Lachendes, weinendes Auge: Café Society von Woody Allen

Café Society von Woody Allen

Mittlerweile (oder besser gesagt wohl seit mehr als fünfzehn Jahren) ist Woody Allen an einem Punkt in seiner Karriere angekommen, an dem man prinzipiell über jeden seiner Filme die selben Dinge schreiben kann (oder zumindest sehr ähnliche). Konstant erscheint Jahr für Jahr ein Film von ihm (kürzlich noch zusätzlich eine Serie für Amazon). Seine künstlerische Strahlkraft ist größtenteils verblasst, der mutige Erneuerer der amerikanischen Komödie, der Woody Allen von Annie Hall, Manhattan oder Zelig ist nicht mehr. Das alles ist hinlänglich diskutiert und selbst der größte Allen-Aficionado gibt heute klein bei, wenn man ihn mit dem wechselhaften Spätwerk des Regisseurs konfrontiert. Was sich Allen aber bei aller Kritik bewahrt hat, ist eine gewisse curiosity, die immer wieder aufblitzt. Einzelne Szenen, Momente, begraben unter den immer selben Figurenanordnungen, kauzigen Dialogen und verstaubten Erzählmustern, immer in Gefahr vom unachtsamen Zuseher übersehen zu werden. Man könnte jetzt wohl einwenden, dass man vermutlich in jedem Film einzelne Momente findet, die sich vom Gesamteindruck abheben und vielleicht ist dieser Artikel tatsächlich nur gutgemeinte Überinterpretation eines Sympathisanten, der nicht wahrhaben will, dass sich Woody Allens rezente Filme nicht vom Einheitstrott der restlichen US-Unterhaltungsindustrie abheben. Würde ich diesen Einwand akzeptieren, so könnte ich an dieser Stelle zu schreiben aufhören, besser noch, das bereits Geschriebene löschen und den alten Mann in Ruhe lassen. Aber ich will nicht ruhen. Wie ein unbeugsames gallisches Dorf thront in der Mitte von Allens neuestem Film Café Society eine Szene, die nicht nur für sich und im Kontext dieses Films von Bedeutung, sondern die mich auch besser verstehen hat lassen, was die besten Werke Allens auszeichnet.

Schwarzbild, ein jazziger Soundtrack, die immer gleiche Typographie, die immer gleichen Namen in den Opening Credits; der Beginn eines Woody Allen-Films ist wie ein Familientreffen, man fühlt sich sofort heimisch, man fühlt sich sofort wohl (Gefühle, die sich je nach Qualität des Folgenden unterschiedlich schnell verflüchtigen). Bobby Dorfman (Jesse Eisenberg), jüngster Spross einer mittelständigen New Yorker Familie kommt nach Los Angeles. Er wird wie so viele vom Glamour der Filmmetropole angezogen, möchte dort sein Glück versuchen und verhofft sich von seinem erfolgreichen Onkel Phil (Steve Carell) eine erste Starthilfe in der neuen Stadt. Phil ist glücklich verheiratet, hat sich aber dennoch mit seiner Sekretärin Vonnie (Kristen Stewart) eingelassen. Vonnie fällt auf Geheiß von Phil die Aufgabe zu Bobby in der Stadt herumzuführen. Es kommt wie es kommen muss: Bobby verliebt sich in Vonnie, Phil möchte seine Frau nach langem hin und her doch nicht verlassen, Bobby macht Vonnie nach einigen Monaten einen Heiratsantrag, Phil entscheidet sich just in diesem Moment doch für ein Leben mit Vonnie.

