Land of the Dead: The Ethereal Spirit of Beauty

A Chinese Ghost Story

Immer wieder dreht sich Joey Wong um ihre eigene Achse, ihr Spiel gleicht mehr einem zerschnittenen Tanz, ihre langen Kleider wehen um sie herum, sie zerfließt, denn sie ist ein Geist in A Chinese Ghost Story. Sie versteckt einen Menschen in ihrem Badetrog. Dieser Mensch wird gespielt von einem weiteren Geist des Kinos, Leslie Cheung, der auftauchen muss, um nach Luft zu schnappen. Um ihn wieder unter Wasser zu drücken, lässt sich Joey Wong sanft auf die Lippen des jungen Mannes fallen und drückt ihn mit einem Kuss wieder unter Wasser. Dort hält die Zeit kurz an während rosa Blüten im Wasser nach oben treiben. Es ist dies einer der schönsten Kussszenen, die ich kenne. Die Land of the Dead Reihe wurde in den ersten beiden Filmen, die am Sonntag über die Leinwand flimmerten zu einem Land of Beauty und Land of Innocence. Die beiden Filme A Chinese Ghost Story von Ching Siu-Tun und Venenos para las hadas von Carlos Enrique Taboada verwiesen auf die Wichtigkeit von unberührter Unschuld, Kindlichkeit und Fetisch im Horrogenre.

Veneno para las hadas

Der Kuss in A Chinese Ghost Story taucht im wahrsten Sinne des Wortes an einer Stelle auf, an der man den Kitsch schon gar nicht mehr bemerkt, denn der Film ist voller melodramatischer Überhöhung, mit einem Licht, das unsere Augen mit rosa-weißem Überlicht-Saum umgarnt. Martial-Arts und Comedy Elemente sorgen für völlig überfülltes, kunterbuntes Spektakel des Gruselns, in dem sich außergewöhnliche Bilder mit dem Rhythmus des Kampfsportfilms verbinden. Im Zentrum der Geschichte steht der junge Ling Choi San, ein Tollpatsch vor dem Herrn, der durch sein eigenes Unvermögen und Unglück plötzlich ohne Geld dasteht und in einem verlassenen Tempel übernachten muss. Wer Leslie Cheung kennt, mit Zigaretten vor Spiegeln, kaum merklich zergehend, der wird hier irritiert sein von diesem Comic-Schauspiel, von dieser nerventötenden Ungeschicklichkeit, die vom Film bis zum letzten Klischee ausgefeiert wird. Im Tempel, so sagt man ihm, spukt es. Ihm bleibt nichts anderes übrig und er kämpft sich durch den von Wölfen bevölkerten Wald zum Tempel. Was er nicht weiß ist, dass der Geist in Form einer bildhübschen, sich drehenden Frau erscheint, die Männer verführt, damit sie von ihrer Herrin, einem Baumgeist getötet werden kann. Geist und Mensch werden sich verlieben, ein Taoist bekämpft alle Geister, eine Hochzeit mit dem dunklen Fürsten steht an und auch sonst krabbeln allerhand merkwürdige Gestalten durch den Tempel. Sobald sich Schönheit und Horror verbinden in den Filmen der Land of the Dead-Reihe im Österreichischen Filmmuseum denke ich an zwei Filme: Zum einen La Belle et la Bête von Jean Cocteau und zum anderen Història de la meva mort von Albert Serra. Mit ersterem teilt A Chinese Ghost Story seine Liebe zur Ästhetisierung, Zeitlupen, Nebel und Hände, die aus Wänden greifen. Mit Serra die Schönheit des Gruselns, die vor allem in den Einstellungen der mumienhaften Aschekörper im Dachboden unterstützt wird, genauso einsam und atmend wie jene verlorenen Untoten in Romeros Night of the Living Dead und eben jene Verbindung von Romantik und Tod.

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Eine solche Verbindung ist nicht zuletzt auch in der lateinamerikanischen Literatur häufig anzutreffen. Sex am Friedhof, magischer Realismus. Denkt man auch an die sexuellen Konnotationen des Vampir-Genres, die beispielsweise in der ersten Hälfte von Kathryn Bigelows Near Dark in Syntesizer-Blau magnetisiert werden, dann kann man die Nähe von Versuchung und Bedrohung nicht mehr leugnen. Das Sterben durch das einmalige Leben. So könnte die lange Zunge des Baumgeistes, die durch Häuser läuft, um in die Opfer einzudringen nichts anderes sein als die Zähne eines Vampirs. Die blaue Nacht und die Kleiderfetzen, Schleier, die sehnsüchtigen Augen, ja, an seinen besten Stellen ist A Chinese Ghost Story ein primitiver, fast perverser Blick des Begehrens. Denn dort wo ein Fetisch auf eine Schönheit trifft, kann Horror entstehen.

