Pabst-Retro: There Will Be Blood: A Modern Hero

In A Modern Hero zeichnet Georg Wilhelm Pabst auf den ersten Blick eine klassische amerikanische Aufstiegs- und Fall-Geschichte. Interessiert ist er aber eigentlich an dem, was sie antreibt: Der innere Zerfall durch Ehrgeiz. Es ist sein einziger amerikanischer Film geblieben. Wenn ich bisher nicht näher auf die problematischen biographischen Hintergründe von Pabst eingegangen bin, dann nicht weil ich sie ignorieren möchte, sondern weil ich mich der Politik aus Sicht der Ästhetik nähern möchte. Es ist erstaunlich, dass sich in A Modern Hero keines jener „deutschen“ Bilder findet, die noch wenige Jahre früher zum Beispiel seinen Die weiße Hölle vom Piz Palü bewegten. Es ist die (technische) Anpassungsfähigkeit, die erstaunlich bis abstoßend wirkt bei Pabst. Sein erster und einziger Hollywoodfilm ist stilistisch völlig dem amerikanischen Kino verschrieben. Zwar gibt es inhaltliche Auffälligkeiten mit europäischen Bezügen, aber darüber hinaus verschwindet die Seele des Filmemachers hier völlig. Seine Rückkehr ins Nazideutschland Ende der 1930er Jahre, seine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit Goebbels und seine ausbleibende Reue im Anschluss daran bleiben unverständlich, wenn man heute mit den linken Sentiments seiner früheren Arbeiten konfrontiert wird. Die Geschichten, die dazu geführt haben sollen, sind letztlich ohne Bedeutung.

A Modern Hero ist am Ende trotz seiner formalistischen Angepasstheit kein amerikanischer Film der Depressionszeit, er ist vielmehr ein Film über Amerika in der Depressionszeit (und darüber hinaus), den man im moderneren Kino vielleicht mit Dogville von Lars von Trier vergleichen kann.

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Ein Zirkusartist gespielt mit anbiedernder, schmeichelnder und betörender Körperlichkeit von Richard Barthelmess (dem Chinesen aus Broken Blossoms ) möchte sein, in seinen Augen, niederes Dasein verlassen. Er klettert mit unbedingter Konsequenz die Karriereleiter nach oben und wird zu einem erfolgreichen Unternehmer. Alles am Körper dieser Figur ist der eleganten Unmöglichkeit des destruktiven Ehrgeizes untergeordnet. Man könnte es wohl mit einer Mischung aus gesenktem Haupt und funkelnden Augen beschreiben, die für Sekunden die Welt versprechen, aber letztlich nur in sich selbst verkrampfen. Parallel zu seinen beruflichen Errungenschaften und in einer Wechselwirkung, die ihm gleichzeitig Aufstiege und Bekanntschaften ermöglicht, nimmt er sich auf jeder Stufe dieser Leiter eine neue Frau. Er bleibt ein Artist. Bis eine Stufe bricht und mit ihr alles andere auch in einem Leben, das den Boden verlassen hat. Aber, so meint Pabst, es gibt ja noch die Mutter, die der Film als Figur und Idee liebt wie nichts anderes. Allgemein liegt ein aus heutiger Sicht merkwürdig erscheinender Fokus auf der Bedeutung von Blut als DNA. Figuren scheinen nur zu dem werden zu können, was ihnen durch die Adern fließt. Der junge Artist hat den Ehrgeiz seines erfolgreichen Vaters geerbt, aber auch das Durchhaltevermögen seiner Mutter. Sein eigener Sohn strebt ihm nach und wie er selbst muss er erkennen, dass im Aufstreben ein Abgrund wartet. Das ist streng genommen eine Umkehr des amerikanischen Traums. In der Unmöglichkeit des Ausbruchs findet sich dann Liebe und Durchhaltevermögen, die in der verzeihenden Mutterfigur gipfeln.

Das ganze wird in unsichtbarer, handwerklicher Perfektion gefilmt. Das klingt fast als wäre es nicht hier und da mit virtuoser Brillanz gesegnet, die sich vor allem in einer enormen Präsenz der Körper dieses amerikanischen Schauspieles wieder findet. Man spürt den Druck und die Ambivalenz, die über dem Geschehen lastet. Genau diese Präsenz wird leider etwas durchkreuzt von der extremen Kürze des Films (71 Minuten), die zwar erstaunlich ist, wenn man bedenkt, dass Pabst es schafft ohne einen Anflug von Hektik eine epische Geschichte zu erzählen, der aber dennoch das Gefühl des Alterns abgeht, dass wir in harten Schnitten hinnehmen müssen. Es ist dies eine Sache, der ich immer wieder – vor allem in amerikanischen Filmen – begegne. Die Idee des Zeitsprungs, der eine Idee bleibt. Es gibt eine sehr schöne Aussage von Quentin Tarantino, als der über einen anderen zerfressenen Ehrgeizigen des amerikanischen Kinos spricht, nämlich Daniel Plainview gespielt von Daniel Day-Lewis in There Will Be Blood von Paul Thomas Anderson. Tarantino spricht über den Anfang des Films und wie Plainview mit gebrochenem Bein durch den Staub robbt. Er sagt, dass es natürlich erstaunlich sei, dass dieser Mann alleine eine derartige Strecke mit einer derartigen Verletzung zurücklegen könne. aber alles, was Anderson bereits gezeigt habe von diesem Mann, alles was man in seinem Körper lesen könne, würde deutlich machen, dass wir alle wissen, dass dieser Mann diesen Weg zurücklegen kann. Und damit hat er Recht. Es geht hierbei um Notwendigkeit. Man muss nur zeigen, was man zeigen muss. Pabst ist ein Meister darin wie zum Beispiel sein grandioser Die Dreigroschenoper zeigt. In A Modern Hero jedoch scheint etwas zu fehlen. Vielleicht ist der amerikanische Traum zu leicht erreicht, vielleicht ist die Mutter nicht weit genug entfernt, um wieder nah zu sein. Vielleicht fehlt das Blut.

Trouble Features – Schwitzkästen des Politischen im Kino

Dieser Text erschien erstmals im Syn – Magazin für Theater-, Film- und Medienwissenschaft (#8, 2014). Er bildet die theoretische Grundlage für eine vom Autor mitgestaltete, experimentelle Vorführungsreihe im Wiener Schikaneder-Kino, bei der Filme gegeneinander programmiert werden, die ästhetisch, thematisch oder anderswie im Clinch miteinander liegen – ohne dass dem Publikum im Vorfeld verraten wird, was es zu sehen gibt.

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Eine Reihe jüngerer politischer Theorien, deren Politikverständnis unter dem Begriff der radikalen Demokratie gefasst werden könnte, betrachtet das Politische in Differenz zur regulativen Politik als das Moment, in dem anerkannte Ordnungsstrukturen in Frage bzw. in ihrer Zufälligkeit, Unvollkommenheit und Veränderbarkeit bloßgestellt werden(1). Für Chantal Mouffe etwa ist „jede Gesellschaft das Produkt einer Reihe von Verfahrensweisen, die in einem Kontext von Kontingenz Ordnung herzustellen versuchen“(2) und basiert folglich auf einer „Form von Ausschließung. Es gibt immer andere unterdrückte Möglichkeiten, die aber reaktiviert werden können“(3). Die Reduktion auf eine total inklusive Hegemonie und die restlose Tilgung von Antagonismen, wie sie der Liberalismus anstrebt, ist daher illusionär und würde einer Eliminierung des Politischen gleichkommen. Es geht im Gegenteil um die Anerkennung der Tatsache, dass Politik eben kein bloßer „Austausch von Meinungen [ist], sondern ein Streit um Macht“(4), weshalb eine wahrhaft pluralistische Gesellschaft im Bewusstsein der Unhintergehbarkeit dieses Streits nach Wegen suchen sollte, auf Auslöschung von Feind_innen ausgerichtete ‚Antagonismen‘ in ‚Agonismen‘ zu überführen, die auf ein legitimes wie regelhaftes Kräftemessen zwischen Gegner_innen orientiert sind. In Mouffes Vorstellung einer radikalen Demokratie kommt es nie zu einer restlosen Verwirklichung derselben, bloß zur instabilen, vorübergehenden Verfestigung ‚hegemonialer Formationen‘ – rudimentäre Fixierungen bestimmter Ordnungen, Diskurse und artikulatorischer Praxen – für deren agonistische Gegenüber- und Infragestellung es Orte geben muss.