Um ihr seinen Sinneswandel mitzuteilen erscheint Phil an Vonnies neuem Arbeitsplatz – sie arbeitet als Garderobiere in einem angesagten Restaurant. Es ist ein dringlicher Besuch, denn Vonnie steht kurz davor mit Bobby nach New York zu gehen. Phil muss sie also an Ort und Stelle zurückerobern, sie davon überzeugen, dass er es ernst damit meint seine Frau zu verlassen. Ein Moment großer Romantik und großer Tragik. Man kennt diese Szenen, wenn Kavaliere zu großen Monologen ausholen, um ihr ganzes Inneres vor ihren Herzdamen auszubreiten. Phil ist ein Mann der großen Worte, doch ein Monolog bleibt ihm (zumindest in dieser Szene) verwehrt. Das Restaurant wird von unzähligen Bekannten frequentiert, die beruflich mit seiner Talentagentur zu tun haben und sich mit ihm zwischen Tür und Angel zum Lunch verabreden, kleinere Businessdeals verhandeln und Smalltalk führen. Es ist ein vertrauliches Zwiegespräch unterbrochen von Myriaden von Belanglosigkeiten. Der Moment großer Romantik mit Potenzial zur Tragik wird zur Slapstick-Farce. Dabei verliert keiner der Beteiligten die Fassung: Phil scheint schon so sehr an das Socialisen gewöhnt zu sein, dass es ihm auch in dieser Lebenssituation wie selbstverständlich vorkommt; Vonnie lässt sich von Phil nicht von ihrem Job abhalten; und die Restaurantgäste bemerken nicht, dass Phil eigentlich wegen der unscheinbaren Garderobiere hier ist.

Café Society von Woody Allen

Die Szene eckt an und das nicht nur auf inhaltlicher Ebene, wo die verschiedenen Gesprächsebenen ineinander verlaufen und sich Romantik, Tragik und Komik vermischen. Allen lässt seinen DOPs in der visuellen Gestaltung meist sehr viel Freiraum (daran ändert sich auch in Café Society, Allens erstem digital gedrehten Film, nichts). Dieses Vertrauen vergelten sie (in diesem Fall Vittorio Storaro) ihm oft mit ausgefallener Stilistik. Café Society ist bei weitem kein visuell herausragendes Werk, doch vor allem der Kontrast von weichem, goldenen Licht und harten Schatten weicht von der Norm ab (gerade in Anbetracht der Genretradition der amerikanischen Komödie, wo die Kamera oft weniger auffallend agiert und deshalb weniger in den Vordergrund rückt als z.B. im Western oder im Noir). Die speziellen Lichtverhältnisse sorgen auch in der Szene an der Garderobe für eine zusätzliche Pointierung. Auf dem Tresen der Garderobe ist eine kleine Lampe positioniert, deren steril weißes Licht für harte Konturen in den Gesichtern sorgt (und sich stark vom Großteil der Szenen in Kalifornien abhebt, die meist von übertrieben gelbgoldenem Licht durchflutet sind) und Carell erbarmungslos von der Seite anstrahlt. Unterhält er sich mit Stewart, so ist sein Gesicht halb im Licht, halb im Schatten, wendet er sich zu seinen anderen Gesprächspartnern wird er entweder frontal oder von hinten beleuchtet. Die zwiegespaltene Gesprächssituation wird, wenn man so will, in der Lichtsetzung gespiegelt. Stewarts Gesicht hingegen, wird beinahe engelhaft in Szene gesetzt, ihr blasser Teint durch das grelle, kalte Licht zusätzlich betont. Inmitten der schwarzen, weißen und beigen Tuxedos und den hellen Sommerkleidern sticht auch ihre Uniform in kräftigem Rot hervor. Sie ist der Mittelpunkt der Szene, steht sprichwörtlich im Spotlight, Carell ist ihretwegen hier, doch die Leute interessieren sich nur für ihn und nicht für die Hilfskraft an der Garderobe. Die Aufmerksamkeit des Zusehers wird auf Stewart gelenkt, während sie sich in der diegetischen Logik mit einer Nebenrolle begnügen muss. Aus dieser Widersprüchlichkeit zieht die Szene ihre Energie: aus dem Zusammenspiel einer dringlichen Lage und allerlei belanglosem Geplänkel, einem Auseinanderstreben von innerfilmischen Prioritäten und dem, was für die Protagonisten und die Zuseher im Mittelpunkt steht. Denkt man über diese Widersprüchlichkeit nach, dann findet man sie leicht auch in anderen Werken von Woody Allen. Die großen Fragen, die die Menschheit beschäftigen werden bei der Zubereitung eines Hummers oder in der Warteschlange vor dem Kino besprochen, während Morde und tödliche Unfälle einfach so nebenbei passieren. Allen war immer schon ein Meister im Spiel mit Erwartungshaltungen des Publikums und in Szenen wie dieser zeigt sich, dass er dieses Spiel nicht verlernt hat. Allens Filme sind immer dann am stärksten, wenn er Komik, Melodrama, Romantik und Tragik gleichberechtigt Seite an Seite stellt: Die große tragische Wendung von Café Society wird salopp, wie ein Gag abgehandelt. Zumindest für Allens Filme nach Annie Hall gilt zumeist, dass sie interessanter sind, wenn sie diese Strategie der Gleichberechtigung verfolgen, anstatt eines der Elemente dominieren zu lassen, wie zum Beispiel im vergleichsweise düstere Krimiplot in Cassandra’s Dream oder in der beschwingt-seichten Komödie To Rome with Love. Steve Carells großes Können im Timing seiner Pointen, eine gewisse formale Verspieltheit und ein großer erzählerischer Knoten, der quasi im Vorbeigehen gelöst wird, tragen dazu bei, dass die zentrale Garderobenszene in Café Society über den restlichen Film hinauswächst. Carell gelingt es nach einigem hin und her Vonnie zu überzeugen. Sie entscheidet sich für Phil und gegen Bobby, der nach New York zurückkehrt, wo er für seinen zwielichtigen Bruder einen erfolgreichen Nachtclub leitet. Der Film mündet in einem stillen melancholischen Abebben, das man bei Allen so in den letzten Jahren ebenfalls selten gesehen hat, ohne jedoch noch einmal ähnlich gekonnt Widersprüchlichkeiten zu inszenieren.

