Natur, Vergänglichkeit und Restauration – Gedanken zu Tatjana Ivančić

Fängt man an einen Film zu drehen, wenn es einem die Sprache verschlägt? Die Bilder von Tatjana Ivančić scheinen nicht viel erzählen zu wollen. Gleichzeitig sind sie so schwärmerisch erfüllt von Eindrücken. Sie zeigen eine Welt fernab von Absoluten, die nur nach den richtigen Worten rufen. Weder Eindeutigkeit noch Starrheit lässt sich in ihnen finden. Der verspielte Blick begeistert sich für jede noch so kleine Bewegung. Seien es tänzelnden Spiegelungen auf einer Wasseroberfläche im Abendrot oder winzige Tierchen, die mühsam ihre Beute über den Waldboden schleppen. Doch ihre Bilder beabsichtigen kein obsessives Verlangen nach dem Detail, dem es den fehlenden Sinn zu verleihen gelte. Vielmehr gelingt ihnen deren lustvolle wie naive Entdeckung. Kein Bild scheint so über einem anderen zu stehen. Das, aus nüchterner Entfernung betrachtete, versteinerte Ganze entwickelt mit dem rastlosen Blick ihrer Filme eine eigensinnige Lebendigkeit. Wenn Katzen ein Schälchen Milch ausschlecken, müde Tiger im Schatten dösen oder Frösche quakend im seichten Gewässer laichen, dann vibriert die Leinwand – und nicht allein wegen des Filmtons. Jede noch so versteckte Ecke ist mit dem flirrenden Momentum erfüllt, welches ihre Filme beflügelt, als könnten sie fliegen. All dies erfordert eine Hingabe, die ganz dem Film als Mittel dieser Erfahrung verschrieben ist. Der natürliche Schein, wovon viele ihrer Filme inspiriert sind, löst sich im Formwille auf und verliert somit den kitschigen Geschmack des ursprünglich Ewigen.

Nie sind diese Eindrücke von großer Dauer – sowohl physischer wie geschichtlicher Natur. Es ist dabei der Arbeit des Österreichischen Filmmuseums zu verdanken, dass diese flüchtigen Formen vor dem Verschwinden gerettet werden konnten. Sich das ins Bewusstsein zu rufen, lässt die Filme aber auf einmal gegen sich selbst sprechen. Gemeinsam mit dem Kinoklub Zagreb konnten 14 wiedergefundene Filme mittels eines aufwendigen Digitalisierungsprozesses von den insgesamt wohl über 70 gerettet werden. Es galt dabei im Besonderen die Gebrauchsspuren auf dem Filmmaterial und die originalen Farben des Umkehrfilms zu erhalten. Das digitale Bild soll so den ursprünglichen, physischen Charakter des analogen Materials verwahren. Aber die amateurhafte Leichtfüßigkeit jener Bilder und Töne tritt damit hinter dem regelhaften Zweck ihrer Bewahrung zurück; die archivalische Technik fungiert als notwendige Bedingung zur Aufführung der Filme. Aber kann sich die Seh-Erfahrung davon trennen? Es scheint eher, als entwickele man einen technisch-denkenden Blick, der das entzauberte Abgebildete nur noch verallgemeinert und sich so der spezifischen Charakteristik entledigt. Gleichzeitig glaubt man dies ausblenden zu können, wenn man die Bilder doch nur auf sich wirken lasse, was so betrachtet allerdings eher von Rohheit statt Sensibilität zeugt. Der Schein des Rätselhaften solcher Bilder reduziert sich auf sich selbst und wird lediglich banal. Als könnte man dem Gesehenen damit einen Gefallen tun, ist man ihm trotzdem ebenso hilflos ausgeliefert wie Beschreibungen, die um das vermeintlich richtige Wort ringen. Setzt sich in Ivančićs Filmen eine Bewegung über das einzeln erfassbare Bild hinweg, wie beim Bau einer Brücke oder einem Kind, das binnen Minuten um zwei Jahre altert, dann lässt sich die verborgene Komplexität dieser Wahrnehmung überhaupt erst erahnen. Unmittelbar treffen Gegenwärtigkeit und Verfall für einen Moment aufeinander. Ist dabei an Sprache zu denken? Etwa der Blick in ein durchscheinend-reflektierendes Schaufenster, wo sich zwei einander fremde Bilder überlagern, vermag das für einen Wimpernschlag aufzuhalten. Tatjana Ivančićs Filme zeugen von so einer natürlichen Neugier, die allem Archaischen trotzt, womit sie ein reichhaltiges Bewusstsein über ihre Vergänglichkeit erlangen. Vermutlich kein Wort, sondern nur ein Film könnte das besser verstehen.

Worte wie „bildgewaltig“ oder „detailverliebt“ kleiden sich mit dem zweifelhaften Bekenntnis, die Erfahrung des Gesehenen, das über dem eigenen Kopf zu schweben scheint, in eine begreifbare Sache verwandeln zu können. Liebe und Gewalt wären dann offenbar so stark mit dem Boden der Tatsachen verwurzelt, als sei eine Verständigung allgemein möglich und es bedürfe keiner weiteren Vertiefung. Ohne zu wissen, wie verhärtet und abgedichtet solch eine Sprache ist, wird sie immer wieder aufs Neue bemüht. Jedoch die Verherrlichung, die sich in solchen Ausdrücken verbirgt, ist nichts anderes als die gefühlskalte Ahnungslosigkeit angesichts einer mannigfaltigen, verwirrenden Realität. So stellen Vokabel wie diese ein sprachliches Korsett dar, mit dem das Sehen festgezurrt werden kann; träumen gilt nicht. Sehen, wie es die Filme von Tatjana Ivančić zeigen, könnte sich davon aber befreien.