Wörter für die Welt da draußen #2 Fruchtmumie

Im Garten eines von den Nationalsozialisten geliebten Heimatdichters, entdeckte ich gleich neben seinem Grab einen majestätischen Apfelbaum. Unzählige Äpfel, die gar nicht alle von diesem einen Baum stammen konnten, vergammelten um ihn auf der braunen Winterwiese. Würmer schlängelten sich im Paradies und an den Ästen entdecke ich noch manche Frucht, die wie ein Kokon im schlaffen Sonnenlicht zerfiel. Tiefe Furchen hatten sich in der Schale gebildet und erzeugten ein unwirklich farbloses, eingefrorenes Bild der Verkrampfung. Man nennt diese ausgetrockneten Äpfel Fruchtmumien.

Es roch nach Moos und Morphium. Die Pilzgattung Monilinia erzeugt diese in der Luft hängenden Mumien. Wie ein zitronenförmiges, gischtfarbenes Geflecht benetzt dieser Pilz die Frucht und lässt das Bild eines konservierten Absterbens zurück. Dass die einbalsamierten Äpfel der parfümierten Erinnerungskultur rund um den „Heurigenhölderlin“ Josef Weinheber nur allzu gut stehen, muss nicht erwähnt werden. Ob man die Mumien als Krankheit betrachtet oder als pastorale Verzückung, wird hier jedem selbst überlassen.

Dass sich die Marktgemeinde Kirchstetten mit der Poesie identifiziert, liegt weniger an der von überall durch die beschaulichen Gärten schallenden Autobahn als an den ehemaligen Bewohnern dieses Ortes. Denn nur einige Meter durch einen kleinen Wald getrennt, lebten eben jener Weinheber und W. H. Auden. Letzterer war in Fragen der Wortwahl und politischen Gesinnung deutlich näher am Leben als der Verwesung und vielleicht fiel ihm die folgende Zeile ein, als er eines Tages einen Blick auf Weinhebers Fruchtmumien warf:

The trees encountered on a country stroll

Reveal a lot about that country’s soul.

Bila jabuka, Ivana Miloš, 2021 (Naturdruck auf Papier)