Theoretisch wäre das Kino nun ein ebensolcher Ort: Jeder Einzelfllm bildet, zählt man ihn als ästhetische Einheit(5), einen diskursiven Vorschlag, der in seiner speziflschen künstlerischen Ausgestaltung den Betrachter_innen eine bestimmte Weltsicht oder gar eine eigene Welt präsentiert, die beurteilt und mit anderen Vorschlägen oder der individuellen Subjektpositionierung verglichen werden kann. Es ermöglicht den Zuschauer_innen, die hegemoniale Formation, deren Teil sie sind, für die Dauer des Films zu einer anderen, utopischen, streitbaren in Bezug zu setzen, oder ihren Blick schlicht auf Unversöhnlichkeiten zu lenken, die an den Rand der öffentlichen Wahrnehmung gedrängt worden sind. Demnach wäre das politische Kino nicht die Friedenspfeife einer Konsensgesellschaft, sondern ein Podium für Konflikte, Widersprüche und Aporien aller Art – trouble im besten Sinne. Die Möglichkeiten des fllmischen Mediums, solche Reibereien anzuzetteln und ins Bild zu rücken, sind mannigfaltig und können in Form und Inhalt zur Geltung kommen. Dabei kann es sich schlicht um die narrative Darlegung eines alternativen Gesellschaftsmodells handeln, wie man sie oft in Science-Fiction-Filmen antrifft, das thematische Aufgreifen und künstlerische Aufarbeiten eines verdrängten Streitpunkts der Zeitgeschichte, oder aber die Konfrontation mit einer Ästhetik, deren Gestaltung und Wirkungsweise von der herrschenden Norm abweicht und damit deren Willkürlichkeit kenntlich macht. Überdies hat die Kinoerfahrung trotz aller Entwertungen, denen sie im Wandel der Zeit unterworfen war, als Vermittlungsinstanz immer noch einen Sonderstatus innerhalb der zeitgenössischen Medienlandschaft inne, wenn es um die Verbindlichkeit seiner Rezeption geht. Das Kino macht es einer_einem schwerer als gewohnt, sich abzuwenden und dem Streit mit dem Bild, dem Streit im Bild oder dem Streit der Bilder untereinander aus dem Weg zu gehen. Während die meisten technologisch fundierten Kommunikationskanäle der Gegenwart den Rezipient_innen in der einen oder anderen Form die Zügel in die Hand gegeben haben, behält es sich weiterhin ein minimales Maß an Autonomie ein. Jede_r Kinobesucher_in begibt sich gewissermaßen in die Obhut eines räumlichen Dispositivs, sie_er überantwortet einen Anteil ihrer_seiner Entscheidungs- und Handlungsmacht der Projektion, und obwohl sie_ihn niemand dazu zwingen kann, bis zum Abspann sitzen zu bleiben, ist der physische wie psychische Aufwand, aus der Schauanordnung herauszutreten, wesentlich höher als im Privaten, wo meist ein Mausklick reicht. Dies ist einerseits bedingt durch den psychologischen Einsatz, den man durch den bewussten Aufbruch ins Kino und üblicherweise auch den Kauf eines Tickets erbringt, aber ebenso wichtig ist der teilöffentliche Charakter einer Filmvorführung, die eine_n im Publikumspanoptikum unter permanente Selbstbeobachtung stellt. Hinzu kommt die symbolische Beschlagnahmung des sensorischen Apparats durch Raum und Technik: die Fixierung des Körpers, die Fokussierung des Blicks, die Orientierung der Aufmerksamkeit auf das Leuchten der Leinwand im Dunkeln. Insofern geht die_der Kinobesucher_in stets ein Risiko ein, das letztlich trotz mannigfaltiger Absicherungsoptionen unabweislich bleibt: die Gefahr der Konfrontation mit dem Unerwarteten oder Unangemessenen und daraus resultierenden kognitiven Dissonanzen, deren Bereinigung oder Verarbeitung eine physische (das Verlassen des Kinosaals) oder psychische (die Auseinandersetzung mit dem Gesehenen) Leistung erfordert(6). In dieser Hinsicht ist das Guckkastenbühnen− und Musiktheater als bindende Schau−Stellung zwar vergleichbar, seinen populären Charakter hat es aber längst an das Kino verloren, das sich seit seiner Geburt an alle wendet, die sehen wollen. Dass das Politische im Kino zum Ausdruck kommen kann, will ich also nicht in Abrede stellen. Aber die kulturellen Verhältnisse liberaler Gesellschaften wirken wie Prellböcke für seine Wirkung, was ich im Weiteren etwas ausführen möchte.

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Um mit Jacques Rancière zu sprechen: Ein zentrales Problem des Kinos liegt darin, dass es nicht imstande ist, die Einbringung der Voraussetzung der Gleichheit eines jeden ästhetischen Vorschlags mit jedem anderen ästhetischen Vorschlag zu gewährleisten, weil es selbst innerhalb einer größeren kulturellen Formation operiert(7). Der Kampf der Bilder ist geschoben, die Verteilung der Wertigkeiten bereits vollzogen, bevor man überhaupt in den Ring steigen kann, denn ‚das Kino‘ als egalitäre Agora, in der alle Hierarchien fallen und die Parteien sich auf Augenhöhe begegnen, gibt es nicht. Statt dessen gibt es strikt voneinander getrennte, ökonomisch determinierte Kinodomänen mit ihren jeweiligen Funktionen, die innere Geschlossenheit vortäuschen: Das Multiplex ist für Unterhaltung zuständig, das Arthaus- und Programmkino für Kunst und sozial relevante Themen, das Filmarchiv und -museum für Filmgeschichte, d. h. alte Filme, und das Festival dient als Auffangbecken für nicht marktgängige Nischenproduktionen. Dies sind nicht nur die begriffiich diffusen Zuschreibungen, von denen die Erwartungshaltung geprägt ist, die Vorzeichen, unter denen die Wahrnehmung beim Betreten der Säle steht. Es sind auch die Kategorien, nach denen der Weltkinopool parzelliert wird: Jeder Film kommt seiner Beschaffenheit entsprechend in ein Becken mit seinesgleichen, so dass Konflikte oder Überraschungen ausgeschlossen werden – jedem Tierchen sein Pläsierchen. Innerhalb dieser Kategorien regiert in der Regel durchaus Gleichheit, aber als Gleichmacherei, die jeglichen Dissens zu vermeiden sucht; Gleichheit im Sinne Rancières ist aber etwas, das nie erreicht werden kann. Sie ist nicht das Ziel, sondern wie schon gesagt eine Voraussetzung, der abwesende, imaginäre Ausgangspunkt politischer Auseinandersetzungen, aus denen etwas Neues entstehen kann.

Kommt es doch zu Überschneidungen und Verschränkungen zwischen den Domänen, wenn ein Film also seinen ihm zugewiesenen Platz verlässt und aus irgendwelchen Gründen an einen Ort kommt, an den er nicht gehört, sind Konflikte vorprogrammiert und können zu bezeichnenden Gegenstrategien seitens der Ordnungshüter_innen führen. Ein schönes Beispiel hierfür wäre Terrence MaliKs von klassischer Narration drastisch abweichender Tree of Life(8), der kraft seiner Starbesetzung in vielen Multiplex- und Programmkinos anlief und dort reihenweise für Empörung sorgte, sodass ein Betreiber in Connecticut sich genötigt fühlte, an der Kassa einen Warnhinweis zu affichieren(9). Man könnte den Spieß auch umdrehen: Die Kür eines Blockbusters zum Eröffnungsfllm eines kleineren Filmfestivals würde zweifellos Unkenrufe ernten. Solche Transplantationen sind im Sinne des radikalen Demokratiekonzepts durchaus politisch, aber ihr Zustandekommen ist in der zeitgenössischen Vertriebslandschaft zumeist von einer wenig wahrscheinlichen Verkettung glücklicher Umstände abhängig und daher eine Seltenheit. Man muss außerdem davon ausgehen, dass die polizeiliche Logik in der Terminologie von Rancière, also jene „strenge Konflguration des Verhältnisses zwischen der Ordnung des Diskurses und der Ordnung der Körper […], die verschiedenen Wesen [und Ästhetiken, Anm.] verschiedene Räume anweist“(10), im Kinosaal weiterwirkt und sich womöglich gerade dort, entgegen etwaigen Eskapismustheorien, am Stärksten entfalten kann. Die_der Zuschauer_in wird im Falle einer Konfrontation mit einer ästhetischen Formation, die für sie_ihn „das als Diskurs hörbar macht, was nur als Lärm vernommen wurde“(11), – oder auch nur kraft ihrer Andersartigkeit auf die Kontingenz ästhetischer Hegemonien verweist – zwar provoziert, kann die Provokation aber in Folge ohne viel Auhebens ausblenden, da eine grundlegende Trennung aufrecht erhalten bleibt: die Trennung der Kinovorstellungen untereinander. Zwar kann es irritieren, wenn man ins Multiplex geht und dort einen Avantegardefllm vorgesetzt bekommt, und selbstverständlich will ich nicht behaupten, dass diese oder eine ähnliche Irritation für die_den Rezipient_in folgenlos bleiben muss, aber es gibt, und das ist das Entscheidende, keinerlei eindeutigen Ansporn, sie als etwas anderes zu registrieren als eine Anomalie, eine regelbestätigende Ausnahme, einen verschmerzbaren Systemfehler. Man sieht etwas, das eine andere Position einnimmt, als jene, die man gewohnt ist, aber der resultierende Skandal ist hintergehbar. Zum einen, weil man sich letztlich selbst die Schuld dafür gibt: Das Kino wird in Verleugnung der „entscheidenden Rolle der ökonomischen Macht bei der Strukturierung einer hegemonialen Ordnung“(12) als Instanz mit beschränkter Intentionalität begriffen, als Warenhaus mit Produkten zur freien Auswahl, wo man auch mal danebengreifen kann, eine offene Passage unterschiedlicher, vorgeblich gleichberechtigter Visionen der Wirklichkeit „auf neutralem Terrain“(13), die nicht miteinander konkurrieren und sich somit auch nicht in Frage stellen. Alle Angebote sind unverbindlich. Zum anderen, weil das Reglement der ästhetischen Domänen im Gesamten unangetastet bleibt. So lässt sich die Konfrontation mit einer innerhalb eines bestimmten Rahmens widersetzlichen ästhetischen Artikulation leicht rationalisieren: Man dünkt sich als Fehladressat_in im ‚falschen Film‘ und ist damit einverstanden, nicht einverstanden zu sein – im Saal nebenan läuft bestimmt der richtige(14). Der Konflikt wird also nicht explizit gemacht und Lärm bleibt Lärm. Im Englischen ist diese Idee in einem Alltagsidiom prägnant auf den Punkt gebracht, das für gewöhnlich ins Feld geführt wird, wenn sich in einer Diskussion kein Konsens herstellen lässt: ‚Let’s agree to disagree.‘ Der Zwist wird zur Grundlage einer scheinbar respektvollen Übereinkunft erklärt, die jeder_jedem ihre_seine Meinung lässt. Gemeint ist aber: ‚Let’s stop arguing and politely ignore each other because actual conflict would endanger our respective identities, and we all agree that that is not an option.‘ Die Bedrohung des Konflikts kann so stets auf die lange Bank geschoben, die ideologische Erschütterung abgefedert werden.

