Pabst-Retro: There Will Be Blood: A Modern Hero

In A Modern Hero zeichnet Georg Wilhelm Pabst auf den ersten Blick eine klassische amerikanische Aufstiegs- und Fall-Geschichte. Interessiert ist er aber eigentlich an dem, was sie antreibt: Der innere Zerfall durch Ehrgeiz. Es ist sein einziger amerikanischer Film geblieben. Wenn ich bisher nicht näher auf die problematischen biographischen Hintergründe von Pabst eingegangen bin, dann nicht weil ich sie ignorieren möchte, sondern weil ich mich der Politik aus Sicht der Ästhetik nähern möchte. Es ist erstaunlich, dass sich in A Modern Hero keines jener „deutschen“ Bilder findet, die noch wenige Jahre früher zum Beispiel seinen Die weiße Hölle vom Piz Palü bewegten. Es ist die (technische) Anpassungsfähigkeit, die erstaunlich bis abstoßend wirkt bei Pabst. Sein erster und einziger Hollywoodfilm ist stilistisch völlig dem amerikanischen Kino verschrieben. Zwar gibt es inhaltliche Auffälligkeiten mit europäischen Bezügen, aber darüber hinaus verschwindet die Seele des Filmemachers hier völlig. Seine Rückkehr ins Nazideutschland Ende der 1930er Jahre, seine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit Goebbels und seine ausbleibende Reue im Anschluss daran bleiben unverständlich, wenn man heute mit den linken Sentiments seiner früheren Arbeiten konfrontiert wird. Die Geschichten, die dazu geführt haben sollen, sind letztlich ohne Bedeutung.

A Modern Hero ist am Ende trotz seiner formalistischen Angepasstheit kein amerikanischer Film der Depressionszeit, er ist vielmehr ein Film über Amerika in der Depressionszeit (und darüber hinaus), den man im moderneren Kino vielleicht mit Dogville von Lars von Trier vergleichen kann.

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Ein Zirkusartist gespielt mit anbiedernder, schmeichelnder und betörender Körperlichkeit von Richard Barthelmess (dem Chinesen aus Broken Blossoms ) möchte sein, in seinen Augen, niederes Dasein verlassen. Er klettert mit unbedingter Konsequenz die Karriereleiter nach oben und wird zu einem erfolgreichen Unternehmer. Alles am Körper dieser Figur ist der eleganten Unmöglichkeit des destruktiven Ehrgeizes untergeordnet. Man könnte es wohl mit einer Mischung aus gesenktem Haupt und funkelnden Augen beschreiben, die für Sekunden die Welt versprechen, aber letztlich nur in sich selbst verkrampfen. Parallel zu seinen beruflichen Errungenschaften und in einer Wechselwirkung, die ihm gleichzeitig Aufstiege und Bekanntschaften ermöglicht, nimmt er sich auf jeder Stufe dieser Leiter eine neue Frau. Er bleibt ein Artist. Bis eine Stufe bricht und mit ihr alles andere auch in einem Leben, das den Boden verlassen hat. Aber, so meint Pabst, es gibt ja noch die Mutter, die der Film als Figur und Idee liebt wie nichts anderes. Allgemein liegt ein aus heutiger Sicht merkwürdig erscheinender Fokus auf der Bedeutung von Blut als DNA. Figuren scheinen nur zu dem werden zu können, was ihnen durch die Adern fließt. Der junge Artist hat den Ehrgeiz seines erfolgreichen Vaters geerbt, aber auch das Durchhaltevermögen seiner Mutter. Sein eigener Sohn strebt ihm nach und wie er selbst muss er erkennen, dass im Aufstreben ein Abgrund wartet. Das ist streng genommen eine Umkehr des amerikanischen Traums. In der Unmöglichkeit des Ausbruchs findet sich dann Liebe und Durchhaltevermögen, die in der verzeihenden Mutterfigur gipfeln.

