Dossier Beckermann: Film Lektüre

Ruth Beckermann hg. v. Alexander Horwath und Michael Omasta

Nur wenige Wochen nach der englischen Übersetzung von Alain Bergalas L’hypothèse cinéma folgte die neunundzwanzigste Publikation der Schriftenreihe des Österreichischen Filmmuseums zum filmischen Werk von Ruth Beckermann (Band Nummer Dreißig über Robert Beavers ist bereits für März dieses Jahres angekündigt).

Zumeist widmen sich die Bücher des ÖFM Filmschaffenden, über die bis zu diesem Zeitpunkt nur wenig publiziert wurde. So ist auch das neue Buch tatsächlich die erste Publikation, die sich alleinig dem Filmschaffen Ruth Beckermanns widmet. Nach dem kürzlich erschienenen Band zu Nikolaus Geyrhalter kann man darauf hoffen, dass die Aufarbeitung der österreichischen Dokumentarfilmszene weiter zügig voranschreitet.

Das Buch versammelt eine bunte Sammlung an Textgattungen. Zum einen wird Beckermanns Werk in mehreren Essays systematisch ergründet – vor allem Bert Rebhandls Beitrag ist hier hervorzuheben, als Versuch die zentralen Fluchtlinien ihres Oeuvres zu erfassen –, andere Beiträge stammen von teils langjährigen Wegbegleitern der Filmemacherin, ein langes Interview mit Beckermann und einige Auszüge aus Produktionsnotizen, Drehtagebüchern und eine kleine Sammlung fotografischer Arbeiten runden den Band ab. Der Textmischung geschuldet, liest sich das Buch sehr anekdotisch und gewährt tiefe Einblicke in die Biographie Beckermanns. Angesichts der biographisch motivierten Sujets ihrer Filme macht das durchaus Sinn und erhöht darüber hinaus das Lesevergnügen (zumal Autoren wie Christoph Ransmayr, Armin Thurnher oder Ina Hartwig ihre Prosa beherrschen), am Ende wünscht man sich dann aber doch einen Ticken weniger triviales Geplauder und Produktionshintergründe und dafür zusätzliche analytische Perspektiven. Wohlgemerkt ist das Kritik auf hohem Niveau, denn vor allem das Interview mit der Filmemacherin (geführt von den Herausgebern Alexander Horwath und Michael Omasta) entpuppt sich als Schatztruhe voller Einblicke in die Denk- und Filmwelt Beckermanns.

Man war offensichtlich bemüht Beckermanns Schaffen chronologisch in Etappen zu vermessen. Nach dem eröffnenden Essay von Bert Rebhandl, der sich dem Werk als Ganzes widmet, folgt die Reihung der Beiträge der chronologischen Abfolge der Filme. Rebhandls Text versammelt die wichtigsten Lebensstationen Beckermanns und gibt eine grobe Orientierungshilfe über die zentralen Merkmale ihres Filmschaffens. In Bezug auf Die papierene Brücke schreibt er Beckermann entwickle „eine Art Poetologie des dokumentierenden Blicks, der in seiner gebrechlichen Medialität die Zeit- und Verlusterfahrungen eingeschrieben hat, die er doch aufzuheben versucht“ – eine Bestandsaufnahme, die eigentlich ihr gesamtes filmisches Werk treffend charakterisiert.