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Damit will ich keinesfalls das politische Potential des Kinos an sich in Zweifel ziehen; im Gegenteil sehe ich dieses immer noch als außerordentlich an, in all seinen Spielarten. Aber es soll auf die Relativierung seines Status als ideologische Konfliktzone hingewiesen werden, die über seine marktlogische Unterteilung in maximal halbdurchlässige Gehege für widersprüchliche Formen und Erzählungen mit jeweils klar deflnierten Zielgruppen zurückzuführen ist. Soll das Politische im Kino wieder stärker zum Tragen kommen, geht es folglich weniger um eine Politisierung der Filme selbst als um die Wiederherstellung der Unhintergehbarkeit der Konflikte zwischen den Filmen als Weltsichten, die Fokussierung ihres Kampfes um diskursive Hegemonie. Damit zwei fllmische ‚Gegner‘ aber in ein agonistisches Streitgespräch treten können – eines, das öffentlich ausgetragen wird und damit für jede_n ZusKauer_in als solches erkennbar ist – ist „das Bestehen eines gemeinsamen symbolischen Raumes notwendig“(15), und genau das ist der Fall beim double feature, eine Rezeptionsform, die ich hiermit als Vorschlag einer Methode der Herstellung produktiven Konflikts im Rahmen einer fllmkuratorischen Praxis zur Debatte stellen möchte. Ich meine hierbei weniger das klassische US-Modell. Dieses war ökonomisch determiniert und die Filme entstammten weitestgehend ein und derselben Industrie, was sie einander anglich und das Konfliktpotential schmälerte (was natürlich nicht heißen soll, dass es darin nicht trotdem zu widersprüchlichen Kombinationen kommen konnte)(16). Ich beziehe mich vielmehr auf die zeitgenössische Form, wie man sie zuweilen bei Festivals und in Cinematheken zu sehen bekommt: bewusst kuratierte Zusammenführungen verschiedener fllmischer Positionen, die relative ästhetische Freiheit genießen in der Selektion einzelner Beiträge und mit entsprechenden Absichten zur Erregung öffentlichen Ärgernisses genutzt werden können. Meine Grundthese ist einfach: Die Vorführung zweier Filme innerhalb einer Vorstellung nötigt die Zuschauer_innen dazu, diese Filme in Beziehung zu setzen. Wenn diese Gegenüberstellung darüber hinaus in irgendeiner Weise Widersprüche offenlegt, wenn die Filme also auf einer oder mehreren Ebenen miteinander streiten, entsteht durch diesen Konflikt ein Riss in der hegemonialen Formation, die eine Kinovorstellung üblicherweise ästhetisch konstituiert und eröffnet einen Raum des Politischen. Dieser Riss wird als solcher wahrgenommen, weil es in diesem Kontext ausgeschlossen ist, dass es sich dabei um ein Versehen handelt: Das double feature der Gegenwart impliziert Intentionalität, indem es die Wahlfreiheit der Betrachter_innen unterminiert. Es ist klar, dass jemand will, dass genau diese beiden Filme zusammen gesehen und zueinander in Bezug gesetzt werden, sonst gäbe es zwei separate Vorstellungen. Die rezeptionsseitige Unterteilung in einen ‚richtigen‘ und einen ‚falschen‘ Film wird hier zunächst auf Schwierigkeiten stoßen, sofern es keine hierarchisierenden Kennzeichnungen wie A- und B-Picture oder Haupt- und Vorfllm gibt. Ein double feature ist also nicht die Anerbietung einer diskursiven Formation, sondern die Anregung, einen Schritt zurückzutreten und sich den Dialog oder Widerstreit der Diskurse, den oben erläuterten Kampf um die Vormachtstellung, zu vergegenwärtigen(17). Einen theoretischen Vorläufer dieser Konzeption findet man im dialektischen Montageprinzip, wie es von Bertolt Brecht und Walter Benjamin ventiliert wurde. Die Hervorkehrung von Kor- relationen und Gegensätzlichkeiten ist ein Eckpfeiler des brechtschen Realismusbegriffs, denn „ein Ding wird real erst, wenn es in seiner Beziehung zu einem anderen erscheint, und um so realer, je mehr Dinge zu ihm in Beziehung treten. Die Wahrheit ist nie in einem Satze zu sagen“(18). Benjamins Kommentare zur Praxis des epischen Theaters führen dieser Methodik das Wort. Erkenntnisgewinn in der Kunst sei nur möglich, wenn man fließende Handlungen in abgeschlossene Gesten unterteilt und gegeneinander montiert, denn „die Entdeckung der Zustände vollzieht sich mittels der Unterbrechung von Abläufen. […] Sie bringt die Handlung im Verlauf zum Stehen und zwingt damit den Hörer zur Stellungnahme zum Vorgang“(19). Das double feature mit seiner unübersehbaren Vorführungszäsur macht nun aus der ungebrochenen Handlung einer Kinovorstellung ein konfligierendes Gefüge, indem es die Filme selbst zu Gesten macht.

Doch selbstverständlich reicht die unreflektierte Parallelisierung zweier beliebiger Filme nicht aus, um Dissens zu schüren. Zwar beinhaltet Benjamins „Verständnis von produktiver Montage […] die fragmentierte Integration disparaten Materials. Allerdings wird es nicht willkürlich aneinandergereiht, sondern zusammengehalten durch ein Formgesetz“(20). Damit ein double feature zum trouble feature werden kann, muss dieses Formgesetz ein agitatorisches sein: Die Aufgabe der_des Kuratorin_Kurators ist dabei die Identifizierung des Konfliktpotentials zwischen zwei Filmen. Der Konflikt kann sich auf zweierlei Weise äußern. Am deutlichsten tritt er wohl zutage, wenn man Filme in eine Vorstellung packt – und so an einen gemeinsamen Ort bringt -, die ansonsten nicht miteinander in Berührung kommen würden, da das kulturelle Reglement ihre Trennung vorschreibt und sie in abgeschlossene Domänen verbannt, etwa die ungebrochene Projektion eines ‚alten‘ Films mit einem ‚aktuellen‘, eines verleihtechnischen Blockbusters mit einer verleihtechnischen Arthausproduktion, einer Industrieschöpfung mit dem Werk einer unabhängigen Einzelperson. Die Aporie liegt hier schlicht in der Unvereinbarkeit dieser Kulturprodukte innerhalb der gegebenen Ordnung im Sinne Mouffes. Der Blockbuster verlässt seinen Block ebenso wenig wie der Museumsfllm seine Ausstellung. In ihrer mutwilligen Verlagerung auf eine geteilte Leinwand liegt bereits eine grundlegende Transgression, und es ist klar, dass jeder Film, der in seiner Gestaltung eine gewisse Regelhaftigkeit aufweist – wie es bei nahezu allen Spielfllmen seit den Anfängen des Mediums der Fall ist, auch wenn diese Re- geln subtile Mutationen durchlaufen -, sich mit einem Film in die Haare geraten wird, der besagter Regelhaftigkeit eine klare Absage erteilt oder sein eigenes Regelsystem etabliert; thematisch erfordert es da kaum Überschneidungen. Die zweite Strategie, eine metatextuelle Verkoppelung über diametrale Positionierungen, geht tiefer und erfordert bereits mehr kuratorisches Feingefühl. In diesem Fall ist die „Tätigkeit […], die einen Körper von dem ihm angewiesenen Ort anderswohin versetzt“(21), immer noch förderlich, aber zweitrangig. Streit kann es hier nur geben, wenn es einen Gegenstand gibt, um den gestritten werden kann, wenn also Filme kollidieren, die auf ähnliche Fragen verschiedene Antworten flnden oder ideologisch unverträglich sind(22). Dies kann auf einer narrativen Ebene stattflnden, aber genauso produktiv wäre die Gegenüberstellung zweier widersprüchlicher Ideen von Kino, z.B. der opulenten Studiowelten eines Josef von Sternberg mit den Arbeiten des italienischen Neorealismus. Um zu verdeutlichen, wie derartige trouble features aussehen könnten, möchte ich nun zwei exemplarische Montagen unterbreiten.