Das ganze wird in unsichtbarer, handwerklicher Perfektion gefilmt. Das klingt fast als wäre es nicht hier und da mit virtuoser Brillanz gesegnet, die sich vor allem in einer enormen Präsenz der Körper dieses amerikanischen Schauspieles wieder findet. Man spürt den Druck und die Ambivalenz, die über dem Geschehen lastet. Genau diese Präsenz wird leider etwas durchkreuzt von der extremen Kürze des Films (71 Minuten), die zwar erstaunlich ist, wenn man bedenkt, dass Pabst es schafft ohne einen Anflug von Hektik eine epische Geschichte zu erzählen, der aber dennoch das Gefühl des Alterns abgeht, dass wir in harten Schnitten hinnehmen müssen. Es ist dies eine Sache, der ich immer wieder – vor allem in amerikanischen Filmen – begegne. Die Idee des Zeitsprungs, der eine Idee bleibt. Es gibt eine sehr schöne Aussage von Quentin Tarantino, als der über einen anderen zerfressenen Ehrgeizigen des amerikanischen Kinos spricht, nämlich Daniel Plainview gespielt von Daniel Day-Lewis in There Will Be Blood von Paul Thomas Anderson. Tarantino spricht über den Anfang des Films und wie Plainview mit gebrochenem Bein durch den Staub robbt. Er sagt, dass es natürlich erstaunlich sei, dass dieser Mann alleine eine derartige Strecke mit einer derartigen Verletzung zurücklegen könne. aber alles, was Anderson bereits gezeigt habe von diesem Mann, alles was man in seinem Körper lesen könne, würde deutlich machen, dass wir alle wissen, dass dieser Mann diesen Weg zurücklegen kann. Und damit hat er Recht. Es geht hierbei um Notwendigkeit. Man muss nur zeigen, was man zeigen muss. Pabst ist ein Meister darin wie zum Beispiel sein grandioser Die Dreigroschenoper zeigt. In A Modern Hero jedoch scheint etwas zu fehlen. Vielleicht ist der amerikanische Traum zu leicht erreicht, vielleicht ist die Mutter nicht weit genug entfernt, um wieder nah zu sein. Vielleicht fehlt das Blut.

Pabst-Retro: Hybrid-Fever: Le Drame de Shanghai

Das Fieber, das westliche Regisseure mit ihren Blicken auf asiatische Metropolen und Stätten oft zu befallen scheint, ist voller Lust und Gefahr. Undurchschaubare Gesichter, die wir nicht kennen, Unbekanntes, der Abgrund fehlender Kommunikation. Eigentlich sind solche Inszenierungen heute nicht zuletzt aus politischer Sicht kaum mehr tragbar, aber es geht auch etwas daran verloren. Die Überhöhung und Fiktionalisierung des Blicks von Hollywood oder anderen westlichen Produktionen auf das Fremde ist mit problematischen Vorurteilen gespickt, sie ist aber auch voller Sehnsucht und Sensibilität. Heute haben wir eine Tendenz bei großen Produktionen gar keinen Blick mehr zu haben, also das Fremde einfach zu ignorieren statt zu versuchen ihm eine Materialität und/oder Stimme zu geben. Wenn jemand einen subjektiven Blick auf etwas Fremdes wirft, dann darf sich dieses Fremde natürlich als fremd offenbaren. Wichtig ist dann nur, dass der Blick als subjektiv reflektiert wird. Ansonsten scheint es mir essentiell, eine Anstrengung zu unternehmen. Die Bequemlichkeit einer Subjektivität muss hinterfragt werden. Nicht, weil man einen objektiven Film machen könnte, sondern weil man in die Subjektivität einen Zweifel legen muss. Man kann dem Fremden eine Stimme geben, man kann sich interessieren, zuhören, vielleicht darf erst dann Fiktion entstehen.

In Le Drame de Shanghai der bei der Retro im Filmarchiv Austria ohne Untertitel gezeigt wurde, findet sich die Tendenz des Fiebers genauso stark wie eine gegenläufige, die beständig die Handlung in einen geschichtlichen Kontext packen will. Dabei interessiert sich Pabst in dieser Adaption eines Romans von Oscar Paul Gilbert weniger für das Noir-Potenzial seiner mysteriösen Handlung als für eine Schicksalssinfonie zwischen Tochter und Mutter und dem Ziel diese Hölle zu verlassen. Doch die Schicksalssinfonie wird zu einem Echo und darin liegt die große Kraft des Films. Pabst macht hier ein Drama in Shanghai und ein Shanghai-Drama und sie gehen zusammen. Im Hinblick auf das moderne Kino, das sich solchen Orten nähert, wie jenes von Jia Zhang-ke oder jenes von João Rui Guerra da Mata & João Pedro Rodrigues macht Pabst hier einen großartigen Vorläufer, dessen Fiktionalität sich mehr und mehr auflöst bis sie in einem Messerstoß aus dem Film verschwindet, als hätte es sie nie gegeben. Die Emotion einer Identifikation wird von der Unaufhaltsamkeit einer Masse, die Geschichte repräsentiert, geschluckt.

