Land of the Dead: House von Nobuhiko Obayashi

Als ich Nobuhiko Obayashis House aus dem Jahr 1977 (oder Hausu für Freunde japanischer Anglizismen) vor einiger Zeit das erste Mal sah, habe ich mich nicht lange damit aufgehalten; zwar war ich überrumpelt und begeistert von seiner exaltierten Machart und unbeschwerten Genre-Hybridisierung – so begeistert, dass ich mir ein T-Shirt mit der ikonischen Katzenfratze aus den Schlusssequenzen anfertigen ließ – doch im Hinterkopf wurde er fraglos gespeichert unter „Kultkino“ und „japanischer Irrsinn“, zusammen mit der Sorte Film, die man sich wie Kugeln durchs Hirn schießt: Kurz und grell und intensiv, aber mit Löchern als einziger Hinterlassenschaft. Seine jüngste Projektion im Österreichischen Filmmuseum hat mich diese Position nochmal überdenken lassen: Es scheint, der Wahnsinn hat System.

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Obayashi kam vom 16mm-Avantgardefilm zur Werbung und von der Werbung zum Spielfilm, und House ist dementsprechend elektrisiert von einer unbändigen, an allen Ecken und Enden überschäumenden formalen Experimentierwut, die dem Zuschauer wie der Diegese mit ihren spastischen Zuckungen kaum eine Verschnaufpause lässt, bis man irgendwann an der Haltbarkeit des Leinwandrahmens selbst zu zweifeln beginnt. Ständig wird etwas zerbrochen, zerrissen, abgetrennt, zerstückelt, verbrannt oder sonst wie demoliert, seien es Körper, Kader, räumliche und zeitliche Kontinuitäten oder narrative Erwartungshaltungen. Die bunte, toll(wütig)e Welt, die House in unsere Augen fetzt – unablässig angepeitscht von einem peppig-eklektischen Soundtrack aus Faux-Jazz, Fauz-Prog, Faux-Blues und anderen lustvollen Musik-Fauxpas – ist bei all ihrer oberflächlichen Sorglosigkeit zutiefst instabil und droht uns jeden Moment um die Ohren zu Fliegen.

Zu Beginn der „Geschichte“ um einen Haufen gal pals, die der Brief einer Verwandten in ein hungriges Monsterhaus lockt, scheint diese Hyperaktivität noch dem jugendlichen Übermut der quietschfidelen Protagonistinnen geschuldet zu sein (die Freuden der Jugend sind laut Christoph Hubers Einführung beim Screening ein Steckenpferd Obayashis und Leitmotiv in seinem Werk). Da scheinen die einzelnen Einstellungen ihren unmittelbaren Vorgängern buchstäblich davonzulaufen, so dass erstere als Nachbilder hängenbleiben. Aber je länger der Film andauert, je düsterere Töne er auf seinem Kinderkeyboard anschlägt, umso mehr hat man das Gefühl, dass die ganzen bunten Luftschlangen einen verwesenden Kadaver ummanteln und die ostentative Extrovertiertheit auf eine tiefe Depression hindeutet.

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Man kann hierbei nicht wirklich von latenten Strömungen sprechen; spätestens als die Spukvilla gegen Ende in einem veritablen Cartoon-Holocaust mit Blutfontänen aus dem Maul des grotesken Porträts einer flauschig-weißen Katze zugespien und überschwemmt wird – derselben weißen Katze, die von den Mädchen zuvor als „Schneeflocke“ und Inbegriff von Kawaiiness angehimmelt wurde – ist klar, worauf dieses Haus gebaut ist. Das menschenfressende Gespenst ex domus ist im Wortsinne ein Geist der Vergangenheit, eine verbitterte Witwe, die der Krieg um ihren Ehemann betrogen hat und die sich nun posthum an der jüngeren Generation rächt. Obayashi ist sich auch nicht zu schade, eines der finalen Schnittgewitter mit einem Atompilz anzureichern. Tatsächlich hat er in einem Interview verlauten lassen, House wäre sein „Ausdruck der Atombombe für Kinder“, und dieses doch etwas gewagte Statement ist bei weitem nicht so aberwitzig, wie es zunächst anmutet.

