein Blick ist dabei gleichgültig, niedergeschlagen, wütend und euphorisch zugleich. Es bricht aus ihm. Pialat hat mehr gemacht als seine Filme. Er hat geschrieben, er hat gemalt, er hat gespielt. Pialat, das ist ein ehrliches Kino. Ein Kino, das einen daran erinnert wie verlogen Filme gemacht werden, wie verlogen Beziehungen geführt werden, wie verlogen man lebt. Nicht in den Gedanken und Idealen, aber in den Körpern. Körper, die schwer sind, aber sich schnell bewegen. Wie die Kameras, die es mal gab.

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Dann muss man wieder atmen. Am Anfang seiner Filme steht manchmal eine einzige Chance, sich zu überlegen was man sagt. Die Figuren sagen dann meist etwas Schlimmes, sie lügen, sie stellen sich provokante Fragen, sie äußern ihre Unzufriedenheit.  Es ist als würde Pialat ihnen für ein paar Sekunden die Chancen auf einen anderen Film geben. Aber am Ende kann es bei ihm nur den geben, den wir sehen.

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Green Eyes and Cinephile Loathing – About some thoughts by Marguerite Duras

This text is an edited and translated mail I have written to a friend a day after having read Les Yeux Verts by Marguerite Duras and without being able to re-read it or check certain passages. During the last couple of days I was confronted with the book again, so I decided to publish this.

When Marguerite Duras was given Carte Blanche by Cahiers du Cinéma in 1980, out came a somehow incoherent, somehow beautiful and always vibrant collection of texts called Les Yeux Verts. In it many things are discussed such as politics, the ideas of writing and cinema („My relationship with cinema is one of murder. I began to make movies in order to reach the creative mastery which allows the destruction of the text. Now it’s the image I want to affect, to diminish . . .“) the Soviet Union, Chaplin or a big interview with Elia Kazan. In a great, fearless essay Duras differs between what she calls a primary viewer of a film (meaning: the masses manipulated by capitalism who go to cinema to forget) and the small percentage of people who are not part of that kind of audience. Some might refer to such a view as snobbish but Duras arguments that she and the primary viewer will never understand each other. There is question about what comes first: The author/filmmaker or the critic/viewer. Both at the same time, one is tempted to say. In an interview given in Cannes 2012 Carlos Reygadas was shrugging his shoulders when confronted with viewers who did not understand what his Post Tenebras Lux was all about. He said: „Well, some will never understand. You cannot fight it.“

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Is this the story of a difference? A misunderstanding? Cinema, as always between the industry and the art, lost and impure. Most cinephiles I know would deny such demarcations. They have their point. You can find greatness in mainstream entertainment, in so-called trash, in art, in art house, whatever. I have always liked the texts by Alexandre Astruc on Howard Hawks, I think you have read them. The way he connects fascism to cinematic greatness with and without sarcasm at the same time beats at the very core of this conflict. Cinema is and has always been both: The money and the soul. The industry and the art. The fascist and the liberal. Nevertheless Duras is right when she says that primary viewers will not be interested in her work. It is the primary viewer that is limited, not the one who makes demarcations. The primary viewer, she says, is also among critics and filmmakers. They account for 90 percent. While she would be happy with her 10%, the filmmaker for the primary viewer would be unhappy with his 90%. He always wants to take away the 10%. He will fail forever, she writes. Duras also states that one is not condemned to be a primary viewer forever. Yet, a primary viewer will not be changed by force. He will have to see something, to maybe fall in love.

Another point Duras discusses in her texts is the idea of curiosity. Maybe this is linked to the primary viewer. Despite writing for the Cahiers du Cinéma Duras stresses her ambivalent relation with the “guys of Les Cahiers“ more than once, thus her relation to film criticism is a big topic. She finds a lack of curiosity in film criticism. She claims that critics are writing only about big budget films, that there is a lack of choice and freedom in film culture. Of course, like in her best texts, out of her speaks the fever of personal frustration. It seems that cinephilia, for Duras, is a sickness connected to a love that loses the ability to see. Cinephilia might be a blindness then. One of those paradoxes but as you know, we have seen this blindness. People ignoring cinema in order to have an opinion. People judging before seeing, without seeing. People watching and watching without reflecting. Is it more important to know what we want from cinema or to not know what we want from cinema?

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While thinking about her own films Duras writes that they are vibrating, floating. More than once she flirts with the idea of a black screen. Destroy cinema, she said. I have always thought that her inability to destroy cinema (or her words) has been the cause of those floating vibrations in Duras. It is a cinema of impossibility. When her camera looks at the ocean and she thinks about destruction there will always arrive a creation or suggestion. Moreover her women, I can only call them that, seem to live in the same world as the camera, that is between self-destruction, forgetting, loving and so on. She is very much about the not-representation, the gap between the presence of light and the stories that might or might not have happened. Thinking about cinema this way will always lead to the idea of destruction. When she says that primary viewers visit cinema to forget we should not suppress that this is exactly what bothers her protagonists: Either the forgetting or the memory that does not vanish. Once written down or spoken out, her words transform those memories. When you then confront them to forget you will not get anything from it. Carol Hoffman has written: “It is a remembering that destroys memory and leads to a new memory, which can replace the last only fleetingly and without substance “ Without curiosity and desire, how could you possibly bare such a work?