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Das Gefühl des Eingesperrtseins durchdringt die ersten Filme der Pabst-Retrospektive mit Konstanz, es ist das Gefühl des machtlosen Wartens. Erzählt wird von Kay Murphy einer russischen Emigrantin und Sängerin und ihrer Tochter, die mit nervender Naivität in diese düstere Welt kommt, um sogleich wieder gehen zu wollen. Etwas hat sich verändert in Shanghai. Hinter den Kulissen tummeln sich Chinesen mit tödlichen Spritzen, kriminelle Organisationen, die sich mit schwarzen Drachen schmücken, lenken die Geschicke und letztlich auch das Schicksal der Sängerin. Manchmal fährt Pabst mit der Kamera durch die Menschen, die dem Gesang lauschen, manchmal brechen Unschärfen am Rand der Bilder die Gesichter der Massen auf. Diese Fahrten schaffen es allerdings nicht immer die etwas lieblosen Sets mit Gefühlen zu füllen. Dennoch sind es unruhige, bedrohliche Stimmungen, die sich etablieren und die spannenderweise in einem französischen Gesicht ihren ambivalenten Höhepunkt erreichen. Louis Jouvet (Entre onze heures et minuit ist er immer am schönsten) mit einer Narbe auf der Stirn, das Vertrauen einer Rasierklänge erweckend. Ansonsten lockert Pabst das geschehen über eine Howard Hawks-artige Journalismusgeschichte auf, die egal in welcher Situation möglichst unberührt von alledem abläuft. Was schon im Titel klar ist: Es ist ein Drama, keine Komödie und Pabst hält sich an diese Vorgaben aus dem Theater.

Nach und nach werden immer mehr Found Footage Aufnahmen aus China im Film integriert. Der Freiheitskampf, Menschen auf den Straßen, der Chinesische Bürgerkrieg in den 1930ern. Pabst vermischt virtuos melodramatische und journalistische Element bis alles zu einer einzelnen Bewegung, jener des Dramas wird. Was zunächst wie das große Drama inszeniert wurde in Nahaufnahmen der Augen von Christiane Mardayn, der Zusammenführung unterschiedlicher Linien zu einer Katastrophe, erscheint plötzlich trivial. Es ist nur, was man erzählen kann, nicht was wirklich war. Ein erstaunlich moderner Film.

Pabst-Retro: Stop n‘ Go: Der Letzte Akt

In den kommenden Tagen und Wochen findet im Filmarchiv Austria im Metrokino eine Retrospektive zum Schaffen von Georg Wilhelm Pabst statt. Hier sollen möglichst viele kürzere Texte über Filme und Motive seines Schaffens entstehen, die die Schau begleiten und aus ihr einen frischen Eindruck eines großen deutschen Filmemachers gewinnen wollen.

Wie zeigt man den Tod von Hitler? Um diese Frage kreist sich Pabsts Der letzte Akt, der eine frühere und in vieler Hinsicht bessere Variante von Oliver Hirschbiegels Der Untergang darstellt und dennoch untragbar scheint. Wie in der moderneren Variante spielt ein Volksschauspieler Hitler, Albin Skoda. Vielleicht ein logischer Schritt, vielleicht liegt schon hier eine Überhöhung. Auf den ersten Blick scheint es logisch, dass man für die Rolle des Hitler einen großen Darsteller braucht, auf den zweiten wäre ein kleiner oder keiner vielleicht auch interessant. Es geht um die letzten Tage im Bunker, die Pabst mit einer großen Liebe zum weitwinkligen Schattenreich früherer deutscher Bildstrategien inszeniert und mit mancher Brutalität beziehungsweise einem Moralapostel in Form eines völlig fehlbesetzten (Lukas Foerster empfand dieses Overacting als subversives und gelungenes Element im Film) Oskar Werner, aufweicht. Es sind die scheinbar gleichen Quellen auf die sich die Filme stürzen, es passiert das gleiche, nur dass bei Hirschbiegel mehr Emotionalität zugelassen wurde, vielleicht auch dem zeitlichen Abstand „geschuldet“. (Der Hund, zum Beispiel, stirbt nicht bei Pabst).

