Wenn ich Danièle Huillet nicht sehen kann

In der Berliner Akademie der Künste wurde vergangene Woche ein verhältnismäßig riesiges Projekt auch für die Öffentlichkeit gestartet. Es betrifft die Arbeit (die hierbei großgeschrieben werden muss) der Filmemacher und Akademie-Mitglieder Jean-Marie Straub und Danièle Huillet.

Schwarze Sünde
Eine umfassende Ausstellung befasst sich mit Arbeits- und Vergegenwärtigungsprozessen ihrer Filme und der Welt. Der Titel: Sagen Sie’s den Steinen. Zur Gegenwart des Werks von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub. Gleichzeitig werden in der Akademie einige Filme gezeigt, es gibt Konzerte und eine große Retrospektive an unterschiedlichen Orten in Berlin. (Mehr Infos hier) Ein großer Fokus wurde bei den unterschiedlichen Präsentationen, sogenannten Rencontres, am ersten Wochenende auf die Frage der Steine gelegt. Es handelt sich um einen Ausspruch von Danièle Huillet während einer Probe, als ein Schauspieler sich fragte, an wen er sich wenden solle. Anhand der Steine wurden Themen eröffnet, die sich zum Beispiel um die Zielrichtung einer abstrakten, politischen Wut drehten. Dabei scheint mir die dringlichere Frage jene der Vergegenwärtigung zu sein, die sich in dieser von Manfred Bauschulte in Elio Vittorini erkannten abstrakten Wut auch erzählen lässt. Innerhalb der umfassenden, reichen und zunächst überfordernden Ausstellung finden sich folgerichtig neben vielen faszinierenden, nicht zu sehr auf den Straub-Altar gestellten Arbeitsdokumenten, Interviews, Briefen und Setbildern (bewegt und unbewegt) auch künstlerische Interventionen, wenn man so will, also Arbeiten, die jene von Straub, Huillet in der Gegenwart befragen.

Ein kurzer Einschub, weil mir die von Jean-Pierre Gorin vorgeschlagene Schreibweise von Straub, Huillet (getrennt durch ein Komma, einen Atemzug oder wie sie in Où gît votre sourire enfoui? von Pedro Costa erklären, ein Frame) zwar wichtig scheint, aber nicht so relevant wie das gar nicht so subtile Politikum, das dort an der Akademie um den Namen gemacht wurde. So hörte man bei den Einführungen zahlreiche Varianten, die sich immer darum bemühten die Rolle von Danièle Huillet als mehr zu verstehen, als einen Namen hinter oder in Straub. Natürlich ist dieser Ansatz richtig, aber wie bei so viel politischer Korrektheit dieser Tage darf man schon fragen, ob die Reihenfolge einer Namensnennung wirklich zur allgemeinen Aufklärung ihrer Arbeit beiträgt. Viel mehr half da zum Beispiel das unterhaltsame Rencontre mit Kameramann Renato Berta, der erzählte wie Straub sich immer mehr um das Bild und Huillet sich immer mehr um den Ton sorgte, was zu einigen süffisanten Konflikten führte. Die Frage bleibt trotzdem bestehen. Sie gilt zum Beispiel auch für die portugiesischen Filmemacher António Reis und Margarida Cordeiro. In deren Fall wird Cordeiro oft völlig unterschlagen. Die sprachliche Richtigstellung bewegt sich in einem Vakuum, weil sie durch das nächste Verkürzen auf „die Straubs“ oder „das Kino von Straub“ wieder aufgehoben wird. Statt sich in solchen Sprach-Politika zu verunsichern, täte man gut daran, die Arbeit von Danièle Huillet sichtbar zu machen. Auch das leistet die Ausstellung und wie so oft mehr noch die Filme, die im Rahmen der Rencontres sowie über den Herbst in Berlin gezeigt werden. Neben den Filmen können solche sprachliche Verweise nur als ablenkender Schleier wahrgenommen werden.

Wie erzählt sich also das Kino von Huillet, Straub in der Gegenwart? Was erzählt es über die Gegenwart? Wie kann man von ihm erzählen in der Gegenwart? Vor allem, das wurde sowohl in der Ausstellung als auch bei den Vorträgen klar, mit einem benjaminschen Blick zurück nach vorne. Das passt auch irgendwo zum Kino von Straub, Huillet, wenn nicht zum Kino per se. Es wirkt fast anachronistisch im Vergleich zur modernen Welt. Die Wichtigkeit auf etwas zurück zu schauen ist in ihrem Kino angelegt und damit spiegelt sich das Vorhaben einer solchen Ausstellung und Retrospektive in sich selbst. Es ist die Perspektive zurück auf einen immer auch zurückgehenden Blick. Dennoch scheinen mir einige der Lektionen, die daraus gezogen werden, das gilt für die Vortragenden wie die Künstler innerhalb der Ausstellung, fragwürdig. Denn der Blick zurück war im Fall von Huillet, Straub immer mit einem gleichwertigen, in seiner Sinnlichkeit oft dominanten Blick in die Gegenwart verbunden. Jene Gegenwart fehlte vielen Reaktionen auf ihr Werk. Statt einer Neugier auf das Lebendige spürt man Versuche eine Methodik zu fassen, die eigentlich von ihrer Offenheit lebt. Ein Innehalten vor diesen Filmen wirkt immer hilflos. Genauso wie ein Bedauern. Deutlich wird das in zwei Beispielen im Rahmen der Ausstellung. Einmal werden fünf Ausgaben der Zeitschrift Filmkritik, auf deren Cover sich Filme von Straub,Huillet befinden in einer Glasvitrine ausgestellt. Es mag ein furchtbar naiver Vorschlag sein, aber eigentlich sollte man Besuchern ermöglichen, diese zu lesen, statt vor ihnen zu stehen wie vor Relikten (es sei erwähnt, dass es anderswo auf der Ausstellung die Möglichkeit des Lesens gibt). Ein anderes Beispiel ist Luisa Greenfields Video-Doppelprojektion History Lessons By Comparison. Darin gibt es eine Fahrt, die jene lange Autofahrt aus Geschichtsunterricht nachvollziehen will. Es ist also eine tatsächliche Re-Präsentation. Aber sie kennt nur eine Aufmerksamkeit für das Bild (nicht für die Welt, in der es entsteht) und erklärt den Film dadurch zu einer Simulation und ihre Fahrt wird zu einem Simulacra im Sinne von Baudrillard. Natürlich sagt niemand, dass man Filme über Huillet, Straub in deren Sinn drehen soll, aber den Wert eines solchen Ansatzes halte ich für inexistent. Dass das anders geht, konnte man wenn man des Italienischen nicht mächtig ist, zumindest ansatzweise in The Green and the Stone. Straub-Huillet in Buti. von Armin Linke und Rinaldo Censi erkennen. Ihr Besuch an den Drehorten in Buti war von einer Neugier beseelt, die zwar auf schon gemachten Bildern fungierte, aber diese gegen die Gegenwart überprüfte. In den nächsten Wochen sollen Untertitel hinzugefügt werden.

Toute Revolution
Wie in einem wunderbaren, in seiner Art ebenfalls anachronistischen Vortrag von Manfred Blank deutlich wurde, geht es im Kino von Straub, Huillet auch um das revolutionäre Potenzial eines möglichen Zufalls; das Möglichmachen eines Zufalls, der sich nicht nur für ihn in der Programmierung von Toute révolution est un coup de dés und Trop tôt/Trop tard erzählte. Ein Zufall, der wie jeder Zufall etwas außerhalb der Vergangenheit spielt. Denn woher ein Zufall kam, kann man bestenfalls im Nachhinein bestimmen. Erstmal muss er möglich sein. Es gibt die Bedingungen dieser Möglichkeit, aber man rechnet nicht mit ihr. Sie findet sich im Werk von Huillet, Straub nicht nur in den beiden genannten Filmen, sondern in jeder Einstellung. Wie auch Berta bestätigte, arbeitete sämtliche Konstruktion, Vorplanung und Wiederholung darauf hin, dass ein Zufall möglich wird. Es ist also vielmehr die Arbeit an einer Aufmerksamkeit als die Arbeit an einem Bild. Einmal kann der Zufall ein ins Bild fliegendes Blatt sein, das Bellen eines Hundes aus dem Off oder sogar eine ganze Revolution. Diese Aufmerksamkeit ist möglicher im Kino als im Ausstellungskontext. Sie ist unbedingt als eine in die Gegenwart gerichtete Aufmerksamkeit zu verstehen.