Filmfest Hamburg Diary: Tag 5 und 6: Walter Benjamin und die Schauspieler

James White von Josh Mond

Es gibt hier ein Kino, das heißt Passage – ich muss an Walter Benjamin denken.

Das kaum von Wolken getrübte spätsommerliche Wetter in Hamburg weicht unangenehmen, grauen Herbstwetter. Womöglich liegt das an meiner Ankunft, vielleicht weint der Himmel aber auch, weil Patrick im Begriff ist abzureisen. Im Land der Fischköpfe feiern wir bei einer wohlschmeckenden Folienkartoffel (Kumpir) Abschied. Patrick kehrt zurück nach Wien, mich zieht es nach Berlin (redaktionelle Expansion also). Bevor es soweit ist, führe ich aber das Filmfest-Tagebuch fort. Ein Kollektivtagebuch – würde das Walter Benjamin gefallen?

Dheepan von Jacques Audiard

Dheepan von Jacques Audiard

Eine skurrile Querverbindung erlaubt es mir, es Patrick gleichzutun und mit meinem Tagebucheintrag gleich zwei Tage zu erfassen. Die Verbindungsglieder, um die es sich dabei handelt, sind klassische Festivalerfahrungen; Zufallsbegegnungen, die man macht, wenn man aus einer unüberschaubaren Fülle an Filmen, eine relativ willkürliche Auswahl trifft. Zwei Tage hintereinander war es jeweils ein bestimmter Schauspieler, der eine Rahmung anbot. Am ersten Tag war es Marc Zinga, der Hauptdarsteller von Qu’Allah bénisse la France. Den Film habe ich eigentlich nur gesehen, da ich gerade nichts Besseres zu tun hatte, und keine Lust hatte die Location zu wechseln. Zwei Filme standen zur Auswahl, und ich entschied mich gegen Songs My Brother Taught Me, ohne das wirklich begründen zu können, zumal die Prämissen alles andere als optimal waren: Qu’Allah bénisse la France ist ein Biopic über den französischen Rapper Abd al Malik, der damit sein Filmregiedebüt ablegte. Doch der Film präsentierte sich ganz anders als ich befürchtet hatte. Qu’Allah bénisse la France ist eine unaufgeregte Charakter- und Milieustudie in stimmigem Schwarz-Weiß. Die Bilder sind fabelhaft, das Schwarz-Weiß wirkt nie wie ein billiges Gimmick, sondern als wäre schon beim Dreh auf eine geeignete Farbpalette geachtet worden. So wirkt der Film visuell sehr organisch und stimmig. Darüber hinaus vermeidet Abd al Malik Schemata, die man aus anderen (Musiker-) Biopics kennt; große Höhenflüge und große Tiefschläge bleiben glaubhaft und werden relativ nüchtern aufgearbeitet. Vielleicht liegt das daran, dass Abd al Maliks Leben dann doch nicht so aufregend ist, wie das der grimmigen US-Gangsterrapper, oder er es ganz einfach nicht nötig hat aufzubauschen, was in den Vororten Straßburgs passiert. Die Lebenswelt im banlieu Neuhof scheint nicht so weit entfernt zu sein, von der eigenen Lebenserfahrung, wie die groß inszenierten Bandenkriege in vergleichbaren amerikanischen Produktionen. Marc Zinga brilliert in Qu’Allah bénisse la France in der Rolle des Abd al Malik und trägt seines dazu bei, dass der Film mich persönlich sehr positiv überraschte. Später am selben Tag sollte mir Zinga noch einmal unterkommen. In einer kleinen Nebenrolle im diesjährigen Cannes-Gewinner Dheepan, spielt er Youssouf, den Kontaktmann des Protagonisten, der diesem seinen neuen Job als Hausmeister erklärt. Auch in Dheepan sieht man das Leben in den französischen banlieus. Doch endet der Film in einer blutigen Abrechnung in Rambo-Manier und verliert dadurch jeden Funken an Glaubwürdigkeit, die er in der ersten Stunde so sorgfältig aufgebaut hat. Bis dahin zeigt der Film auf sehr eindringliche Art, mit welchen Problemen Einwanderer, in diesem Fall Kriegsflüchtlinge, konfrontiert sind. Leider verliert der Film im letzten Drittel seine Balance, die Ambivalenz von unbewältigtem Kriegstrauma, Hoffnung, Hoffnungslosigkeit und Schock wird in einer Ballerorgie in den Wind geschossen.