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Wie aber lässt man nun Hitler sterben? Der Vorschlag wäre und so wolle es auch Erich Maria Remarque, der die Filmnovelle schrieb, auf der Der letzte Akt beruht, dass Hitler stirbt wie eine Ratte im Keller. Nicht so mit Pabst, denn Pabst flirtet zwar mit der absurden Demaskierung, die Aleksandr Sokurov in seinem Moloch und auch The Sun praktiziert, aber am Ende macht er einen Film, der Hitler wohl gefallen hätte. Hitler stirbt nämlich nicht im Bild. Flammen bleiben, das Feuer und eine Warnung. Es ist sicherlich ein gut gemeinter Versuch, die Person gegen ihren eigenen Willen zu instrumentalisieren, als Mahnmal, aber dem Ganzen haftet so ein Geschmack von „Aus Fehlern lernt man.“ an, also auch ein Verzeihen, das absolut problematisch ist. Die Kamera spielt die Inszenierungsstrategien ihrer Subjekte hier mit. Sie blickt nicht durch sie hindurch, es ist ein Film, der immer noch paralysiert scheint von Nazideutschland, der auch ganz klar zeigt, dass Pabst unter anderem eng mit Leni Riefenstahl zusammenarbeitete in früheren Arbeiten und indem es keine Banalität gibt, sondern nur den Horror, die Ehre und die Angst.

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Wie sehr sich Pabst mit dem Rhythmus der Nazis identifiziert zeigt sich auch in seiner Montage beziehungsweise seinem Erzählrhythmus. So gibt es ein beständiges Stop n‘ Go, dass mit militärischer Präzision die zackigen Bewegungen der Soldaten und Offiziere nachempfindet, das „Jawohl“, das Pabst narrativ anprangert und die Stiefel, die gegeneinander schlagen bevor sie auf Befehle warten, zu einem ästhetischen Programm werden lässt. Ein Beispiel findet sich in der außergewöhnlichen Tanzszene der Schattenangst in der Schenke des Führerbunkers. Eine Frau beginnt einen wilden Striptease, die Zügel fallen auf den blutigen Boden und plötzlich knallt es, das Licht geht aus. Es ist ein Stop in dieser Bewegung, der sogleich weitergeht, wenn das Licht wieder angeht und wir uns im wilden Kuss zweier Verzweifelter finden. Immer wieder bewegt sich der Film so vorwärts. Warten-Gehen-Stoppen-Weitergehen-Warten-Gehen…das Problem ist, dass es immerzu eine Bewegung nach vorne gibt. Was wir vergessen in diesen Bewegungen, die nicht akzeptieren wollen, die sich in eine Körperlichkeit retten, um zu vergessen, dass sie sterben werden, ist dass sie selbst eine Schuld daran tragen. Die Flammen eines Fiebers scheinen hier zu glühen, als wäre alles nur ein Traum, eine Erinnerung aus dem Schattenreich. Eine verdrängende Erinnerung, die nach vorne gerichtet ist und daher zum Verschwinden verdammt ist. Was wir nicht vergessen sollen laut der expressionistischen letzten Szene, ist dass so etwas nie wieder passieren darf. Und man fragt sich tatsächlich, was Pabst meint: Man darf nie wieder blind solchen Leuten folgen? Okay. Aber auch: Deutschland darf so etwas nie wieder passieren? Die armen Deutschen und G. W. Pabst…

Der letzte Akt ist ein beeindruckender Film des Verdrängens, wo er es nicht sein dürfte. Am schlimmsten daran ist, dass er eine Attraktivität in diesen Bunker legt, die einen die Tabus überwinden lassen will. Eine Idee den Tod von Hitler zu zeigen, wäre es, den Tod von Hitler zu zeigen.

Touch the Invisible Truth: Où gît votre sourire enfoui?/Sicilia!

Where does you hidden smile lie

Ein programmtechnischer Glücksfall wollte es, dass ich sehr kurz nach einem Screening von Pedro Costas Où gît votre sourire enfoui? in den Genuss von Jean-Marie Straubs und Danièle Huillets Sicilia! kam. Der Film über die Heimkehr eines Auswanderers nach Sizilien wurde in Wien im neu-eröffneten Metrokino anlässlich der Peter Handke geht ins Kino-Schau gezeigt. Basierend auf Elio Vittorinis „Conversazione in Sicilia“ entfalten die Straubs einige dialoglastige Vignetten voller Witz, Philosophie und Würde. In seiner Dokumentation, die zunächst im Rahmen der Serie Cinéastes de notre temps entstanden ist, begleitet Costa das Filmemacherpaar im Schnitt von Sicilia! Den Film nach der Arbeit daran zu sehen, war ein besonderes Vergnügen. Die Sätze über die Straub-Huillet fühlbare Stunden grübelten, fliegen wie ein Echo an einem vorbei, wenn man das Endprodukt sieht. Aber vielleicht ist Echo allgemein ein guter Begriff, um zu beschreiben was diese beiden Filme miteinander machen.