Wer, so sagt Straub in einem Interview innerhalb der Ausstellung, beim Wort Gott lachen müsse, der könne nie eine Revolution beginnen. Die Gefahr bei Huillet, Straub ist immer, dass sie selbst dieser Gott werden. Dann baut man ihnen einen Altar. Auch mir ist es oft so mit ihrem Kino gegangen. Man spürt, dass es unter den sogenannten Straubianern auch immer sehr um das Wissen geht, das sich hinter den Filmen abspielt: Fakten im besseren, Trivia im schlechteren Fall. Durch die klare Haltung der Filmemacher findet man eine Verlässlichkeit in der starken Gefasstheit und mal theoretischen, mal wütenden Untermauerung ihres Bestrebens. Eine Art Reinheit geht von ihrem Werk aus, dass einem hilft, jene abstrakte Wut, die Ziellosigkeit einer gegenwärtigen Auseinandersetzung mit dem Kino und der Welt  zu bündeln, zu fassen und vor allem zu richten. Das funktioniert auch deshalb so gut, weil diese Wut sich affirmativ in der asketischen Schönheit und Genauigkeit ihrer Filme findet und eben ganz im Sinne Émile Zolas als notwendiger Hass. Er ist gerichtet gegen sehr konkrete Folgen und Spuren des kapitalistischen Systems. Ob das nun gegen die Mode wie in Von Heute auf Morgen oder gegen die Synchronisation wie in einem bekannten Text von Straub gerichtet ist, bedeutet alles und nichts zugleich. Passend dazu fragte ein Zuhörer im Rahmen eines Rencontres vorsichtig, ob man denn heute noch von Anti-Kapitalismus sprechen dürfe. Wie in der Frage der Namensnennung spürt man auch hier eine Ohnmacht der Sprache, die vieles im Kino von Straub, Huillet hinterfragt. Denn Frieda Grafe bemerkte nicht umsonst in einem Text über Huillet, Straub, der zum Anlass einer Retrospektive im Filmmuseum München 1997 entstand und im Flyer der Ausstellung zitiert wird, dass die Art in der beide Filmemacher die Welt betrachten, immer auch an einer methodischen Auseinandersetzung mit Sprache hänge. Eine Sprache, die es heute nicht mehr zu geben scheint, vielleicht ja noch nie gegeben hat. Man braucht einen Glauben an sie, vielleicht eine Illusion. Es ist eine verlorene Sprache in gewisser Hinsicht und es zeigt sich bei vielen Vortragenden, dass sie analog zu Straub, Huillet mehr nach einem Weg zurück zu dieser Sprache suchen, als im Sinne von Serge Daney ein Ende der damit einhergehenden Desillusionierung zu beschwören. Ein Gedanke, der mir weder fern dieses Kinos scheint und noch weniger fern gegenwärtiger Notwendigkeiten. Mehrfach stellte sich mir die Frage: Wo ist hier die Illusion? Die Frage könnte man auch anders stellen: Was erzählt uns eine bearbeitete Drehbuchseite von einer Arbeit? War es nicht oft die Arbeit von Straub, Huillet, das man die Arbeit zwar spürt, aber sie sich nicht vor den Zufall schieben darf?

Und dann ein anderes Bild in der Ausstellung, die sich durch die Eröffnungstage an der Akademie zog: Ein Bild nicht von sprachlicher Genauigkeit, sondern sprachlicher Verirrung (nicht unnötig wie bei der merkwürdig und ganz bewusst in Englisch gehaltenen Einführung zum Werk von Harun Farocki ein paar Kilometer weiter im Arsenal): Ein Filmset in vielen Sprachen. Deutsch, Französisch und Italienisch. Die Crew steht zusammen, man wartet auf die Technik. Es ist staubig. Man befindet sich auf dem Ätna, jenem Vulkan, den ein gewisser Jean Epstein in seinen Betrachtungen zum Kino als Ort besonderer Perspektiven evozierte. Es sind die Dreharbeiten zu Schwarze Sünde. Die drei Heimat- und Fremdheitsprachen der beiden Filmemacher. Es gibt eine eigenartige Natürlichkeit der Ko-Existenz dieser Sprachen. Sie fließen ineinander. Um sich wieder an Grafe und ihrer Betrachtung zu orientieren, erzählt dieses Bild von einer Dazwischenheit, die jederzeit auf Unterschiede aufmerksam macht und sie dadurch überbrückt.

Fortini Cani

Im Gestus des Zurückblickens versperrte sich mir in diesen Tagen etwas beim Blick auf Straub, Huillet. Als könnte ich nur über ihre Filme wieder den Weg zurück zum nötigen Zufall des Kinos finden. Der Zufall, der das Kino möglich macht. Schließlich ist ihr Kino auch, auch wenn das abgenutzt klingt, eine Schule des Sehens und Hörens. Eben eine Lehre der Aufmerksamkeit. Vielleicht ist es deshalb, dass die Sorge um die Qualität von Kopien, seien sie analog oder digital selten so hoch ist wie, wenn es um Huillet, Straub geht. Die Zufälle, die sie ermöglichen hängen an jeder Farbe, jedem Rauschen. Man findet dieses Kino womöglich tatsächlich mehr im Leben als im Kino. Ein Paradox, das mich in diesen Tagen vom Kino entfernte und doch näher brachte.

Das Projekt Sagen Sie’s den Steinen. ist einzigartig. Es ist ein wenig wie in die Handgriffe einer praktischen und theoretischen Arbeit einzusteigen, sie beinahe verändern zu können, sie in in sich selbst ruhen zu lassen und diese ruhige Dringlichkeit zu spüren. In dieser Arbeit spiegelt sich auch eine Haltung zur Welt. Tendenziell regt sich ein Einwand gegen die mit dem Blick auf die Arbeit einhergehende Desillusionierung, aber schließlich entdeckt man, dass bei Straub, Huillet die Arbeit, wie vielleicht sonst nur bei Gustave Courbet, etwas Erhabenes ist. Sie berührt die Idee einer Möglichkeit, eines Zufalls und so widersprüchlich das klingt: einer Illusion. In dieser Perspektive könnte man sich dann auch finden, als Suchende zwischen den Bildern und in der Bestimmtheit von Bildern, Tönen und Haltungen einen radikalen Kommentar auf die Gegenwart finden, der niemals nur zu den Steinen spricht.

Courtisane 1: Figures of Dissent – Figures of Lament

Dear Stoffel Debuysere,

we haven’t met in person except anonymously after you found a restaurant for our small group of people in Ghent. However, after reading your book „Figures of Dissent“ and being at Courtisane Festival, I have to address you in a rather personal way. Mainly because your Figures of Dissent are born out of Figures of Lament. Lament which I heavily feel inside myself. Let’s call it an impotence of cinema and being with cinema. I can sense your struggle to create dissent out of lament. It is in your words and in your programs. It is something we all seem to be in desperate need of: Your idea is to go beyond the discourse of mourning the loss of cinema. The sheer depth of the book and the emotional core that lies underneath makes it one of the most exigent pieces of searching for something in cinema I have read. Sometimes, you find real dissent as an author, while at other times dissent is just a perfect word for something that should be there. Yet, in your work as a programmer, there is more dissent in the potential of your presentations than in the reality of how they are carried out. At least that is what I found to be the case at this year’s Courtisane.

To Be Here von Ute Aurand

To Be Here von Ute Aurand

Please forgive me for writing this letter in a rather spontaneous fashion and not at all in the manner of precise research and collective combination of theories and thoughts on certain topics I am going to address. I am neither a scientist nor am I a journalist. Consider me an observer in a modest echo chamber. I am also aware that your book is about your Figures-of-Dissent-Screenings, not about Courtisane. Nevertheless, I see all those movements of dissent as part of the same approach.

Let me try to be more precise: While reading your book, I talked to some of my friends and found that there was an immediate common ground concerning questions of impotence and a suppressed euphoria in the struggle against what cinema and politics are today. Everyone seems to talk about change; nobody really does anything. Every lit flame is persecuted by fears. My question is: If you want to survive with cinema, how can you be Straub? How can you be a collective, how can you be Godard without being called Godard, how can you make Killer of Sheep? How can those examples not be exceptions or a narrated history as it happens from time to time in your book? You write that something must be done even if we don’t know what it is.

Go blind again!

What bothered me while reading your letters written to friends/comrades was the absence of replies. Did your friends remain silent or are their answers held back for another book? Are your letters really letters? Why did you choose that form? Asking myself how you could leave out possible answers while being concerned with giving voice to people, having polyphonic approaches to what we conceive as reality or cinema, I was a bit irritated until I discovered that your five letters contain these voices. Firstly, because you find the dissent in combinations of thoughts of other thinkers. Even more so due to those letters being five fingers of the same hand, each speaking to a different chamber where there will be different echoes. The ideas pertaining to curating as an act of caring you bring to the light in your letter to Barry Esson are inscribed in your own way of working. Thus I feel that this is the first dissent I can take from your writing: Caring.

Die Donau rauf von Peter Nestler

Die Donau rauf von Peter Nestler

The thoughts of caring are strongly connected with those of a collective experience of cinema in your writing. In addition, it seems to me that you write a sort of manifesto for your own work as a curator, observer, writer, cinema person. You write without the grand gestures and aggressive provocations one normally gets in politically motivated thinking in cinema. Nevertheless, to take something out of your first letter to Evan Calder Williams: you are present, it is your fire one can read in the book. This fire that I was clearly able to read in your texts did not exist in your presence at the festival. It was there with other speakers introducing the screenings, but not with you. You write about a return of politics in cinema, you almost evoke it. You write that such an endeavour is also a question of personal experience and worldview, one that tries to build bridges between cinema and society. You state that your screenings want to be a catalyst for public exchange and dialogue.