Like Jean-Marie Straub and to a certain degree Brian De Palma, Duras is very concerned with the lie that is part of the word spoken but also part of the images made. These three filmmakers offer three interpretations of the lie in cinema. Straub does everything to get rid of it, De Palma does everything to make the lie the truth (or vice versa) and Duras tears down the difference between lie and truth. Maybe Godard would have a say here too. In one of her texts Duras recounts an episode in which Godard was inviting her and she travelled a long way to meet him. When she arrived he wanted to sit down below the staircase of a school entrance while all the children were leaving school. They talked a bit until Godard said: „Isn‘t it funny. I let you come such a long way to sit down at this place.“ Apart from that Duras felt that both of them were thinking a lot about the relation of text and image with Godard coming from the other side (the image) as Duras (the text). There are also those filmmakers claiming that the word is a lie and the image is not. I always liked how Jean-Luc Nancy linked this thought with the importance of a doubt. Only in doubting the image it can become a truth again. He said that about Kiarostami but it is also true for Duras.

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In her texts I can also feel what we have once referred to as the “cinephile loathing“. I don‘t know if you remember. This idea of having had too much while still watching. It is a thirst for something else that ultimately leads us back to cinema. I sense in her writings a desire to not like cinema while being madly in love with it. Especially in her text about Woody Allen that becomes apparent. In interviews she has often said that she does only watch a handful of films a year. I don‘t believe her. We have this tendency with contemporary filmmakers, too. I have heard them say: I haven‘t been too cinema for a decade. I only watch old films. I only watch documentaries. I don‘t watch anything. There is a desire to not be influenced. Jacques Rivette teaches us the opposite. With us, as we discussed, this cinephile loathing might be something else and I somehow felt it mirrored in Duras. The idea that our generation has been betrayed by cinema too often. A silly thought, but still a thought. It is as hard to believe in excitement as it is to believe in doubt. As a result, everything stucks and floats just like the black wall that Duras describes which is between her words and images, makes them vanish. Still, others have told us that it has always been like this and maybe we love and doubt too much to state those things. The cinema writers we read and the filmmakers we love are either embracing the death of cinema or fighting death with knowledge and a suffocating enthusiasm. Both kinds seem to be descendants of Serge Daney of whom we all dream at night. Cinema was always beautiful when it was something else. With Duras it certainly is. I will have to re-watch her films. To not forget.

Die Sehnsuchtsmaschine – Die Distanz des brachialen Fühlkinos

In meinen Nächten denke ich oft an deine Tage, dein Licht. Die Hysterie und den Druck, der bei dir fließt. Die Schreie, der Speichel, die Gedärme. Die Direktheit, die etwas fühlen will: Philippe Grandrieux, Andrzej Żuławski, die Haut bei Claire Denis, die Musik bei Leos Carax, der Gestus von Gaspar Noé. Das Problem: Oft fühle ich keine Sensualität, wenn jemand sie mit dem Holzhammer in mein Gesicht schleudern will. Aber Antonin Artaud verschluckt die grausame Sonne.

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Normal beschäftige ich mich sehr viel mit Fragen der Ethik und Distanz im Kino, ich interessiere mich für die Dinge, die man nicht sehen kann, die Dinge, die verloren scheinen und die Moral der Kamera, die ein Bewusstsein verlangt, die weiß, dass eine Totale keine Totale und eine Nahaufnahme gefährlich ist. Hier liegt für mich eine Sinnlichkeit. Das sind logische Fragen, wenn man das Kino in seiner Zeit begreift und begreifen will, wenn man so möchte, modernistische Fragen. Einfach zu sagen: Was mir gerade richtig erscheint, ist richtig oder was sich gut anfühlt, ist gut, ist letztlich nur die fatale Bequemlichkeit einer Überforderung im zeitgenössischen Kino, die nicht mehr weiß, was sie gut finden soll und die deshalb aus unfassbar durchschaubaren Statements besteht. Das Lieblingswort in diesem Kontext: Meisterwerk. Die Lieblingskamerabewegung: Kranfahrt. Das ist alles kaum glaubhaft. Nein, ein Film sollte eine Position zur Welt und eine Position zum Kino vermitteln, fühlbar machen, selbst wenn diese Position ist, dass man keine Position haben kann. Auch wenn sich diese Position durch eine Kranfahrt vermittelt. In der Regel fühle ich mich eher zu jenen Filmemachern hingezogen, die sich der Krise ihrer Bilder bewusst sind. Ich halte sie für ehrlicher, konsequenter. Man kann zum Beispiel nicht einfach ein Bild zweier trauernder Menschen fotografieren. Das geht nicht. Darin steckt schon so viel und darin steckt auch immer eine Lüge. Die Direktheit dieser Emotionen scheint nur mehr eine Wiederholung. Nun geht es nicht darum, wie ich es immer wieder lesen muss zu meiner Verwunderung, dass man etwas gänzlich Neues schafft. Es geht aber doch um eine Fortsetzung, etwas muss dem Bekannten hinzugefügt werden. Alain Badiou hat in diesem Zusammenhang ein Erbe der Nahaufnahme, das von Griffith über Dreyer zu Bresson reicht, vorgeschlagen. Godard hat dem noch etwas hinzugefügt, in dem er das Gesicht verdoppelt hat, der sich bewusste Zuseher ist ein Spiegel, Anna Karinas Tränen glitzern im Licht der Projektion. Es gibt in der Folge Filmemacher, die das weitergeführt haben. Abbas Kiarostami, dessen Spiegel schon wieder ein Spiegel ist und Bruno Dumont, der zurück zu Dreyer ging und statt der Entleerung des Spirituellen dessen Deformation vorgeschlagen hat. Es gibt ein paar Nahaufnahmen in den letzten Jahren. Es gibt jene von Vanda in No quarto da Vanda, die entrückt, erhöht und in der Zeit verzögert wird von Costa. Das ist ein Schock, wie wenn Gene Tierney in Lubitschs Heaven Can Wait reinläuft in einem lila Kleid (und ich mag kein lila). Ein Schnitt von Costa, der schockt, weil er Angst zu haben scheint, vor der Nahaufnahme. Wer überlegt sich sonst, wann man eine Nahaufnahme machen darf?