Sicilia! von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet

Womöglich muss man an einer anderen Stelle beginnen: William Lubtchansky, seines Zeichens häufig Kameramann bei Jacques Rivette und damit auch Bildermaler im unglaublichen La belle noiseuse. Er führte die Kamera bei Straub-Huillet: Blitzweiße Wände, in schwarzen Stufen davor die Menschen, wir studieren ihre Gesichter. Schon die erste Einstellung ist von einer solchen kontrastreichen Notwendigkeit, dass man seine Augen nicht abwenden könnte. Ein Mann sitzt mit seinem Rücken zu uns am Ufer. Diese Einstellung sieht man auch in Où gît votre sourire enfoui?. Gewissermaßen brennen sich die Bilder in das Gedächtnis. Jeder, der schon einen Film geschnitten hat, kennt die unterschiedlichen Erfahrungsebenen, die man mit den Bildern hat: Man lernt sie kennen, man vergisst sie, man lernt sie neu kennen, man lernt sie besser kennen, man kann sie nicht mehr sehen, man wird von ihnen überrascht, man versteht sie nicht, man lernt sie kennen, man vergisst sie, man glaubt ihnen nicht mehr, man lernt sie neu kennen bis man sie ignoriert oder stirbt. Der Film, also jener der Straubs folgt einem Rhythmus. Jenem seiner Montage und seiner Sprache. Mit Costas Film im Kopf kennt man die eigenwilligen und in sich bewegenden Regeln, denen Straub-Huillet im Schnitt folgten. Der Schnitt erfolgt wegen eines Echos im Dialog oder wegen dem Geräusch eines Vogels. Wer schneidet sonst deshalb? Manchmal wird der Ton aussetzen, eigentlich wird fast immer geschrien. In einem bemerkenswerten stilistischen Kniff werden die Figuren am Ende ihrer langen Dialogpassagen manchmal einfrieren. Es ist wie bei Brecht oder wie in den Fassbinder-Posen. Die Kamera liest dann auf ihren Gesichtern. Das Unterfangen ist von einer bewegenden Künstlichkeit beseelt. Diese Künstlichkeit ist bewegend, weil sie der Armut im Film eine noble Stimme gibt, weil sie die Poesie des Hungers malt. Der einzige Filmemacher, der sonst derart gekonnt das Notwendige, das Existentielle und das Schöne verbindet, ist Pedro Costa. Die dezentrierten und von jeglichem Schnickschnack befreiten Einstellungen von Menschen vor Wänden hat er vor allem in Juventude em Marcha erforscht. Man denke an den hilflosen Ventura in der neuen Wohnung. Man denke an diese seitlichen Nahaufnahmen, in denen die Figuren mehr auf der rechten Seite stehen und somit mehr mit dem Offscreen als dem sichtbaren Bild verbunden sind. Lubtchansky lässt die Schatten mitsprechen, Costa auch. Die Wahrheit wird in diesem Unsichtbaren gesucht. In Où gît votre sourire enfoui? gibt es diese Schatten. Es ist vor allem der Schatten der nüchternen Danièle, die stur ihre Arbeit erledigt und Straub beschimpft, wenn er seinen Mund nicht halten kann. Costa hat gesagt, dass dieser Film ein Liebesfilm und eine Komödie ist. Das bringt einen zu Chaplin, ein Mann, der ebenfalls das Arme mit dem Würdevollen, das Licht mit dem Schatten verband. Straub redet und bewegt sich tatsächlich ähnlich wie die Figuren in Siciia! Er steht auf und hält Monologe, spricht laut, verschwindet aus dem Bild und kehrt zurück.