What is a dialogue? Where does it happen? Such a question seems to be typical of what you describe as a culture of skepticism. So here I am, writing to you publicly. Certainly this is a form of dialogue and your work is a catalyst for it. Yet, I am not sure if there is more dialogue in this than there was in my reading your book at my little table in silence. Am I more active now? Or am I more active because I was allowed to be “passive”? The same has always been true for cinema in my case. I often feel how it takes away the power of films, those that thwart representations, those that keep a distance, those that don’t, as soon as words about it are spoken too soon after a screening, as soon as cinema is understood as a space where the dialogue between screen and audience has to be extended. As I now was a guest at your care taking at Courtisane, I must tell you that I didn’t discover your writing in your way of showing films. Where is the space for dialogue at a festival where you have to run from one screening to the next? Where is the possibility of going blind again at a festival if many inspired and passionate cinephiles cannot help but fall asleep at Peter Nestler’s films because they started the day with Ogawa and had no chance for a meal in-between? Moreover, I was disappointed by the inability of the festival to project film in a proper way. What is the point in having such a beautiful selection of films as in the program consisting of Nestler’s Am Siel, Die Donau rauf and Straub,Huillet’s Itinéraire de Jean Bricard when it is projected and cared about in such a manner? Please don’t misunderstand me, I understand that there might be problems with projections, it is part of the pleasure and the medium but a projectionist running into the room, asking the audience “What is the problem?”, not knowing what the problem is when a copy is running muted, staff running through the cinema, no real excuse and all that in front of the filmmaker present is far away from any idea of caring. I wonder why you don’t get rid of half of your screenings and get some people who are able to project instead. I am pretty sure I leave out some economical realities here, such as the time you have for preparation and so on, but I decided to take your writing as a standard. In my opinion, the space and time you create for cinema needs more concentration. What my friends and I discovered was a festival with a great program talking about utopias, struggles and a different kind of cinema that worked like any other festival in the way of showing this program.

Ödenwaldstetten von Peter Nestler

Ödenwaldstetten von Peter Nestler

When you speak about displacement in cinema in your letter to Sarah Vanhee, about the dream to make art active, I feel inspired and doubtful at the same time. Yes, I want to scream out, I want to fight, I want to show films, I need to discuss, write, make films. However, I also want to keep it a secret, keep it pure (in your letter to Mohanad Yaqubi you write that there is no pure image; you are probably right. Is there an illusion of a pure image?), silent, innocent and embrace what you call via Barthes the bliss of discretion. I wonder which of those two tendencies is more naive? When Rainer Werner Fassbinder said that he wanted to build a house with his films, was it to close or to open the doors of the house? In my opinion it is also curious that the path to disillusion Serge Daney wanted us to leave always comes when the lights in the cinema are turned on after a screening, when there are no secrets and the work of cinema is talked about instead of manifested on the screen. It is this community of translators I have problems with. Yet, I enjoy them immensely and I think that translators in whatever form they appear are more and more important for cinema as a culture. Mr. Rancière’s thoughts on the emancipation of the spectator and your reflections on them seem very true to me. We are all translators to a certain degree. What I am looking for may be a translator in silence. Somebody who lights in darkness and speaks in silence. So you see, my lament is a bit schizophrenic. On the one hand, I ask for more space for dialogue while on the other hand I don’t want to have any dialogue at all. Maybe I should replace “dialogue” with “breathing”. It is in the breathing between films I discover them and their modes of visibility. It is when I am not looking, talking or listening that cinema comes closer. For me, a festival like Courtisane should have the courage to remain silent and to burst out in flames of anger and love.

Of course, when thinking about caring and politics it is rather obvious which tendency one should follow. I am not talking about discourse, but I am attempting to talk about experience. Perhaps experience and discourse should be more connected. You rightly state in almost all of your letters that a direct translation from watching into action is impossible. For me, the same is true for everything that happens around the act of seeing. Let’s call it discourse. Marguerite Duras wrote that for her it is not possible to activate or teach anyone. The only possibility appears if the reader or audience member discovers things by himself or he/she is in love. Love could convince, activate, agitate, change. This idea of loving brings me back to your thoughts on caring. With Friedrich Schiller you claim: “The solitude of art bears within the promise of a new art of living.” With Rancière, you make it clear that art is not able to change the world. Instead, it offers new modes of visibility and affectivity. Isn’t it a paradox that they say love makes you blind? In a strange dream, I wished for cinema to make us blind. In the concepts of political cinema you describe visibility is king. Things are either revealed, highlighted or shown. I am not certain whether cinema is an art of light or of shadows. In my view, it was always very strong, especially in political terms, when it complicated perceptions instead of clarifying them; an art of the night, not of the day, or even more so: something in between.

Four Diamonds von Ute Aurand

Four Diamonds von Ute Aurand

This is also the case with all the discussions and dialogues following the screenings and in the way you conducted them, sometimes much too hastily, at this year’s Courtisane. There is a next screening but we talk with the filmmaker because, because, because. Did any of the discussions inside the cinemas go beyond questions about facts and the production of the films? I am not saying that the production is not very important and/or very political. It is maybe the most political. Yet, I miss the talk that goes beyond cinema/which follows where cinema is leading us. Discussions about caring and fighting, being angry and beautiful, discussions that don’t take things for granted too easily. I could sense a bit of that in the Q&As with Ute Aurand but never in the ones with Peter Nestler. It is a problem of the so-called cinephile that he/she loves to declare instead of listening. Being a cinephile seems to me like being part of an elite club and sometimes Courtisane felt like that, too. For example, showing the problems of farmers in Japan to a chosen few is a feeling I don’t like to have. This has very little to do with the way you curate but more with cinema itself. It is like an alcove pretending to be a balcony. I was expecting Courtisane to be built more like a balcony asking questions and looking at the world surrounding it instead of celebrating itself. In one of your letters, you propose the idea of two tendencies in cinema: that of cinema as an impression of the world outside, and that of cinema as a demonstration of the world enclosed in itself. For me, despite all its potential, the cinema of Courtisane remained too enclosed in itself.

There were also things I liked concerning your guests. For example, I found it to be very nice that the Q&As didn’t take place at the center or in front of the screen but almost hidden in a corner of the screening room. It is also very rare and beautiful that you could approach filmmakers like Ute Aurand very easily because they were also just part of the audience. Peter Nestler joining the Ogawa screenings and asking questions afterwards was another good example of this. Friends told me of having the feeling of a community, the feeling that there is a dialogue. Maybe I was just at the wrong places sometimes. Still, I have to tell you my concerns. This doesn’t happen due to discontent or anger but out of respect. There are amazing things at Courtisane and I find it to be one of the most important festivals in Europe. The possibility to see those films in combination, to see those films, to have contemporary cinema and “older” films in a dialogue and to feel a truly remarkable sense of curatorship in what you do, is simply outstanding. For example, the screening of Right On! by Herbert Danska together with Cilaos by Camilo Restrepo was amazing and many questions about framing and music in revolutionary cinema were asked and possible paths opened. Cinema was a place of difference, of equality and thus of dissent. You could answer me and my critique by saying that what I search for is in the films, not in the way they are discussed, not discussed or presented. I would agree with you until the point where the way of presentation hurts the films.

My favourite letter in your book is the one you wrote to Ricardo Matos Cabo. In the text, you talk about the question of mistakes and innocence. Your writing always concerns the loss of innocence. In it, there is the idea of a world which has disappeared behind its images, a world we all know. It is the world of too many images and no images at all. You write: “But perhaps the associations and dissociations, additions and subtractions that are at work in cinema might allow for a displacement of the familiar framework that defines the way in which the world is visible and intelligible for us, and which possibilities and capacities it permits.” You ask for a cinema that is able to talk with our relation to the world. How to face such a thought without lament?

Well, up to now I always thought about dissent when I thought about the title of your book and screening series. Maybe I should think more about the figures. The figures on screen, the missing people, those we need to perceive. Those I could see at Courtisane. Not inside or outside of the cinema, but on the screen.

In hesitant admiration and hope of understanding,
Patrick

Rückbilder

Ein Rückbild in einem Film, das ist, wenn in einem Bild plötzlich etwas offenbar oder zweifelhaft wird, was man schon vorher gesehen hat. Als würden die Bilder in einem Film aus sich hervorgehen wie die Blüten eines wiederkehrenden Echos. Man spürt, dass es etwas in diesen Bildern gibt, das sie bindet an eine Zeitlichkeit, der man selbst zunächst gar nicht gewahr war. Bis sich eben exakt in diesem Bild, diesem Rückbild etwas Unbestimmtes manifestiert, das weder mit Erinnerung noch mit Effekthascherei zu tun hat, sondern schlicht die Dunkelheit mit einem weiteren Schatten durchzieht, sodass man den Eindruck hat jemand würde einem mit einem Finger in die Augen tippen. Dabei sind Rückbilder nie narrativ, sie beleuchten eher den Rand des Bildes, eine kleine Geste, vielleicht gar eine Leere, ein Nichts und aus diesem schält sich in der Folge eine Wiederkehr. Sie ermöglichen einen Rückwurf des Betrachters. Nicht auf sich selbst oder etwas jenseits des Kinos, vielmehr eine Art Flashback, der nicht auf der Leinwand, sondern im Auge des Betrachters stattfindet. Als würde die diegetische Welt einmal ausatmen.