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Oftmals stoße ich in solchen Gedankengängen an eine Grenze. Was kann man eigentlich noch filmen? Was gibt es noch zu filmen? Auch: Was gibt es, was ich genuin mit der filmischen Sprache besser einfangen kann, als mit den scheinbar zeitgenössischeren Sprachen? Was gilt für dich? Die Aktualität des Kinos ist zu oft das Gestern, es sind die Nächte von gestern, von denen wir träumen. Dieses Gestern muss aber ein Teil des Heute sein, ein Teil des Morgen. Allerhand abstrake und nebulöse Formulierung, die auf das Problem der Ungreifbarkeit dieses Problems hinweisen, denn wo würde man beginnen? Es geht hier um eine andere Form der Distanz, die ich in dieser einleitend angesprochenen Nähe vermute. Wenn das Kino fragen daran stellen muss, was und wie man noch filmen kann, dann ist dieses Hinabsteigen in das Blut, die Fasern, die reine Präsenz des Körperlichen eine logische Antwort. Es drückt genau wie die Langsamkeit und die Sorgfalt des Bildes ein Begehren aus, dass sich aus dem Vakuum einer gesellschaftlichen (Bild)-Politik ernährt. Das Kino als Antwort, als Lösung auf ein Fehlen im Alltag. Wenn alles zu schnell passiert, kann das Kino es festhalten, entschleunigen. Wenn alle Bilder in einem einzigen schlampigen Rausch vorbeihuschen, kann das Kino die Konstruktion, den Blick, die Poesie des einzelnen Bilds würdigen. Und wenn man nichts mehr fühlt auf all den glatten Oberflächen, kann das Kino eine Erfahrung von  Körperlichkeit bieten. Kann es? Es gab immer auch schon die gegenteilige Ansicht, vertreten von den klügsten Menschen ihrer jeweiligen Länder: Das Kino als Ausdruck oder Spiegel der Erfahrung des Alltags. Ich fand diese Ansicht zwar nachvollziehbar im Kontext der Industrialisierung, aber dennoch ignorant, da sie das Begehren verschluckt. Das Kino ist die Nacht, die schöner ist als dein Tag.

La vie nouvelle

Überlegungen zur Distanz hängen an mehreren Faktoren. Da wäre zum einen die moralische Frage. Eine Nahaufnahme, das hätte man auch schon vor Jacques Rivette wissen können, trägt in sich das Potenzial zur Obszönität. Sie kann Entblößen, sie kann vergewaltigen, sie kann sich an etwas freuen, wo sie eigentlich leiden müsste. Das gilt für alle Einstellungen, die Nahaufnahme ist nur die expressivste. Als Filmemacher zu behaupten, dass man – wie zum Beispiel Grandrieux in Sombre – in die Erfahrungswelt eines Mörders eindringen kann mit der Kamera, ist gefährlich. Es ist aber zugleich utopisch im Sinn eines vergessenen Wollens von Jean Epstein. Die Kamera wird dann zu etwas anderem, man hat sie haptisch genannt. Die Distanz scheint zu verschwinden und in diesem Verschwinden sammeln sich die Tränen eines unerreichbaren Begehrens, das wiederum an die Distanz erinnert. Schrecklich ist es dagegen und aus ethischen Gründen nicht duldbar, wenn das Überwinden der Distanz zum Gimmick wird. So verhält es sich im gefeierten Saul fia von László Nemes. Dieser Film ist ein Affront gegen die Moral des Kinos und es ist ein derart durchdachter Angriff, dass einem ganz übel wird vor lauter Haltlosigkeit. Die Überwindung der Distanz erzählt oder vermittelt hier genau was? Es ist eine Behauptung, die sich hinstellt und sagt: So hat sich das angefühlt, angehört in einem Konzentrationslager. Eine solche Behauptung ohne Zweifel abzugeben, ist ziemlich lächerlich. In Verbindung mit einer zutiefst allegorischen Geschichte wird der Stil dann tatsächlich zum Gimmick, denn am Ende geht es hier nicht um die Erfahrung, sondern um die Moral. Man könnte sagen, dass die Idee des Films ist, dass gerade aus dieser Erfahrung die Wichtigkeit einer solchen Moral entsteht, dann würde man aber übersehen, dass sowohl die Erfahrung als auch die Moral im hohen Grade fiktional sind in diesem Film, es also einen Rückschluss von Lüge zu Lüge gibt, der sich als Wahrheit ausgibt. Das ist natürlich in Ordnung für ein unterhaltsames Kino, aber ist es in Ordnung für einen Film über ein Konzentrationslager?