Die papierene Brücke von Ruth Beckermann

Die papierene Brücke von Ruth Beckermann

Auf diesen Parforceritt durch vierzig Jahre Filmpraxis folgen kürzere Texte, die episodisch ein detaillierteres Bild zeichnen. So schreibt Armin Thurnher über die Zeit der Arena-Besetzung und der politisch motivierten Künstlergruppierungen, die dort entstanden, darunter der von Beckermann mitgegründete Filmverleih Filmladen und die ersten (teil-)kollektivistisch entstandenen Filme Beckermanns. Der Schriftsteller Christoph Ransmayr berichtet von den politisch-intellektuellen Kreisen, die Beckermann in den 70ern und 80ern frequentierte. Christa Blümlinger, Cristina Nord und Jean Perret bieten Analysevorschläge zu einzelnen Filmen und Formenelementen der Filme aus den 80ern und 90ern; dazwischen Recherchematerial, Drehtagebücher und Produktionsnotizen zu einzelnen Filmprojekten aus diesen Jahren. Blümlinger zielt in ihrem Beitrag insbesondere auf die genaue dokumentarische Vermessung der Erinnerungsschichten eines ganzen Landes, die Beckermann ab Wien retour unternimmt. Dabei berücksichtigt sie Erkenntnisse von Historikern, Sozialwissenschaftlern und Filmpraktiker der letzten dreißig Jahre (Koselleck, Friedländer, Hilberg, Lanzmann, Didi-Huberman, Lindeperg). Cristina Nord konzentriert sich in ihrem Beitrag auf das Motiv der Bewegung: Assoziative Montagestrategien, das komplexe Verhältnis von Bild und Ton, sowie wiederkehrende Kamerabewegungen versuchen eine Form von Zugriff auf die Vergangenheit zu ermöglichen. Beckermann stifte „ein Verhältnis zwischen dem Sichtbaren und dem in der Zeit Versunkenen. Das eine tritt mit dem anderen in Austausch und Reibung, es entsteht eine produktive Unruhe.“ Jean Perrets kurzer Text widmet sich ausschließlich Jenseits des Krieges und fasst auf knappen drei Seiten das besondere Verhältnis der Kamera zu ihren Protagonisten in diesem Film zusammen. Beckermanns jüngste Arbeit, Die Geträumten wird gleich mit zwei Beiträgen honoriert und Olga Neuwirth kommt über ihre Zusammenarbeit mit Beckermann für die Installation The Missing Image zu Wort, bevor Beckermann in einem Text über ihr aktuelles Filmprojekt zur die Waldheim-Affäre und im obengenannten Interview Rückschau hält.

Ist dieses Buch eine wichtige Publikation, um die Sichtbarkeit von Beckermanns Filmschaffen zu erhöhen? Ist es eine wertvolle Ressource, um Produktionshintergründe und biographische Aspekte ihres Werks besser zu verstehen? Auf jeden Fall. Bei aller Begeisterung für die Fülle an persönlichen Einblicken, für die Öffnung nach außen, die oft zu berührenden Lektüremomenten führt, fühlt sich das Buch am Ende merkwürdig unabgeschlossen an. Letztendlich ist das Buch eine exzellente Einführung in das Werk Ruth Beckermanns und eine fragmentarische (Auto-)Biographie, dem der analytische Tiefgang anderer Publikationen des ÖFM (Hou Hsiao-hsien, Olivier Assayas) abgeht.

Dossier Beckermann: Orientalismus (Ein flüchtiger Zug nach dem Orient)

Ein flüchtiger Zug nach dem Orient von Ruth Beckermann

Ein flüchtiger Zug nach dem Orient von Ruth Beckermann

„Ich will zu Schiff die Meere durchkreuzen, ein weiblicher Fliegender Holländer, bis ich einmal versunken und verschwunden bin.“ (Elisabeth von Österreich)

Es existieren keine Fotografien oder Porträts der vorletzten österreichischen Kaiserin Elisabeth, auch Sisi genannt, die nach ihrem einunddreißigsten Lebensjahr angefertigt wurden. Was heute für eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens undenkbar scheint, geht auf eine bewusste Entscheidung der Kaiserin zurück. Das Bild ihrer legendären Schönheit sollte bewahrt bleiben, und nicht ihr Altern für die Nachwelt dokumentiert werden. Die zweite Lebenshälfte der Kaiserin ist durch ihre zunehmende Abschottung von der Öffentlichkeit geprägt und durch ihre fluchtartigen Reisen, die sie quer durch Europa geführt haben. Eine Rekonstruktion dieser Zeit gestaltet sich schwierig, da Sisi es vermieden hat aufzufallen und grundsätzlich inkognito reiste. Spärliche schriftliche Aufzeichnungen wie die Reisetagebücher der Kaiserin und ihrer Begleiter müssen genügen, um sich ein Bild von den Unternehmungen und vom Seelenleben Sisis zu machen. In einer ironischen Wendung des Schicksals hat diese spärliche Quellenlage den Mythos und das Interesse an der öffentlichkeitsscheuen Kaiserin erst recht befeuert.