Qu'Allah bénisse la France! von Abd al Malik

Qu’Allah bénisse la France! von Abd al Malik

Den nächsten Tag „prägte“ Ron Livingston of Office Space-Fame, der in den beinahe zwanzig Jahren seit seinem Durchbruch sein Äußeres kaum verändert hat (dennoch musste ich auf die Endcredits warten, um sein Gesicht einem Namen zuzuordnen). In James White spielt Livingston Ben, einen Freund des kürzlich verstorbenen Vaters des Protagonisten. Dieser Protagonist ist einer dieser hoffnungslosen Loser, die sich im amerikanischen Independentkino Sundance’scher Prägung im Moment großer Beliebtheit erfreuen. Sein Gesicht dürfte man dennoch nicht so schnell vergessen. Der Grund dafür ist eine zweifelhafte formale Entscheidung der Filmemacher, den Film quasi komplett mit Handkamera in Nah- und Halbnahaufnahmen zu drehen. Der wild herumhüpfende, schlechtrasierte Kopf von James White hat sich mir ins Gehirn gebrannt. Hier zeigt sich allerdings, dass es nicht immer ratsam ist, eine Sache konsequent durchzuziehen. Üblicherweise bin ich ein großer Verfechter von Kompromisslosigkeit, aber gerade angesichts der Thematik – der Vater ist soeben gestorben, die Mutter leidet an Krebs – wäre etwas Distanz angebracht gewesen, um Raum zur Kontemplation zu geben. James White gibt einem praktischen keine Gelegenheit das Gezeigte zu verarbeiten und lässt einen schließlich genauso ratlos zurück wie den Protagonisten. Das mag wie ein kluger inszenatorischer Schachzug klingen, führt aber leider ins Nirgendwo.

In The End of the Tour ist Livingston in einer noch kleineren Rolle zu sehen. Hier spielt er den Vorgesetzten von Jesse Eisenbergs David Lipsky, der ihm ein Interview mit David Foster Wallace (Jason Segel) bewilligt. Zwei Minuten Screentime reichen mir allerdings für diese Überleitung, denn The End of the Tour ist auf jeden Fall eine Erwähnung wert. Zwei ungemein starke wie brüchige (bei Wallace ist das kein Widerspruch) Figuren werden da gegeneinander ausgespielt und finden in Eisenberg und Segel zwei ideale Darsteller. Beeindruckend die Chemie zwischen den beiden, die Intensität, wenn der bullige Wallace bedrohlich den schmächtigen Lipsky überschattet; einnehmend, wenn die beiden sich in überhöht künstlichem Intellektuellensprech in ein Dialogstakkato steigern. Diese thespische Sprache ist der größte Vorzug von The End of the Tour, der wie James White ein Film über das Ende und unzählige Anfänge ist. Für mich ist das Ende noch fern. Das Filmfest ist noch nicht vorbei.