Wie sehr dieser Horror aus dem Spiel mit der Unschuld seiner Protagonisten hervorgeht, zeigt der mexikanische Veneno para las hadas, der ähnlich wie Guillermo del Toros schwebender El laberinto del fauno den Horror aus Sicht von Kindern zeigt. Die Märchenhaftigkeit des Genres wird hier ausgereizt, denn nicht nur erzählt der Film ein grausames Märchen sondern er erzählt vor allem auch von der Angst vor Märchen. Etwas zu konsequent werden Erwachsene nie von vorne oder mit ihren Gesichtern gezeigt. Einzig in Albträumen oder Angstmomenten der Kinder, sind Gesichter und Fratzen von Erwachsenen deutlich zu sehen. Zu Beginn funktioniert das noch ganz außergewöhnlich, als wir beispielsweise einer faltigen Hand über ein Geländer gleitend folgen oder nur die Schatten einer erwachsenen Welt spüren, aber irgendwann wirkt es schlicht wie eine formelle Idee, die erstens nicht wirklich originell ist und in die sich Taboada viel zu sehr verliebt, um sie noch ernst zu nehmen. Es geht um Flavia, eine Tochter aus reichem Haus, die sich in der Schule mit der eigenwilligen Verónica befreundet. Diese behauptet von sich, eine Hexe zu sein und als sie durch einen Zauberspruch tatsächlich dafür zu sorgen scheint, dass die Klavierlehrerin von Flavia stirbt, gewinnt sie eine Kontrolle der Angst über Flavia. Immer wieder droht sie mit ihrer Hexenkraft und heckt neue Ideen aus, um dunkle Mächte zu beschwören. Ein Schelm wer darin politische Parabeln entdeckt. Dabei ist nie wirklich klar, ob es sich um kindliche Naivität und ein Spiel handelt oder um grausamen Ernst. Man ist eben in dieser Kinderwelt gefangen, die keinen anderen Blick zulässt. Einige Male glaubt man sich in Szenen mit Erwachsenen zu finden. Diese offenbaren sich aber jeweils durch Schwenks als Point-of-View eines Kindes.

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Ein wenig erinnert dieses Spiel mit den Perspektiven an The Return von Andrey Zvyagintsev, der in seinen ersten Minuten mit einem wahren Schock aus der Kollision von Erwachsenwelt und Kinderwelt aufwartet, die sich im weiteren Film als großes, mystisches Fragezeichen entfaltet. Venenos para las hadas ist ein Film, der einen an kindliche Angst erinnert und diese im besten Fall heraufbeschwört. Gleichzeitig aber-und der Film leidet darunter-stellt sich der Film jederzeit über oder gar unter seine Mädchen, er beobachtet sie als würde Humbert Humbert Kamera führen und so gibt es eben doch noch einen anderen Blick im Film. Ein wiederholter Blick auf die Beine der Mädchen beim Rudern, die Kamera blickt untersichtig auf eine Leiter, die die beiden Mädchen heruntersteigen. Vielleicht geht der wahre Horror von dieser perversen Neigung der Bildsprache aus. Die Unschuld der Mädchen ist nicht die Unschuld des Zusehers. Die brutale Rahmung des Films mit einem Mord am Anfang und am Ende unterstützt diese Tendenz. Wie Agnès Varda in Le bonheur wird aus einer Idylle, der schönen Farben und des ländlichen Spiels ein Horror, der keine Zukunft kennt. Das Spannende an Venenos para las hadas ist, dass man jederzeit merkt worauf das ganze hinausläuft. Statt sich der Idylle hinzugeben, fragt man sich immer, warum es so schön ist und statt voller Spannung vor der Leinwand zu sitzen, verliert man sich immer wieder in der Unschuld und Schuld der Bilder. Die wunderschönen Einstellungen von Kerzenlicht, das spannend-deformierte Kostüm, das immer ein wenig an die Zwillinge aus Stanley Kubricks The Shining erinnert und das Verharren auf der Schönheit von Goldkettchen an alten Armen, lässt einen Hauch von Kinderschänderei in der Luft entstehen. Ein irgendwie widerlicher Film, der schön ist.

Das Vulgäre und das Surrealistische zerfließt in beiden Filmen und es hängt immer an unserem Glauben. Was glauben wir? Wie weit sind wir bereit den Märchen, Geisterstunden, religiösen Parabeln zu folgen? A Chinese Ghost Story und Venenos para las hadas thematisieren diese Fragen, die einen entführen in jene Momente, wenn man als Kind vor einem finsteren Wald stand und ein anderes Kind einem erzählte, dass dort ein alter Mann lebt, der Kinder erschreckt. Im Horrorkino werden wir ein wenig selbst zu Kindern und wir haben keine Sicherheit, denn die Mythen könnten wahr sein.