Jean-Marie Straub bei Pedro Costa

Wie La belle noiseuse ist auch Où gît votre sourire enfoui? ein Film über Arbeit. Sicilia! Dagegen ist ein Film über die Spuren der Arbeit. Aber das sind die anderen beiden auch. Man könnte sagen, dass Huillet bei Costa für die Arbeit steht und Straub für die Spuren der Arbeit. Sie bedingen sich gegenseitig. Arbeit ist für Costa genauso wichtig wie Blinzeln. Ein Blinzeln mag ein Lächeln sein. Straub-Huillet suchen nach einem solchen unsichtbaren Lächeln, einer kleinen Regung, dem Unkontrollierbaren. Hier wird die Kunst des Filmemachens und insbesondere die Konstruktion einer Montage als Prozess aufgefasst, als Arbeit. So wie in La belle noiseuse immer wieder neu begonnen wird, immer wieder radiert wird, immer wieder aufgegeben und angefangen wird so wird für Sicilia! auch geschnitten. Ganz Ähnliches interessierte Costa auch in seinem Wunder Ne change rien, indem er die Sängerin/Schauspielerin Jeanne Balibar in ihrem Arbeitsprozessen begleitet, im Schatten, vor Wänden, hartes Licht der Einsamkeit und Würde. Costa und Straub-Huillet sind Rockstars, nur falls es daran Zweifel geben sollte. Ihre Wiederholungen und ihre Konsequenz, ihre Persönlichkeiten und ihre Kunst ergeben ein Gesamtbild das in den Prozess, in die Arbeit fließt. Damit erinnern sie allesamt an einen anderen Prozess-Film, nämlich Jean-Luc Godards One Plus One, indem Godard in einem Strang die Rolling Stones bei Probeaufnahmen beobachtet.

Costa sucht nicht nur nach dem Lächeln in einem gesonderten Moment. Er sucht nach der Bedeutung der Zeit für dieses Lächeln, er sucht nach diesem Lächeln in der Zeit. Der Schnitt bei Straub-Huillet wird dann kommen, wenn die Zeit reif ist. Das Lächeln kann auch existieren, wenn es versteckt ist, weil die Zeit es entblößt. Ein Funkeln in den Augen, das nicht in einem einzelnen Frame erkennbar ist. Einige Male wiederholt sich ein totaler Schwenk in Sicilia!. Er betrachtet eine felsige Landschaft, ein Dorf am Horizont und schließlich einen verlassenen Weg mit einem Busch. Hier verlangsamt sich der Film fast, denn ansonsten scheinen Schnitt, Bewegung und Sprache einem ganz eigenen, für das Filmemacherpaar durchaus schnellen Rhythmus zu folgen. Denkt man beispielsweise an die Eröffnungsszene in Juventude em Marcha so kann man die Parallelen im Zusammenspiel von Ton und Bild, Klang und Rhythmus hören, die Costa mit Straub-Huillet verbindet. Der Schwenk öffnet unseren Blick auf die konstruierten Welten. Er ist ein Dokument in der Zeit. Zudem wird damit die Bedeutung des Lands für die Figuren betont. Die Wiederholung spricht vielleicht von einer Unveränderlichkeit, wie der immer gleiche Weg zur Arbeit. Man denkt an Rossellini, man denkt an Rivette und man denkt an Kiarostami, dessen Film Where Is the Friend’s Home? Im Anschluss im Metrokino zu sehen war.

Sicilia! von Straub-Huillet

Sowohl Straub-Huillet als auch Costa behandeln die Bedeutung von Sprache im Film. Sie finden beide Wege (und das Ausrufungszeichen beziehungsweise Fragezeichen in den jeweiligen Titeln sprechen bereits davon), Sprache in ein filmisches Ereignis zu transformieren. Zum einen geht es um Sprache in der Zeit, zum anderen um die Adressierung der Sprache. Die Figuren, sei es der Sohn oder die Mutter in Sicilia! oder Straub in Où gît votre sourire enfoui? sprechen mit etwas Unsichtbaren. Sie adressieren nicht direkt die Kamera und sie sprechen auch nicht wirklich mit den Personen in der diegetischen Welt. Vielmehr sprechen sie um zu sprechen. Darin liegt neben einem Verfremdungseffekt und einer tragischen Komik auch die Geschichte einer Einsamkeit, von wahrhaftigen Seelen.Es ist auch bezeichnend, dass in beiden Filmen in Nicht-Muttersprachen der Filmemacher gesprochen wird. Für sie geht es nicht um die Information durch Sprache sondern das Wesen, das dahinter sichtbar wird, in der Zeit, versteckt, wie ein Lächeln in den Augen.

Zwei essentielle Filme für alle, die noch darüber nachdenken wollen, wo man eine Kamera positioniert, wann man schneidet und warum man einen Film zum Sprechen benutzt.