Viennale 2014: Unsere hohen Lichter

Zwei Wochen lang haben wir uns nun auf und mit der Viennale bewegt und nach so einem Festival muss man sich erst mal sammeln. Zum einen muss man sich bewusst machen, was man eigentlich alles gesehen hat, man wird feststellen, dass man sich an manche Filme, die man zu Beginn des Festivals gesehen hat kaum mehr erinnert und an andere erstaunlich stark. Man denkt über Linien und Parallelen nach, Überraschungen und Widersprüche, die einem während des Festivals begegnet sind. Bei einem Festival wie der Viennale sind die Eindrücke auch deshalb besonders intensiv, weil man dort sozusagen in komprimierter Form das ganze Kinojahr und mehr zu sehen bekommt.

The Second Game von Porumboiu

Al doilea joc von Corneliu Porumboiu

 

Um mit der Aufarbeitung des Kinotraum(a)s zu beginnen, habe ich meine Co-Autoren hier auf Jugend ohne Film gebeten mir ihre Highlights in irgendeiner, für sie passenden Form zu schicken. Wir verstehen unsere Listen und kurzen Texte als eine Art Erinnerung an die Realität der Bilder. In den kommenden Tagen werden noch einige Besprechungen und Texte folgen.
Ich selbst werde den Anfang machen und ich habe mich für eine ganz nüchterne Top 13 ohne Reihenfolge entschieden. Darin inkludiere ich auch jene Filme, die ich bereits vor dem Festival sah oder dort wieder sah. Das Echo in den Augen meiner Freunde als sie die Filme in Wien sahen, weckte zum Teil jene Erinnerung in mir, die Filme so viel größer macht als ihre bloße Materialität.

Patrick Holzapfel

Horse Money Ventura

Cavalo Dinheiro von Pedro Costa

Cavalo Dinheiro von Pedro Costa

Für mich ein wirklicher Sturm, der nach innen geht. Gerne wird Pedro Costa ja wegen seiner formalen Brillanz gelobt, aber man darf nicht vergessen wie viel Gefühl und Zärtlichkeit er da in seine Bilder und in die Art wie er Menschen filmt, legt. Dort wo große, große Filmemacher wie Jean-Luc Godard oder Jean-Marie Straub einzig einen intellektuellen Zugang zu ihren Gefühlen ermöglichen, geht Costa den viel direkteren Weg ohne sich dabei irgendwelcher billigen Tricks zu betätigen. Seine Strenge ist tatsächlich wie Musik. Das Leiden in diesem Film wird in einer Art stilisiert, die es greifbar macht.

Mein Review

Mein Interview mit Pedro Costa

My Darling Clementine von John Ford

Ich habe diesen Klassiker von John Ford zum ersten Mal im Kino sehen dürfen und zum ersten Mal in seiner Pre-Release Version. Das war eine kleine Offenbarung. Ein Film, bei dem immer wieder die Zeit steht für die großen Momente und wenn sie wieder läuft, dann ist der Film vorbei. Ich bin kein Zuschauer, der sich leicht mit Figuren identifiziert, aber in diesem Fall kann man fast nicht anders als nach dem Screening vor einem Spiegel seine Haare glatt zu drücken. Im Vergleich zu Sergio Leone ist Ford ja nicht unbedingt ein Regisseur der großen Westernduelle. Aber was hier am Ende voller poetischer Gewalt schwebt, lässt mich immer noch nicht schlafen.

Meine Besprechung

Maidan von Sergei Loznitsa

Ein Film, der das Schreiben von Geschichte im Moment ihrer Entstehung auf ein neues Niveau hebt. Damit korrespondiert er auch wunderbar mit John Ford oder Pedro Costa, zwei Filmemacher, die auch nicht akzeptieren, dass man Gegenwart und Vergangenheit nicht gleichzeitig denken kann. Loznitsa, der Nebel liebt, steht fast unbestechlich mit seiner Kamera im ukrainischen Bürgerkrieg. Eine Lehrstunde filmischer Zurückhaltung, die dennoch Botschaften enthält (eine davon ist der Prozess einer Realität) und mit einem derartigen Gespür für Bildkomposition und Rhythmus vor einem liegt, dass man sich tatsächlich fragt, ob man im Kino richtig ist und ob das Kino gefährdet ist.