A Chinese Ghost Story

Nachtrag: Auf einem Geister-Fest habe ich ein Bild von einer Frau gekauft. Sie kämmt sich ihre schwarzen Haare. Ich habe es in meinem Zimmer aufgehängt. Es spricht mich an. Sie sitzt an einem Fluss, Um sie herum sind einige Schriftzeichen, die ich nicht lesen kann. Ihre Haut hat die blasse Farbe des Papiers. Aber ich hatte das Gefühl, dass ihre Augen gestern noch eine andere Farbe hatten. Ich kann meinen Blick nicht von ihr nehmen. Ich glaube, dass sie sich bewegt. Sie sieht gut aus, ich komme näher.

Die Liebe im Kino von Wong Kar-Wai


In den ungewöhnlichen Einstellungen, die Wong Kar-Wai, in seinen bislang zehn Langfilmen findet, herrscht Konfusion, Freiheit und Gefühl. Der komplette Look seiner Filme kann sich von einer Sekunde auf die nächste ändern. Es gibt eine ganz eigene Konsistenz in einem Film von Wong Kar-Wai, eine die dem Zuseher ein ästhetisches Empfinden vorschlägt, auf das dieser sehr leicht aufspringen kann und in das er sich verlieben kann, mit dem er sich identifizieren kann. Sein langjähriger Kameramann Christopher Doyle flucht in seinem Tagebuch zu „Happy Together“: „I don’t want realistic images, I want poetic images!“.  Wie in einem Labyrinth müssen Crew und Schauspieler in vielen Filmen den spontanen und impulsiven Einfällen eines Regisseurs folgen, der vielleicht eine Struktur im Kopf hat, wahrscheinlich diese aber erst im Schnitt findet und selbst dann ist Struktur nicht strukturiert, sondern voller Leben und Spontanität. Die Idee erwächst aus einzelnen Bildern und vor allem Songs. Lieder, die das Kino des Hongkong-Regisseurs so sehr prägen. Yo me muero por tu amor. Vielleicht gibt es wenige zeitgenössische asiatische Filmemacher, über die so viel geschrieben wird wie über Wong Kar-Wai. Das könnte daran liegen, dass seine Filme die subjektiven Erfahrungswelten der Filmkritiker und Autoren hervorrufen, die versuchen zu greifen, was man im Film und im Kopf so schwer zu greifen vermag. Es bereitet eine ungeheure Freude über die starbesetzten Filme zu schreiben, man fühlt sich angesprochen und möchte sich ausdrücken. Die Spiegel in seinen Filmen weisen nicht nur auf Eleganz und Oberflächlichkeit der Figuren hin, sondern auch immer auf den Film und den Zuseher selbst. Eine Rahmung bei Wong Kar-Wai ist kein Gimmick, sie ist Wesen seines Kinos, einer verschachtelten Wahrnehmung, in der sich Poesie in den kleinen Spalten öffnet, die zwischen der blockierten Sicht entstehen, die Realität als Traum begreifen. 

 
Leslie Cheung kündigt in „Days of Being Wild“ der schüchternen Soft Drink Verkäuferin gespielt von Maggie Cheung an, dass er in ihren Träumen vorkommen wird. Er jagt auch die Träume von Tony Leung in „Happy Together“. Träume und Erinnerungen, die spätestens in „2046“ verschwimmen. I’ve heard that there’s a kind of bird without legs that can only fly and fly, and sleep in the wind when it is tired. The bird only lands once in its life… that’s when it dies. Alles fliegt und schwebt und ist möglich. Zeitungen wenden sich auf Motorhauben, Menschen tanzen und töten, ein Flugzeug fliegt durch ein Zimmer, eine Zigarette wird vom Feuer der Augen alleine angezündet. Dabei sollte man genau zusehen, denn vielleicht passiert die entscheidende Berührung, der entscheidende Blick immer dann, wenn man es nicht erwartet. 
 
