Zwei Liebende stehen am Fuß eines Treppenhauses, eng, heruntergekommen, gelebt. Das Treppenhaus, nicht die Liebe. Die ist jung, unsicher, enthusiastisch. Er (James Dunn) zeigt nicht gern, was er fühlt. Fast immer äußert er gegenüber ihr das Gegenteil seines Seelenzustands, außer dann, wenn ihn nur die Kamera sehen darf. Er versteckt, was er hat und versteckt, was er nicht hat. Sie (Sally Eilers) ist unsicher, fast ängstlich. Ihr Bruder könnte wütend auf sie sein, weil sie so spät nach Hause kommt. So richtig glaubt sie nicht an Männer. Sie mag den Mann, weil er nicht flirtet. Sie flirtet. Die beiden stehen dort und flirten. Sie sprechen nicht, sie sprechen über alles, blicken sich nie die ganze Zeit an. Sie sind dort nach einer Ellipse gelandet, die das Gegenteil versprochen hat. Es wirkt eigentlich wie ein ironischer, recht üblicher Kniff: Frau und Mann sagen sich, dass sie sich hassen und im nächsten Bild sieht man sie in trauter Zweisamkeit. Aber der Grund für diese Ellipse in Bad Girl von Frank Borzage ist auch ein anderer, denn es geht dem Film weniger um das Entdecken einer Liebe, als vielmehr um das Nicht-Verlieren.
Die Kamera gibt den Liebenden eine Bühne mit sanftem Licht im Bildvordergrund, mit dem beginnenden Treppengeländer als Indikator für Nervosität, Distanz und Nähe. Für Unbeholfenheit auch. Und in der Tiefe öffnet die Kamera das Treppenhaus und den Flur. Das ist wichtig bei Borzage, denn er kann eine Liebe nicht ohne ihre Bedingungen filmen. Man könnte auch sagen, dass er eine Liebe gegen ihre Bedingungen kadriert. Die Illusion gegen ihre Dokumentation. Bei ihm ist das Melodram keine Frage des Décors, Kostüms oder der inneren Stimmungen, die durch äußere Farben, Formen und Lichter angezeigt werden, sondern eine Sache zwischen Geborgenheit und Gefahr, Intimität und Öffentlichkeit. Selten wird das deutlicher als in den beiden Treppenhaussequenzen in Bad Girl. Es ist schon überraschend, dass der Film von vielen als etwas schwächerer Borzage wahrgenommen wird, denn es findet sich eine solche Konzentration und Präsenz in den einzelnen Szenen, dass man jederzeit die Stärke und die Zerbrechlichkeit romantischer Ideale spürt. Die Stärke, das ist bei Borzage ein Glaube an die Liebe als Schutzraum. Die Zerbrechlichkeit, das sind die Umstände, in denen diese Liebe zu erblühen trachtet.
Im Treppenhaus stehen also diese beiden Liebenden, Borzage gibt ihnen viel Raum und Zeit, sie stehen als Körper dort und als Seelen und während sie dort sprechen und sich näher kommen, werden sie immer wieder unterbrochen von anderen Bewohnern des Hauses, Lebenden und Sterbenden. Ein Betrunkener stolpert an ihnen vorbei, wirft ihnen vielleicht einen Blick zu. Eine Frau telefoniert, bricht fast weinend zusammen, man versucht ihr zu helfen, jemand ist gestorben. Man hört eine Frau schimpfen. Der Betrunkene stolpert wieder vorbei. Die spürbare Nähe wird aufgebrochen, muss sich wieder finden, wird unterbrochen, muss sich wieder finden. Man wird erinnert, dass das was man sieht, fragil ist. Ein Hindernislauf von Gefühlen, die sich etwas von sich selbst behalten wollen, aber immer im Inbegriff sind, mitgerissen zu werden vom Fluss des Lebens. In Bad Girl gibt es kein Abhängigkeitsverhältnis innerhalb der Beziehung, sondern die Liebe existiert hier in Reinheit innerhalb einer Welt der Abhängigkeiten, sie soll schützen und muss beschützt werden. Das ist wohl das, was Borzage zumindest hier zu einem Romantiker macht. Jedoch etabliert er nicht nur in Bad Girl auch ein anderes Verhältnis zu den Bedingungen der Liebe, zu dem, was den Schutzraum bedroht.
Dies geschieht über einen Austausch, der sich vor allem in der Figur der besten Freundin Edna (Minna Gombell) sammelt. Sie ist gewissermaßen die Antithese zu Jean-Paul Sartres „Hui clos“, denn sie ist das, was diesen Schutzraum mit den Abhängigkeiten verbindet. Sie ist die Dritte, die die Zwei brauchen, um zu überleben. Zu keiner Zeit wird sie als Bedrohung für das zweisame Glück gezeigt, sondern als Verbündete, Kupplerin und in sich Liebende. Sie ist auch von Anfang an diejenige, die vom Bild, der Illusion bevorzugt wird. Borzage rückt sie immer wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit, in dem er mit ihren Bewegungen schwenkt, nach einer Szene auf ihr verharrt oder sie ins Bildzentrum stellt, sodass sich die Liebenden um sie herum aufhalten. Sie ist wie ein Rückzugsort aus dem Schutzraum, der versichert: Ja, es gibt diesen Schutzraum. Denn in Bad Girl meint es Borzage sehr ernst mit dem Schutzraum. So gibt der Mann sein ganzes Geld aus, um der Frau eine größere Wohnung zu ermöglichen, einen Schutzraum. Aber um diesen Schutzraum als solchen zu offenbaren, braucht er Dritte. Er organisiert eine Einweihungsparty bei der Freunde so tun, als wäre es ihre Wohnung, um seiner Frau, die aufgrund ihrer geheimgehaltenen Schwangerschaft sehr angespannt ist (denn auch ein Baby als dritte Person, so erklärt später ein „erfahrener“ Kinderzeuger im großartigen Wartezimmer einer zerbrochenen Männlichkeit, kann die Liebe bedrohen), die Wohnung vorzuführen und ihr am Ende in geselliger Runde zu verkünden: “It’s your home, baby.“ Die verträumte Vision einer beinahe zu humanen Bescheidenheit in der Figur des Mannes, der sich beim Preisboxen verprügeln lässt, um nicht sagen zu müssen, dass er nicht genug Geld hat, der vor dem viel zu teuren Wunschdoktor seiner Frau heulend zusammenbricht, um ihr gegenüber zu behaupten, dass sein Chef den Kontakt zum Doktor hergestellt hatte, erzählt auf der einen Seite von einer Süße, die man wahrlich nicht in allen Filmen jener Zeit vor dem Hays Code erkennen kann, auf der anderen Seite zeigt sie jedoch auf äußert konsequente, leidenschaftliche Weise, was nötig ist, um einen Schutzraum unter bestimmten Bedingungen zu verteidigen. Denn der Schutz steht hier nicht für einen Schutz vor etwas, sondern vielmehr dafür, dass etwas beschützt werden muss.
Könnte es für diesen Konflikt einen besseren Ort geben, als den Durchgangsort an der Schwelle zwischen einer Wohnung und der Straße? Das Treppenhaus verbirgt und offenbart, verspricht und verdrängt. Es ist der Anfang und das Ende einer Geschichte, je nach dem wann man in welche Richtung weitergeht. Egal für welchen Weg man sich entscheidet, es braucht eine gehörige Portion Naivität und Herz. Borzage vermag uns das Gewicht dieses Weges zu zeigen.