Das Leben Sisis wurde filmisch unzählige Male aufgearbeitet – am publikumswirksamsten durch die Sissi-Trilogie mit Romy Schneider – doch meist handeln diese Filme von ihrer Jugendzeit. Ruth Beckermann interessiert sich in Ein flüchtiger Zug nach dem Orient hingegen für jene Jahre, in denen sich Sisi aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte und macht sich auf eine (filmische) Spurensuche. In gewisser Weise sieht sie in der Kaiserin eine Art Seelenverwandte. Beide Frauen haben durch Reise versucht ihre eigene Geschichte und ihr eigenes Selbst zu finden, Sisi flüchtete vor dem strengen Protokoll am Hof und familiären Tragödien, Beckermann versucht die prägende Tragödie des 20. Jahrhunderts aufzuarbeiten und ihre eigene Familiengeschichte zu entwirren. Auf den Spuren von Elisabeths Orientreise begibt sich die Filmemacherin nach Kairo und versucht dort der Stadt, ihren Bewohnern und auch der Kaiserin näherzukommen. In langen, unaufgeregten Travelings filmt sie die belebten Straßen Kairos, die Basare, Hotels und Gärten. Beckermann macht dabei nicht den Versuch konkrete Orte wiederzufinden, sondern nimmt das Kairo der späten 90er bewusst als einen anderen Ort wahr, als jene britische Kolonialstadt, die Sisi damals besuchte. Sie erschließt die Gassen und Plätze für sich selbst, versucht die Stimmung der Stadt einzufangen. Welche Wirkung mag das arabische Flair auf die Kaiserin gehabt haben? Ist es eine ähnliche Wirkung, wie Beckermann sie über hundert Jahre später spürt?

Ein flüchtiger Zug nach dem Orient von Ruth Beckermann

Während also die Filmbilder ein Porträt der Stadt in der Gegenwart zeichnen, dringt Beckermann im von ihr selbst eingesprochenen Kommentar in die Vergangenheit ein. Dieses Auseinanderdriften von Bild und Ton in Gegenwart und Vergangenheit ist eine wiederkehrende Strategie in Beckermanns Filmen: Man denke nur an den Briefwechsel zwischen Paul Celan und Ingeborg Bachmann in Die Geträumten, der von Schauspielern ins Jetzt geholt wird, oder an die Erinnerungen aus dem Krieg, die in Jenseits des Krieges ganz ohne den Einsatz von Archivmaterial präsentiert werden. Beckermann fungiert dabei nicht als Chronistin Sisis, sondern eher als Kartographin ihrer Gefühlswelt. Mithilfe von Briefen, Tagebüchern, Gedichten, Erfahrungsberichten und Reiseaufzeichnungen versucht sie die Antriebe, Wünsche und Sorgen der Kaiserin zu erforschen. Immer klarer wird die Faszination, die Sisi auf Beckermann ausübt und der sie auf den Grund gehen will. Ein flüchtiger Zug nach dem Orient ist zweifellos ein sehr persönliches Projekt für die Filmemacherin, obwohl der Film auf den ersten Blick weniger mit ihrer eigenen Identität oder Geschichte zu tun hat, als beispielsweise Die papierene Brücke oder Nach Jerusalem. In einer doppelten Bewegung versucht sie diese andere, längst tote, Frau zu verstehen, aber auch sich fernab der Heimat selbst näherzukommen. Ihre eigene Reise soll nicht Sisis Reisen in den Orient nachzeichnen, sondern sie unternimmt den Versuch ein Gefühl zu evozieren, was Sisi zu und auf diesen Reisen bewegt haben könnte – deshalb bleibt der Film über seine Bilder stets in der Gegenwart verankert. Schließlich hinterfragt Beckermann, warum es denn überhaupt eine solche Reise in die Fremde braucht, um sich selbst zu finden. In der Praxis des Selbstfindungstrips erkennt sie das gefährliche, (neo-)kolonialistische Spiel mit dem Exotischen. Zwar hat sie den europäischen Kontinent hinter sich gelassen, aber nicht die westlichen Projektionen auf die Fremde. Mit ihrer Flucht vor den Konventionen des Hoflebens in die verruchte Wildheit des Orients, reproduzierte Sisi gängige Vorstellungen und Konstruktionen über das Land und seine Menschen. Selbstkritisch erkennt auch Beckermann ihren Film als Spiel mit dem Orientalismus, die vielleicht entscheidende Erkenntnis ihrer Spurensuche ist also die Feststellung, dass man seiner eigenen Identität und Vergangenheit, und somit auch seiner kulturellen Sozialisierung, nicht entfliehen kann.

