Cinemañana: 13 travel tips for the summer

1. Travel to Italy. Find this creature and eat it.

Plein Soleil

2. Go to Alphaville and destroy Alpha 60

Alphaville: une étrange aventure de Lemmy Caution von Jean-Luc Godard

3. Find the waterfall in Loong Boonmee raleuk chat. Dress like a princess. Get raped by a fish.

Loong Boonmee raleuk chat von Apichatpong Weerasethakul

4. Or travel to Twentynine Palms.

Twentynine Palms von Bruno Dumont

5. Try to find Jauja.

Jauja von Lisandro Alonso

6. Climb Stromboli pregnant. While it erupts.

Stromboli von Roberto Rossellini

7. Visit Anatolia, drop your apple and let it roll down a hill, into the creek bed.

Bir Zamanlar Anadolu’da von Nuri Bilge Ceylan

8.  Go to Căpâlniţa. Pick up some American soldiers while an Elvis impersonator sings “Love me tender”

California Dreamin' (nesfârșit) von Cristian Nemescu

9.  After seeing Sylvania:

Duck Soup von Leo McCarey

10. Find out how green my valley was.

How green was my valley von John Ford

11. Go sailing on the Caspian Sea. Join the „Lights of the Communism” kolkhoz and fall in love with Masha.

У самого синего моря von Бори́с Ба́рнет

12. Go to the seaside. Burn that tent and exercise.

Les Vacances de M. Hulot  von Jacques Tati

Les Vacances de M. Hulot  von Jacques Tati

13. Return to Italy. Go to Venice and die

Morte a Venezia von Luchino Visconti,

Three Men of Wisconsin: The Intimate Stranger und Eva von Joseph Losey

Die große, überraschte Begeisterung über die beiden äußerst gelungenen Werke The Prowler und The Criminal von Joseph Losey ist schon wieder verflogen. Man bemerkt einfach mal wieder, wie sich der Eindruck, den man von einem Filmemacher hat, während einer Retrospektive schlagartig verändern kann. Nach dem langweiligen Blind Date standen mit The Initimate Stranger und Eva zwei weitere problematische Filme auf dem Programm, wenn auch aus völlig unterschiedlichen Gründen. Beide Filme handeln gewissermaßen von den Geheimnissen und Nicht-Geheimnissen von mehr oder weniger erfolgreichen Filmschaffenden (im ersten Fall ein Cutter become Producer und im zweiten Fall ein Autor). Losey drückt den beiden Figuren seine bekannte Portion Ambivalenz in die Handlungen, sie sind beide schuldige Opfer, wenn man so will. Dabei spielen in beiden Fällen geheimnisvolle Frauen eine entscheidende Rolle. Sie eröffnen einen psychologischen Kampf zwischen den leidenschaftlichen Abenteuern und der häuslichen Ehe, die in diesen Fällen eng an eine erfolgreiche Karriere geknüpft ist. Stilistisch könnten die beiden Werke unterschiedlicher kaum sein. Sie zeigen, wie sich Losey in verschiedenen Phasen seines Schaffens mit ganz ähnlichen Stoffen befasst hat.

