The Sky Trembles: Das Ben-Rivers-Problem

Vielen Dank an Éric Volmeer

Das Ben-Rivers-Problem ist eines, über das man nur schwer schreiben kann, weil es sich eigentlich verbietet darüber zu schreiben, es gar als Problem zu bezeichnen. Dennoch habe ich es hier gemacht, der Text heißt: Das Ben-Rivers-Problem. Was ist nun das Problem? Oder zuerst: Wer ist Ben Rivers?

Britischer Filmemacher und Künstler. Hier beginnt ein Problem, das keines sein sollte. Nein, nicht dieses alberne Truffaut-Gerücht, dass Briten per se keine Filme machen können. Dafür gibt es genug Gegenbeispiele, sondern diese Distinktion, dieser Verweis auf den Künstler hinter dem Filmemacher. Ein Klassiker des modernen Diskurses. Die Flucht des Kinos in die Gallerie, die Unterschiede, Lieblingsfragen junger Journalisten: Was ist für dich/Sie der Unterschied zwischen dem Kino und dem Präsentieren der Arbeit im Kontext einer Ausstellung? Welche beschränkte Frage, kann man sie doch selbst beantworten. Rivers ist interessiert an Entlegenheiten und Gelegenheiten, er mag das Finden und das Suchen, er treibt und schaut und wartet. Oftmals wird Rivers mit dem Label „Slow Cinema“ beschrieben, weil in seinen Filmen lange Einstellungen mit wenig äußerlicher Bewegung existieren. Er ist ein Meister darin, aus dem fast völligen Verschwinden einen Moment fokussierter Magie zu formen, der einen im baffen Unverständnis einer Verzauberung zurücklässt, hypnotisiert, ob des Gefühls für das Zusammenspiel von Zeit, Ton, Bild und Bewegung. Überdies ist Rivers ein geographischer Forscher. Seine Filme sind oft Reisen in das Verlassene, Nie-Erkundete und dadurch auch das Merkwürdige. Das Fremde ist bei Rivers immer doppelt zu denken. Unter vielem lauert dann eine Einsamkeit, die mit der flirrenden Eintönigkeit mancher seiner Bilder harmoniert.   Inspirieren lässt er sich oft von Schriftstellern, deren Werke er nicht adaptiert, sondern eher in eine filmische Arbeit übersetzt. Schließlich ist Rivers auch ein Filmemacher, der vieles, was er findet nicht ordnen kann oder will, er hinter- und überlässt Fragmente, Eindrücke, Fetzen einer gefundenen Wahrheit, die er nur in diesen Fetzen als Wahrheit zusammensetzen will. Rivers arbeitet an und mit dem Medium, auf dem er dreht. Er ist sicherlich mehr interessiert an der Präsenz und Materialität des Filmischen, als an der Repräsentation, die er mit und durch die Präsenz hinterfragt. Wo liegt das Problem?

The Sky trembles

Im vergangenen Jahr meditierte Rivers ein weiteres filmisches Konstrukt durch seinen nach Zelluloid lechzenden Apparat. Der Titel ist ein Kunstwerk in sich: The Sky Trembles and the Earth is Afraid and the Two Eyes Are Not Brothers. Auf der offiziellen Homepage des Films wird dieser wie folgt beschrieben: „…is a labyrinthine and epic film that moves between documentary, fantasy and fable. It was shot against the staggering beauty of the Moroccan landscape, from the rugged terrain of the Atlas Mountains to the stark and surreal emptiness of the Moroccan Sahara, with its encroaching sands and abandoned film sets. Rivers’ work contains multiple narratives, the major strand being an adaptation of A Distant Episode, the savage short story by Paul Bowles. The film also features the enigmatic young film director Oliver Laxe, whose onscreen presence becomes interwoven with the multiple narratives that co-exist amidst the various settings of Rivers’ cinematic exploration.“

Im Kern erinnert der Film an Raya Martins/Mark Peransons La Última Película. Es ist eine ernsthaftere und präziser fotografierte Auseinandersetzung mit ähnlichen Phänomenen: Der Vergessenheit ehemaliger (Film-) Welten, der Entführung eines Filmemachers, der Frage nach Autorenschaft und eine Tendenz, die Blödelei/Freude am Filmemachen mit ins Bild zu bringen, sie nicht aus dem Fluss zu schneiden. Rivers stellt auch die Frage wie eine Geschichte entsteht, getragen wird, weitergetragen wird und heute (im Film) erzählt werden kann. Ein kolonialer Konflikt zwischen der Gleichgültigkeit einer tödlichen Natur und ihrer filmischen Eroberung entbrennt in einem Fiebertraum im französischen Filmemacher Oliver Laxe (sowie Shezad Dawood in der Installationsarbeit mit einem Film namens Towards the Possible Film), der seinen Film als Spiegel und als Unendlichkeit für und vor Rivers dreht, der dieses Fieber liebt und sich in surreale Bilder von nickenden Pferden und einem Mond, der den Bildrahmen sprengt, stürzt, um zu sammeln, was man spürt. Dabei geht eine merkwürdige, an Pere Portabella erinnernde, Bedrohung vom Set und den 16mm-Bildern der Felsen des Atlas-Gebirges aus. Man sollte nie vergessen, dass Atlas die Welt stützte. An einem Tag in diesen unwirklichen Landschaften zwischen Felsen und dem orangen Licht der existenzialistischen Sonne verlässt Laxe das Filmset und fährt in die Wüste. Die Landschaftsaufnahmen sind viel zu einfach, zu schön und doch sind sie tatsächlich schön. Ab dann befindet man sich in der Fiktion von Paul Bowles. Laxe der Filmemacher wird von einigen zahnlosen Banditen gewaltvoll niedergekämpft, entführt und in ein Kostüm aus Blechdosen gesteckt und im Stile Joe Pescis zum Tanzen gebracht. Zuvor wird ihm in einem Ausbruch einer Lagerfeuer-Brutalität die Zunge rausgeschnitten. Die Musik einer Umkehr der Nutzung von Landschaften etabliert sich in einem Wechselspiel aus enigmatischem Hipster-Vollzug und Betörung.