Dossier Beckermann: Am Anfang der Krieg (Jenseits des Krieges)

Jenseits des Krieges von Ruth Beckermann

Jenseits des Krieges ist in der offiziellen Filmographie der österreichischen Filmemacherin Ruth Beckermann als ihr siebenter Film angeführt. Zwanzig Jahre lang war Beckermann zu diesem Zeitpunkt bereits dabei die soziale und politische Geschichte Österreichs zu erforschen. Grob lässt sich Beckermanns Werk in drei Interessensfelder gliedern, die ineinander fließen: Judentum, Politik, Familie. Der Zweite Weltkrieg als einschneidendes Ereignis des 20. Jahrhunderts bringt diese drei Bereiche zusammen, weshalb er Beckermann in vielen Filmen als Ausgangspunkt dient. Ihre eigene (jüdische) Identität, ihre Familiengeschichte ist eng mit dem Krieg und dem Holocaust verknüpft, gleichzeitig ist Politik, und das machen ihre Filme deutlich, als gesellschaftliche Praxis bis heute stark durch die NS-Zeit, den Krieg und ihre Folgen geprägt. Beckermann interessiert sich dabei weniger für historische Quellenforschung, als für die Interaktion von Damals und Heute. Die historische Analyse wird immer an die Gegenwart rückgebunden, dementsprechend oft handeln ihre Filme von Rückkehr und Vergangenheitsbewältigung, sowie von Projektionen von Geschichtsverläufen auf das aktuelle politische Geschehen.

Dieser Text steht am Anfang einer geplanten Reihe zum Werk von Ruth Beckermann. Womöglich wäre es angebrachter gewesen dieses Projekt mit einem Text zu Die papierne Brücke zu beginnen, Beckermanns filmischer Aufarbeitung ihrer Familiengeschichte; oder aber chronologisch vorzugehen und ihre früheste Arbeit Arena besetzt an den Anfang zu stellen; ihr vielleicht poetischster Film (und einer meiner persönlichen Favoriten) Wien retour versammelt in den Erzählungen des Juden, Sozialisten und Rückkehrers Franz West mehrere zentrale Motive ihres Filmschaffens und hätte sich ebenfalls als Einstieg angeboten. Mit Jenseits des Krieges habe ich jedoch einen Film gewählt, der weniger paradigmatisch ist, einen Film, der sehr kleinteilig die Geschichte und die Volksseele Österreichs zu rekonstruieren versucht, und der nicht zuletzt vor allem durch seine formale Reduktion und Kompromisslosigkeit hervorsticht. Ausgehend von diesem mikrokosmischen Film möchte ich mich in den nächsten Wochen und Monaten weiter mit dem Werk Ruth Beckermanns beschäftigen, die für mich in ihrer filmischen Haltung, in der Klarheit ihrer Argumentationsführung und in der Konsequenz ihrer Werke zu den zentralen Gestalten der österreichischen Filmwelt zählt.

Jenseits des Krieges von Ruth Beckermann

„Da sind sie wieder, die Männer, die ich vor zehn Jahren während des Waldheim-Wahlkampfes drehte. Ich kann sie nicht mehr hören. Ich will ihnen nicht das Wort geben.“

1995 findet in Wien eine Ausstellung zu den Kriegsverbrechen der Wehrmacht statt. Mit einiger Verspätung hatte in den Achtzigern, befeuert durch die Waldheim-Affäre, die Aufarbeitung der NS-Zeit in Österreich Fahrt aufgenommen. Ruth Beckermann war damals schon als Filmemacherin aktiv, hatte sich zur Zeit der Proteste gegen Waldheim unter die Demonstranten begeben und Material gefilmt, dass sie zum Teil für Die papierne Brücke verwendete. Diese Aufnahmen zeigen Ewiggestrige, die sich gegen eine Aufarbeitung der Vergangenheit und gegen jede Form von Kritik an Waldheim stellen – der Schluss liegt nahe, dass sie selbst etwas zu verbergen haben. Knapp zehn Jahre später bietet die obengenannte Ausstellung Gelegenheit sich eingehender mit dem Verhältnis der Österreicher zu ihrer Vergangenheit zu beschäftigen. Die papierne Brücke hat gezeigt, dass der Antisemitismus in Österreich weiterhin lodert und dass eine umfassende Entnazifizierung (wenn überhaupt) nur auf dem Papier stattgefunden hat. In Jenseits des Krieges geht Beckermann einen Schritt weiter, konfrontiert noch einmal „die Männer, die ich vor zehn Jahren während des Waldheim-Walkampfes drehte“ und befragt sie nach ihren Erfahrungen, versucht zu erörtern, weshalb eine Aufarbeitung der Vergangenheit nicht in deren Interesse liegt.