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Come and See(23) beschreibt mit einer enorm intensiven Filmsprache (lang anhaltende tracking shots, verstörende Soundkulissen, ikonische Großaufnahmen, Betonung von Körperlichkeit und Materialität, Leidenspathos, desorientierende Ansichten von ausuferndem Chaos und Pandämonium) die Passionsgesschichte eines Jugendlichen im Weißrussland unter nationalsozialistischer Besatzung. Nachdem er sich anfangs voller Begeisterung den Partisanen anschließt, wird er beim ersten Bombenangriff von seiner Kompanie getrennt und stolpert im weiteren Verlauf buchstäblich von einem Höllenkreis in den nächsten, bis alle seine Illusionen über die Natur des Krieges abgeschabt sind. In der letzten Szene des Films sieht er, nun wieder Teil einer sowjetischen Kohorte, ein Hitler-Porträt im Dreck liegen, und seine aufgestaute Wut entlädt sich: Während er hasserfüllt sein Gewehr auf das Bild feuert, montiert Klimov Archivmaterial im Rückwärtsgang, als würde jeder Schuss ein Stück der faschistischen Verheerungen ungeschehen machen. Nach etlichen Salven erstarrt die Auhebung und Hitler blickt uns als Baby aus den Armen seiner Mutter an. In diesem Augenblick hält auch die Hauptfigur entgeistert inne. In Anlehnung an Emmanuel Lévinas könnte man sagen: Die ethische Anrufung durch das exponierte Antlitz des Anderen(24) verbietet ihm, abzudrücken und den Widerruf zu vollenden, ungeachtet des entsetzlichen Preises. Quentin Tarantinos Inglourious Basterds(25) hingegen drückt ab, ohne zu zögern: Eine aus jüdischen Soldaten rekrutierte ‚Nazijäger‘-Spezialeinheit plant ein Attentat auf Hitler und seine Junta, das am Ende des Films – gegen die historischen Tatsachen – erfolgreich in die Tat umgesetzt wird. Im unmittelbaren Anschluss an Come and See muss das wirken wie ein direkter Vergeltungsschlag (jener spielt 1943, dieser ein Jahr später), auch weil sich die dramatischen Höhepunkte der Filme in vielerlei Hinsicht spiegelbildlich verhalten. Ersterer stellt das Massaker von Chatyn nach, bei dem ein SS-Sonderkommando sämtliche Einwohner_innen eines weißrussischen Dorfes in eine Scheune sperrte und diese in Brand setzte. Inglourious Basterds imaginiert eine Rachephantasie, bei der die NS-Elite in ein Kino gepfercht und dem Feuer überantwortet wird. Beides wird inszeniert als delirierender Todesrausch, in deren dröhnender Horrorkakophonie das Hohngelächter der Peiniger_innen mit den Todesschreien der Opfer verschmilzt. Dennoch erweist sich Tarantinos Postulat des Rechts auf alttestamentarische Vergeltung im Freiraum des Kinos als Antithese zu Come and See, der solche Rachegelüste anzufachen scheint und sich trotzdem verbittet, ihnen vollends anheimzufallen. Sein Epilog setzt ebenso dazu an, die Historie mit den Mitteln des Films zurechtzurücken, insinuiert dann aber, dass das fünfte Gebot trotz allem intakt bleiben muss, wenn die Welt nicht im Chaos versinken soll – selbst das Kino mit seinen uneingeschränkten Möglichkeiten trägt für Klimov ethische Verantwortung. Das immense Pathos dieser finalen Momente verdankt sich der Evokation einer moralischen Selbständigkeit im Leiden, der Selbstbeherrschung im Zustand äußerster affektiver Angespanntheit. Inglourious Basterds dagegen gewinnt sein nicht minder beträchtliches Pathos aus der bedingungslosen Hingabe an den Affekt – der explosiven Entladung des Zorns, der sich aus historischem Bewusstsein speist. Auch hier flndet sich im Übrigen die Montage des fratzenhaft verzerrten Gesichts eines wutentbrannten Basterd-Rächers mit einer Ansicht seines Hassobjekts – Hitler als ultimativer Signiflkant des absolut Bösen – doch in diesem Fall gibt es keine Gnade. Durchsiebt wird allerdings eine in ihrer Billigkeit offenkundig und wohl bewusst als fllmisches Requisit erkennbare Atrappe, während bei Come and See ein photographisches Dokument Einhalt gebietet. Auch das bezeugt die getrennten Agenden der beiden Filme: Klimov ist letztlich der Wirklichkeit verpflichtet, Tarantino der Phantasie. Und obwohl man bei keinem der beiden Filme von einer eindeutigen Botschaft sprechen kann, werden hier doch die Grenzen des Ethischen auf unvereinbare Weise ausgelotet – sie flnden konträre Antworten auf dieselbe Frage – und diese Unvereinbarkeit fordert die Stellungnahme der Zuschauer_innen stärker, als es einer von ihnen allein getan hätte. Der Widerspruch liegt dabei auf der Erzählebene – das Extrembeispiel eines formal-ideologischen Clashs wäre hingegen die Gegenüberstellung von 300(26) und LanceIot du Lac(27). Beides sind Filmfassungen von Heldenmythen (im ersten Fall der Schlacht bei den Thermopylen, im zweiten eines Abschnitts der Artussage), aber sie negieren sich in jedem Kader. Snyder ist in seiner Adaption eines Comics von Frank Miller darum bemüht, dessen Schicksals- und Kriegspathos ungebrochen auf die_den Zuschau- er_in zu übertragen und bedient sich dafür aller ihm zur Verfügung stehenden Mittel. Zwar ist die Mär vom Stoßtrupp, der unter der Leitung des Königs Leonidas gegen den Willen der Diplomaten loszieht, um „for sparta, for freedom“ den persischen Horden die Stirn zu bieten, durch eine erzählerische Rahmung samt Voice-Over als Legende gekennzeichnet, aber der Film ist mehr als gewillt, sie zu drucken. Die Bilder eifern der Vision vom ehrenhaben Heldentod und der schrecklichen Schönheit des Krieges, die vom Narrativ aufgetischt wird, in jeder Hinsicht nach. Lancelot du Lac hingegen reißt schon zu Beginn eine ironische Kluft auf zwischen Ereignis und Überlieferung. Nachdem die eröffnende Einstellungsfolge in knapp fragmentierter und unglamouröser Manier Szenen namen- und gesichtsloser Ritter beim Morden und Plündern aneinanderreiht, ist im auktorialen Prolog von den „fabelhaften Abenteuern unserer Helden“ die Rede. Unmittelbar ersichtlich ist auch, dass sich Bressons Verhältnis zu fllmischer Wahrheit und Wirklichkeit drastisch von der Snyders unterscheidet. Bresson ist einem radikalen Materialismus verpflichtet: Seine reduktionistische Stilistik – die nahezu vollständige Abwesenheit nondiegetischer Musik, die vorwiegend statische Kamera, das Anti-Schauspiel seiner ‚Modelle‘, die naturalistisch-karge Ausstattung – sperrt sich gegen konventionelle Pathosformeln. Seine Welt und seine Figuren haben das Gewicht des Realen, und ein Bild bedeutet nie mehr als das, was es zeigt. 300 macht die Realität seiner Fabel untertan. Seine hermetische Digitalästhetik ermöglicht maßgeschneiderte Bild- und Tongestaltung, die bis ins letzte Detail den atmosphärischen wie ideologischen Anforderungen der Handlung entspricht und einer symbolisch aufgeladenen Mise en Scène Vorschub leistet. Die einheitlich athletischen Männerkörper des Films überwinden im Dienste einer pathetischen Gewaltchoreographie wiederholt die Gesetze der Schwerkraft oder dehnen den Ablauf der Zeit, und seine mit treibender Musik untermalten Schlachtgemälde transportieren stets etwas über das Schlachten hinaus, und sei es auch nur die erhabene Anmut disziplinierten Kriegshandwerks. Eine Enthauptung ist hier ein dramatischer Höhepunkt. Im Vergleich dazu wirken die Kampfszenen in Lancelot du Lac völlig sinnentleert, nahezu lächerlich: schlaksige Ritter in unentwegt scheppernden Rüstungen, die bei natürlichem Licht irgendwo im Wald ungelenk und mechanisch aufeinander einschlagen, bis einer in sich zusammenklappt. Eine Enthauptung ist eine Enthauptung. Ebenso wenig wie einen heiligen Gral scheint es hier einen Gott zu geben, der der Handlung über die Form eine höhere Bedeutung zugestehen würde, während bei den griechischen Kriegern hinter jedem Hieb ein Ideal steht, das diesen unterschwellig legitimiert. 300 peitscht die_den Zuschauer_in auf, wie die Perser ihre monströsen Elefanten, er will ihn für seine Sache gewinnen. Entsprechend häuflg lässt er seinen Heldenkönig Brandreden schwingen, die in Aufbau und Lautstärke auf maximale rhetorische Überzeugungskraft getrimmt sind. Der apathisch-monotone Duktus aller Sprechenden bei Bresson erzeugt dagegen eine Art kommunikatives Vakuum. Faszinierend ist auch, dass die beiden Filme aus verschiedenen Gründen auf sehr ähnliche Schlusssequenzen hinauslaufen, die ihre konträren Haltungen auf den Punkt bringen. Snyder porträtiert stolze Krieger, die ihr intaktes Wertesystem zum Wohle der Nachwelt unter Einsatz ihres Lebens vor den illegitimen Angriffen einer externen Macht schützen. Die Gemahlin Leonidas‘ trennt sich nur ungern von ihm, fügt sich aber stoisch der Notwendigkeit seines Opfers, das hier seine überdeutliche Affirmation über die Form erfährt: Nachdem der Heros standhaft einer Übermacht getrotzt hat, geht er von Pfeilen durchbohrt zu Boden und erstarrt in einer Pose, die christlichen Märtyrerbildern nachempfunden ist. Seine letzten Worte – „my queen, my wife, my love“ – klingen wie eine todeskitschige Grußbotschaft. Ein Epilog versichert dem Publikum, dass seine Taten nicht vergebens waren; die Nachwelt wird sich tatsächlich erinnern, wofür er gestorben ist. In Lancelot du Lac zerrüttet ein durch verfehltes Ehrgefühl und Bigotterie befeuerter interner Zwist eine Rittergemeinschaft, deren Spitzen am Ende gegeneinander ins Feld ziehen. Guinevere versteht nicht, warum ihr Geliebter Lancelot gegen Artus kämpfen muss, und er scheint es selbst nicht zu verstehen. Der Determinismus der Bilder kommt im Finale unmissverständliK zum AusdruK, das den Heldentod buchstäblich als folgenlosen Sturz ins Nichts inszeniert: Nach einem kurzen Geplänkel, dessen Verlauf sich der_dem Zuschauer_in kaum erschließt, fällt Lancelot tödlich verletzt zu Boden und der Film reißt abrupt ab. Sein letztes Wort, „Guinevere“, klingt wie eine verzweifelte Erkenntnis, die zu spät kommt – eine Nachwelt gibt es nicht. Bresson entwickelt hier durchaus seine eigene Form von Pathos, die man existentialistisch nennen könnte; mit jener Snyders ist sie aber durchweg inkompatibel und muss auf deren Affektballon im direkten Anschluss wie eine Nadel wirken.