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Ein weiterer Faktor der Distanz ist die Effektivität und Notwendigkeit. Chaplin ist und bleibt das Überbeispiel für einen Filmemacher, bei dem die Kamera immer richtig zu stehen scheint. Es geht dabei nicht unbedingt um eine erzählerische Effektivität, sondern auch um jene des Blicks, des Lichts der Nacht. David Bordwell hat diesbezüglich sehr viel über Hou Hsiao-hsien nachgedacht, bei dem die Distanz einen anderen Blick ermöglicht und kombiniert mit Licht, Ton, Bewegungen der Figuren und Kamera eine eigene Form filmischen Erzählens offenbart, die eben nur aus dieser Entfernung oder sagen wir: nur aus einer Entfernung möglich ist. Damit zeigt sich auch, dass Distanz nicht nur an der Notwendigkeit hängt, sondern auch am Potenzial. Viktor Kossakovsky ist ein Filmemacher, der sich in seinen Arbeiten immer langsam nähert, der immer aus einer Distanz beginnt. Es geht dabei nicht nur um einen Respekt vor den Menschen, die er da filmt, sondern auch darum, dass erstens in einer Totale mehr Spielraum für Bewegung herrscht und die Totale auch immer die Möglichkeit des Näherns in sich trägt. dasselbe gilt natürlich andersherum, doch scheint mir das Potenzial des Näherns zärtlicher, als jenes einsame Potenzial des Entfernens, das dennoch oder deshalb einen berührenden Effekt haben kann. Hou hat einmal gesagt, dass er sich selbst in dieser Distanz spürbar machen kann. Pasolini hat darüber geschrieben. Das spannende jedoch, so scheint mir, passiert immer dann, wenn diese Distanz entweder wie im Fall von Michelangelo Antonioni oder des jungen Jean-Luc Godards die Weltwahrnehmung der Figuren spiegelt oder eben, wie im Fall des späteren Godards, Costas oder Straub&Huillets die Problematik der Objektivität, der Ethik zu einem Teil der Effektivität macht. Was aber, wenn ein Filmemacher diese Übersicht, die auch ein Gewissen ist, über Bord wirft. Der diese Woche verstorbene Zulawski ist ein Beispiel für den Versuch dieser Überwindung zwischen Körperlichkeit, Handkamera-Nähe, Blicken in die Kamera und Schreien die das Mikrofon überrumpeln. Doch ganz ähnlich wie bei Hou scheint er dadurch auch eine erzählerische Distanz zu gewinnen. Es ist der Auftritt von Paranoia statt Nostalgie, der Glaube an Liebe/Lust statt Gleichgültigkeit/Entfremdung. Auch Zulawski ist auf der Suche nach einem Versprechen und einem Begehren: Das Leiden auf Film greifbar machen statt nur zu beobachten wie es nicht greifbar ist, sich auflöst, sich ausbreitet. Damit entstehen die Bewegung von Distanz und großer Nähe aus demselben Verlangen. In beiden liegt die Sinnlichkeit einer anderen Wahrnehmung und so beginnen sich die Entfremdung und die Lust zu vermischen. Ein Filmemacher, der nahezu in Perfektion im Zwischenspiel aus Immersion und Distanz arbeitet, ist Apichatpong Weerasethakul. In seinen jüngeren Werken fühlt man sich zunächst oft aus kühler Entfernung beobachtend bis man in einen Sog fällt, der jenen der Figuren spiegelt. Ganz ähnlich verhält es sich mit Il deserto rosso von Michelangelo Antonioni.

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Einer der offensichtlichen Folgen dieses Gefühls des Verschwindens mit dem unbedingten Wunsch des Spürens, der sich nicht sicher ist, ob er die Sache selbst oder ihr Sterben spüren will (das gilt gewissermaßen schon immer und seit seinem Tod besonders für das Kino) oder kann, ist Dekadenz. Der genuine Filmemacher unserer Zeit und legitimer Nachfolger von Luchino Visconti diesbezüglich ist Bertrand Bonello. Das liegt nicht nur daran, dass seine Stoffe wie in L’Apollonide – Souvenirs de la maison close oder Saint Laurent ganz offensichtlich mit Dekadenz gefüllt (oder sollte man sagen: entleert) sind. Bei ihm ist es schwer, zwischen Distanz und Eintauchen zu unterscheiden. In einer beeindruckenden Montagesequenz in seinem Saint Laurent, in der in einem Splitscreen die jeweiligen Kollektionen von Saint Laurent mit gleichzeitigen politischen Ereignissen und Katastrophen explosiv kombiniert werden, verbindet er eine politisch motivierte Kritik mit der musikalisch provozierten völlige Hingabe in diese Schönheit und Ignoranz. Es gibt Autoren, die über das Kino schreiben, die ganz ähnlich arbeiten. Sie versuchen das Empfinden in Worten auszudrücken (völlig hilflos, natürlich) und zugleich eine kritische Distanz zu wahren. Ich gehöre wohl auch dazu. Man könnte eine Frage an das Kino stellen, die da lautet: Wie sieht ein Kino denn ohne Distanz aus? Die Antwort wäre wohl: Das ist kein Kino. Dennoch ist ein andauernder Aufschrei nach einem naiven Fühlkino zu vernehmen. Es ist ein bisschen paradox, schließlich fühlt man auch oder gerade aus der Distanz. Soll man die Leinwand einreißen? Manchmal habe ich den Eindruck, dass in dieser Forderung, diesem Verlangen eher das Absterben der eigenen Gefühle im Kino betrauert wird. Doch je weiter man in Filme eintaucht, desto mehr droht man sich emotional von ihnen zu entfernen. Das Gegenteil ist eine Behauptung.

