Filmfest Hamburg: Yourself and Yours von Hong Sang-soo

And then leaning on your window sill

he’ll say one day you caused his will

to weaken with your love and warmth and shelter

And then taking from his wallet

an old schedule of trains, he’ll say

I told you when I came I was a stranger

I told you when I came I was a stranger.

„Life is a Party“ steht auf einem ironisch kadrierten Schild in Hong Sang-soos neustem Wiederholungsspiel: Yourself and Yours. Man bekommt allerdings den Eindruck im Kino des Südkoreaners, dass das Leben eher der Tag nach der Party ist. In Yourself and Yours bringt er etwas in sein Kino, was eigentlich schon immer da war: Zwillinge. Statt auf zeitliche Wiederholungen und Verunsicherungen allein zu setzen, legt sich der Film also auf das Irritierende Moment eines körperlichen Nicht-Erkennens. Oder ist alles nur ein Spiel, eine Lüge? Man könnte auch sagen: Es ist eine Erkenntnis, eine die sich schon im Titel versteckt.

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Ein verliebter, aber frustrierter Maler versucht nach einem möglichen (in diesem Film ist immer alles möglich, nie ist es einfach) Zwischenfall, seine Freundin Minjung hochemotional davon zu überzeugen, dass sie mit dem Trinken aufhören, sich zumindest nur die vereinbarten fünf Drinks genehmigen soll. Er scheitert, sie geht. Er scheitert, weil die Dialoge zwischen Mann und Frau bei Hong Sang-soo immer auch die Unzulänglichkeiten, Erniedrigungen und Peinlichkeiten eines Eroberns, Beeindruckens und Manipulierens in sich tragen. Er bleibt der größte Filmemacher der Peinlichkeit der Liebe seit Rainer Werner Fassbinder. Und das ist keineswegs hässlich gemeint, sondern auch zärtlich, brutal und lustig. Wie meist entfalten sich die Dialoge häufig am Tisch sitzend beim Trinken. Es liegt in diesen Augenblicken eine Vertrautheit in der Fremdheit zwischen den Menschen, die sich in diesem Fall in eine fremde, unwirkliche Vertrautheit verwandelt. Statt die Distanz zwischen zwei Figuren zu überbrücken, bleibt sie in Yourself and Yours vorhanden, weil früher oder später klar wird, dass diese Männer auch Wunschbilder in die Frau(en) projizieren. Sie können nicht akzeptieren, dass sie nicht das vor sich haben, was sie glauben, vor sich zu haben. In gewisser Weise ist der Film also verwandt mit Our Sunhi, nur die Perspektive wandelt sich.

Im Augenblick der Trennung des Malers von Minjung im Film entsteht eine Art Besäufnis, das sich nicht in den Bildern, sondern über ihnen abspielt. Etwas passiert, man weiß nicht genau, was davon passiert, was passiert ist. Eine neue Art der Verwechslungskomödie entsteht, ein Who is Who und What the Fuck. Eine Frau taucht im Ort auf, sie sieht genauso aus wie Minjung, aber sie behauptet nicht Minjung zu sein, sondern ihr Zwilling. Einige weitere Männer versuchen ihr Glück mit der wiederkehrenden Frau, die auch eine andere sein könnte, die andere oder doch eine spirituelle Erscheinung? Immer wieder hören wir die Frage: „Do I know you? Ab diesem Zeitpunkt eröffnet sich ein weites Feld an Möglichkeiten, das letztlich immer zurück auf männliche Wahrnehmungen, Träume und Ängste zu führen ist, sich nie ganz entfaltet, sondern immer in der absurden, unterdrückten oder ausgelebten Romantik von kurzen Gelegenheiten entfaltet. Und diese ist schrecklich banal. Nicht nur deshalb bleibt Hong einer der ganz wenigen Filmemacher, die einem etwas über das eigene Leben erzählen können, was man nicht hören wollte. Es geht um die, die man kennt, die die man liebt und wie beides nicht zusammenpasst, beides unmöglich ist und doch realer als alles andere, vor allem, wenn man sich daran erinnert, es kurz aufflackern sieht.

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Stilistisch ist der Film im Vergleich zu Arbeiten wie Right Now, Wrong Then oder On the Occasion of Remembering the Turning Gate etwas reduzierter, was letztlich vor allem an der Zurückhaltung bei den Locations liegt. Ansonsten bekommen wir das gewohnte Hong-Programm mit statischen Bildern, einer enormen Liebe für Szenenbild (ohne dabei zum Spielzeugparadies zu werden wie beispielsweise Wes Anderson), brillanten, nackten, schmerzlichen Dialogen, Zooms, Musikeinsätzen und Wiederholungen von Szenen. Durch Nebenfiguren, die nur einmal von Bedeutung sind oder das wiederkehrende Bild von einigen Gästen in der Kneipe, die an der Theke stehend über Minjung oder ihre Schwester reden, wirkt auch die Umgebung merkwürdig vertraut und fremd zugleich. Nichts davon wirkt jemals ausgedacht oder aufgeblasen, sondern es sind eher Wahrnehmungen, die sich zu diesem Gesamtbild fügen. Wie bei vielen großen Filmemachern ist es die Gleichzeitigkeit und gegenseitige Bedingtheit von äußeren und inneren Bildern, die das Kino von Hong Sang-soo zu einem Fest machen: Film is a Party. Seine Schauspielführung ist von einem anderen Planeten. Er beherrscht Gesten wie Murnau, Sprache wie Rohmer oder Eustache, Kadrierung wie Ford, Raum wie Lubitsch, Zeit wie Marker.