Eva Jeanne Moreau

Eva

The Intimate Stranger, der in seiner amerikanischen Vorführkopie unter dem Titel Finger of Guilt im Österreichischen Filmmuseum zu sehen war, wählt für diese Konflikte das Muster eines bescheidenen Noir-Films. Wie viele Filme in der Schau, liegt ein Schatten über der Produktions- und Distributionsgeschichte des Films, in diesem Fall ist es wieder die Schwarze Liste, die nicht nur dafür sorgt, dass einige Crewmitglieder unter Pseudonymen im Vorspann auftauchen, sondern auch dafür, dass der bekennende Linke Losey gar nicht als Regisseur aufgeführt wird, sondern Produzent Alec C. Snowden. Auch führt dieser Hintergrund dazu, dass man die Geschehnisse des Films und manchen Dialog durchaus als Kommentar auf die persönlichen Situationen von Drehbuchautor Howard Koch und eben Losey verstehen kann. Es geht um einen Filmschaffenden, der aufgrund eines Skandals in Hollywood nach England flieht, um dort als Produzent Fuß zu fassen. Er heiratet die Frau des Studiobosses und ist mitten in den Arbeiten zu seinem ersten Film, als ihn plötzlich geheimnisvolle Briefe einer unbekannten Frau (Howard Koch war auch der Drehbuchautor von Letter From an Unknown Woman und wenn man nett sein will kann man sagen, dass er mit ähnlichen Motiven spielt) erreichen und nicht nur seine Arbeit in Frage stellen. The Intimate Stranger ist einer jener Filme, deren komplettes dramaturgisches Konzept auf dem Zweifel beruht. Zweifel an der Wahrheit, Zweifel an den Figuren, Zweifel daran, dass wir alles gesehen haben. Das Begehren eines neuen Lebens hängt immer an den Schatten der Vergangenheit. Die im amerikanischen Kino jener Zeit so beliebte Flashback-Struktur erlaubt einen erträglichen Umgang mit dieser Flucht vor der Vergangenheit. Allerdings wirkt der Film stellenweise unheimlich müde. Losey, der gerne in Halbtotalen inszeniert, als wäre sein Kino in den Anfängen des Erzählkinos steckengeblieben (das ist natürlich extrem zugespitzt, denn seine leichten Schwenks können in anderen Filmen auch durchaus einen spannenden Umgang mit Framing, Perspektive und Off-Screen erzeugen), treibt es hier auf die Spitze. Unmotivierte Blicke in Räume, in denen ohne besondere Bewegungschoreographie, ohne spannendes Set-Design oder sonst irgendwelcher Elemente, Dialoge herunter gesprochen werden. Zudem fällt der fast durchgehende Verzicht auf ein Sounddesign auf, der uns wohl dabei helfen soll, dass wir uns auf das Drama fokussieren und nicht doch zufällig von der Welt um das Drama herum abgelenkt werden. Nichts ist wirklich schlimm, alles ist sehr unbedeutend. In dieser Neutralität verliert sich auch die durchaus gegebene Möglichkeit, Spiele mit der Erzählperspektive oder der Wahrnehmung zu treiben. Das ändert sich in den letzten Minuten des Films, die plötzlich zu einem expressionistischen Reigen mit doppelten Boden und Meta-Ebene werden. Ein wahrhaft wachrüttelnder Move, den Losey hier wagt. Eine Maschinengewehr-Attrappe, ein herrlich ambivalenter Zeitlupenkuss, eine Frau rennt durch ein dunkles Filmstudio. Plötzlich sehen wir das Leiden in den Gesichtern, der Film entwickelt jene Notwendigkeit, die ihm die gesamte Laufzeit zuvor gefehlt hat.

The Intimate Stranger

The Intimate Stranger

Notwendigkeit ist dann auch das Stichwort, wenn man sich mit Eva beschäftigt. Dort kann man Losey mit Sicherheit nicht vorwerfen, dass er einen müden Stil wählen würde, denn alles ist hier im Hochglanzlook des europäischen Kunstkinos gehalten. Referenzen zu Filmen von Antonioni, Fellini oder Resnais inklusive, ein Fest für die Augen, das nicht müde, aber schnell ermüdend wirkt, da es auf einer unheimlichen Leere gebaut ist, also nicht notwendig ist? Es ist ein schwieriges Thema, denn ich bin der festen Überzeugung, dass Gustave Flaubert Recht hatte, als er Stil nicht als die Verzierung eines Diskurses bezeichnete, sondern als eine Art, die Welt zu sehen. Das bedeutet, dass Stil natürlich jenseits des Inhalts eine Bedeutung hat. Immer wieder bemerke ich in Diskussionen, dass diese Ansicht nicht von jedem geteilt wird. So wird Filmemachern wie Nuri Bilge Ceylan (zum Beispiel sein Climates) oder Andrey Zvyagintsev (zum Beispiel sein Leviathan) vorgeworfen, dass ihr Stil eine leere Hülse ist, der verdeckt, dass darunter eigentlich nichts ist. Ich konnte und ich werde das nie teilen, denn zum einen ist bei den beiden etwas „darunter“ und zum anderen erzählt ihr Stil, selbst wenn er sich bei großen Meistern der Vergangenheit bedient, schon mehr als Inhalt überhaupt könnte im Film. Warum lasse ich mich dann mit Eva von Joseph Losey, der zum ersten Mal in Österreich in seinem Director’s Cut, ermöglicht durch das Niederländische Filmmuseum gezeigt wurde, zu einer ganz ähnlichen Feststellung hinreißen?