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Ein dritter Faktor der Distanz ist jene Bild-Qualität des Kinos, die dazu führt, dass Godard basierend auf prägenden Überlegungen Jerry Lewis mit einem großen Maler vergleicht. Der Film als Bastard-Kunst behauptet in der Distanz oft seine Nähe zu Malerei (in der Nähe jene zur Musik?) und zu dem, was viele als Essenz bezeichnet haben, die Fähigkeit zur Aufnahme/Beobachtung von bewegter Realität. Distanz fühlt sich neutraler an. Letztlich ist sie aber nur neutraler, wenn sie sich als Distanz offenbart. Ein gutes Beispiel dafür sind Oberflächen. Seien es Türen, von denen Costa gerne spricht, Seidenvorhänge bei Hou, der Off-Screen bei Renoir oder Puiu, die Sprachlosigkeit beim frühen Bartas, die Unschärfe bei Ceylan oder hunderte andere Beispiele…hier werden Filter vor unseren Blick geschoben, die uns die Distanz, die Perspektive als solche bewusst machen. Hier findet sich vielleicht auch ein Problem des meist gefeierten Michael Haneke. Denn die Sprache des kühlen Riegels, der sich vor die Emotion spannt, ist prinzipiell eine, die in dieser Tradition der Distanz steht, nur gewinnen die oben genannten Filmemacher aus ihrer Distanz und aus diesem Riegel eine neue Zärtlichkeit, jene der Oberflächen, die dann wiederum eine Verwandschaft aufweist zur extremen Nähe, zum Fühlen der Oberflächen etwa bei Claire Denis, in deren Kino Haut knistert wie ein brennender Baum. Bei Haneke ist eine Tür eine Tür. Das ist natürlich keineswegs negativ, aber manchmal scheint es, als würde die Tür wirklich nur im Weg stehen während sie etwa bei Costa selbst eine Bedeutung hat. Und in diesem Sinn ist die Tür eben bei Costa eine individuelle Tür, während sie bei Haneke nur die Idee einer Tür repräsentiert. In Costas Fall ist die Kamera ein Sensor, der alles sieht, selbst wenn er nicht kann, bei Haneke ist sie ein Sensor, der limitiert ist, obwohl er alles sieht. Costa gewinnt aus der Limitierung, aus der Krise eine Poesie (man vergleiche damit auch den Dialog über die Schatten und Geschichten an den Wänden in Juventude em Marcha, in dem Ventura und eine Tochter sich über die neugestrichenen Wände in den neuen Wohnungen beschweren, weil diese keinen Platz mehr lassen für die Illusion) während Haneke – und das macht einen Teil seiner Attraktivität aus – darin eine Verneinung, eine Desillusion findet. In diesem Sinn ist die Distanz von Costa nichts anderes als die Nähe von Denis. Es sind individuelle Perspektiven, die etwas objektives sichtbar machen. Jean Epstein hat an den Blick der Kamera selbst geglaubt. Könnte man dahin zurück?

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Ein brachiales Fühlkino, was soll das eigentlich sein? Man denkt schnell an aufgesprungene Grenzen, Farbexplosionen, eine Bedingungslosigkeit, die sich weder technischen, noch kommerziellen, noch filmtheoretischen Überlegungen beugt. Man denkt an eine Entfesselung des Blicks, der sich nicht mehr an das Prinzip der Natur klebt, sondern durch die kinematographischen Räume flirrt, schwirrt und geistert, unbeeindruckt voller Eindrücke, der Unsichtbares komplett sichtbar macht und Sichtbares frisst. Schnell ist man in der Avantgarde bei Filmemachern wie Paul Sharits. Dieses Kino ist ein Traum, der sich am ehesten in der Distanz zwischen seiner Illusion und diesen Gefühlen offenbart, er wird also realistisch, wenn man sich auf die Distanz selbst fokussiert. Denn wenn man eines bei den großen Filmemachern des (zeitgenössischen) Kinos beobachten kann, ist es ihre Fähigkeit das „Dazwischen“ zu filmen. Zwischenzustände zwischen Leben und Sterben, zwischen Dokument und Fiktion, Gegenwart und Vergangenheit, Stillstand und Bewegung, Flüstern und Schreien, Zeit und Zeitlosigkeit, Nostalgie und Hoffnung, Wut und Ohnmacht, Liebe und Müdigkeit, Verbitterung und Enthusiasmus, das Außen und Innen. Wie filmt man den Tonfall von Flaubert? Wie filmt man einen Trinkspruch von Orson Welles („Here is to character!“)? Wie filmt man, das man nichts mehr filmen kann? Ein Gefühl, dass das Kino nicht mehr notwendig ist. Man fühlt entweder die Geschichte und/oder das, was sich vor der Kamera abspielt oder die Kamera selbst, am besten beides zugleich, weil es nicht unabhängig voneinander existieren kann. Man fühlt den Gedanken, sei er politisch, moralisch oder dramaturgisch einer Einstellung und denkt das Gefühl einer Träne, die die Hauptdarstellerin weint und die von der Kamera tropfen muss.