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Anschließend sei nochmals gesagt: Das Trouble-Feature-Konzept, wie ich es ausgeführt habe, ist der Vorschlag einer Methode der fllmkuratorischen Praxis. Ein Beispiel dafür, wie dessen Umsetzung aussehen könnte, wäre etwa der Programmzyklus Was ist Film, den das Österreichische Filmmuseum seit 1996 zeigt. Dieser wurde von Peter Kubelka als kuratorischer Versuch einer empirisch erfahrbaren Deflnition der Essenz des Mediums als originäre Kunstgattung konzipiert. Er umfasst 63 Programme, welche ihrerseits überwiegend aus mehreren aufeinanderfolgenden Einzelfllmen bestehen, die bis auf kurze Lichtpausen ohne Unterbrechung projiziert werden. Die Kontextualisierung der Vorführungen und ihrer Bausteine beschränkt sich auf basale Eckdaten im Programmkatalog. Dabei stehen oftmals „Dokumente, die nicht auf ein und dasselbe hinauslaufen, neben- oder gegeneinander“(28). Kubelka selbst bezeichnet „Filmmontage“(29) als das Modell für seine Programmreihe: „Es bedarf immer der Verbindung zweier Teile, um etwas auszudrücken: Zweier Wörter, zweier Noten, zweier Linien, zweier Meinungen, zweier Einzelbilder – oder eben zweier Filme“(30). Die Kombinationen sind „genau beabsichtigt. In der Zusammenstellung liegt immer auch eine Aussage“(31), deren konkreten Gehalt sich die_der ZusKauer_in allerdings selbst zusammenreimen muss. So wirft der dritte Teil der Serie mit der Kontrastierung unterschiedlicher Formen fllmischer Dokumentation und Wahrheitsfindung – Nanook of the North(32), Auszügen aus Kinopravda(33) und Window Water Baby Moving(34) – die Frage auf: „Welcher dieser drei Filme stellt nun die sogenannte ‚wirkliche Welt‘ dar“(35)? Die Verschränkung von Katzelmacher(36) und Outer Space(37) im 34. Kapitel wiederum bezeichnet der Filmkritiker Stefan Grissemann als „Konfrontationsprogramm“(38), dessen Bestandteile „ästhetische Endpunkte [und] Extrempositionen“(39) markieren. Dennoch ist das Zyklische Programm klar als fllmpädagogischer Erfahrungsraum kodifiziert. Wenn die cinephile Vermittlung ihre politische Sprengkraft wiederbeleben will, sollte sie dem ZusKauer solche und ähnliche Zumutungen auch außerhalb der geschützten Hallen eines Filmmuseums zutrauen.

1. Vgl. Thomas Bedorf, „Das Politische und die Politik. Konturen einer Differenz“, Das Politische und die Politik, hg. v. Thomas Bedorf/Kurt Röttgers, Berlin: Suhrkamp 2010, S. 13–37, hier S. 13ff.
2. Chantal Mouffe, Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion, Frankf. a. M.: Suhrkamp 2007, S. 25.
3. Ebd., S. 27.
4. Ebd., S. 68.
5. Hierfür muss man ästhetische Entwürfe außen vor lassen, die den Konflikt zum Teil ihrer Struktur machen,
z. B. Lucía (1968) von Humberto Solás, der aus drei klar voneinander getrennten Episoden besteht, die sich verschiedenen Geschichtsperioden Kubas auf formal unterschiedliche Weise widmen.
6. Auch eine Verweigerung des Gesehenen kann in diesem Kontext als Leistung bezeichnet werden.
7. Vgl. Jacques Rancière, „Gibt es eine politische Philosophie?“, Politik der Wahrheit, hg. v. Rado Riha, Wien: Turia + Kant 1997, S. 64–93, hier S. 67f.
8. The Tree of Life, Regie: Terrence Malick, US 2011.
9. Der Hinweistext lautet: „In response to some customer feedback and a polarized response from last weekend we would like to take this opportunity to remind patrons that The Tree of Life is a uniquely visionary and deeply philosophical film from an auteur director. It does not follow a traditional, linear narrative approach to storytelling. We encourage patrons to read up on the film before choosing to see it, and for those electing to attend, please go in with an open mind and know that the Avon has a No-Refund policy once you have purchased a ticket to see one of our films. The Avon stands behind this ambitious work of art and other challenging films, which define us as a true art house cinema, and we hope you will expand your horizons with us“; Eugene Hernandez, „Movie Theater to ,Tree of Life‘ Customers: Enter At Your Own Risk!“, Indiewire, 2011, http://blogs.indiewire.com/eug/movie_theater_to_tree_of_life_customers_enter_at_ your_own_risk, 18. 12. 2013.
10. Rancière, „Gibt es eine politische Philosophie?“, S. 68.
11. Ebd., S. 67.
12. Mouffe, Über das Politische, S. 72.
13. Ebd., S. 70.
14. Dies gilt auch für das Modell zeitgenössischer Filmfestivals. Marijke de Valck bezeichnet diese am Beispiel des Internationalen Filmfestivals Rotterdam als ‚cinephile Multiplexkinos‘, die zwar der Sichtbarkeit marginalisierter Formen Sorge tragen, sich in ihren Programmstrukturen aber unweigerlich von marktlogischen Überlegungen leiten lassen und kaum Engführungen widersprüchlicher Formen bemühen; vgl. Marijke de Valck, „Drowning in Popcorn at the International Film Festival Rotterdam? The Festival as a Multiplex of Cinema“, Cinephilia. Movies, Love and Memory, hg. v. Marijke de Valck/Malte Hagener, Amsterdam: Amsterdam Univ. Press 2005, S. 97–110.
15. Mouffe, Über das Politische, S. 158.
16. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass dieses Modell oftmals produktive Antagonismen auf der Produktionsseite zuspitzte: Der japanische Regisseur Seijun Suzuki etwa hat immer wieder betont, dass das Kastensystem im Nikkatsu-Studio der 60er-Jahre – also die verschiedenen Handlungsspielräume
und Statusdifferenzen seiner A- und B-Abteilungen – ihn erst zu den Grenzüberschreitungen und formalen Wagnissen seiner B-Filme anspornte; vgl. Tony Rayns, „Branded to Kill. Reductio Ad Absurdum“, The Criterion Collection, 2011, http://www.criterion.com/current/posts/2096-branded-to-kill-reductio-ad-absurdum, 12. 12. 2013.
17. Dieses Konzept ist nur insofern dem Grad didaktisch, als jede Form von Filmvermittlung in ihren Grundzügen didaktisch ist. Sie geht bloß einen Schritt weiter als die Praktik, zwei Filme, die die_der Kurator_in in Bezug setzen will, hintereinander in getrennten Vorstellungen zu programmieren. Die Einladung zur Gegenüberstellung ist deutlicher hervorgekehrt. Darin liegt die (milde) Anmaßung und das politische Potential (denn das Politische und die Anmaßung liegen in der radikalen Demokratietheorie eng beieinander). Ob und inwieweit die_der Zuschauer_in darauf eingeht, ist aber weiterhin ihr_ihm überlassen.
18. Bertolt Brecht, „Wahrheit (2)“, Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Bd. 21: Schriften l. l9l4–l933, hg. v. Werner Hecht et al., Berlin/Frankf. a. M.: Aufbau/Suhrkamp 2003, S. 428.
19. Walter Benjamin, „Der Autor als Produzent“, Gesammelte Werke. Bd. 2: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit und andere Schriften, Frankf. a. M.: Zweitausendeins 2011, S. 513–527, hier S. 525.
20. Sven Kramer, „Montierte Bilder. Zur Bedeutung der filmischen Montage für Walter Benjamins Denken und Schreiben“,
‚In die Höhe fallen‘. Grenzgänge zwischen Literatur und Philosophie, hg. v. Anja Lemke/Ulrich Wergen, Würzburg: Königshausen & Neumann 2000, S. 195–212, hier S. 200.
21. Rancière, „Gibt es eine politische Philosophie?“, S. 67.
22. Es soll aber nicht darum gehen, ideologisch ‚gute‘ Filme auf die Schultern von ‚bösen‘ zu stellen. Es ist z. B. wesentlich einfacher, den ,guten‘ Autorenfilm gegen das ,böse‘ Hollywood ins Rennen zu schicken, als Positionen auf beiden Seiten zu finden, die ihre divergierenden Standpunkte in Grundsatzfragen zum Medium (oder zum Leben) auf überzeugende Weise vertreten.
23. Come and See, Regie: Elem Klimov, UdSSR 1985.
24. Vgl. Emmanuel Lévinas, Ethik und Unendliches. Gespräche mit Philippe Nemo, Wien: Passagen 2008, S. 64.
25. Inglourious Basterds, Regie: Quentin Tarantino, US 2009.
26. 300, Regie: Zack Snyder, US 2006.
27. Lancelot du Lac, Regie: Robert Bresson, FR/IT 1974.
28. Stefan Grissemann/Alexander Horwath/Regina Schlagnitweit, „Vorwort“, Was ist Film. Peter Kubelkas Zyklisches Programm im Österreichischen Filmmuseum, hg. v. Stefan Grissemann et al., Wien: Synema 2010, S. 4–5, hier S. 4.
29. Stefan Grissemann/Peter Kubelka, „‚Keinesfalls durch das Sieb der Sprache‘. Was soll ‚Was ist Film‘ sein? Zur Konzeption des Zyklischen Programms. Peter Kubelka im Gespräch mit Stefan Grissemann“, Was ist Film, hg. v. Grissemann et al., 2010, S. 7–26, hier S. 8.
30. Ebd.
31. Ebd., S. 24.
32. Nanook of the North, Regie: Robert J. Flaherty, US 1922.
33. Kinopravda, Regie: Dziga Vertov, UdSSR 1922–1925.
34. Window Water Baby Moving, Regie: Stan Brakhage, US 1959.
35. Vgl. Ebd., S. 19.
36. Katzelmacher, Regie: Rainer Werner Fassbinder, BRD 1969.
37. Outer Space, Regie: Peter Tscherkassky, AT 1999.
38. Stefan Grissemann, „Programm Nr. 34“, Was ist Film, hg. v. Grissemann et al., 2010, S. 109–111, hier S. 109.
39. Ebd.