Vielleicht liegt es daran, dass Stil für mich ganz nah am Begriff der filmischen Form liegt. Und formal ist Eva mindestens genauso flach wie inhaltlich. Die einzelnen Bilder, die allesamt äußerst schön sind, fügen sich weder zu einer größeren Wahrheit, noch zu einer filmischen oder formalen Wahrheit zusammen. Es gibt kaum durchgehaltene Motive in der Form, keine Sinnlichkeit oder Bedeutung, die sich über das Zusammenspiel der Bilder und Töne generiert. Alles existiert nur, weil es schön ist und damit kann man den Film erschreckenderweise durchaus mit Ryan Goslings Lost River vergleichen, über den ich kürzlich schreiben musste. Ein Filmemacher ist hier begeistert von einer gewissen Attitüde, einem gewissen Stil, aber er hat überhaupt keine Mittel, um diesen wirklich umzusetzen, zumal ihm auch der passende Inhalt fehlt, denn in Eva geht es schlicht um eine noirige, banale Dreiecksgeschichte vor dem Hintergrund des Filmbusiness. Das Setting (Venedig, Rom) ist hier das Setting, weil es gut aussieht. Überall gibt es Masken, Kostüme und Statuen, aber weder im Exzess wie bei Orson Welles und seinem Confidential Report, noch über die oberflächliche Wirkung hinaus, dass es sich hier eben um Geheimnisse und Betrügereien geht.

Im Zentrum des Films scheint zunächst der fragwürdige Erfolgsautor Tyvian Jones (Stanley Baker, Mastroianni ohne Brille, mit England) zu stehen, der verloren und betrunken in Venedig dahinvegetiert, ein Mann, der von seinem Sexualtrieb gesteuert wird. Doch bald schon wird klar, dass das eigentliche Zentrum des Films seine große Versuchung Eva sein wird, genauer: Jeanne Moreau, deren Figur und vor allem die Art wie diese Figur gefilmt wird, das ganze Problem des Films in sich trägt. Tyvian lässt sich von der kalten Frau verführen und setzt damit seine Beziehung zu Francesca (Virna Lisi)und früher oder später auch seine erbärmlichen Geheimnisse aufs Spiel. Nun ist es so, dass sich Jeanne Moreau mindestens 50mal im Film freiheitsbetonend durch ihre Haare fährt, sich ständig lasziv um sich wendet, eigentlich zu einer Parodie weiblicher Versuchung verkommt und in mancher Hinsicht von sich selbst. Vielleicht hat Losey versucht, mit Moreau das Spiel von Catherine Hessling in Nana von Jean Renoir zu kopieren? Je länger Losey sie filmt, desto mehr Seele raubt er dieser Figur und dieser Schauspielerin. Er scheint einer Art cinephilen Notizbuch zu folgen, indem alle Ideen dafür stehen, wie man Jeanne Moreau besonders gut aussehen lassen könnte. Ja, ich sehe, dass man damit kein Problem haben muss, aber die wahre Größe dieser Darstellerin wird dadurch auf eine derart platte Oberfläche reduziert, die eben beweist, dass Begehren im Film nicht über Offenbarung erzeugt wird, sondern über Zurückhaltung. In Eva hat man das Gefühl, dass Losey sich zu sehr in der Rolle des italienischen Kunstfilmers gefällt, eine Rolle, die er zumindest zu diesem Zeitpunkt noch nicht spielen kann.

Die Bedeutung des Verzichts im Film

Ich glaube, dass die Radikalität eines Verzichts in der filmischen Sprache heute von einer noch zu benennenden Relevanz ist, die zu keiner Zeit als bloßer Formwille oder als Prinzipiendenken abgetan werden sollte. Die Frage, ob ein Film nun etwas sagen und kommunizieren soll, oder ob er eher beobachten soll und somit ein womöglich ethisch haltbareres Verhältnis zur Realität aufbaut, ist inzwischen zu einer Frage zwischen Kommerz und Festival, zwischen Klassik und Moderne im Film geworden. Daran geknüpft findet sich die Frage, ob Film überhaupt eine Aufgabe hat. Es ist klar, dass Filmemacher wie Bruno Dumont (ein expressionistischer Minimalismus), Carlos Reygadas (ein impressionistischer Minimalismus, in dieser Hinsicht ein Bruder von Claire Denis), Nuri Bilge Ceylan (ein Minimalismus der Literatur oder zuvor einer der schweigenden Gesichter), Cristi Puiu (ein realistischer Minimalismus), Jia Zhang-ke (ein elliptischer Minimalismus), Apichatpong Weerasethakul (ein spiritueller Minimalismus) oder Pedro Costa (ein abstrakter Minimalismus) Filme machen, in denen wir nicht alles sehen und hören, was unser Kopf zur Herstellung eines in sich schlüssigen, klassischen Narrativs benötigen würde. Wir sind zurück auf uns selbst geworfen oder aber die Filme geben eine Wahrnehmung der Welt wieder, die sich nicht in eine Nachvollziehbarkeit, sondern eher in Gefühle, Fragmente, Figuren und die Realität dreht.