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Doch die Kamera kann auch gleichgültig sein. Wenn bei Moses und Aaron von Straub/Huillet die eiternde Leprahand im Bild ist, spürt man gerade in der Gleichgültigkeit eine Sinnlichkeit. Bruno Dumont hat diese Gleichgültigkeit immer weiter gesteigert bis er selbst/selbst er den Humor darin gefunden hat. Das Fühlen einer Gefühlsabwesenheit. Das Ausdrücken dessen, was man nicht ausdrücken kann. Das Kino bleibt eine Sehnsuchtsmaschine. Relativ, weil sie zwischen den Bildern agiert, absolut, weil sie in den Bilder dazwischen existiert, maschinell, weil sie technisch hergestellt wird, eine Sucht, weil sie immer wieder sehen muss, immer wieder verlangt, Verlangen sichtbar macht. Das brachiale Fühlkino gibt es nicht. Es ist das notwendige Potenzial des Kinos. Ohne die Idee eines „Mehr“, ohne die Idee eines „Anders“ gibt es keine Kinokultur. Das große Problem des Kinos ist dann, dass heute dieses „Mehr“ und „Anders“ oft in eine Vergangenheit rückt beziehungsweise in ein für den normalen Kinogänger unsichtbares Kino. So transformiert sich diese Distanz in eine Frustration, die mit dem Slogan „Das Kino ist tot.“ schon seit Jahrzehnten ihren philosophischen Schlusspunkt erlebt hat. In dieser Ohnmacht herrschen subjektive Wahrheiten, weil alles andere fatal wäre, es herrscht ein Krieg der Anerkennung, eine Profilierungssucht von Menschen, die allesamt ums Überleben rennen und dabei so tun als würden sie lieben. Manchmal weiß man nicht, ob Filmemacher wirklich an ihr Kino glauben und Kritiker wirklich an ihre Meinung. Sie schreien: „Das Kino lebt!“, und präsentieren ihre filmische oder intellektuelle Sicht auf Dinge mit einem Minimum an Zweifeln, die sie ja durch Recherche, Arroganz, Notwendigkeiten ignorieren können. Sie spielen eine Rolle und offenbaren dadurch, dass das Kino nicht fühlt oder blickt, sondern nur spielt. Es ist normal und schrecklich. Das brachiale Fühlkino gibt es nicht. Es ist Pornografie. Nicht des Blicks, sondern der Macher und Schauenden.

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Am Ende spricht das Kino trotz aller gegenteiligen und tröstenden Versuche nur zu einem selbst. Das Irreale wird in solchen Momenten für einen Augenblick real.Dann gehen wir ans Set und bereiten eine Nahaufnahme vor. Was wird man sehen? Darf man noch etwas sehen? Der Versuch ist ein Verbrechen. Man muss sich bewusst machen, dass eine Nahaufnahme entweder ein Verbrechen ist oder ein Liebesakt. Bernardo Bertolucci hat einmal über seine erste Begegnung mit Pier Paolo Pasolini erzählt. Er war im Haus seiner Familie und jemand hat geklingelt. Vor der Tür stand ein junger Mann, der wie ein Arbeiter an einem Sonntag gekleidet war. Der Mann sagte, dass er gerne den Vater sehen würde. Etwas an seinem Blick, hat Bertolucci glauben lassen, dass dieser Mann ein Dieb sei, der geklingelt hatte in der Hoffnung, dass niemand dort sei und der dann eingebrochen wäre. Bertolucci ging zu seinem Vater und sagt ihm, dass ein komischer junger Mann vor der Tür stand. Der Vater sagte ihm, dass das ein großer Poet sei.

Liebe im Kino

In Anlehnung an einen Text von Tuli Kupferberg (Love in the Movies) in Film Culture No.25, Summer 1962.

Dieser Text soll sich nicht mit dem unergründlichen Thema der Liebe und ihrer kinematographischen Darstellung befassen, sondern mit der Liebe vor der Leinwand. Dem Kuss in der letzten Reihe, der heimlichen Berührung am Oberschenkel und dieser endlosen Sehnsucht, die sich in einem rührt, wenn man die Einsamkeit der Kinobilder vor sich schwimmen sieht, während man seinen eigenen Körper nicht mehr spüren kann.

Aber Cinephile sind einsam. Sie sind blass und können nicht sprechen. Hans Hurch hat gesagt: „Cinephilie ist eine Krankheit.“ Leichen der Umnachtung, sozial unfähige Trinker und Träumer…wie wollen wir von Liebe im Kino sprechen? Sprechen wir von der Einsamkeit des Cinephilen. Das Problem: Ein Kuss während eines Films ist ein Verbrechen. Geht man als Cinephiler mit einem Partner oder einer Person des Begehrens ins Kino steht man wie zwischen zwei Lieben. Man muss eine betrügen. Dort die Unendlichkeit von Bildern und Tönen, die sich wie die aufregendste Fremdheit in der Heimat anfühlt und in uns all die Sehnsüchte und das Begehren einer potenzierten Liebe verdichtet einflößt. Und hier die, in der Reflektion dieser Sehnsucht erstrahlenden Augen einer anderen Unendlichkeit, in die man mit weitaus weniger Sicherheit eintauchen möchte, die eine andere Sinnlichkeit und Körperlichkeit offenbart, eine hinter der man nicht unsichtbar bleiben kann, eine die verpflichtet und zur Handlung verführt. Ein unlösbares Problem. Ist das nicht so? Bevorzugt man das eine, verletzt man das andere. Nein, gibt man dem einen nur eine Sekunde, stiehlt man dem anderen alles. Man fragt sich, warum nicht beides gleichzeitig geht und denkt an die verstohlenen Blicke zur Leinwand in The Last Picture Show (ein Film von einem krankhaft cinephilen Casanova) oder das Entdecken einer Liebe im Kinosaal von Antoine Doinel (in einem Kurzfilm von einem besessen-cinephilen Casanova).