Liebe im Kino

In Anlehnung an einen Text von Tuli Kupferberg (Love in the Movies) in Film Culture No.25, Summer 1962.

Dieser Text soll sich nicht mit dem unergründlichen Thema der Liebe und ihrer kinematographischen Darstellung befassen, sondern mit der Liebe vor der Leinwand. Dem Kuss in der letzten Reihe, der heimlichen Berührung am Oberschenkel und dieser endlosen Sehnsucht, die sich in einem rührt, wenn man die Einsamkeit der Kinobilder vor sich schwimmen sieht, während man seinen eigenen Körper nicht mehr spüren kann.

Aber Cinephile sind einsam. Sie sind blass und können nicht sprechen. Hans Hurch hat gesagt: „Cinephilie ist eine Krankheit.“ Leichen der Umnachtung, sozial unfähige Trinker und Träumer…wie wollen wir von Liebe im Kino sprechen? Sprechen wir von der Einsamkeit des Cinephilen. Das Problem: Ein Kuss während eines Films ist ein Verbrechen. Geht man als Cinephiler mit einem Partner oder einer Person des Begehrens ins Kino steht man wie zwischen zwei Lieben. Man muss eine betrügen. Dort die Unendlichkeit von Bildern und Tönen, die sich wie die aufregendste Fremdheit in der Heimat anfühlt und in uns all die Sehnsüchte und das Begehren einer potenzierten Liebe verdichtet einflößt. Und hier die, in der Reflektion dieser Sehnsucht erstrahlenden Augen einer anderen Unendlichkeit, in die man mit weitaus weniger Sicherheit eintauchen möchte, die eine andere Sinnlichkeit und Körperlichkeit offenbart, eine hinter der man nicht unsichtbar bleiben kann, eine die verpflichtet und zur Handlung verführt. Ein unlösbares Problem. Ist das nicht so? Bevorzugt man das eine, verletzt man das andere. Nein, gibt man dem einen nur eine Sekunde, stiehlt man dem anderen alles. Man fragt sich, warum nicht beides gleichzeitig geht und denkt an die verstohlenen Blicke zur Leinwand in The Last Picture Show (ein Film von einem krankhaft cinephilen Casanova) oder das Entdecken einer Liebe im Kinosaal von Antoine Doinel (in einem Kurzfilm von einem besessen-cinephilen Casanova).

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Doch trägt diese Dunkelheit überhaupt noch ein Versprechen in sich? Das Kino als Rückzugsort für Jugendliche ist heute Vergangenheit. Ein Kuss in der Dunkelheit ist heute kaum mehr Zauber, er ist eher Schüchternheit. Wer würde schon noch davon sprechen, dass man einen Ort für Intimität und Dunkelheit sucht? Doch dann betritt eine junge Frau den Kinosaal, sie gibt sich große Mühe, um die geheimnisvolle Aura der Leinwand zu übertreffen, sie kommt immer kurz bevor es losgeht, damit alle sie sehen können, sie kommt immer alleine, sie ist abwesend und doch verspielt, sie dreht sich durch die Eingangstür, als würde in jeder Sekunde ein Scheinwerfer auf ihr erblühen, sie ist Marlene Dietrich in Morocco (von einem Mann, der vielleicht verstanden hat, wie man diese zwei Lieben vereinen kann), sie ist die Fahrt wie ein Wind auf Gene Tierney in Heaven Can Wait, sie dreht sich in das Kino, jemand flüstert zu sich selbst: „Sie sieht aus wie Sylvia Sidney,“ sie ist ein Pick-Up Artist, mit ihren traurigen Augen, die einladend lächeln… machen wir uns nichts vor: der von Augenringen des Leids umnebelte Junge in schwarz, der immer auf dem selben Platz in der zweiten Reihe sitzt und auffällig häufig mit dem Finger über seine Lippen streicht und auf jeden Fall so aussieht, als wäre ihm alles egal, ist auch ein Pick-Up Artist, Cinephile sind Pick-Up Artisten der Einsamkeit, sie bemerken kaum, dass sie nie jemanden berühren, aber dafür in den Träumen der blickenden Doinels und Bogdanovichs landen bis diese ihnen die wichtigste Frage nach einem Film stellen: „Ich fand One Hour with You ja besser als The Marriage Circle. Was meinst du?“

Kann man sich auf den Film konzentrieren, wenn man verliebt ist? Vielleicht haben Verliebte gar nichts im Kino verloren, obwohl Filme für sie gemacht sind. Das Kino ist ein Betrug, eine Lüge, die Wahrheit in 48fps. Eigentlich ist es anders. Cinephile haben diese Regungen nicht. Sie sind kalt und zu neurotisch für Liebe. Sie sind krank, ungepflegt und es ist ihnen egal. Sie tragen nur mehr ihre Sinne in den Kinosaal, der das Grab und die Blüte ihres Lebens in einem Licht ist. Oder sie kennen keine Proportionen. Weil sie in den Filmen leben, ist ihnen nichts im echten Leben gut oder geheimnisvoll genug. Sie erstarren und warten auf eine Nahauaufnahme. Es müssen sich zwei Cinephile finden, damit sie es nicht merken. Das stimmt nicht. Das Kino kann einen zur Liebe bringen.

Carax

Godard hat eine Seelenverwandte gesucht, um Filme mit ihr zu drehen und er hat Hunderte gefunden. Heute gibt es nur noch den verstohlenen Blick. Carax hat gesagt, dass für ihn das schönste im Kino der gefilmte Nacken einer Frau wäre. Was passiert, wenn er im Kino sitzt und ein Nacken auf der Leinwand erscheint, während die Frau vor ihm sitzend, vielleicht weil sie gerne in seinen Filmen spielen würde, vielleicht einfach so, sanft über den eigenen Nacken streicht. Wohin schaut Carax? Wer spaziert mit uns nach den Filmen durch die Nacht? Wollen wir nicht alleine sein, alleine mit den Erinnerungen an den Film? Suchen wir jemanden, der mit uns über den Film spricht? Nein, wir wollen entweder schweigen oder unendlich reden. Es gibt sie/es gab sie. Paare, die sich und das Kino lieben. Tarantino hat einmal gesagt, dass er, wenn er eine Frau kennenlernt, ihr zunächst Rio Bravo zeigen würde: „And she better fucking like it.“ Es ist klar, dass die Liebe im Kino davon beflügelt wird, dass man dasselbe liebt. Eine Art Menage à Trois zwischen den Augen zweier Liebenden und der Leinwand. Das funktioniert im Bezug zu den Bildern selbst besser, als wenn es um einzelne Personen auf der Leinwand geht. Die Liebe zum Kino kann besser geteilt werden als die Liebe zu Grégoire Colin.

Es gibt noch ein weiteres Problem mit der Liebe im Kino. Filme geben einem Zuseher einen Wissensvorsprung. Wer Filme von Garrel gesehen hat, kann sich nicht einfach blind in eine Liebe stürzen. Das Kino bereitet uns auf den Schmerz vor. Das ist natürlich kein Grund ihn nicht erleben zu wollen, aber wir sind gewarnt. Nur zu ihrem Glück sind Cinephile auch naiv. Sie suchen diesen Schmerz und finden ihn bereits in der Traurigkeit eines Blicks. Sie nehmen ihre Liebe mit in einen Garell-Film, sie tragen sie weiter in ihrem Herzen und danach wirkt ihr „Ich liebe dich“ wie eine Lüge. Wie im Zug bei Les Rendez-vous d’Anna von Chantal Akerman fliegt an uns die Welt und ihre Geschichte vorbei während wir uns in einem Flirt verlieren, den wir nicht haben wollen. Wir berühren, aber fühlen nichts, weil in uns noch die Tränen des letzten Films versickern. Wie soll man im Kino damit umgehen, dass Liebe blind macht? Renoir hat gesagt, dass Kino eine private Kunst sei, er meinte damit unter anderem, dass das Kino ganz direkt zu einem persönlich sprechen würde, wie ein Sänger, der einem in die Augen sieht, wenn er keine Kraft mehr hat. Nein, das ist kein Statement gegen die Liebe im Kino, es ist ein Statement dafür. Zu wenige stehen auf und küssen die Leinwand.

