Notiz zu Tenet von Christopher Nolan

In der fantasie- und gefühlsbefreiten Kunst der nahtlosen Bewegungs-Montage hat Christopher Nolan mit seinem jüngsten Ableger einen Meilenstein geschaffen. Alles wurde derart sauber verklebt, dass man stellenweise glaubt, auf die Außenfassade eines im Windkanal optimierten Segelflugzeugs zu starren statt auf einen Film. Die Frage, die sich stellt: Was befindet sich hinter der Fassade? Die Antwort: Nichts. Jene von Basswummern gefüllten Hinwendungen an die Haptik der Kinoerfahrung: Explosionen, sich durch die Welt schiebende Maschinen und Körper sowie die sichtbar werdende Schwerkraft, sie alle wirken hilflos, ja beinahe verzweifelt im Angesicht ihres eigenen Lärms.

In seinen besten Momenten ein Meta-Agentenfilm à la Borges, in dem man nichts verstehen muss, sondern nur den Settings und den Profis folgt, bei was auch immer sie so tun, schießt sich der Film sozusagen rückwärts ins eigene Bein, als er die banale, mit dem Virtuosen flirtende Nacktheit des Actionkinos mit platter pseudo-philosophischer Besserwisserei auffüllt. Dort wo Mad Max: Fury Road von George Miller vor einigen Jahren zeigte, dass man durchaus ohne die großen psychologischen Hintergrundgeschichten, die Hollywood seit Jahrzehnten in ein laues Identifikations-Allerlei verblassen lassen, auskommen kann, ersetzt Nolan diese Geschichten lediglich mit seiner Liebe zu abstrusen und niemals endenden Expositions-Gelaber. Die Geradlinigkeit der Figuren und Actionsequenzen schneidet sich brutal mit der gestreuten Verwirrung, den Erklärungen, ob der verschiedenen Zeitebenen.

Natürlich kann man diese Manipulationen der Zeit auch als Hommage an das Kino verstehen, aber dazu bräuchte man ein Vertrauen in die Kraft desselben und nicht das paranoide Bedürfnis ständig zu erklären, weshalb, warum und wieso wir und der Protagonist nichts verstehen. In Tenet folgt alles einer beinahe frechen Manipulationsstrategie: Zuerst gibt es nämlich Handlung und während der Handlung wird klar, dass der Protagonist nicht alles versteht, was passiert, sich aber trotzdem weiter nach vorne bewegt, weil er immer noch mehr weiß als die Zuschauer. Nach dieser Handlung wird ihm dann etwas erklärt von anderen, die etwas mehr wissen als er und viel mehr als wir die Zuschauer. So zieht sich das durch, aber anscheinend ist das Zurückhalten von Informationen genug, um vor vielen Zusehern und Journalisten, den Anschein von Komplexität und Tiefe zu bewirken.

Kenneth Branagh, übrigens, ist ein wirklich schlechter Schauspieler. Warum er immer wieder in Rollen mit an rassistische Karikaturen grenzenden Akzenten auftaucht, bleibt sein Geheimnis beziehungsweise das der Produzenten und Filmemacher. Aber Tenet ist wahrlich kein Schauspielerfilm wie nicht zuletzt die unfassbar klischeebeladenen Szenen rund um die Frau des bösen Wichts zeigen. Nolan hat genau drei Dinge über diese Frau zu sagen: 1. Sie ist ein hilfloses, unterdrücktes Lamm 2. Deshalb (?) gibt es einen zu keiner Zeit nachvollziehbaren Strom zwischen ihr und dem Protagonisten (der wirklich „Der Protagonist“ heißt und vom Sohn von Denzel Washington verkörpert wird). 3. Irgendwann wird sie aus Muttergefühlen und Rachegelüsten doch noch zu einer Art Agentin, kalt und sexy mit Pistole und Tränen. Auch hier, darin ist Nolan konsequent, scheint die Zeit rückwärts zu laufen. Wenn das das Kino ist, lasst es sterben. Irgendwer in der Zukunft oder Vergangenheit wird es schon retten.

Collector’s Guilt

Es gab einmal mich und ich sammelte Sachen. „Sachen” waren auch die Eindrücke, die Filme in mir auslösten und „Sachen“ waren leider manchmal auch die Filme selbst, die ich verdinglichte, indem ich sie in meine imaginäre Schatztruhe, die einem Kasten mit bunten Steinen ähnelte, aufnahm.

Es gab einmal mich und ich wollte die Filme, die mir gefielen und vielleicht noch weiter gefallen würden, festhalten, um sie immer wieder zu sehen (was ich jetzt leider viel zu selten mache) .

Es reichte mir nicht, sie in der Hand halten zu wollen als DVDs oder Filmstreifen. Ich machte mir Hefte, in denen ich ausgedruckte Bilder und Zeitschriftenartikel von und über die Filme einklebte. Viele dieser Hefte konzentrierten sich nicht auf die Filme selbst, sondern eher auf Schauspieler. (Und auf Schauspielerinnen, aber Genderfragen habe ich nie gerne gesammelt, weil sie zu Küchengesprächen führen. Vor einer Woche hat mich jemand tatsächlich gefragt, ob ich die Darstellung von Frauen in den Filmen von Jonas Mekas nicht problematisch finde.) Auf jeden Fall war das kein Versuch einer tieferen Auseinandersetzung mit den Filmen, sondern eine Beschäftigung, die mir Genuss brachte, weil ich dann die Filme und all meine andere Sachen „haben” könnte. Die Freude meiner Mutter daran, aus Gone with the Wind erfahren zu haben, dass man Blush mit dem Zwitschern der Wangen ersetzen kann und dass man sich Kleider aus Gardinen machen kann, war ansteckend und da mir diese Freude immer an ihr gefallen hat, fiel es mir schwer, meine eigene Verdinglichung mancher Filmen zu kritisieren und es dauerte lange bis ich angefangen habe ein Schuldgefühl zu bekommen. Meine halb-imaginären, halb-verdinglichten Sammlungen schienen mir schon immer mittelmäßig, weil alles, was mir viel gefallen hat, mir schon immer unverdinglichbar und unsammelbar zu sein schien.