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Doch trägt diese Dunkelheit überhaupt noch ein Versprechen in sich? Das Kino als Rückzugsort für Jugendliche ist heute Vergangenheit. Ein Kuss in der Dunkelheit ist heute kaum mehr Zauber, er ist eher Schüchternheit. Wer würde schon noch davon sprechen, dass man einen Ort für Intimität und Dunkelheit sucht? Doch dann betritt eine junge Frau den Kinosaal, sie gibt sich große Mühe, um die geheimnisvolle Aura der Leinwand zu übertreffen, sie kommt immer kurz bevor es losgeht, damit alle sie sehen können, sie kommt immer alleine, sie ist abwesend und doch verspielt, sie dreht sich durch die Eingangstür, als würde in jeder Sekunde ein Scheinwerfer auf ihr erblühen, sie ist Marlene Dietrich in Morocco (von einem Mann, der vielleicht verstanden hat, wie man diese zwei Lieben vereinen kann), sie ist die Fahrt wie ein Wind auf Gene Tierney in Heaven Can Wait, sie dreht sich in das Kino, jemand flüstert zu sich selbst: „Sie sieht aus wie Sylvia Sidney,“ sie ist ein Pick-Up Artist, mit ihren traurigen Augen, die einladend lächeln… machen wir uns nichts vor: der von Augenringen des Leids umnebelte Junge in schwarz, der immer auf dem selben Platz in der zweiten Reihe sitzt und auffällig häufig mit dem Finger über seine Lippen streicht und auf jeden Fall so aussieht, als wäre ihm alles egal, ist auch ein Pick-Up Artist, Cinephile sind Pick-Up Artisten der Einsamkeit, sie bemerken kaum, dass sie nie jemanden berühren, aber dafür in den Träumen der blickenden Doinels und Bogdanovichs landen bis diese ihnen die wichtigste Frage nach einem Film stellen: „Ich fand One Hour with You ja besser als The Marriage Circle. Was meinst du?“

Kann man sich auf den Film konzentrieren, wenn man verliebt ist? Vielleicht haben Verliebte gar nichts im Kino verloren, obwohl Filme für sie gemacht sind. Das Kino ist ein Betrug, eine Lüge, die Wahrheit in 48fps. Eigentlich ist es anders. Cinephile haben diese Regungen nicht. Sie sind kalt und zu neurotisch für Liebe. Sie sind krank, ungepflegt und es ist ihnen egal. Sie tragen nur mehr ihre Sinne in den Kinosaal, der das Grab und die Blüte ihres Lebens in einem Licht ist. Oder sie kennen keine Proportionen. Weil sie in den Filmen leben, ist ihnen nichts im echten Leben gut oder geheimnisvoll genug. Sie erstarren und warten auf eine Nahauaufnahme. Es müssen sich zwei Cinephile finden, damit sie es nicht merken. Das stimmt nicht. Das Kino kann einen zur Liebe bringen.

Carax

Godard hat eine Seelenverwandte gesucht, um Filme mit ihr zu drehen und er hat Hunderte gefunden. Heute gibt es nur noch den verstohlenen Blick. Carax hat gesagt, dass für ihn das schönste im Kino der gefilmte Nacken einer Frau wäre. Was passiert, wenn er im Kino sitzt und ein Nacken auf der Leinwand erscheint, während die Frau vor ihm sitzend, vielleicht weil sie gerne in seinen Filmen spielen würde, vielleicht einfach so, sanft über den eigenen Nacken streicht. Wohin schaut Carax? Wer spaziert mit uns nach den Filmen durch die Nacht? Wollen wir nicht alleine sein, alleine mit den Erinnerungen an den Film? Suchen wir jemanden, der mit uns über den Film spricht? Nein, wir wollen entweder schweigen oder unendlich reden. Es gibt sie/es gab sie. Paare, die sich und das Kino lieben. Tarantino hat einmal gesagt, dass er, wenn er eine Frau kennenlernt, ihr zunächst Rio Bravo zeigen würde: „And she better fucking like it.“ Es ist klar, dass die Liebe im Kino davon beflügelt wird, dass man dasselbe liebt. Eine Art Menage à Trois zwischen den Augen zweier Liebenden und der Leinwand. Das funktioniert im Bezug zu den Bildern selbst besser, als wenn es um einzelne Personen auf der Leinwand geht. Die Liebe zum Kino kann besser geteilt werden als die Liebe zu Grégoire Colin.