Ein Rückbild, das können mehrere Bilder sein (zum Beispiel bei Apichatpong Weerasethakul und seinem Cemetery of Splendour, als man in einer Montagesequenz plötzlich zu bemerken beginnt, dass man womöglich träumt), das können wiederkehrende Bilder sein (zum Beispiel bei Nicolas Roeg, der Rückbildern eine Zukunftsform geben kann, weil sie vor und nach ihrer narrativen Gegenwart existieren) und das können auch einzelne Bilder sein (etwa bei Tsai Ming-liang und seiner Einschlafszene in What Time is it There?, bei der man förmlich hypnotisiert wird, sich selbst verlässt und wieder zurückkehrt). Nun ist es sehr schwer über diese Phänomene zu schreiben, denn ihnen liegt der einfache Verdacht bei, dass sie Teil einer subjektiven Seherfahrung sind. Das mag in vielen Fällen sicherlich zutreffen, jedoch unterliegt die Positionierung dieser Bilder und auch das Halten ihrer Dauer eine sehr bewussten Entscheidung in den genannten Fällen und so stellt sich sehr wohl die Frage, ob es Kriterien gibt, in denen ein Bild zu einem Rückbild wird, Augenblicke, in denen Bilder rückwärts wirken.

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Im Kontext einer Dauer der einzelnen Einstellung vermag sich ein langsames Aufklaren vollziehen. Dieses Aufklaren ist zum Beispiel in Bela Tarrs Sátántangó bezeichnenderweise eine Verunklarung, denn sie wird vorangetrieben durch einen kommenden und gehenden Nebel, der gleichermaßen unwirklich und zufällig wirkt. Aus dem Off hört man die Erzählstimme die Gedanken des jungen Mädchens wiedergeben. Darin geht es um die Verknüpfung verschiedenster Elemente des Lebens und je länger man dieses Bild mit einem Baum im Vordergrund, einer Ruine im Hintergrund und Nebelschwaden, die sich dazwischen bewegen, betrachtet, desto stärker spürt man, dass etwas im Bild davor passiert sein muss, was man womöglich gar nicht so realisiert hatte. Nicht, dass man verpasst hätte, wie sich das Mädchen tödlich vergiftet und auf den Tod wartend hinlegt, aber der Tod selbst, seine nicht darstellbare Existenz und Konsequenz wird einem erst im Rückbild bewusst. Das Musterbild eines Todes in der Kamera findet sich womöglich in Professione: reporter von Michelangelo Antonioni, in der berühmten vorletzten Einstellung des Films, als die Kamera sich durch das vergitterte Fenster nach draußen bewegt, ja schwebt und den Protagonisten aus der Präsenz verliert. Es wurde viel über diese Szene nachgedacht, manche sahen darin die Autonomie der Kamera bei Antonioni, andere eine spirituelle Darstellung der Seele, die den Körper verlässt. Womöglich handelt es sich aber nur um die zeitlich verzögerte Darstellung eines eintretenden oder bereits eingetretenen, eines in jedem Fall unumgänglichen Moments, der eben nach einem solchen Rückbild verlangt. Eben jenes legt Cristi Puiu in seinem Moartea domnului Lăzărescu in das Schwarz nach dem Film. Hier wirkt das Ende des Film rückwirkend wie der Tod der Figur. Der Mann liegt und hört auf zu atmen. Man bleibt bei ihm, dann wird das Bild schwarz. Der Tod möglicherweise. Allgemein bieten sich schwarze Frames oder längeres Aussetzen von repräsentativer Bildlichkeit an, um ein Rückbild zu ermöglichen. Entleerte Bilder, die in sich das Reichtum der Informationen ihrer eigentümlichen Präsenz bergen. Diese Bilder zeichnen sich vor allem bei längerer Einstellungsdauer oft schlicht dadurch aus, dass sie gemacht wurden und an dieser oder jener Stelle im Film platziert wurden beziehungsweise so und so lange gehalten wurden, nicht durch das, was sie zeigen. Ein Beispiel sind wiederkehrende Bilder, wiederholte Handlungen in unterschiedlichen Bildern oder unterschiedliche Bilder zu gleichen Tonspuren.

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Man könnte zum Beispiel behaupten, dass manche Filme von Marguerite Duras einzige Rückbilder sind. La Femme du Gange oder Son nom de Venise dans Calcutta désert tragen in sich die Verlorenheit einer möglichen und/oder vergangenen Handlung, diese Filme existieren nur, weil sie schon vorbei sind, wenn die Kamera dort ist. Man sieht Figuren (wenn man sie sieht) und kann sich nicht sicher sein, dass sie von der Handlung wissen, die im Off dialogisch erzählt wird. Dabei filmt Duras mit Vorliebe gegen das Licht. Sie blickt auf Fenster, Kronleuchter und die Sonne hinter dem Meer und in diesem Licht ermöglicht sich ein Rückbild, das kein Bedauern zulassen will, weil es von Beginn an eine Hoffnungslosigkeit, ja eine Sinnlosigkeit etabliert und klar ist, dass das was wir hören schon vorbei ist, während das was wir sehen nur mehr das blasse Echo einer Vergänglichkeit ist, die uns so stark berührt, weil sich in ihr der Ozean dessen öffnet, was hätte sein können, was war, was nie mehr wieder kommt. Das Licht spielt nicht umsonst auch in Cemetery of Splendour eine entscheidende Rolle, der Lichtwechsel, das Surren. Ohne sich zu sehr auf freudianisches Gebiet zu begeben könnte man diese Lichter und ihre Betrachtung durchaus mit der Urszene des tanzenden Feuers und den Blicken, die man als Kind darauf wirft vergleichen. Es ist in diesen Flammen, dass Sehen etwas Pures hat und den Betrachter zugleich auf sich selbst zurückwirft. Ist das Feuer in der Gegenwart? Man kann es schwer sagen, wenn man sich nicht gerade verbrennt. Es ist vielmehr ohne Zeit. Daher ist es auch so gut, wenn sich etwas im Bild sturr bewegt, womöglich in Kreisen wie die Rolltreppen bei Apichatpong Weerasethakul oder eine Wassermühle bei Tsai Ming-liang. Bewegen, die einen davontragen, obwohl man sich in ihnen verliert.

Duras filmt etwas Abwesendes und letztlich geht es genau darum in Rückbildern. Der Unterschied zur Erinnerung ist, dass diese noch darstellbar ist, während das Rückbild von den Dingen handelt, die es nicht sind. Daher spielt auch die Montage so eine essentielle Rolle für das Rückbild, das was zwischen zwei Bildern passiert. Das Rückbild ist eher ein Bild des Vergessens als der Erinnerung.

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Ein sehr einfaches Beispiel: In The Illiac Passion von Gregory J. Markopoulos sieht man in einem Bild wie Schauspieler Puder/Sternenstaub aus ihren Händen fallen lassen und pusten. In einem nächsten Bild (es muss nicht das allernächste sein) sieht man wie dieser Staub über die Köpfe anderer Menschen fällt wie eine Botschaft aus dem Himmel. Man versteht die erste Handlung durch das zweite Bild. Das ganze geht über die simple Verkettung aus Ursache und Wirkung hinaus, da die beiden Bilder offensichtlich nicht wirklich räumlich zusammenhängen. Vielmehr verändert das zweite Bild das Potenzial des ersten Bilds, setzt es in ein neues Licht. In narrativeren Filmformen geschieht eine solche verzögerte Erkenntnis oft durch Perspektivwechsel. Man sieht die gleiche Szene aus einer anderen Perspektive. Dabei entsteht dann so etwas wie ein Meta-Rückbild, dem die Suggestivkraft des einfachen Rückbilds abhanden gekommen ist. Denn wie bereits erwähnt, hängt das Rückbild auch immer an einer Unklarheit, nicht an einer Aufklärung. Es hängt daran, dass wir das, was dazwischen passiert, nicht sehen, selbst wenn es keinen Schnitt gibt. Etwa das Einschlafen von Lee Kang-sheng vor dem Fernseher in Tsai Ming-liang. Ein suspendierter Augenblick wie das Einschlafen im normalen Leben. Ein Rückbild ist so etwas wie die Darstellung der Erinnerung an den Moment des Einschlafens. Dass was wir davon wissen ist: Wir sind eingeschlafen.