Still Life Jia Zhang-ke

Still Life von Jia Zhang-ke

Erstaunlich daran ist, dass diese Filmemacher häufig von einem politischen Standpunkt aus betrachtet werden, obwohl oder gerade weil sie sich um eine klare Aussage und Haltung herum winden. Im Verzicht liegt bekanntermaßen bereits ein politisches Moment. Dieses hat sich lediglich auf die Form verlegt (und wird im Inhalt gespiegelt). Das Musterbeispiel bleibt Pedro Costa, der seine Filme als demokratisches Unterfangen etabliert und im Verzicht eine Betrachtung von Menschlichkeit entwickelt. In diesem Sinn wird auch Sharunas Bartas interpretiert. Es heißt, dass durch das Schweigen von allen den Schweigenden eine Stimme gegeben wird. Im Aussparen macht man auf etwas aufmerksam, man betont gewissermaßen, dass etwas fehlt und das ist politisch. Aber ganz so einfach ist das nicht. Oft betrachten die Filmemacher des Verzichts eben auch politische Themen wie Jia Zhang-ke oder Claire Denis. Sie betrachten diese aber anhand des Banalen oder Außergewöhnlichen, auf keinen Fall mit der Idee selbst oder in Form eines Statements. An dieser Stelle sei bemerkt, dass Wang Bing in seinem Le fossé durchaus gezeigt hat, dass Minimalismus auch politisch lauter und deutlicher formuliert sein kann. Das wirkt dann aber aufgesetzt.

Japón von Carlos Reygadas

Japón von Carlos Reygadas

Ihre Wahrnehmung scheint in den meisten Fällen politischer als ihr Inhalt. Es wird erst in der Annäherung an den Inhalt klar, dass es sich dabei um etwas Politisches handeln könnte. Im Verzicht liegt auch ein Respekt vor der Komplexität politischer Vorgänge. Nicht die politische Haltung und Meinung der Filmemacher ist von Interesse, sondern die Realität. Eine objektive Realität ist natürlich nicht herstellbar mit einer subjektiven Sprache, aber das Aufmachen von Lücken und Fragen ist ein ehrlicherer Ansatz, als das forcierte Vertreten einer Position. Das Schwimmende und Unklare, das spätestens seit Michelangelo Antonioni eine gewisse Kontur im Kunstkino bekommen hat, ist ein politisches Statement. Aber es ist viel mehr, denn im Verzicht liegt auch die größtmögliche Hinwendung zur Konstruktion und Illusion von Raum und Zeit im filmischen Bild. Wenn bei Puiu verschiedene Dinge nicht geäußert werden oder wir bei Ceylans Filmen vor Winter Sleep enigmatische Gesichter betrachten, die ihre Emotionen hinter einem Berg aus Reflektion und Persönlichkeit verstecken, wenn sich Räume bei Jia Zhang-ke durch konstruktive Montagen und vor allem den Einsatz von Tiefenschärfe deutlich mehr als seine dieser Umwelt ausgesetzten Figuren erschließen oder Bruno Dumont beziehungsweise Claire Denis an entscheidenden narrativen Stellen eine Ellipse aufmachen, dann wird klar, dass sich die Filmemacher der Verpflichtung einer Fiktion bewusst sind. Sie wissen, dass Film in vieler Hinsicht seine Spannung aus dem „Wann und Was zeige Ich NICHT“ gewinnt. Der filmische Raum wird mir dann bewusst, wenn es ein Off-Screen gibt oder ein Bewusstsein der Richtungen der Realität, in der sich die Kamera befunden hat. Außerdem wird die Illusion derart als solche angezeigt und wir beginnen ihrer Konstruktion zu glauben. Hier beginnt für mich ein filmischer Realismus, in dem Augenblick, in dem ich ein offenes Verhältnis von der Kamera zur Realität wahrnehme und diese Offenheit kann nur durch Verzicht entstehen.