Das Kindliche (und Kindische) äußert sich in der ungezügelten und durchgängigen Heiterkeit, die sich selbst dann noch mühelos zu halten vermag, wenn das Horrorhaus beginnt, die jugendlichen Heldinnen auf grausame Weise zu dezimieren. Potentielle Splattersequenzen werden zu verspielten Kapriolen zeitgenössischer und altgedienter Tricktechnik, die abgetrennten Köpfe der Opfer schwirren durch die Luft und kommentieren augenzwinkernd ihr eigenes Ableben, die schelmische Wiedergängerin grinst nach vollbrachtem Streich verschmitzt in die Kamera. Alles schwingt im Singsang einer Kaugummi-Poperette: teils an der Grenze zu Ballermann-Gaudimax à la Siggi Götz, von Sarkasmus aber keine Spur (bis auf einen erstaunlich zeitgemäßen Cutaway-Gag mit einem umschwärmten Lehrer als vermeintlichem Traumprinz-Retter in der Not, der sich später als Karikatur des machistischen lastminuterescue-Szenarios herausstellt und sich letztlich in einem der blödsinnigsten Schmähs des Films in einen Bananenberg verwandelt). Bezeichnend ist auch die stenografische Figurenzeichnung wie aus dem Samstagmorgen-Zeichentrick, mit markigen Stereotypen, die ihre Spitznamen restlos verkörpern, als slumber party sleuths auf Grusel-Mission: „Mac“ die Schlemmerin, die sportliche „Kung Fu“, die verträumte „Fanta“, die musikalische „Melody“ – Scooby-Doo lässt grüßen.

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Und die Atombombe? Nun, die äußert sich einerseits in der schon angesprochenen Instabilität des Bildes (wenn einer Figur etwa das Gesicht abbröckelt, um dahinter lodernde Flammen zu offenbaren) und des zunehmend frenetischen Montagestrudels. Manchmal droht dem Film die Kontrolle über seine eigenen Effekte zu entgleiten und er rutscht temporär in hemmungslose Avantgarde, nur um sich kurz darauf gerade noch zu fangen. Zudem unterhält Obayashi, sichtlich versiert und auch etwas vernarrt in Werbe-Ästhetik mit all ihren Überhöhungen, ein offenkundig ambivalentes Verhältnis zu den Gesten und Oberflächenreizen der Spaß(terror)gesellschaft, die er zugleich feiert und auf ihre Angemessenheit und Widerstandsfähigkeit im Angesicht eines absoluten Schreckens hin austestet. Der Film affirmiert sein Spektakel herzhaft, macht durchwegs gute Miene zum bösen Spiel und ist bis zum bitteren Ende nichts weniger als frohgemut und gutgelaunt, aber er macht auch keinen Hehl daraus, dass dem Trauma mit Zuckerwatte und Pop-Referenzen nicht beizukommen ist. Es mag alles ein Jux sein, aber einen Ausweg gibt es aus diesem Haus ebenso wenig wie aus dem Overlook Hotel – am Ende gehen doch alle hops, und die nächsten Gäste warten schon. So erinnert auch der einzige genuin verstörende Moment des Films – als aus dem Telefon die verzweifelten Hilferufe der alten Opfer des Hauses erschallen und ungehört verhallen – daran, dass jede Lustbarkeit, jede Konjunktur, jede Party auf irgendwessen Gräbern tanzt.

Das Subversive an Obayashis Film ist also, wenn man so will, nicht die unterschwellige Einführung finsterer und traumatologischer Motive in ein locker-flockiges Kommerzprodukt (wie es etwa jemand wie Joe Dante oft getan hat), sondern das gewaltsame Gegeneinanderschleudern beider Welten ohne Rücksicht auf Verluste, in Anbetracht ihrer realen Koexistenz bei totaler Inkompatibilität. Der machtvolle Similiglanz der Reklame- und Konsumwelt wird hier nicht ausgehebelt und in sein Gegenteil verkehrt, sondern in einen wilden Kampf mit den Kräften verwickelt, die er unter den Ladentisch kehren will. House ist die spektakuläre Visualisierung dieses Kampfes, bei der es keinen richtigen Sieger gibt, außer vielleicht – wie die eigentümlich verträumten Home-Video-Abspannbilder der nunmehr diegetisch verstorbenen Hauptdarstellerinnen nahelegen – die Melancholie.