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Wie weit darf man gehen mit der Liebe im Kino, fragt Kupferberg 1962. Im selben Jahr dreht Antonioni L’eclisse, einen Film über das Ende der Liebe. Klar ist, dass es unterschiedliche Regeln gibt im Kino. Haben wir jemals geklärt, ob das Kino ein Ort der Freiheit oder der Disziplin ist? Man wird schließlich eingesperrt, aber dieses Eingesperrtsein fühlt sich an wie Freiheit. Wenn man sich küsst in dieser Gefangenschaft löst sich womöglich die Freiheit auf. Lieber blicken wir, begehren wir und stellen uns vor. Dann nach dem Kino halten wir unsere Hände, aber sie halten meist zitternd Zigaretten. Wir versuchen uns Dinge zu sagen wie wir sie im Kino gehört haben, aber sie klingen gekünstelt, wir lieben uns so wie im Kino und merken nicht, dass wir nur eine Projektion lieben. Was wir eigentlich lernen müssen, ist dass Liebe das Kino mit einschließt. Es gibt einen Drang, der sich für manche wie eine Krankheit anfühlt, für andere wie eine Lust und wenn man diesem Drang folgt, dann liebt man. Er führt direkt an die Lippen des Kinos, in die Zärtlichkeit von Augen, die das Kino sehen, in eine gemeinsame Flucht vor der Welt und in die geöffneten Arme einer weißen Leinwand, die man spürt, wenn man alleine ist und wenn man gemeinsam ist. Das Kino war immer ein Ort für Liebe, nicht nur weil man sich dort in der letzten Reihe geküsst hat, sondern weil dort Wahrnehmungskanäle in einem geöffnet wurden, die neben den Schmerzen, der Intelligenz, der Politik und der Wut auch von der ganzen Zärtlichkeit und Liebe der Menschheit durchzogen waren. Das ist aber nur ein Traum. Der Cinephile ist einsam voller Liebe.

Land of the Dead: POV und Hors Champs in Halloween und Profondo Rosso

Der Filmemacher und ehemalige Chefredakteur der Cahiers du Cinéma Thierry Jousse hat in einem Video über die Filmmusik bei Quentin Tarantino, das er für die arte-Serie Blow-Up gemacht hat, erwähnt, dass er zunächst Probleme mit den Filmen des Amerikaners gehabt habe bis er mit Jackie Brown verstanden hätte, dass bei Tarantino die Bilder Musik sind und die Musik Bilder. Vielleicht geht es mir ähnlich bei Dario Argento, dessen Profondo Rosso ich trotz meiner Aversionen gegen alles was ich bislang vom Italiener sah, einiges abgewinnen konnte. Zuvor zeigte das Österreichische Filmmuseum allerdings den Klassiker Halloween von John Carpenter, den ich ebenfalls zum ersten Mal sah. In beiden Filmen scheint sich die Kamera immer wieder mit den Mördern zu verbünden und man kann sich nie sicher sein, ob das was man gerade sieht nicht doch der Blickwinkel des Killers ist. Schon in der Eröffnungssequenz von Halloween, die weniger ein Kindheitstrauma als eine Vorbereitung des Publikums auf Schlimmes ist, folgen wir bis zu einem schönen Perspektivwechsel am Ende dem Blick des Mörders aus der ersten Person. Erst am Ende erfahren wir eindeutig, dass es sich dabei um ein Kind handelt und sein Opfer an jenem Halloweenabend in den 60er Jahren seine Schwester war. Dann macht der Film einen Zeitsprung und wir sehen die Flucht des Kindes, Michael Myers, der 15 Jahre später natürlich kein Kind mehr ist. Da passenderweise gerade Halloween ist und ein paar Teenagerinnen durch die Bilder hüpfen, ist der Rest des Films eine klare Sache. So klar, dass Carpenter ein und dasselbe System von Anfang bis zur Mitte des Films und ein ähnliches System von der Mitte bis zum Ende des Films wiederholt. Natürlich kann man die beiden Systeme in ihrer Anwendung nicht ganz so stark voneinander trennen, weil sie sich durchaus überschneiden und variiert werden, aber im Kern sind es genau diese zwei. Das erste System ist jenes der Point-of-View-Angst. Hier zeigt sich weshalb das Horrorgenre derart geeignet für die filmische Sprache ist, selbst wenn man es wie Carpenter in stupider, einzig auf Effekt zielender Art und Weise bedient. Es ist ein Kino der Blicke und der Abwesenheit. In dieser ersten Hälfte gibt es neben einer parallelen Ermittlungsarbeit durch den betreuenden Psychiater des Mörders drei Blicke.

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1. Blick

Der erste Blick ist jener der Protagonistin Laurie (Jamie Lee Curtis). Sie beginnt einen Mann zu sehen, der sie ganz still beobachtet. Er steht einfach da mit einer Maske. Immer wenn sie ihren Blick wiederholt oder anderen zeigen möchte, was sie sieht, ist dieser Mann nicht mehr da. Die Beunruhigung, die von diesen Bildern ausgeht, ist offensichtlich, denn erstens wissen wir im Gegensatz zur Protagonistin von der Bedrohung, die von dieser Person ausgeht und zweitens geht ein großer Horror aus von Dingen, die aus Bildern verschwinden ohne logische Erklärung. Wenn der hors-champ, also der Off-Screen selbst zu einem übersinnlichen Element wird, dann können wir auch dem Film nicht mehr trauen. Halloween nutzt diese Tatsache bis zur Schmerzgrenze aus und man fühlt sich beobachtet, weil man selbst nicht beobachten darf. Das Verschwinden der Figur löst eine entscheidende Frage in uns aus: Wohin ist er verschwunden? Die Ränder des Bildes und das, was wir nicht sehen können, werden entscheidend und da Carpenter einen Film gemacht hat wie ein Blatt Papier, das zur Hälfte weiß ist und zur Hälfte schwarz und darüber hinaus nichts zulässt, werden wir nur in solche Situationen geworfen. In seiner Simplizität und auf das Publikum zielenden Effektivität ist dieser Film der Gipfel des Grauens, eine Maschine könnte ihn gemacht haben, kein Mensch.

2. Blick

Der zweite Blick schließt an die Eröffnungssequenz an und ist sicherlich der virtuoseste im Film. Es handelt sich um den Point-of-View des Mörders selbst. Als Laurie und der kleine Junge, auf den sie am Abend aufpasst vor dem ehemaligen Haus der Myers stehen, blickt die Kamera aus dem Inneren des Hauses auf die beiden. Dann fährt die Kamera langsam zurück und offenbart die Schulter des Mörders im Schatten des verlassenen Hauses. Wir erfahren, dass der Blick aus dem inneren des Hauses sein Blick gewesen ist. Begleitet wird diese Einstellung immer mit dem Atmen von Myers. Sie wird sehr häufig wiederholt.

3. Blick

Der dritte Blick ist jener, der Laurie und ihre Freundinnen beobachtet. Hier gibt es die Erwartungshaltung des Off-Screens, dramaturgische Fatalitäten und vor allem-und das ist zugleich die Überleitung zum zweiten System-den Bildhintergrund. Der Bildhintergrund hat hier immer eine ironische Komponente. Es ist erstaunlich, dass wir uns in den Einstellungen in denen Myers in der Tiefe des Bildes auftaucht (manchmal wird er gar nur abgeschwenkt, was einen besonders effektvollen Schauder erzielt), mehr mit ihm verbinden können als in jenen, wenn wir durch seine Augen blicken. Es ist fast entspannend, wenn man ihn sieht. Die Einstellungen aus seiner Sicht dagegen behalten etwas Essentielles und Beunruhigendes im Off-Screen, nämlich seine Erscheinung, um die eigentlich den ganzen Film ein großes Geheimnis gemacht wird. Müssen wir sehen, um uns wohl zu fühlen? Ich glaube die Wahrheit liegt im Dazwischen. Wenn wir nur erahnen, nur Fetzen sehen, dann beginnt der Horror. Kamerabewegungen, Montage, Kameraperspektive, Licht und Schatten, alles in Halloween arbeitet mit diesem Wissen, der Film kann und will sich nicht für etwas anderes interessieren als den nächsten Schock. Besonders ironisch gelingt Carpenter ein solcher Moment im Bildhintergrund als er uns mal wieder sehen lässt, was die Figuren nicht sehen. So könnte der Psychiater den Mörder schon viel früher finden, wenn er sich nur im richtigen Moment an einer Straßenkreuzung umdrehen würde.

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Das zweite System unterscheidet sich zunächst einmal dramaturgisch vom ersten, denn irgendwann wird der Mörder auch zuschlagen. Daher entspricht dieses System einer Wellenbewegung, wogegen das erste System eine ansteigende Gerade war. Der zweite Blick bleibt genauso bestehen und der dritte Blick wird gar noch entscheidender, denn nun wird der Off-Screen tatsächlich zum On-Screen und unsere Befürchtungen werden begleitet von dieser eintönigen Klimpermusik und einem lauten, musikalischen Schockeinsatz. Es kommt genau ein neuer Blick dazu, der für sich schon die Einfallslosigkeit des Films deutlich macht. (aber wen interessiert das, wenn man gar nicht mehr hinsehen will? Der 5. Blick wäre daher der Blick, der sich bei manchen Zusehern von der Leinwand löst…)

4. Blick

Dabei geht es um den Blick der Abartigkeit. Dieser stellt das Böse selbst aus, das Unfassbare, das Psychopathische, das wir nicht verstehen können, auch wenn wir es sehen. So beobachten wir wie der Mörder neugierig ein Opfer betrachtet, das er mit seinem Messer in die Wand genagelt hat oder wir sehen durch die Augen von Laurie die Leichen in einem Zimmer. Zusammen mit einer Art übersinnlichen Ungreifbarkeit des Mörders, die sich immer wieder in den wie von magischer Hand zugehenden Türen, die es auch in Profondo Rosso gibt, äußert und einer völlig aus dem Kontext geworfenen Dummheit der Figuren entsteht so kein Film, sondern eine Serie von Schocker-Clips und Überwältigungen, die eine eigene Form von Spaß bringen sollen, den man wohl am ehesten mit Freizeitparkattraktionen vergleichen kann. Wie bei einer besonders gefährlichen Attraktion lebt man dabei die ganze Zeit in Angst bis es sich auflöst und man eine Art freudiges Echo eines Adrenalinkicks verspürt.