Duras ist auch insofern ein gutes Beispiel, weil sich diese Echowirkung oft zwischen Bild und Ton vollzieht. Das Offenlassen einer Verzögerung zwischen dem Text und dem Bild wie etwa bei Gerhard Friedl, Chantal Akermans Je tu il elle oder Straub, Huillets Trop tôt/Trop tard bewirkt genau dieses Gefühl eines Rückbilds. Die Möglichkeit einer rückwirkenden Wirkung tut sich immer dann auf, wenn Ton und Bild beide autonom agieren, nebeneinander, unabhängig voneinander statt übereinander liegen. Ein wenig wie das Liebesspiel von Echo und Narziss, bei dem sich etwas auftut genau weil es diese Verzögerung gibt. Bilder, die zu spät kommen. Darin liegt auch ein großes Drama, eine große Melancholie. Bei Duras kommt noch hinzu, dass sie ihre Rückbilder über verschiedene Filme hinweg etabliert. Wenn Depardieu in La Femme du Gange immer wieder die Melodie aus India Song summt verändert das sämtliche Wirkungen beider Filme und ihrer Bilder. Als würde die eigene Erinnerung an den anderen Film entweichen und durch Depardieus Körper, das Auge von Duras fließen. Natürlich finden sich solche Echos zwischen Filmen ständig und überall, sie sind im besten Fall auch ein wichtiger Bestandteil kuratorischer Arbeit mit Film. Statt sich auf das zu Fokussieren, was zwei Filme gemeinsam haben, funktioniert das Kuratieren oft viel besser, wenn man sich auf die dunklen Flecke zwischen den Filmen konzentriert, das was sie trennt. Der Raum zwischen zwei Filmen ist letztlich das, was sie besonders macht in ihrer Kombination.  Vor kurzem wurden beispielsweise neue Filme von James Benning im Österreichischen Filmmuseum gezeigt. Dazu gehörten die beiden Werke Spring Equinox und Fall Equinox. Beide zeigten, wie der Titel verrät, eine bestimmte Jahreszeit an einem bestimmten Tag. Für sich stehend waren es faszinierende Beobachtungen von Licht und Natur. Aber in der Kombination handelten sie auch vom Sommer, von der Jahreszeit dazwischen, der Zeit, die wir nicht gesehen haben, deren Folge wir nur noch erkennen konnten. Derart legte Benning den Fokus auf die unfilmbare Veränderung.

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Was ein Rückbild ist, ist damit nur unzureichend erklärt. Vielleicht liegt das daran, dass ein Rückbild gar nicht sein kann, sondern nur sein könnte. Der Konjunktiv des Kinos, der in einer Welt des Zweifels und der Fiktionen wichtiger denn je scheint. Dabei geht es nicht um die pseudo-moderne Multiperspektivität wie etwa bei Bertrand Bonello oder Brian De Palma, sondern genau darum, dass es gar keine Perspektivität mehr gibt oder besser: Eine Unsicherheit der Perspektive. Die Wahrnehmung davon, dass man immer erst zu spät versteht. 

Film Reading: Jean-Marie Straub & Danièle Huillet edited by Ted Fendt

With the first English-language book on Danièle Huillet and Jean-Marie Straub in over a decade Ted Fendt and FilmmuseumSynema could not do much wrong. What we get is less a deep inside into the work of the filmmakers, but rather an introduction, an overview. It is a fitting book for students or anyone preparing for a new life with Straub-Huillet. Especially since the book has a sort of inherent sexiness that tries to give back a certain underground mentality to the filmmakers that often lose their attraction to young film lovers because in university, they are often presented as a sort of establishment or worse, the past. Which is absolutely wrong. How to experience the radical, the poetic when you are not alone (also among others) or in love? The book allows for this love or solitude by giving a mixture of straight matter of factness, transparence and quotes by the filmmakers as well as images, documents and a perspective on certain gestures, written or said. In other words: It leaves open a space that asks for discovery.

@Österreichisches Filmmuseum

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The book offers mainly an American perspective on the filmmakers. That as such is not necessarily a bad thing. The publication is motivated by a traveling North American retrospective and retrospectives are among the most common reasons to publish books on artists. Yet with Straub-Huillet it is a different, difficult case as the publishing history on them, and that included film criticism (very much so) is also the history of injustice, of simplification. With the book and especially the very intensely researched essay by Ted Fendt “ Dividing Lines. The Distribution and Reception of Jean-Marie Straub and Danièle Huillet‘s Films in the English-Speaking World“ this becomes clear. It is also mentioned that this kind of simplification has not only taken place in the English-speaking world. Nevertheless the idea of the book proposed by the 90-pages-essay “(Not Only) for Children and Cavemen. The Films of Jean-Marie Straub and Danièle Huillet“ by Claudia Pummer is more comprehensive than that. So, reading the book from beginning to end does not make much sense in this case. Better decide for one text and a week later maybe the next. It gives the impossible promise of being about all of Straub-Huillet while ultimately it decreases to an English-speaking perspective. It might have been more interesting to decide for such a limited approach from the beginning instead of mixing texts by German, French and American contributors and giving the idea of being about the whole career of the filmmakers. This criticism might feel a bit exaggerated and certainly some counter arguments exist that might have led to the publication as it is, but my problem is that such an approach ultimately leads to simplification. Again. Maybe it is inevitable to have those simplifications but then, why not admit from the beginning? No, Ted Fendt announces in his introduction a survey of each film, working methods and how the filmmakers have been considered and discussed over the years. I cannot help it but those things are not in the book.

That being said I have to admit that Pummer does more than all right in her comprehensive text that covers Straub-Huillet from their beginning up to now. It is entertaining, full of information and love. She manages to capture the spirit of Straub-Huillet‘s filmmaking while at the same time holding the necessary distance. If there was ever a text on the filmmakers in the spirit of Huillet‘s quote in Pedro Costa‘s Où git votre sourire enfoui?, “I am not afraid. I am watching.“ it certainly is this one. She manages because she writes with a rare confidence on the filmmakers that often are surrounded by mysticism and questions. With Pummer those questions are not neglected but somehow they are all part of the work, the work of the filmmakers, the work of the researcher. Of course, one would have to discuss about certain issues. For example, Pummer proposes a very short way from Straub-Huillet to Truffaut. While reading one almost gets the feeling that they share the same anger. With the noble exception of L‘Enfant sauvage touching points in their films are rare and just because there is an anger against a certain kind of cinema, it does not mean it is made of the same emotion. Of course, there are bridges like Daney who championed both, Truffaut and Straub-Huillet, but then, one should at least ask: How can the same anger lead to Antoine Doinel on the one hand and Anna Magdalena Bach on the other hand? Being a lover of both myself the thought that there might be a deeper connection than just being filmmakers from the same generation and country, knowing each other and so on, is seducing at first. It would need a closer view than possible in this article.

In its mid section the book contains three texts, love letters by filmmakers shaped or influenced by Straub-Huillet: John Gianvito, Harun Farocki and Jean-Pierre Gorin. Especially Gorin‘s piece on Où git votre sourire enfoui? is outstanding. It is not only full of great observations on Straub-Huillet, Mr. Costa and the film, it also shows that writing can be influenced by filmmakers. In the case of great filmmakers like Straub-Huillet this is possible as their philosophy is not the philosophy of images (God beware!) but of perception, of living. This becomes also clear in a section where co-workers like William Lubtchansky or Angela Nugara give short accounts of their experience in working with Straub-Huillet. Related to those accounts is also Barbara Ulrich‘s text about organizing the North American retrospective. It is related because working with Straub-Huillet is very much like working with their films and Ulrich knows both as almost no other person. It is about work, struggle and precision: Cinema. In my opinion, this demanded precision and ethical point-of-view makes it so hard to write about their films. Of course, there are some good texts but in good criticism there is always a sort of volatility, speed, it is a clash, a reaction, a perception and its mediation. Whereas Straub-Huillet take the luxury of time and patience. They give it back to us, no question. So writing about Straub-Huillet must be related to time and attentiveness. The second is rare among film writers, the first is impossible. It would be a revolution.

Filmmuseum München

@Filmmuseum München

The most seducing and dangerous text is a translated version of a great and divisive conversation of the filmmakers with François Albera. The interview was conducted at first by the Pompidou Center in 2001. Straub-Huillet refused to give in after those responsible for the publication demanded various cuts because among other things Straub makes a polemic comparison of the killing of animals and Jews. A conflict started with prominent Straub supporters such as Jacques Rancière taking the side of the filmmakers and the interview was turned down by the Pompidou Center while it was published in Hors-Champ in the same year. The interview is not necessarily great for its polemics, it is great because in it, the filmmakers give a very passionate and clear definition of what political cinema is in their opinion. The interview is crystal clear, thought-provoking as cinema itself, very passionate and tense. It also contains the observation many collaborators of Straub-Huillet (for example Thom Andersen) have made: Straub goes on and on, finds brilliant thoughts and then comes Huillet and sums it all up in one sentence.