Twentynine Palms Bruno Dumont

Twentynine Palms von Bruno Dumont

Dieser Verzicht kann auch geringer und weniger radikal sein wie zum Beispiel die Rahmungen eines John Fords oder die RKO-Filme von Jacques Tourneur zeigen, denn dort wird nicht ein Gefühl von Verzicht etabliert, sondern lediglich auf das verzichtet, was unnötig erscheint. In dem Moment spricht man dann von einem Handwerk und von einer Notwendigkeit. Dieser Notwendigkeit unterliegt aber ein Verzicht auf das Ausschmückende, das Bombastische, das Prinzipienhafte. Plötzlich wird Film zu dem, was wir nicht sehen. Eine erhöhte Konzentration, ja ein Wiedererlernen des vergessenen Sehens ist nur in diesen Filmen möglich. Natürlich kann man auch in klassischeren Filmen genauer hinsehen, man kann mehr sehen, man kann sie auseinandernehmen. Die Intelligenz dieser Betrachtung geht dann aber zumeist vom Zuseher aus und nicht vom Film selbst. Zugespitzt könnte man formulieren, dass uns Filme wie jene von Claire Denis erst ermöglichen, in Filmen von David Fincher etwas anderes zu sehen als Plot.

Aurora von Cristi Puiu

Aurora von Cristi Puiu

Der zweite Verzicht liegt wie bereits formuliert in der Zeit. Zunächst handelt es sich um einen Verzicht der narrativen Manipulation von Zeit, also ein Spürbarmachen der Zeit. Andy Warhol hat dieses Spiel wohl am weitesten getrieben. Cristi Puiu hat in seinen Filmen einen perfekten Ansatz gefunden, um die manchmal absurden Bewegungen von Figuren in der Zeit zu seinem eigentlichen Inhalt zu machen. Das zeigt auch, dass es im Verzicht nicht um das gehen kann, was passiert, sondern darum, wie es passiert. Und es gibt deutlich spannendere Möglichkeiten etwas über das Wie zu erzählen als über das Was. Der zweite zeitliche Verzicht liegt in der Ellipse, dem Auslassen. Nun erscheint das Fragmentieren zunächst als besonders konstruiert und realitätsfern. Das hängt allerdings damit zusammen, ob man die Realität als subjektive Wahrnehmung oder als objektive Größe versteht. Ohne mich in einen zu philosophischen Diskurs zu stürzen, möchte ich doch behaupten, dass die filmische Sprache einzig zu einer Wahrnehmung der Realität, einer kinematographischen Realität befähigt ist. Einzig im Verzicht ermöglicht sie uns diese Wahrnehmung anzuzeigen und somit deutlich näher an eine Objektivität, nennen wir es im Sinn von Godard Wahrheit heranzukommen. Daran hängt natürlich auch das impressionistische Prinzip der Erinnerung, der Inspiration, der Flüchtigkeit. Das Kino wird davon angetrieben und generiert es im Zuseher. Carlos Reygadas stürzt sich in vielen seiner Filme in solche inneren Bewegungen. Das Erstaunliche bei ihm und bei vielen anderen Minimalisten wie beispielsweise auch Semih Kaplanoğlu oder Sergei Loznitsa ist, dass die Subjektivität in der Betrachtung der Realität entsteht und nicht wie bei fantastischen Filmemachern oder Kommerzmenschen in der Herstellung einer Welt. Nein, Reygadas filmt einfach seine Tochter und drückt damit etwas über sich selbst aus, was uns angeht, weil es eben ein Verhältnis zur Realität hat. Das Ehrliche, Subjektive entsteht bei ihm durch seine Form, also auch durch seinen Verzicht.