Mein Review

Jauja von Lisandro Alonso

Es war mir eine große Freude diesen Film ein zweites Mal in Augenschein zu nehmen. Zwar wurde er an seinem zweiten Termin im furchtbaren Projektionsrauschen des Künstlerhauses gezeigt. (in den weißen Stellen sah es bei Jan Soldat, Julian Radlmaier und auch bei Alonso so aus als würde es schneien), aber dennoch ist die Raumgestaltung, das Gefühl für Bilder und Bewegungen von Alonso in einer eigenen Liga. Und wie das immer so ist bei guten Filmen wurde er mir bei der zweiten Sichtung weitaus unklarer.

Mein Review

P’tit Quinquin von Bruno Dumont

Ein für mich äußerst schwieriges Projekt, denn wenn Bruno Dumont für das Fernsehen eine Selbstparodie inszeniert, dann parodiert er damit gewissermaßen auch meine eigenen Ansichten über das Kino. Allerdings macht er das in einer Art, die bereits wieder genau meinen Ansichten zum Kino entspricht. Auf jeden Fall das Kinoerlebnis mit den meisten unvergesslichen Momenten und Gesichtern während der Viennale.

Mein Review

Turist von Ruben Östlund

Ein Film der zeigt, dass Psychologie im Kino durchaus groß sein kann. Und zwar dann, wenn sie bis zum letzten Winkel menschlicher Verstecke dringt und diese erkennend entlarvt oder erkennend weiter verbirgt.

Meine Besprechung

Nouvelle Vague von Jean-Luc Godard

Ich bin etwas überrascht, ob des vielen Lobs das Godard für seinen neuen Film Adieu au Langage 3D bekommt. Natürlich ist das ein visionärer Film bezüglich der Verwendung von 3D mit Blenden und in alltäglichen Situationen, aber alles andere ist dieselbe intellektuelle Masturbation, die der Altmeister seit Jahren betreibt und die nur deshalb so anerkannt ist, weil Kritiker in ihrer Rezensionen beweisen können wie klug sie sind. Irgendwo habe ich gelesen, dass dieser Film wohl mit seinen Rezensionen wachsen wird. Das kann er von mir aus gerne tun. Nouvelle Vague dagegen funktioniert auch auf einer sinnlichen Ebene. Nicht so willkürlich und selbstverliebt, mehr Zweifel weniger Weisheit. Mehr Poesie weniger Technik.

National Gallery von Frederick Wiseman

Ich habe ein Portrait einer Institution erwartet und habe ein Mosaik einer Vorstellung von Kunst anhand einer Institution bekommen. Der Film verbindet alles was Wiseman auszeichnet, aber durch den Inhalt hebt sich das Ganze in fast geistliche Regionen, die mir zum letzten Mal derart bewusst waren als ich Sculpting in Time von Andrei Tarkowski lesen durfte.

João Bénard da Costa – outros amarão as coisas que eu amei von Manuel Mozos

Dies ist der einzige Film auf meiner Liste, der dort für seinen Inhalt steht und nicht für seine Machart. Wie der Name bereits sagt, geht es um die verstorbene Leitfigur einer Generation des portugiesischen Kinos und es war einfach beeindruckend zu sehen wie Persönlichkeit, Gefühl, Begeisterung und Wissen zu einer Einheit verschmelzen können, die das Kino bedeutet. Filmpolitik ist hier keine Frage eines politischen Standpunkts oder einer kulturellen Verpflichtung sondern einer Leidenschaft. Das Mysteriöse, das ist allen Filmen auf meiner Liste eine entscheidende Rolle spielt, bestimmt die Anerkennung und Liebe für das Kino. Menschen, die zur Cinemathek pilgern, um einen Mann über das Kino sprechen zu hören. Der Diskurs wurde im Film genauso gezeigt wie das Kino selbst. Ein Film für alle, die sich nicht schämen das Kino zu lieben.

Outtakes from the Life of a Happy Man von Jonas Mekas

Während eines Festivals in einem Jonas Mekas Film zu gehen, kommt einer Verwandlung der Eindrücke und Bilderfetzen dieser langen Tage gleich, denn über alles hebt sich ein nachdenklicher und glücklicher Schleier. Man erinnert sich plötzlich an das Leben und zwar weit stärker als während des Lebens, ja man lebt intensiver im Kino.

Mein Review

The Lost Patrol von John Ford

Wüstengestalten und unsichtbare Mörder, ein Last Man Standing Geisterspiel als existentialistische Verlorenheit. Ein weiterer Film, der mich völlig kalt überrascht hat und vielleicht die Entdeckung des Festivals schlechthin.