Vive la baleine

Es gab einmal mich und ich fing an meine Sammlungen auszustellen. Meine Ausstellungen fanden oft in Form von Playlists auf youtube statt, selten finden sie jetzt auf meiner leinwandlosen und leicht gesprenkelten Wand bei Filmabenden für und mit Freunden statt. Wenn es einem hilft, die Filme zu sehen oder zu zeigen, dann hat das Sammeln keine Schuld. Institutionen, die Filme sammeln und zeigen, haben nichts mit dem schuldigen Sammeln zu tun, denn sie sammeln, um Bliss zu verteilen.

Es gab einmal mich und ich sammelte mein Wissen, das Wissen in meinen Gemäldealben und mein Wissen aus Filmen über “echte” Schiffe, Tiere und sonstiges, weil diese Sachen in der Welt zu sehen weniger interessant war und geblieben ist und ich verbarg meine imaginäre Sammlungen, in denen manche Filme Dinge sind in meinem imaginären Haus, das wie das Haus aus Fanny och Alexander von Ingmar Bergman oder das Haus in Un conte de Noël von Arnaud Desplechin aussieht und das vielleicht so aussieht, weil das beides Häuser sind, in denen man als Kind Sachen sammeln kann. Ich weiß und sammele immer weniger und spüre immer mehr.

Fanny och Alexander

Es gab einmal mich und ich war so und so bin ich ab und zu auch heute noch. Und so war ich wieder mit einigen der Kurzfilmprogramme aus der Retrospektive zu Tieren, die im Österreichischen Filmmuseum zu sehen war und auch mit einigen der kurzen Vorfilme mit oder über Tiere/ mit und über Tiere/ mit Tiere und über Menschen (und Tiere), die zu sehen waren.

Es gab einmal mich auf dieser Retrospektive, in diesem guten Haus, und dieses “mich” hat jegliches Reflektieren über die Beziehung Tier-Kamera-Kino-Mensch-Maschine auf unbestimmte Zeit verschoben und sich die Sammlung, die Menge an kurzen Filmen angeeignet, in den eigenen Playlists auf youtube, wo das Rot in Cat’s Cradle, das man sowieso nicht sammeln kann, nie rot genug sein wird und die genauso unsammelbaren Katzen von Marey, wie so viele der anderen Filmen nichts verloren haben. Einen Versuch Pelešjans Vremena goda/Tarva yeghanakner zu sammeln würde ich nicht wagen. Manche Filme konnte ich in meiner halb-gedanklichen, halb-virtuellen Sammlung speichern und sehr oberflächlich kategorisieren und die Kategorien, obwohl es mich ekeln würde sie so zu nennen, wenn ich meine imaginäre Kasten zusammenstelle, hatten  sie “exotisch”, “enzyklopädisch” und andere solche Wörter im Titel.

Cat's Cradle

Ich bemerkte, dass Fütterung von Riesenschlangen mit seinen Riesenschlangen, die Hasen fressen, in seinen drei Minuten mehr Spannung hat als Mad Max: Fury Road in seinen zwei Stunden. Ich sammelte mir “peculiarities” wie eine Gesangsnummer mit einem Mensch und einer Ente (Gus Visser and His Singing Duck), die hunderten Lemminge, die ins Wasser springen  in C’mon Babe (Danke schön), ein Elefant, der durch Stromschlag getötet wird (Electrocuting an Elephant). Vielleicht empfand ich auch Genuss an dem Gedanken, dass so viele Menschen so etwas nie sehen durften. Mein Sammeln ist auch schuldig, weil in der Kategorisierung der verdinglichten Filme ethische Fragen ignoriert werden und ich sie als Objekte, die Genuss gebracht haben abgespeichert habe. Ist es eine Schuld? Eine besondere Stelle in meiner Sammlung bekamen Vive la baleine und L’Hippocampe ou „cheval marin“, weil ich es wagte, sie als “enzyklopädisch” zu etikettieren. Vielleicht beim ersten wegen der Bilder, die ich nie in Alben gefunden hätte, beim anderen wegen der Beschreibung des Verhaltens von Seepferden, über das ich nie in Bücher gelesen hätte. Ich lernte etwas über Physik und Bewegung von Étienne-Jules Marey, aber es war zu schön,um etwas zu lernen und ich vergaß es, als ich gesehen habe, wie man Hunde in Würste und dann wiederum in Hunde verwandeln kann (Dog Factory) und Tiere so groß wie die Erde werden lassen kann (King-Size Canary).

Über Film sollte man nie in der Vergangenheit schreiben. Ich befreie mich von der Schuld, werfe meine Sammlung weg und fange an über die Filme nachzudenken.