Ne change rien

Ne change rien von Pedro Costa

Je radikaler dieser Verzicht, desto mehr macht er auf einen Missstand aufmerksam. Dieser Missstand liegt in der Pornographie der subjektiven Erinnerungen, den Bilderfluten, denen wir uns heute ausgesetzt sehen, den Filmen, Clips und Profilen, die uns alles zeigen, der Tatsache, dass fast jeder Mensch heute seine eigene, geschlossene und schöne Geschichte in Bildern erzählt. Darin gehen Erinnerungen und Wahrheiten verloren. Die Frage heute ist: Töte ich meine Erinnerung oder rette ich sie, wenn ich ein Bild mache? Da das Bild schon lange Zeit die Realität überholt hat, sehen wir oft die gespeicherte Wahrnehmung der Realität vor der eigentlichen Realität. Nun zeigt ein Filmemacher, der sich dieser Flut widersetzt und etwas nicht zeigt, etwas spürbar macht (Tsai Ming-liang wäre hier ein besonders rebellisches Beispiel) und auf etwas verzichtet, dass es sich durchaus noch lohnt hinzusehen. In diesem Hinsehen, dieser erhöhten Bedeutung des Blicks werden dann nicht nur Zeiten und Räume wahrnehmbar sondern auch Gefühle. Dabei sind nicht die theatralen Gefühle eines gelungenen Plottwists gemeint, sondern Gefühle, die in unserer Relation zu den Bildern entstehen. Dies ist gerade in der heutigen Zeit eine große Kunst, da wir natürlich leichter und schneller Gefühle empfinden, wenn wir Bilder sehen, auf denen wir selbst oder Freunde zu sehen sind. Aber die filmischen Bilder des Verzichts lehren uns, dass auch die Bilder selbst Gefühle haben. Wenn ein Film etwas nicht zeigt, dann liegt das auch daran, dass es ihm vielleicht unangenehm war, dass er sich etwas scheut. Die geschlossenen Türen von Pedro Costa, die Unschärfen bei Jia Zhang-ke oder das Nicht-Zeigen bei Claire Denis sprechen alle von einer Zärtlichkeit des emotionalen Einflusses. Wenn Denis den Autounfall in Les salauds nicht zeigt, aber das völlig zerstörte Auto, dann ist das ein Bild, das uns sofort trifft. Es ist ein Bild, das wir kennen, das die Gewalt spürbar macht statt sie einfach zu zeigen und es zwingt uns zum Hinsehen. In diesem Hinsehen verbinden sich dann Imagination, Realität und Erinnerung zu einem Gefühl, das durch Framing, Ton- und Musikgestaltung usw. eine subjektive Wahrnehmung widergibt. So betrachten wir ein Bild, statt es nur mehr zu machen und zu teilen. Es bleibt also keine Überraschung, dass diese modernen Filmemacher sich mit Erinnerungen auseinandersetzen und diese spürbar machen. Warum sollte dies nicht eine der wichtigsten Möglichkeiten von Film im 21. Jahrhundert sein?

Les salauds von Claire Denis

Les salauds von Claire Denis

Kritiker und viele Zuschauer bemängeln, dass sich diese Filme mit Absicht einem Verständnis entziehen. Diese Behauptung kann ihren Grund aus meiner Sicht nur in zwei Dingen haben. Zum einen ist es schlicht die Faulheit einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit den Filmen, die bei den Kritikern aufgrund einer alltäglichen visuellen Reizüberflutung zu Stande kommt und bei den Zusehern an einer fehlgeleiteten Wahrnehmung sogenannter Aufgaben von Kunst sowie schlichtem Desinteresse, Ignoranz und Zeitproblemen festzumachen ist. Zum anderen haben sie wohl tatsächlich verlernt hinzusehen, denn in allen genannten Beispielen wird mehr erzählt, mehr gesagt und mehr gefühlt als in jedem Unterhaltungsfilm. Dies ist keine Verneinung von Narration, da alle Filme narrativ sind. Es geht einzig darum, dass unsere bequemlichen Erwartungen an Narration durchkreuzt werden müssen, damit wir einen neuen Raum und eine neue Zeit für etwas Politisches, etwas Persönliches und etwas Filmisches bekommen. Wenn es so etwas wie eine filmische Wahrnehmung gibt, dann muss diese auch nach eigenen Mustern funktionieren, sie muss poetisch sein und notwendig, sie muss verzichten und fließen, sie hat das Bild, den Ton, die Montage, die Erzählung, das Schauspiel und die Kombination all der Dinge, die in all das einfließen. Sie tut gut daran, sich dieser Mittel bewusst zu sein, denn wenn sie nicht verzichtet oder einen ihrer Aspekte ignoriert, wird sie untergehen zwischen all den oberflächlichen Bildern dieser Welt. Denn wo ist sonst der Unterschied?