Spartanisch macht sich Beckermann ans Werk. In den Ausstellungsräumen selbst trifft sie auf die Besucher, sucht nach Zeitzeugen und befragt sie vor laufender Kamera. Nie entfernt sich die Kamera von den Menschen, ein paar Mal schwenkt sie zwischen unterschiedlichen Gesprächspartnern, die Ausstellungsobjekte sieht man nur fragmentarisch und unscharf im Hintergrund. Die gealterten, eingefallenen Gesichter der Weltkriegsveteranen erscheinen meist in Großaufnahmen, wie man sie aus Fernsehreportagen kennt; das grelle Museumslicht und das harte Weiß der Wände lässt die Bilder oftmals schlampig und verschwommen wirken; auf technische Brillanz wird hier bewusst zugunsten von Unmittelbarkeit verzichtet. Über ein Monat drehte Beckermann im Herbst 1995 in den Ausstellungsräumen, für den Film konzentrierte sie ihr Material auf knapp zwei Stunden, die ganz ohne Übergänge, ohne (Ab-)Lenkung und ohne Kommentar auskommen. Der Film ist ein kompromissloses Kondensat von Bitterkeit, Trauer und Ambivalenz und dabei vielschichtiger und weniger einseitig, als man das angesichts der oben zitierten Produktionsnotiz vermuten würde. Neben den Alt-Nazis und Apologeten der Wehrmacht trifft Beckermann auch auf jüdische Kriegsopfer, auf ehemalige Soldaten, die sich ihrer Mitschuld sehr wohl bewusst sind und auf solche, die sich nach fünfzig Jahren mit Grauen fragen, wie es damals dazu kommen konnte, und wie man das verhindern hätte können, aber glaubhaft vermitteln, dass ihnen bis heute die Antwort auf diese Fragen fehlt. Wenn es in Die papierne Brücke noch so schien, als wäre die Welt einfach in unverbesserliche Ewiggestrige und reuige Aufgeklärte aufzuteilen, so zeichnet Jenseits des Krieges ein ganz anderes Bild.

Jenseits des Krieges von Ruth Beckermann

„Zwischen Verhör und Mitleid. Ich muss mir den kalten Blick bewahren. Wie filmt man Feinde?“

Formal-ästhetisch und dramaturgisch macht Beckermann keinen Unterschied zwischen den Rechtfertigungen der Einen und den Selbstvorwürfen der Anderen. Auch deshalb lassen sich manche dieser Interviews nur schwer einer der beiden Kategorien zuordnen. Im ersten Moment klingt manches wie ein Schuldgeständnis und endet in einer Beteuerung nichts gewusst und gesehen zu haben. Diese altbekannten Ausreden erregen die Gemüter, nicht nur des Zusehers, sondern auch die der anderen Besucher. Vor allem die Ausflüchte auf die Verbrechen der Roten Armee, die gegen jene der Deutschen Wehrmacht aufgewogen werden, und die Beteuerungen des eigenen Unwissens stoßen anderen Besuchern oft sauer auf, die dazwischen gehen und Beckermanns Gesprächspartner ihrerseits zur Rede stellen. Die Interviews entwickeln sich dann zu Streitgesprächen und erzählen von einer tiefen Zerrissenheit im Inneren der österreichischen Gesellschaft. In diesen Momenten wird am stärksten deutlich, dass es eine mehrheitsfähige Masse gibt, die sich nicht mit Verdrängung und Verweigerung zufrieden gibt. In diesen Momenten schöpft man Hoffnung, dass kritische Reflexion eine Chance hat und große Teile der Bevölkerung ihr langes, peinigendes Schweigen beenden wollen. Oft, so scheint es, kommt mit Beckermann ins Gespräch, wer sich nach Katharsis sehnt – die Filmemacherin als Therapeutin –, zum Teil geht es ihren Gesprächspartnern lediglich um Selbstinszenierung. Es ist dennoch so wichtig, dass sie einen objektiven, kalten Blick bewahrt, dass sie verständnisvoll zuhört, wenn aufgebrachte Töchter das Ansehen ihrer Väter beschmutzt sehen, wenn alte Männer unter Tränen von ihren grausamen Erfahrungen berichten, oder wenn ehemalige Frontsoldaten alle Verantwortung auf die Hinterlandstruppen abschieben. Sie alle tragen dazu bei, ein Mosaik aus individuellen Erzählungen zusammenzusetzen: offensichtlich war nicht die Mehrheit der Wehrmachtssoldaten an Kriegsverbrechen aktiv beteiligt; offensichtlich ist es eher unwahrscheinlich, dass diese Kriegsverbrechen von den Soldaten nicht bemerkt wurden; offensichtlich können fünfzig Jahre Selbstbetrug und Verdrängung dazu führen, dass man sich tatsächlich keiner Schuld bewusst ist; offensichtlich ist die Überwindung des Kollektivtraumas NS-Zeit noch weit entfernt.