Still, (somehow fitting) the most important part of the book is the materialistic part. It might seem superficial, yet it is so important to see that guy with his cigar, to see that woman sitting on the set of Moses and Aron with sandals, even to see their hidden smiles out in the open. To have it on a piece of paper. It‘s important to see their handwriting. This has nothing to do with illustrations, it has to do with sensual aspects of their cinema and way of living (which is the same as far as I can judge). It has to do with opening up to a cinema that is labelled so many things (even in the book), opening up to nowadays very difficult terms like radicalism. The idea of the terrorist has changed. When Straub repeatedly says that he is a terrorist there is no romanticism or sympathy in it anymore. Gianvito has some interesting thoughts concerning the terrorism of Straub in his text. He finds his personal way out with quotes by the filmmakers who say that their kind of rebellion is not for the apocalypse but for a better world. This better world beats at the heart of this publication. The Cine-Terrorists that Straub-Huillet are have nothing in common with the contemporary terrorist. It is about the way we work, about the way we live in and out of cinema. This is most touchable in the images the book contains, but also in the quotes and the gesture of writing about it, with it.

A Letter from Danièle Huillet

The following is a translation of a letter Danièle Huillet wrote to an Italian film critic in August 1976, as she and Jean-Marie Straub were having some problems concerning a book about their film Moses und Aron (1973). Huillet writes about money, and about the difficulty of being a filmmaker.

Here the original with names omitted (translation below, thanks to MG)

Lettera Huillet no-names

FROM: Danièle Huillet                                                                                             August 4th 1976
Jean-Marie Straub
XXXADDRESSXXX
I-00165 Roma
XXXTELEPHONEXXX

                                                                                                                 TO: Monsieur R.

                                                                                                                XXXADDRESSXXX

Monsieur,
after the first letter from Casa Editrice [publishing house] Cappelli and our almost immediate reply, we haven’t received any news from you or from the aforementioned publishing house, and almost a year and a half has passed! We accepted to embark on this project [for the making of a book in Italian about our film Moses und Aron (1973)] because of our friendship with G., who has just written us that „Cappelli è in passaggio di proprietà“ [publishing house Cappelli has been sold and is about to change owner]…

Now, we were never paid for translating the screenplay [of Moses und Aron] in Italian (not to mention the translation of the accompanying material, among other things) and for the photographs that we printed ourselves (we spent 70.000 lira for printing said photographs in 1975, which is quite a lot nowadays, because the photographs were printed in Paris and lira has been devaluing a lot ever since, as we all know). These 70.000 lira might be a ridiculous sum for you, but for us – people living not as „persone del cinema“ [big-time cinema people] but rather as non-specialized workers at the assembly line – it means several weeks of everyday life, and with overtime work too.

Given the present situation, we don’t care about the money, but we would like to get back all the material G. gave you on our behalf for the making of the book: 90 black-and-white photographs (ninety); a photocopy of the original German text with our shooting notes (= the screenplay); the Italian translation of said text (which cost us and our Italian friends a lot of days of work); a historical research also translated in Italian.

Lots of people ask us for photographs from Moses und Aron and we don’t have them anymore, and we don’t have enough money to print other stills (we have just finished shooting another film and got into debts with everybody, so our material [financial] situation is worse than the usual…). If you give us our material back, we could use the photographs we made at our expense last year!

Anyway, this Italian book [about Moses und Aron] is a very difficult one to make, and it could be interesting – useful – only if it is made with great care and there are no mistakes in it, and mistakes are always difficult to avoid if the material is translated from a foreign language; now G. doesn’t have time to work on the book and read the drafts (I wanted to proofread the drafts myself, but now I am too busy, because I have other things to do for other film projects). We also wanted to re-read and revise the transcription of the „long conversation“ we had with G. – but we didn’t have the chance to do it.

Therefore, it is better to forget about this book project. This way, you won’t lose anything. We lost our time and money, but we are used to it. Getting our material back now is the only way for us to limit „les dégâts“ [the damage, the nuisances].

No hard feelings – better luck next time, maybe. We hope that you’ll be so kind to quickly send our material to G., or to our place in Roma, or, if we are not home, to our friends (Georg B. XXXADDRESSXXX). Please, do not send us the material via mail: the postal service is not safe per se, and the photographs could get damaged. If you don’t plan to come to Roma in person, please, give everything to a friend of yours who’s going to visit Roma.

Best regards,
Danièle Straub-Huillet

Die Sehnsuchtsmaschine – Die Distanz des brachialen Fühlkinos

In meinen Nächten denke ich oft an deine Tage, dein Licht. Die Hysterie und den Druck, der bei dir fließt. Die Schreie, der Speichel, die Gedärme. Die Direktheit, die etwas fühlen will: Philippe Grandrieux, Andrzej Żuławski, die Haut bei Claire Denis, die Musik bei Leos Carax, der Gestus von Gaspar Noé. Das Problem: Oft fühle ich keine Sensualität, wenn jemand sie mit dem Holzhammer in mein Gesicht schleudern will. Aber Antonin Artaud verschluckt die grausame Sonne.

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Normal beschäftige ich mich sehr viel mit Fragen der Ethik und Distanz im Kino, ich interessiere mich für die Dinge, die man nicht sehen kann, die Dinge, die verloren scheinen und die Moral der Kamera, die ein Bewusstsein verlangt, die weiß, dass eine Totale keine Totale und eine Nahaufnahme gefährlich ist. Hier liegt für mich eine Sinnlichkeit. Das sind logische Fragen, wenn man das Kino in seiner Zeit begreift und begreifen will, wenn man so möchte, modernistische Fragen. Einfach zu sagen: Was mir gerade richtig erscheint, ist richtig oder was sich gut anfühlt, ist gut, ist letztlich nur die fatale Bequemlichkeit einer Überforderung im zeitgenössischen Kino, die nicht mehr weiß, was sie gut finden soll und die deshalb aus unfassbar durchschaubaren Statements besteht. Das Lieblingswort in diesem Kontext: Meisterwerk. Die Lieblingskamerabewegung: Kranfahrt. Das ist alles kaum glaubhaft. Nein, ein Film sollte eine Position zur Welt und eine Position zum Kino vermitteln, fühlbar machen, selbst wenn diese Position ist, dass man keine Position haben kann. Auch wenn sich diese Position durch eine Kranfahrt vermittelt. In der Regel fühle ich mich eher zu jenen Filmemachern hingezogen, die sich der Krise ihrer Bilder bewusst sind. Ich halte sie für ehrlicher, konsequenter. Man kann zum Beispiel nicht einfach ein Bild zweier trauernder Menschen fotografieren. Das geht nicht. Darin steckt schon so viel und darin steckt auch immer eine Lüge. Die Direktheit dieser Emotionen scheint nur mehr eine Wiederholung. Nun geht es nicht darum, wie ich es immer wieder lesen muss zu meiner Verwunderung, dass man etwas gänzlich Neues schafft. Es geht aber doch um eine Fortsetzung, etwas muss dem Bekannten hinzugefügt werden. Alain Badiou hat in diesem Zusammenhang ein Erbe der Nahaufnahme, das von Griffith über Dreyer zu Bresson reicht, vorgeschlagen. Godard hat dem noch etwas hinzugefügt, in dem er das Gesicht verdoppelt hat, der sich bewusste Zuseher ist ein Spiegel, Anna Karinas Tränen glitzern im Licht der Projektion. Es gibt in der Folge Filmemacher, die das weitergeführt haben. Abbas Kiarostami, dessen Spiegel schon wieder ein Spiegel ist und Bruno Dumont, der zurück zu Dreyer ging und statt der Entleerung des Spirituellen dessen Deformation vorgeschlagen hat. Es gibt ein paar Nahaufnahmen in den letzten Jahren. Es gibt jene von Vanda in No quarto da Vanda, die entrückt, erhöht und in der Zeit verzögert wird von Costa. Das ist ein Schock, wie wenn Gene Tierney in Lubitschs Heaven Can Wait reinläuft in einem lila Kleid (und ich mag kein lila). Ein Schnitt von Costa, der schockt, weil er Angst zu haben scheint, vor der Nahaufnahme. Wer überlegt sich sonst, wann man eine Nahaufnahme machen darf?