Das Problem an dieser Strategie ist neben ihrer schnellen Abnutzung und ihrer manipulativen Haltung vor allem, dass sie den Blick beengt. Damit meine ich, dass man diese Filme nicht sieht. Vielmehr wird man mit seinen eigenen Ängsten konfrontiert, der Film hebt die ganze Zeit einen Spiegel vor das Publikum, der ihnen das gibt, was sie nicht sehen wollen, aber doch erwarten. Aber er zeigt ihnen nichts, was sie nicht erwartet haben, kein wirklicher Horror des Unvorstellbaren, keine Fantastik, keine wirkliche Überraschung. Er zeigt ihnen keine Figuren, kein Leben, keine Welt, alles findet im Kopf statt. Manche würden Halloween diese Eigenschaften als Qualität anerkennen, dann aber nur, weil sie sich selbst wichtiger nehmen als den Film.

Profondo Rosso

Anders sieht es da bei Argento aus, denn in seinem Profondo Rosso werden ähnliche Blickstrukturen weitaus virtuoser initiiert und vor allem mit Raumkonstruktionen und einer Bilderflut an Motiven verbunden. Wie in vielen seiner Filme von seinem Debut L’uccello dalle piume di cristallo an wird ganz in Hitchcock-Manier eine außenstehende Person in ein Verbrechen involviert. Im Gegensatz zu Hitchcock begnügen sich diese Männer aber nicht mit dem Fetisch des Blicks und des Wissens, sondern es scheint auch immer um das Berühren zu gehen. Argento betont das mit Nahaufnahmen von Händen, Gesichtern und Augen. Er lässt seine Figuren Gegenstände berühren und macht seine Welt spürbar. Dadurch wird auch der Horror deutlich spürbarer. Der Pianist Marcus Daly (David Hemmings) wird Zeuge eines Mordes und beginnt zusammen mit seiner On-Off Freundin, der Journalistin Gianna die Stücke des Falls zusammenzusetzen. Natürlich werden sie auch selbst zum Ziel des Täters. Es ist dies eine klassische Krimihandlung, die Argento-und damit komme ich zu meinen einleitenden Gedanken zurück-wie Musik komponiert. Im Gegensatz zum deutlich wilderen Suspiria, bei dem ich jene Wellenbewegungen, die auf Schocks hinarbeiten unter dem ganzen Wirrwarr aus visueller Reizüberflutung sehr stark spürte, scheint Argento hier rhythmisch an ganz anderen Dingen interessiert zu sein. Dabei ist er eben ein Filmemacher wie Tarantino, der nicht wirklich am Leben selbst interessiert zu sein scheint, sondern dessen Leben Film ist. Um sich nicht in Redundanz zu verlieren, bedarf es daher einer möglichst großen Überwältigungsstrategie, dem von mir angeprangerten Augenzwinkermodus, der sich selbst über den Film stellt und ein technisches Geschick, das über sich selbst hinausweist. Argento ist selbst ein Pianist, der mit den Motiven des Giallos spielt und sie nur im Bezug zum Kino ernst nimmt. Er will keine wirklich psychologisch motivierte Handlung erzählen, er mag nur wie diese in Film getaucht wirkt und aussieht, wie sie klingt. Wie Tarantino macht er Fanfilme. Da Argento aber scheinbar keine Dialoge inszenieren kann, muss er sich anderweitig helfen. So spielt er mit den Motiven des Kindheitstraumas ohne sich jemals darin zu involvieren: Der Flashback am Ende, das ständig in Verbindung mit den Morden auftauchende Lied, das diegetische und non-diegetische Musik verbindet, die Zeichnung, die als Spur dient und kinderhafte Züge trägt, die Puppen, deren Köpfe rollen werden, das junge, etwas unheimliche Mädchen, das Daly zur Geistervilla bringen wird und wer will (ich nicht) vermag auch im Mord an Gianna eine psychologische Thematik der Kinderlosigkeit interpretieren. Schließlich begnügt sich der sonst nicht mit Effekt geizende Argento bei ihr mit einem einfachen Messer im Bauch. Es gibt noch mehr solche Motive, die ein Puzzle kreieren, dessen Auflösung sich wie ein Daumenkino zusammenschließt. Wie ein Daumenkino, weil es unheimlich schnell geht und man die Blicke, die bei Carpenter so deutlich getrennt werden können, bei Argento kaum mehr sieht und weil sie nicht mehr nur auf den bloßen manipulativen Schockeffekt zielen, sondern auf eine Schönheit des filmischen Horrors. Argento drückt seine Liebe zu einer bestimmten Form des Kinos aus. Er bezweifelt gleichzeitig die Relevanz einer solchen psychologischen Leseart als er Daly sagen lässt, dass der wahre Grund dafür, dass er Pianist sei nicht in einer Verarbeitung eines Kindheitstraumas läge, sondern schlicht weil er Musik liebe. Es wirkt so als könnte Argento das über sein eigenes Schaffen gesagt haben. Sinnentleerte Obsessionen?

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Mehr noch ist Profondo Rosso ein Film über das Gedächtnis, das sich wie die Räume im Film durch Montagen und Eindrücke, durch Fahrten und Licht im Schatten bewegt. Zwar hatte er den Weg der Erinnerung in seinem L’uccello dalle piume di cristallo deutlich intensiver und dringlicher, mit sprunghaften Fetzen von Flashbacks, die wie die Messer in seinen Filmen auf die Zuschauer prasseln, gestaltet, in Profondo Rosso vermag er es aber seine Bilder mit dem Gedächtnis der Figur zu verbinden. So erschließt er zum einen die Räume in einer ähnlichen Art und Weise wie Daly sein Gedächtnis erschließen muss, um die Wahrheit zu erkennen. Es gibt Fahrten durch die Korridore, schnelle Schnitte von Fassadenbildern, Ransprünge, plötzliche Totalen und eben die ständigen Blickwechsel, die nicht nur auf eine Bedrohung, sondern auch auf eine Suche nach der Wahrheit hindeuten. So wird hier wie in Halloween mit dem hors-champs und dem Point-of-View des unbekannten Mörders gespielt, aber neben der Spannung, die diese erzeugen, involvieren sie uns auch in der Suche nach der Wahrheit. Wem gehört dieses Flüstern? Was haben wir gesehen? Warum haben wir nicht hingesehen? Warum verstehen wir nicht? Und die Räume verbergen Dinge vor uns wie unsere Erinnerung.

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So verbirgt sich immer wieder eine weitere Ebene hinter den Oberflächen und Fassaden. Daly entdeckt die gesuchte Zeichnung hinter dem Putz einer Wand und er entdeckt sie nicht mal völlig, er schlägt mit einem Hammer durch eine Wand, um Räume zu entdecken, ein Opfer versucht mit ihren Fingern, eine Botschaft auf den von der schwülen Feuchtigkeit des Badezimmers angelaufenen Fließen zu hinterlassen, die nur sichtbar werden, wenn man im Badezimmer eine ähnliche Feuchtigkeit und Temperatur erzeugt, ganz so wie ein Madeleine-Moment bei Proust, nur auf eine raumbezogene Bildsprache übertragen. Außerdem gibt es ständig Fenster und Jalousien, Räume bestehen auch aus ihrer Kehrseite, dem oben, dem unten und dem weit entfernt. Ähnlich verhält es sich mit der Erinnerung an den Mord. Sie ist überall und dadurch hat Daly und hat auch der Zuseher das Gefühl, etwas Entscheidendes zu übersehen. Spiegel, Gemälde und die kinematographische Realität verbinden sich so in der Schlusssequenz zu einem Bilderreigen des Horrors, der stets in sich gefangen bleibt, nichts an sich heranlässt, aber im Fall von Profondo Rosso eine cineastische Eleganz aufweist, ein Gefühl für Bilder, Rhythmus, der einen nicht beschießt, sondern schauen lässt, der einem die Lust am Sehen schenkt und somit Bilder macht, die wie Musik erklingen.

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Abschließend könnte man noch auf die Bedeutung der Bewaffnung im Horrorfilm eingehen. Das Screening von Halloween und Profondo Rosso hintereinander legt das nahe, da beide Filme ihre Opfer mit langen Stricknadeln zur Verteidigung ausrüsten. Die Frage nach der Bewaffnung ist trotz ihrer scheinbaren Absurdität von hoher Relevanz, da sie letztlich mit der Körperlichkeit, Abartigkeit, Isolation und auch mit den Blicken und dem Off-Screen eines Films zu tun haben. Es ist klar, dass wenn sich eine Figur mit einer Stricknadel bewaffnet, dass sie dem Bösen, dem Schockierenden, dem Gefährlichen sehr nahe kommen muss, um sich zu wehren. Eine Stricknadel impliziert auch ein Verharren, ein Warten, man wird kaum mit dieser Waffe auf einen Gegner losrennen, man muss ihn überraschen. (ähnliches gilt für das Messer, das in beiden Filmen viel häufiger schneidende Auftritte bekommt…) Argento scheint sowieso mehr Zeit damit zu verbringen, sich zu überlegen wie schön und gewaltvoll, wie verrückt ein Mord geschehen könnte, als ob dieser Sinn macht. Das Gute daran ist, dass er dies vor allem deshalb tut, um seinen aufgesetzten Horror mit Körperlichkeit zu bestücken, die ihn greifbarer macht. Das, was hängen bleibt, also unser Gedächtnis, die Bilder, die einen nicht verlassen, sind natürlich bei jedem Zuseher unterschiedlich. Aber es ist klar, dass es bei Argento oft jene Momente des Horrors selbst sind wie ein besonders blutiger Tod oder das plötzliche hereinfahren einer Puppe und bei Carpenter einzig die Erwartung an den Horror.