Es gibt noch ein weiteres Problem mit der Liebe im Kino. Filme geben einem Zuseher einen Wissensvorsprung. Wer Filme von Garrel gesehen hat, kann sich nicht einfach blind in eine Liebe stürzen. Das Kino bereitet uns auf den Schmerz vor. Das ist natürlich kein Grund ihn nicht erleben zu wollen, aber wir sind gewarnt. Nur zu ihrem Glück sind Cinephile auch naiv. Sie suchen diesen Schmerz und finden ihn bereits in der Traurigkeit eines Blicks. Sie nehmen ihre Liebe mit in einen Garell-Film, sie tragen sie weiter in ihrem Herzen und danach wirkt ihr „Ich liebe dich“ wie eine Lüge. Wie im Zug bei Les Rendez-vous d’Anna von Chantal Akerman fliegt an uns die Welt und ihre Geschichte vorbei während wir uns in einem Flirt verlieren, den wir nicht haben wollen. Wir berühren, aber fühlen nichts, weil in uns noch die Tränen des letzten Films versickern. Wie soll man im Kino damit umgehen, dass Liebe blind macht? Renoir hat gesagt, dass Kino eine private Kunst sei, er meinte damit unter anderem, dass das Kino ganz direkt zu einem persönlich sprechen würde, wie ein Sänger, der einem in die Augen sieht, wenn er keine Kraft mehr hat. Nein, das ist kein Statement gegen die Liebe im Kino, es ist ein Statement dafür. Zu wenige stehen auf und küssen die Leinwand.

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Wie weit darf man gehen mit der Liebe im Kino, fragt Kupferberg 1962. Im selben Jahr dreht Antonioni L’eclisse, einen Film über das Ende der Liebe. Klar ist, dass es unterschiedliche Regeln gibt im Kino. Haben wir jemals geklärt, ob das Kino ein Ort der Freiheit oder der Disziplin ist? Man wird schließlich eingesperrt, aber dieses Eingesperrtsein fühlt sich an wie Freiheit. Wenn man sich küsst in dieser Gefangenschaft löst sich womöglich die Freiheit auf. Lieber blicken wir, begehren wir und stellen uns vor. Dann nach dem Kino halten wir unsere Hände, aber sie halten meist zitternd Zigaretten. Wir versuchen uns Dinge zu sagen wie wir sie im Kino gehört haben, aber sie klingen gekünstelt, wir lieben uns so wie im Kino und merken nicht, dass wir nur eine Projektion lieben. Was wir eigentlich lernen müssen, ist dass Liebe das Kino mit einschließt. Es gibt einen Drang, der sich für manche wie eine Krankheit anfühlt, für andere wie eine Lust und wenn man diesem Drang folgt, dann liebt man. Er führt direkt an die Lippen des Kinos, in die Zärtlichkeit von Augen, die das Kino sehen, in eine gemeinsame Flucht vor der Welt und in die geöffneten Arme einer weißen Leinwand, die man spürt, wenn man alleine ist und wenn man gemeinsam ist. Das Kino war immer ein Ort für Liebe, nicht nur weil man sich dort in der letzten Reihe geküsst hat, sondern weil dort Wahrnehmungskanäle in einem geöffnet wurden, die neben den Schmerzen, der Intelligenz, der Politik und der Wut auch von der ganzen Zärtlichkeit und Liebe der Menschheit durchzogen waren. Das ist aber nur ein Traum. Der Cinephile ist einsam voller Liebe.

Viennale 2015: Singularities of a Festival: BLAU

Notizen zur Viennale 2015 in einem Rausch, der keine Zeit lässt, aber nach Zeit schreit. Ioana Florescu und Patrick Holzapfel von einem nur scheinbar ruhigen zwölften Tag der Viennale, der wie das Blau eines sanft vor uns liegenden Sees ungeahnte Tiefen offenbart, die nicht sichtbar sind und noch viel weniger in klaren Gedanken gefasst werden können.

Mehr von uns zur Viennale

Fabrice Aragno

Ioana (Right Then, Wrong Now)

  • Ruhigster Festivaltag mit nur zwei gesehenen Filmen, die aber für meine tägliche Wahrnehmungsbedürfnisse ausreichen.
  • Ein Tag, den ich auch nur für Hong Sang-soos unglaublich vielschichtigen Right Now, Wrong Then behalten hätte, der Film hätte es verdient, der einzige eines Tages zu sein. Seine Variationen, die Innenleben zergliedern, vermehren und stufenweise enthüllen scheinen mir die lebendigste und neugierigste Auseinandersetzung mit Film in diesem Jahr zu sein.
  • Ich traue dieser Sonne, die nicht mehr loslässt, nicht.

Puissance Godard

Patrick (Right Now, Wrong Then)

  • Es war ein ruhiger Tag auf dem Festival. Ich war dennoch überfordert mit meinen Eindrücken. Ich habe gesehen wie sich zwei Wellen küssen, wie man falsch lacht und es ehrlich scheint und ehrlich lacht und es falsch scheint.
  • Ich habe mir Right Now, Wrong Then ein zweites Mal angesehen. Ich wollte zunächst anders sein, aber ich war dann doch gleich. Er zergliedert wirklich das Innenleben. Aber er erzählt auch davon, wie man das Innenleben nicht wirklich berühren kann. Verunsicherung, Scham und Missverständnisse.
  • Am Abend bin ich ins Wasser gesprungen mit Jean-Luc Godard und Fabrice Aragno. L’Invisible ist einer der besten Found Footage Arbeiten, die ich gesehen habe. Das liegt weder am Finden noch am Footage, sondern nur an der Montage. Aragno sucht etwas Unsichtbares und weil er im Kino ist, findet er es zwischen, hinter und im Sichtbaren. Eigentlich ganz natürlich. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass Godard ihm Adieu au Langage verdankt und er Godard diesen Film.
  • Ich traue dieser Sonne, die mich loslässt, nicht.