Possession

Oftmals stoße ich in solchen Gedankengängen an eine Grenze. Was kann man eigentlich noch filmen? Was gibt es noch zu filmen? Auch: Was gibt es, was ich genuin mit der filmischen Sprache besser einfangen kann, als mit den scheinbar zeitgenössischeren Sprachen? Was gilt für dich? Die Aktualität des Kinos ist zu oft das Gestern, es sind die Nächte von gestern, von denen wir träumen. Dieses Gestern muss aber ein Teil des Heute sein, ein Teil des Morgen. Allerhand abstrake und nebulöse Formulierung, die auf das Problem der Ungreifbarkeit dieses Problems hinweisen, denn wo würde man beginnen? Es geht hier um eine andere Form der Distanz, die ich in dieser einleitend angesprochenen Nähe vermute. Wenn das Kino fragen daran stellen muss, was und wie man noch filmen kann, dann ist dieses Hinabsteigen in das Blut, die Fasern, die reine Präsenz des Körperlichen eine logische Antwort. Es drückt genau wie die Langsamkeit und die Sorgfalt des Bildes ein Begehren aus, dass sich aus dem Vakuum einer gesellschaftlichen (Bild)-Politik ernährt. Das Kino als Antwort, als Lösung auf ein Fehlen im Alltag. Wenn alles zu schnell passiert, kann das Kino es festhalten, entschleunigen. Wenn alle Bilder in einem einzigen schlampigen Rausch vorbeihuschen, kann das Kino die Konstruktion, den Blick, die Poesie des einzelnen Bilds würdigen. Und wenn man nichts mehr fühlt auf all den glatten Oberflächen, kann das Kino eine Erfahrung von  Körperlichkeit bieten. Kann es? Es gab immer auch schon die gegenteilige Ansicht, vertreten von den klügsten Menschen ihrer jeweiligen Länder: Das Kino als Ausdruck oder Spiegel der Erfahrung des Alltags. Ich fand diese Ansicht zwar nachvollziehbar im Kontext der Industrialisierung, aber dennoch ignorant, da sie das Begehren verschluckt. Das Kino ist die Nacht, die schöner ist als dein Tag.

La vie nouvelle

Überlegungen zur Distanz hängen an mehreren Faktoren. Da wäre zum einen die moralische Frage. Eine Nahaufnahme, das hätte man auch schon vor Jacques Rivette wissen können, trägt in sich das Potenzial zur Obszönität. Sie kann Entblößen, sie kann vergewaltigen, sie kann sich an etwas freuen, wo sie eigentlich leiden müsste. Das gilt für alle Einstellungen, die Nahaufnahme ist nur die expressivste. Als Filmemacher zu behaupten, dass man – wie zum Beispiel Grandrieux in Sombre – in die Erfahrungswelt eines Mörders eindringen kann mit der Kamera, ist gefährlich. Es ist aber zugleich utopisch im Sinn eines vergessenen Wollens von Jean Epstein. Die Kamera wird dann zu etwas anderem, man hat sie haptisch genannt. Die Distanz scheint zu verschwinden und in diesem Verschwinden sammeln sich die Tränen eines unerreichbaren Begehrens, das wiederum an die Distanz erinnert. Schrecklich ist es dagegen und aus ethischen Gründen nicht duldbar, wenn das Überwinden der Distanz zum Gimmick wird. So verhält es sich im gefeierten Saul fia von László Nemes. Dieser Film ist ein Affront gegen die Moral des Kinos und es ist ein derart durchdachter Angriff, dass einem ganz übel wird vor lauter Haltlosigkeit. Die Überwindung der Distanz erzählt oder vermittelt hier genau was? Es ist eine Behauptung, die sich hinstellt und sagt: So hat sich das angefühlt, angehört in einem Konzentrationslager. Eine solche Behauptung ohne Zweifel abzugeben, ist ziemlich lächerlich. In Verbindung mit einer zutiefst allegorischen Geschichte wird der Stil dann tatsächlich zum Gimmick, denn am Ende geht es hier nicht um die Erfahrung, sondern um die Moral. Man könnte sagen, dass die Idee des Films ist, dass gerade aus dieser Erfahrung die Wichtigkeit einer solchen Moral entsteht, dann würde man aber übersehen, dass sowohl die Erfahrung als auch die Moral im hohen Grade fiktional sind in diesem Film, es also einen Rückschluss von Lüge zu Lüge gibt, der sich als Wahrheit ausgibt. Das ist natürlich in Ordnung für ein unterhaltsames Kino, aber ist es in Ordnung für einen Film über ein Konzentrationslager?

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Ein weiterer Faktor der Distanz ist die Effektivität und Notwendigkeit. Chaplin ist und bleibt das Überbeispiel für einen Filmemacher, bei dem die Kamera immer richtig zu stehen scheint. Es geht dabei nicht unbedingt um eine erzählerische Effektivität, sondern auch um jene des Blicks, des Lichts der Nacht. David Bordwell hat diesbezüglich sehr viel über Hou Hsiao-hsien nachgedacht, bei dem die Distanz einen anderen Blick ermöglicht und kombiniert mit Licht, Ton, Bewegungen der Figuren und Kamera eine eigene Form filmischen Erzählens offenbart, die eben nur aus dieser Entfernung oder sagen wir: nur aus einer Entfernung möglich ist. Damit zeigt sich auch, dass Distanz nicht nur an der Notwendigkeit hängt, sondern auch am Potenzial. Viktor Kossakovsky ist ein Filmemacher, der sich in seinen Arbeiten immer langsam nähert, der immer aus einer Distanz beginnt. Es geht dabei nicht nur um einen Respekt vor den Menschen, die er da filmt, sondern auch darum, dass erstens in einer Totale mehr Spielraum für Bewegung herrscht und die Totale auch immer die Möglichkeit des Näherns in sich trägt. dasselbe gilt natürlich andersherum, doch scheint mir das Potenzial des Näherns zärtlicher, als jenes einsame Potenzial des Entfernens, das dennoch oder deshalb einen berührenden Effekt haben kann. Hou hat einmal gesagt, dass er sich selbst in dieser Distanz spürbar machen kann. Pasolini hat darüber geschrieben. Das spannende jedoch, so scheint mir, passiert immer dann, wenn diese Distanz entweder wie im Fall von Michelangelo Antonioni oder des jungen Jean-Luc Godards die Weltwahrnehmung der Figuren spiegelt oder eben, wie im Fall des späteren Godards, Costas oder Straub&Huillets die Problematik der Objektivität, der Ethik zu einem Teil der Effektivität macht. Was aber, wenn ein Filmemacher diese Übersicht, die auch ein Gewissen ist, über Bord wirft. Der diese Woche verstorbene Zulawski ist ein Beispiel für den Versuch dieser Überwindung zwischen Körperlichkeit, Handkamera-Nähe, Blicken in die Kamera und Schreien die das Mikrofon überrumpeln. Doch ganz ähnlich wie bei Hou scheint er dadurch auch eine erzählerische Distanz zu gewinnen. Es ist der Auftritt von Paranoia statt Nostalgie, der Glaube an Liebe/Lust statt Gleichgültigkeit/Entfremdung. Auch Zulawski ist auf der Suche nach einem Versprechen und einem Begehren: Das Leiden auf Film greifbar machen statt nur zu beobachten wie es nicht greifbar ist, sich auflöst, sich ausbreitet. Damit entstehen die Bewegung von Distanz und großer Nähe aus demselben Verlangen. In beiden liegt die Sinnlichkeit einer anderen Wahrnehmung und so beginnen sich die Entfremdung und die Lust zu vermischen. Ein Filmemacher, der nahezu in Perfektion im Zwischenspiel aus Immersion und Distanz arbeitet, ist Apichatpong Weerasethakul. In seinen jüngeren Werken fühlt man sich zunächst oft aus kühler Entfernung beobachtend bis man in einen Sog fällt, der jenen der Figuren spiegelt. Ganz ähnlich verhält es sich mit Il deserto rosso von Michelangelo Antonioni.

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Einer der offensichtlichen Folgen dieses Gefühls des Verschwindens mit dem unbedingten Wunsch des Spürens, der sich nicht sicher ist, ob er die Sache selbst oder ihr Sterben spüren will (das gilt gewissermaßen schon immer und seit seinem Tod besonders für das Kino) oder kann, ist Dekadenz. Der genuine Filmemacher unserer Zeit und legitimer Nachfolger von Luchino Visconti diesbezüglich ist Bertrand Bonello. Das liegt nicht nur daran, dass seine Stoffe wie in L’Apollonide – Souvenirs de la maison close oder Saint Laurent ganz offensichtlich mit Dekadenz gefüllt (oder sollte man sagen: entleert) sind. Bei ihm ist es schwer, zwischen Distanz und Eintauchen zu unterscheiden. In einer beeindruckenden Montagesequenz in seinem Saint Laurent, in der in einem Splitscreen die jeweiligen Kollektionen von Saint Laurent mit gleichzeitigen politischen Ereignissen und Katastrophen explosiv kombiniert werden, verbindet er eine politisch motivierte Kritik mit der musikalisch provozierten völlige Hingabe in diese Schönheit und Ignoranz. Es gibt Autoren, die über das Kino schreiben, die ganz ähnlich arbeiten. Sie versuchen das Empfinden in Worten auszudrücken (völlig hilflos, natürlich) und zugleich eine kritische Distanz zu wahren. Ich gehöre wohl auch dazu. Man könnte eine Frage an das Kino stellen, die da lautet: Wie sieht ein Kino denn ohne Distanz aus? Die Antwort wäre wohl: Das ist kein Kino. Dennoch ist ein andauernder Aufschrei nach einem naiven Fühlkino zu vernehmen. Es ist ein bisschen paradox, schließlich fühlt man auch oder gerade aus der Distanz. Soll man die Leinwand einreißen? Manchmal habe ich den Eindruck, dass in dieser Forderung, diesem Verlangen eher das Absterben der eigenen Gefühle im Kino betrauert wird. Doch je weiter man in Filme eintaucht, desto mehr droht man sich emotional von ihnen zu entfernen. Das Gegenteil ist eine Behauptung.