The sky trembles2

Hier liegt dann auch womöglich das Ben-Rivers-Problem, das auch eine Frage an die Art und Weise stellt, wie man solche Arbeiten beschreiben kann (sowohl für Förderungen als auch in der Filmkritik). Ist diese Fragmentarisierung eine Notwendigkeit, ein Selbstzweck? Rivers spricht in Interviews von einer Essenz der Wirkung des Drehs, den er begleitet hat. Die Frage ist, wieso diese Essenz sich nur in kurzen Momenten aus den Bildern schält oder ob die Essenz genau dieser Nicht-Druck ist. Vielleicht machen wir es uns zu einfach. Es gibt diese Idee, dass in einem Film jede Einstellung, jede Sekunde voller Konzentration sein muss. Bei Rivers dagegen ist die Konzentration manchmal ihr Verschwinden, ein Verlieren, ein Treiben. Wie kann man filmen, was nicht war, wie kann man etwas uninteressant ehrlich filmen, ohne uninteressant zu sein? Beispiele lassen sich von Angela Schanelec über Chantal Akerman durchaus finden, weil man sich ja auch durchaus die Frage stellen muss, was eigentlich uninteressant sein könnte. Rivers ist interessiert an der Hypnose der Zeit an einem bestimmten Ort. Man kann sie nicht beschreiben und in ihrer Wirkung kaum greifen.

Dann kommt man aber schnell in die Problematik einer Willkür. Die Notwendigkeit einer Kritik trifft hier auf ihre verzweifelte und ungerechte Anmaßung. Natürlich kann man subjektiv immer kritisieren, aber unartikulierte Meinungsäußerungen („Mmh, hat mir gefallen.“) sind genauso obsolet wie normal. Daumen hoch, Daumen runter, ja schön, habe ich mich gelangweilt in diesem Ben Rivers Film? Ist das wichtig? Es gab Stellen, die an mir vorbeizogen. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: In Two Years at Sea oder auch seinem Things gab es solche Augenblicke der Langeweile nie für mich, es geht nicht um das Filmen einer Langeweile, eines Findens, einer Fragmentarisierung, das per se langweilig ist, nein, das Problem scheint ein anderes und mein Problem und der ehrliche Grund, warum ich diesen Text das Ben-Rivers-Problem nenne ist, dass ich nicht weiß, was das Problem ist. Es gibt diese Filme immer wieder. Man kann nur schwer Stellung zu ihnen beziehen. Meist bekommt man davon nichts mit, weil man es dann entweder lässt oder so tut als hätte man eine Meinung dazu. Ähnliches passiert auch bei vielen Filmemachern, die ihre Gefühle in verkaufbare Konzepte pressen müssen, die nicht nur nichts mit dem ursprünglichen Impuls des Filmemachens zu tun haben, sondern auch diesen Impuls verändern. Rivers ist auch deshalb ein Künstler hinter dem Filmemacher, weil er sich dann diesen Impuls bewahren kann (ob das wirklich so ist, weiß ich nicht). Wenn man ehrlich ist, dann muss einen die Klarheit einer Meinungsäußerung abstoßen genauso wie jene einer Idee genauso wie jene einer Dramaturgie. In diesem Sinn ist Ben Rivers kein Problem, sondern eine Lösung. Auf der anderen Seite gibt es auch eine Klarheit, die nicht anmaßend ist beziehungsweise eine Unklarheit, die faul ist. Wichtiger denn je scheint mir dann das Beschreiben, Beobachten und Wahrnehmen zu sein. Im Fall von The Sky Trembles and the Earth is Afraid and the Two Eyes Are Not Brothers wirkt es aber so, als wäre der Filter eines coolen Konzepts, einer Idee über diese zweifelsohne hier und da sichtbare Wahrnehmung von Rivers gestülpt worden. Die Idee des Treibens und das tatsächliche Treiben sind zwei paar Schuhe. Wenn man sich vergegenwärtigt wie Apichatpong Weerasethakul in seinem Cemetery of Splendour in einen Traum fällt oder Assayas in seinem L‘eau froide in die Verlorenheit eines Alters, dann wirkt es bei Rivers umgekehrt, er treibt schon bevor er etwas sieht, das könnte großartig sein oder falsch. Ist das also mein Problem?

THE SKY TREMBLES AND THE EARTH IS AFRAID AND THE TWO EYES ARE NOT BROTHERS – TRAILER from Ben Rivers on Vimeo.

 

Rivers, der in seinen besten Filmen den Geist von Jean Rouch erweckt, wirft hier viele verschiedene Projekte ineinander und entfaltet ein kryptisches Mosaik, das nach einer betrunkenen, apokalyptischen Prophezeiung benannt ist. Es ist eine Prophezeiung, die sich in ihren eigenen Klang verliebt und gleichermaßen verliebt sich Rivers in die Oberfläche seiner Bilder. Doch Rivers ist auch ein Filmemacher der Möglichkeitsform und man darf nie vergessen, dass das große Kino immer im Konjunktiv besteht. Und so liegen vor uns Skizzen gleich jenen von Pasolini in Indien, Skizzen von Filmen, die wir nie sehen werden und konsequenterweise müsste man eine Kritik oder eine Projektmappe demzufolge auch im Konjunktiv schreiben (Towards the possible film).

Was wäre, wenn das ein richtiger Film wäre? Was wäre, wenn ein richtiger Film so wäre?