Tiefe Pfützen: Odds Against Tomorrow von Robert Wise

Ein Film, mit Bildern so satt, dass die Geschichte in ihnen verschwimmt. Gleich zu Beginn eine matt glänzende Pfütze auf irgendeinem Trottoir, jedes Bild, jede Geste eigentlich nur Teil eines filmischen Essays über städtische Pfützen und den ganzen Dreck, der in ihnen treibt, die lila Ölfilme, Zigarettenstummel, vollgesaugten Essensreste, die ausgespuckten Erinnerungen an die Gräuel der Vergangenheit, die tiefliegenden Krankheiten der USA. Im Sudel spiegelt sich der nächtliche Himmel, der nichts mehr zurückwirft außer gleichgültiger Wolken. So beginnt der Film und so endet er. Keine Träume, kein Entkommen. Dazwischen in den melancholischen Farben Schwarz und Weiß der ganze Hass der Vereinigten Staaten. Ihr Rassismus, ihre Gier, ihre ausgemergelten Gesten einer sich zum Prinzip erhobenen Männlichkeit. Das ist Odds Against Tomorrow von Robert Wise, in seinen unvergesslichsten Bildern mit einer speziellen Infrarotkamera gedreht. Ein solches technisches Detail spielt oft keine Rolle. Hier aber erzählt es von einem Sehen, das an den unter den Dingen liegenden Temperaturen interessiert ist, ein Mehr-Sehen salopp gesagt, die Kinematographie als Thermometer eines Zustandes.

Die Kamera führte Joseph C. Brun, es ist vollends unverständlich, warum seine Arbeit an diesem Film nicht in einem Atemzug genannt wird mit jener Gregg Tolands an The Grapes of Wrath oder Leonardo Simões an Juventude em Marcha. Die Bilder kontrastieren das Schwarz und Weiß, die Linien der Häuserschluchten, die Tiefen der kargen Wohnungen und Seelen mit solcher Wucht, dass man sich mit einem Mal wieder erinnert, warum das Kino und sonst nichts!

Die Zwischenbilder (Totalen und Stimmungsbilder) werden zum dominanten Strang, dazwischen leiden einige Figuren und suchen nach dem Glück. Man hofft fast, dass eines dieser menschenentleerten Bilder für immer auf der Leinwand stehen bleibt. Vielleicht auch weil man die allzu dick aufgetragene Allegorie des Films nicht mehr ertragen kann oder die Wahrheit, die sie einem sagt. Harry Belafonte, der den Film produzierte und sich Blacklist-Autor Abraham Polonsky (seine Dialoge treiben wie meist nach außen, lassen nicht zu, dass man sie nicht mit dem intendierten Hintersinn hört) ins Boot holte, hat eine wichtige und in ihrem pointierten Vortrag auch treffende Botschaft an jene, die kein bisschen oder besonders naiv an eine Versöhnung zwischen den Schwarzen und Weißen in den USA glauben. Der Film aber ist viel zu gut für derlei Diskurs. Seine Wahrheit übersteigt die Notwendigkeit seines Anliegens.

Das sah Robert Wise wohl ähnlich, zumindest lässt seine Regie das vermuten. Mehr als für den Noir-Plot oder die Rassismus-Allegorie interessiert er sich für das Umfeld, das Habitat, in dem sich die Narration ausbreiten darf. Zig Szenen füllen ein Nichts, das, so ahnt man, innerlich ist. So wird einmal eine im Treibgut verendete Puppe gezeigt und einmal wird der müde Körper einer einsamen Frau entblößt und einmal wird auf einen Hasen geschossen und einmal huscht ein Lächeln über ein versteinertes Gesicht und je mehr man davon sieht desto besser versteht man, dass unsere Handlungen und Vorurteile stets Produkte eines Klimas sind, dass es vermag, alle und besonders die, die besonders nachhaltig nach persönlicher Freiheit lechzen, mit in den Abgrund zu reißen. Mal tragisch machtlos, mal unwissend federführend.

Der Ausbruch, die Auflehnung gegen dieses Klima, wenn man Wise oder auch den Neorealisten vor ihm folgt, liegt im Verstreichen der Zeit, im Warten, das unablässig studiert wird in Odds Against Tomorrow, ein Warten auf den Gesichtern, in den Körpern, den Räumen, aber auf was eigentlich? Das, was in diesem Film vergeht und damit eigentlich schon im Werden vergangen ist, wird mit einem Mal zur reinen Gegenwärtigkeit und damit zu einer zweiten Chance, einem Innehalten, indem das, was eigentlich abläuft (der Film, das Leben, das Verbrechen), durchkreuzt werden könnte. Eine Bewusstwerdung. Dass diese sichtbaren und spürbaren Möglichkeiten, alles anders zu machen, nicht wahrgenommen werden von den Protagonisten, ist tragisch und zeigt einmal mehr wie passiv die größten Figuren des us-amerikanischen Kinos wirklich sind.