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Ein dritter Faktor der Distanz ist jene Bild-Qualität des Kinos, die dazu führt, dass Godard basierend auf prägenden Überlegungen Jerry Lewis mit einem großen Maler vergleicht. Der Film als Bastard-Kunst behauptet in der Distanz oft seine Nähe zu Malerei (in der Nähe jene zur Musik?) und zu dem, was viele als Essenz bezeichnet haben, die Fähigkeit zur Aufnahme/Beobachtung von bewegter Realität. Distanz fühlt sich neutraler an. Letztlich ist sie aber nur neutraler, wenn sie sich als Distanz offenbart. Ein gutes Beispiel dafür sind Oberflächen. Seien es Türen, von denen Costa gerne spricht, Seidenvorhänge bei Hou, der Off-Screen bei Renoir oder Puiu, die Sprachlosigkeit beim frühen Bartas, die Unschärfe bei Ceylan oder hunderte andere Beispiele…hier werden Filter vor unseren Blick geschoben, die uns die Distanz, die Perspektive als solche bewusst machen. Hier findet sich vielleicht auch ein Problem des meist gefeierten Michael Haneke. Denn die Sprache des kühlen Riegels, der sich vor die Emotion spannt, ist prinzipiell eine, die in dieser Tradition der Distanz steht, nur gewinnen die oben genannten Filmemacher aus ihrer Distanz und aus diesem Riegel eine neue Zärtlichkeit, jene der Oberflächen, die dann wiederum eine Verwandschaft aufweist zur extremen Nähe, zum Fühlen der Oberflächen etwa bei Claire Denis, in deren Kino Haut knistert wie ein brennender Baum. Bei Haneke ist eine Tür eine Tür. Das ist natürlich keineswegs negativ, aber manchmal scheint es, als würde die Tür wirklich nur im Weg stehen während sie etwa bei Costa selbst eine Bedeutung hat. Und in diesem Sinn ist die Tür eben bei Costa eine individuelle Tür, während sie bei Haneke nur die Idee einer Tür repräsentiert. In Costas Fall ist die Kamera ein Sensor, der alles sieht, selbst wenn er nicht kann, bei Haneke ist sie ein Sensor, der limitiert ist, obwohl er alles sieht. Costa gewinnt aus der Limitierung, aus der Krise eine Poesie (man vergleiche damit auch den Dialog über die Schatten und Geschichten an den Wänden in Juventude em Marcha, in dem Ventura und eine Tochter sich über die neugestrichenen Wände in den neuen Wohnungen beschweren, weil diese keinen Platz mehr lassen für die Illusion) während Haneke – und das macht einen Teil seiner Attraktivität aus – darin eine Verneinung, eine Desillusion findet. In diesem Sinn ist die Distanz von Costa nichts anderes als die Nähe von Denis. Es sind individuelle Perspektiven, die etwas objektives sichtbar machen. Jean Epstein hat an den Blick der Kamera selbst geglaubt. Könnte man dahin zurück?

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Ein brachiales Fühlkino, was soll das eigentlich sein? Man denkt schnell an aufgesprungene Grenzen, Farbexplosionen, eine Bedingungslosigkeit, die sich weder technischen, noch kommerziellen, noch filmtheoretischen Überlegungen beugt. Man denkt an eine Entfesselung des Blicks, der sich nicht mehr an das Prinzip der Natur klebt, sondern durch die kinematographischen Räume flirrt, schwirrt und geistert, unbeeindruckt voller Eindrücke, der Unsichtbares komplett sichtbar macht und Sichtbares frisst. Schnell ist man in der Avantgarde bei Filmemachern wie Paul Sharits. Dieses Kino ist ein Traum, der sich am ehesten in der Distanz zwischen seiner Illusion und diesen Gefühlen offenbart, er wird also realistisch, wenn man sich auf die Distanz selbst fokussiert. Denn wenn man eines bei den großen Filmemachern des (zeitgenössischen) Kinos beobachten kann, ist es ihre Fähigkeit das „Dazwischen“ zu filmen. Zwischenzustände zwischen Leben und Sterben, zwischen Dokument und Fiktion, Gegenwart und Vergangenheit, Stillstand und Bewegung, Flüstern und Schreien, Zeit und Zeitlosigkeit, Nostalgie und Hoffnung, Wut und Ohnmacht, Liebe und Müdigkeit, Verbitterung und Enthusiasmus, das Außen und Innen. Wie filmt man den Tonfall von Flaubert? Wie filmt man einen Trinkspruch von Orson Welles („Here is to character!“)? Wie filmt man, das man nichts mehr filmen kann? Ein Gefühl, dass das Kino nicht mehr notwendig ist. Man fühlt entweder die Geschichte und/oder das, was sich vor der Kamera abspielt oder die Kamera selbst, am besten beides zugleich, weil es nicht unabhängig voneinander existieren kann. Man fühlt den Gedanken, sei er politisch, moralisch oder dramaturgisch einer Einstellung und denkt das Gefühl einer Träne, die die Hauptdarstellerin weint und die von der Kamera tropfen muss.

Noirot

Doch die Kamera kann auch gleichgültig sein. Wenn bei Moses und Aaron von Straub/Huillet die eiternde Leprahand im Bild ist, spürt man gerade in der Gleichgültigkeit eine Sinnlichkeit. Bruno Dumont hat diese Gleichgültigkeit immer weiter gesteigert bis er selbst/selbst er den Humor darin gefunden hat. Das Fühlen einer Gefühlsabwesenheit. Das Ausdrücken dessen, was man nicht ausdrücken kann. Das Kino bleibt eine Sehnsuchtsmaschine. Relativ, weil sie zwischen den Bildern agiert, absolut, weil sie in den Bilder dazwischen existiert, maschinell, weil sie technisch hergestellt wird, eine Sucht, weil sie immer wieder sehen muss, immer wieder verlangt, Verlangen sichtbar macht. Das brachiale Fühlkino gibt es nicht. Es ist das notwendige Potenzial des Kinos. Ohne die Idee eines „Mehr“, ohne die Idee eines „Anders“ gibt es keine Kinokultur. Das große Problem des Kinos ist dann, dass heute dieses „Mehr“ und „Anders“ oft in eine Vergangenheit rückt beziehungsweise in ein für den normalen Kinogänger unsichtbares Kino. So transformiert sich diese Distanz in eine Frustration, die mit dem Slogan „Das Kino ist tot.“ schon seit Jahrzehnten ihren philosophischen Schlusspunkt erlebt hat. In dieser Ohnmacht herrschen subjektive Wahrheiten, weil alles andere fatal wäre, es herrscht ein Krieg der Anerkennung, eine Profilierungssucht von Menschen, die allesamt ums Überleben rennen und dabei so tun als würden sie lieben. Manchmal weiß man nicht, ob Filmemacher wirklich an ihr Kino glauben und Kritiker wirklich an ihre Meinung. Sie schreien: „Das Kino lebt!“, und präsentieren ihre filmische oder intellektuelle Sicht auf Dinge mit einem Minimum an Zweifeln, die sie ja durch Recherche, Arroganz, Notwendigkeiten ignorieren können. Sie spielen eine Rolle und offenbaren dadurch, dass das Kino nicht fühlt oder blickt, sondern nur spielt. Es ist normal und schrecklich. Das brachiale Fühlkino gibt es nicht. Es ist Pornografie. Nicht des Blicks, sondern der Macher und Schauenden.

Teorema4

Am Ende spricht das Kino trotz aller gegenteiligen und tröstenden Versuche nur zu einem selbst. Das Irreale wird in solchen Momenten für einen Augenblick real.Dann gehen wir ans Set und bereiten eine Nahaufnahme vor. Was wird man sehen? Darf man noch etwas sehen? Der Versuch ist ein Verbrechen. Man muss sich bewusst machen, dass eine Nahaufnahme entweder ein Verbrechen ist oder ein Liebesakt. Bernardo Bertolucci hat einmal über seine erste Begegnung mit Pier Paolo Pasolini erzählt. Er war im Haus seiner Familie und jemand hat geklingelt. Vor der Tür stand ein junger Mann, der wie ein Arbeiter an einem Sonntag gekleidet war. Der Mann sagte, dass er gerne den Vater sehen würde. Etwas an seinem Blick, hat Bertolucci glauben lassen, dass dieser Mann ein Dieb sei, der geklingelt hatte in der Hoffnung, dass niemand dort sei und der dann eingebrochen wäre. Bertolucci ging zu seinem Vater und sagt ihm, dass ein komischer junger Mann vor der Tür stand. Der Vater sagte ihm, dass das ein großer Poet sei.