Al doilea joc von Corneliu Porumboiu

Ich habe Schneefall bei Fußballspielen schon immer als äußerst poetisch wahrgenommen. Aber ich habe nicht erwartet, dass man so viel in einem Gespräch während eines Fußballspiels erzählen kann. Ein kleines Wunder, das Porumboiu noch eine Spur bedeutender macht als er ohnehin schon ist. Insbesondere die Frage der Vorteilsregel und ihre Anwendung auf das Leben, auf Film, ihre Erhebung zum Prinzip, ein Lauf, hat es mir angetan…und dieser Schnee. Man könnte ein Buch über diesen Film schreiben: Über Fußball, über Zeit, über Politik, über Vater&Sohn, über Medien, über die Filme von Porumboiu, über das Kino.

Winter Sleep von Nuri Bilge Ceylan

Und wieder fällt Schnee. Wie so viele große Filmemacher dieses Jahr hat sich auch Nuri Bilge Ceylan neu erfunden und etwas gemacht, was man so nicht von ihm erwartet hätte. Das mag auch in seinem Fall etwas gewöhnungsbedürftig sein, aber am Ende des Tages steht hier eine künstlerische und philosophische Vision, die man derart noch nie in einen Dialogfilm gebannt sah.Ein Film bei dem ich mich frage, ob auf dem Drehbuch Blut gefriert.

Mein Review

Maidan Sergei Loznitsa

Maidan von Sergei Loznitsa

Ioana Florescu

Jauja von Lisandro Alonso

Jauja von Lisandro Alonso

Cavalo Dinheiro von Pedro Costa

Al doilea joc von Corneliu Porumboiu

(countless layers. snow, memory, time, speech, rules, poetry…)

Jauja von Lisandro Alonso

(lack of maps leads to the stars)

P’tit Quinquin von Bruno Dumont

(humor makes the realization that there is evil in the world even more brutal)

Turist von Ruben Östlund

(Well I stepped into an avalanche, It covered up my soul)

Tiger Morse (Reel 14 of ***) von Andy Warhol

(the fascinating process of people making themselves interesting. kaledoscopic erection of the camera)

My Darling Clementine von John Ford

(revisited)

Tiger Morse Warhol

Tiger Morse von Andy Warhol

Rainer Kienböck

Bruno Dumont arte

P’tit Quinquin von Bruno Dumont

Meinem Naturell entsprechend in buchhalterischer Manier, meine persönlichen Highlights der Filme, die ich auf der diesjährigen Viennale gesehen habe. In alphabetischer Reihenfolge, von alt bis neu, von 3 bis 200 Minuten. John Ford lief außer Konkurrenz:

Almadabra Atuneira von Antonio Campos
Birdman von Alejandro G. Inarritu
Cosmic Ray von Bruce Conner
Die Büchse der Pandora von G.W. Pabst
Fog Line von Larry Gottheim
National Gallery von Frederick Wiseman
O’er the Land von Deborah Stratman
Outtakes from the Life of a Happy Man von Jonas Mekas
Plemya von Myroslav Slaboshpytskiy
P’tit Quinquin von Bruno Dumont
Quixote von Bruce Baillie
Still the Water von Naomi Kawase
Whiplash von Damien Chazelle
Winter Sleep von Nuri Bilge Ceylan

Kurzfilme

Weimar 101010

Hard to be a God

Out-Takes from the Life of a Happy Man

Out-Takes from the Life of a Happy Man von Jonas Mekas

Andrey Arnold

John Ford Wien

The Lost Patrol von John Ford

John Ford reitet auf dem Pferd, das sie Geld nannten, durch Jauja.
Videogramme einer Revolution führen ihn über den Maidan.
Im Land, in dem der Leviathan über alle Stämme herrscht, ist es schwer, ein Gott zu sein.
Hört man die Lieder aus dem Norden auf dem Hügel der Freiheit?
Warten dort die geliebten Schwestern? Wissen sie von dem, was bis Mittag geschah?
Der Bussard und die Kindergärtnerin haben den Terror live erlebt.
Doch kehren sie im Sommer, im Dezember und im Februar zurück in Abrahams Schoß.
Es ist das Leben: Rette sich, wer kann.

Eindrücke von Andrey

Amour Fou Review

Hong sang-soo

Hill of Freedom von Hong Sang-soo