Enemy von Denis Villeneuve

In “Enemy” von Denis Villeneuve, eine Adaption von José Saramagos „Der Doppelgänger“ entdeckt der Geschichtsprofessor Adam (Jake Gyllenhaal) in einem Film einen Mann, der genau aussieht wie er selbst. Er beginnt den Mann (einen Schauspieler) zu kontaktieren und von da an brechen die Welten und Ebenen des Films in David Lynch-Manier auseinander. Normalerweise weisen Doppelgänger in Filmen immer auf ein twistgeladenes Kino samt SciFi-Elementen, Schizophrenie oder Albträumen hin. Doch Villeneuve, der bislang häufig mit solchen Twists aufwartete (die doch nicht verstorbene Frau in „Polytechnique“, der Oldboy-Moment in „Incendies“ und die Frage des Täters in „Prisoners“), hat nicht nur einen Genrefilm gemacht, sondern zugleich einen Film über das Genre. Der Twist, der die Ebenen in „Enemy“ in der letzten Einstellung des Films verbindet, ist zugleich eine Frage. Er dreht sich einmal um sich selbst und bleibt damit bei sich und dem Film, statt sich zu erklären. Was dann bleibt, ist ein sogenannter Mindfuck, der nie aufhört. Oder?

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Wie meist bei Villeneuve zielt auch „Enemy“ vor allem auf die inneren Organe des Zusehers: Angst, Schock, Verwirrung, Spannung, Staunen, Erotik. Der Regisseur entblößt eine Fantasie. Damit meine ich einen Einfall des Unerwarteten, der sich natürlich schon durch den Auftritt eines Doppelgängers manifestiert. Dabei hilft sich Villeneuve wie schon in „Polytechnique“ mit extrem harten Schnitten, die wie ein Knallkörper in die Ruhe einbrechen und die oft noch durch Musik- oder Soundeffekte verstärkt werden. Außerdem ist jederzeit alles möglich. Das haben wir schon in „Prisoners“ festgestellt als plötzlich Schlangen aus Kisten sprangen. Dazu gibt es einen aufregenden Look, der manchmal etwas zu laut cool sein möchte, aber es prinzipiell schafft das Unheimliche und Fiebrige in einen Stil zu transformieren. Luftaufnahmen aus Hubschraubern, die mit einem zärtlichen Vertigo-Effekt Schwindel erzeugen und Gebäude verformen, ein treibender Score und alles ist wie durch eine gelbe Sonnenbrille gefilmt, eine Schwüle setzt ein, die äußere und innere Welten wie ein Gefängnis erscheinen lässt. Spiegel und Fenster, nackte Körper und Insekten in engen verschachtelten Wohnungen in Wohnblocks, in denen jedes Fenster gleich aussieht. Villeneuve ist im wahrsten Sinne des Wortes ein visueller Geschichtenerzähler. Seine Bilder werden selbst zu Doppelgängern und nach und nach werden wir in einen Zustand versetzt, der jenem von Adam (oder seinem Doppelgänger) gleicht. Die Welt scheint uns verdächtig.

Beide Männer befinden sich in unglücklichen Beziehungen und natürlich könnte man nun beginnen eine psychologische Interpretation anzulegen, die sich von Mutterkomplexen, über Impotenz, hin zu Einsamkeit, Selbstverliebtheit und Selbstzensur ziehen könnte. Die Entfremdung in einer Beziehung während der Schwangerschaft der Frau ist ein offensichtliches Thema. Wahrscheinlich ist auch alles richtig. Aber genauso wahrscheinlich geht es hier einfach um Angst. Die sinnliche Wirkung des Films, die mit jedem Bild und jeder Kamerafahrt, jedem Satz und jedem Ton angereichert wird, entgleitet der ansonsten etwas gewollten Dramaturgie und erzeugt einen Zustand durchgehender Spannung. Der Film fühlt sich an seinen besten Stellen so an als wäre Franz Kafka hinter der Kamera gestanden.
In seinem Gedicht „La nuit de décembre“ erzählt Alfred de Musset von einer Begegnung zwischen zwei sich ähnlich sehenden Menschen:

Du temps que j’étais écolier,
Je restais un soir à veiller
Dans notre salle solitaire.
Devant ma table vint s’asseoir
Un pauvre enfant vêtu de noir,
Qui me ressemblait comme un frère.

(…)

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Dieser Augenblick, wenn man sich selbst in einem anderen sieht, scheint wie für das Kino gemacht. Es ist ein plötzlicher Moment, der in die Zeit einbricht und sich in Blicken offenbart. Da ist zum einen unser Blick auf die Figuren, die wir nicht mehr unterscheiden können (und Villeneuve spielt mit dieser Tatsache…) und zum anderen der Blick zwischen den Figuren, die es nicht fassen können oder fasziniert sind. Eine Angst und ein Begehren setzen ein. Denkt man beispielsweise an „Professione:reporter“ von Michelangelo Antonioni, so legt die Existenz eines Doppelgängers auch die Flucht aus dem eigenen Leben nahe. Ich bin Du und du bist Ich. Etwas Derartiges passiert auch in „Enemy“. Da der Doppelgänger hierbei aber aus einem Film stammt, ist es auch ein Film über Eskapismus. Man schaut zu wie man sich in einer Welt verliert, während man sich in einer Welt verliert. Die Doppelung des Schauspielers wird hier durch den erneut großartig spielenden Jake Gyllenhaal nochmal gedoppelt. Denn nicht nur spielt er zwei Menschen, die gleich sind, sondern er SPIELT auch einen Schauspieler.

Das Kino ist ein Ort der Anonymität bei Villeneuve. Es sind die dunklen Sonnenbrillen, die fragwürdigen Identitäten, die Rätsel, die ihn faszinieren. In „Enemy“ formuliert er eine Liebeserklärung an diese Fragen, indem er sie nicht beantwortet. Allerdings bleibt ein kleiner fader Beigeschmack, denn all diese Fragen sind in sich schon Antworten und der Film gibt sich nie wirklich seinem Fiebertraum hin, da er immerzu sagt: Das ist ein Fiebertraum. Gleiches gilt für den Twist am Ende, der zwar erneute Fragen stellt, aber irgendwie auch alles beantwortet. Ich würde gerne nicht verstehen, warum ich etwas nicht verstehe, aber vielleicht ist das zu viel verlangt. Es tut jedenfalls gut, klassische Spannung im Kino zu sehen.