Im Zentrum fast aller seiner Filme und sicherlich aller seiner besseren Filme steht die Liebe. Man muss vorsichtig sein mit diesem Wort, aber sicherlich nicht bei Wong Kar-Wai. Er zeichnet Liebe in ihrer ganzen romantischen Konnotation und Grausamkeit. Auffällig dabei ist, wie der Regisseur Liebe als zeitliches Element begreift, wie sich die ganze zeitliche Struktur seiner Filme über ihre Romantik definiert und wie so das eigentlich herrschende Chaos zu einer Art Linearität und Chronologie gebracht wird. Der Grundstoff von Filmen ist Zeit und jener der Filme von Wong Kar-Wai ist die Liebe. Es liegt also äußerst nahe, dass in „Chungking Express“ über das Ablaufdatum einer Liebe sinniert wird. Wie ist das Verhältnis von Zeit und Liebe? Dieser Frage gehen fast alle Filme von Wong Kar-Wai nach. In „2046“ überwältigt die Trauer, der Verlust einer gescheiterten und unmöglichen Beziehung, von der in „In the mood for love“, einem Film, der seine romantischen Augenblicke an bestimmten Tagen im Jahr festmacht, eine Strukturierung der Liebe, zu der Wong Kar-Wai immer wieder zurückkommt. erzählt wird. Liebe könnte hier eine Erinnerung sein, Liebe könnte eine Dystopie sein, sie scheint aber auf keinen Fall an die Gegenwart gebunden. Eigentlich müsste man genauer schreiben, dass Liebe bei Wong Kar-Wai nicht an der Zeit hängt, sondern an der verlorenen Zeit. Diese läuft eben ab.  “Love is all a matter of timing.”, heißt es in “2046”. Kein Wunder, dass sich das Liebespaar in “Fallen Angels” in einer zeitlichen Verschiebung kennenlernt, einem „am selben Ort zu unterschiedlichen Zeiten sein und dabei die Präsenz des Partners spüren“.
In “Chungking Express” müssen gerade mal sechs Stunden vergehen bis aus einer Intimität mit einem Mann, eine Liebe zu einem anderen Mann entsteht. Dagegen scheint es in „Ashes of Time“ unmöglich zu vergessen, weil die Erinnerung, wie ein Geheimnis, das wir in einen Felsen sprechen eben nicht stirbt. Das ist die melancholisch-romantische Rettung für Wong Kar-Wai, der seine Liebe mit Zeit zerstört und dann in der Zeit konserviert. In „Days of Being Wild“ kann eine Minute alles verändern. Man kann sich in ihr verlieben oder in ihr Liebe vergessen. Was ist diese Minute? Ich denke dabei an Ingmar Bergmans „Vargtimmen“ und wie man eine Minute erleben muss, darf und soll. Das Ablaufen der Zeit ist bei Wong Kar-Wai ein Verlaufen der Gefühle. Gleichzeitig aber eine Art Karte, die durch das Labyrinth seiner emotionalen Bilder führt, denn wenn Zeit so sehr zersetzt und zersetzt wird, dann müssen mit ihm auch die Räume zerfließen, wie die Iguazú-Lampe in „Happy Together“ oder die nassen Fensterscheiben in „My Blueberry Nights“. 
„Wir könnten es nochmal versuchen“, sagt Leslie Cheung. Was heißt nochmal? Bei Wong-Kar Wai kann das nicht für immer heißen, es kann auch nicht in Zukunft heißen, nochmal heißt immer jetzt in dieser Sekunde. In sekundenlangen Blicken, nur von Zeitlupen und Walzertönen spürbar gemacht in „In the mood for love“ herrscht die absolute Gegenwart, die sich vor den Augen des Zusehers und der Protagonisten im Moment ihrer Entstehung verflüchtigen. Es ist als würde uns der Regisseur sagen, dass Liebe in Momenten entsteht, in denen sie schon wieder vergangen ist. Liebe ist ein hypnotischer Zustand in seinem Kino. We overcome in sixty seconds with the strength we have to together. But for now, emotional ties, they stay severed. Die Zeitlupensequenzen, die Vordergrund und Hintergrund in unterschiedlichen Geschwindigkeiten wiedergeben, sind nicht nur ein stilistisches Markenzeichen der Filme, sondern auch ihr Herzschlag, denn die Liebe und Zeit in den Filmen unterliegt auch immer einer subjektiven Wahrnehmung, die je nach Pulsschlag des Zusehers verschieden wahrgenommen wird. Wenn Film eine Form der Wahrnehmung ist und Zeit dafür essentiell ist, dann ist die Wahrnehmung bei Wong Kar-Wai, die eines oder mehrerer Liebender. Sie ist durchzogen von kräftigen Farben, von Helligkeit und Dunkelheit, sie ist in jeder Sekunde immer völlig auf ein inneres Gefühl gerichtet.
 
Aber man muss ehrlich sein. Die Figuren bei Wong Kar-Wai sind meist alleine, sie sind eitel und ich-bezogen, sie sind grausam und einsam. Seine Liebe besteht selten aus Nähe und Ehrlichkeit, sondern meist aus Melancholie und Sehnsucht, im Endeffekt aus Schmerzen. Hinter dem romantischen Ansatz seiner träumerischen Farben und Figuren versteckt sich die Hoffnungslosigkeit eines fatalen Ideals, einer Romantik, die nie zur Vollendung kommen wird. Wenn es bei Gaspar Noé heißt: „Die Zeit zerstört alles“, dann heißt es bei Wong Kar-Wai „Die Liebe zerstört alles“.