Die Komik der Verwechslung wendet sich im Film auch in eine Ernsthaftigkeit, da die Zuseher in derselben Verunsicherung leben wie die Figuren statt wie zum Beispiel in fantastischen Szenen bei Lubitsch in der überlegenen Position einer dramatischen Ironie amüsiert zu werden. Nein, Yourself and Yours folgt wie viele Filme des Filmemachers einer formalen Identifikation. Diese liegt vor allem im Blick. Man schaut Minjung beziehungsweise ihre Schwester an und fragt sich beständig: Ist das Minjung oder ihre Schwester? Dadurch entsteht eine neue Unschuld des Blicks, die sich auch auf die Figuren überträgt. Man kennt diese Idee von Neustarts („Lass uns noch mal von vorne beginnen“), aber in Yourself and Yours zeigt sich, was das bedeuten würde. In diesem Sinn ist der Film nicht nur verwandt mit Luis Buñuels Cet obscur objet du désir, sondern auch mit Eternal Sunshine of the Spotless Mind. Nur Hong hat das bessere Drehbuch als letzterer, denn statt die Gefühle zur Frage zu erheben, legt der Film den Fokus auf deren Kommunikation, sowie die beständige Unsicherheit und Manipulation, die damit einhergeht. Statt die Fragen zu beantworten, dringt (trinkt) sich Hong in sie ein. Am Ende spielt der Maler nicht mehr den, der kennt, der erwartet, sondern sagt Minjung (oder ihrer Schwester), dass er sie nicht kennt. Ein „No“, das gleichermaßen eine Lüge und eine Wahrheit ist.

Nach dem Abspann ist man sich nicht sicher, ob man den Film gerade gesehen hat. Es ist ein Kino des Verpassens, zu früh, zu spät, es bleibt nur ein Ausweg: Vergessen, wieder anfangen, wieder lieben, wieder leiden, wieder vergessen. Oder doch nicht?

Viennale 2015: Singularities of a Festival: BLAU

Notizen zur Viennale 2015 in einem Rausch, der keine Zeit lässt, aber nach Zeit schreit. Ioana Florescu und Patrick Holzapfel von einem nur scheinbar ruhigen zwölften Tag der Viennale, der wie das Blau eines sanft vor uns liegenden Sees ungeahnte Tiefen offenbart, die nicht sichtbar sind und noch viel weniger in klaren Gedanken gefasst werden können.

Mehr von uns zur Viennale

Fabrice Aragno

Ioana (Right Then, Wrong Now)

  • Ruhigster Festivaltag mit nur zwei gesehenen Filmen, die aber für meine tägliche Wahrnehmungsbedürfnisse ausreichen.
  • Ein Tag, den ich auch nur für Hong Sang-soos unglaublich vielschichtigen Right Now, Wrong Then behalten hätte, der Film hätte es verdient, der einzige eines Tages zu sein. Seine Variationen, die Innenleben zergliedern, vermehren und stufenweise enthüllen scheinen mir die lebendigste und neugierigste Auseinandersetzung mit Film in diesem Jahr zu sein.
  • Ich traue dieser Sonne, die nicht mehr loslässt, nicht.

Puissance Godard

Patrick (Right Now, Wrong Then)

  • Es war ein ruhiger Tag auf dem Festival. Ich war dennoch überfordert mit meinen Eindrücken. Ich habe gesehen wie sich zwei Wellen küssen, wie man falsch lacht und es ehrlich scheint und ehrlich lacht und es falsch scheint.
  • Ich habe mir Right Now, Wrong Then ein zweites Mal angesehen. Ich wollte zunächst anders sein, aber ich war dann doch gleich. Er zergliedert wirklich das Innenleben. Aber er erzählt auch davon, wie man das Innenleben nicht wirklich berühren kann. Verunsicherung, Scham und Missverständnisse.
  • Am Abend bin ich ins Wasser gesprungen mit Jean-Luc Godard und Fabrice Aragno. L’Invisible ist einer der besten Found Footage Arbeiten, die ich gesehen habe. Das liegt weder am Finden noch am Footage, sondern nur an der Montage. Aragno sucht etwas Unsichtbares und weil er im Kino ist, findet er es zwischen, hinter und im Sichtbaren. Eigentlich ganz natürlich. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass Godard ihm Adieu au Langage verdankt und er Godard diesen Film.
  • Ich traue dieser Sonne, die mich loslässt, nicht.

Filmfest Hamburg Diary: Tag 8: kleingeschrieben

Samuray-s von Raúl Perrone

Nach fünf spannenden Tagen in Hamburg, endet das Filmfest mit einer jungen koreanischen Frau, die ein Filmscreening verlässt und sich auf ihren Weg durch die erbarmungslose Kälte zurück nach Hause macht. Am Vortag hatte sie Bekanntschaft mit dem Regisseur des Films geschlossen. Er ist nun wieder abgereist, sie bleibt zurück. Right Now, Wrong Then von Hong Sang-soo war hier in Hamburg auch der letzte Film den Patrick gesehen hatte, und es scheint fast so als könnte das kein Zufall sein (Patricks Besprechung hier). Auch ich verlasse nach diesem Screening das Kino und mache mich durch die ungewohnte, herbstliche Kälte Hamburgs auf nach Hause. Der Tag hat wie von Geisterhand auf so ein Ende hingearbeitet. Zuvor hatte ich Raúl Perrones Samuray-s gesehen, eine Erfahrung, die ich nur mit den Filmen Stan Brakhages und Kenneth Angers vergleichen kann – weniger wegen einer formalen oder motivischen Nähe, sondern wegen ihrem Effekt auf mich. Samuray-s ist ein kinematisches Traumwandeln, eine hypnotische Erfahrung aus Bild- und Toneindrücken, die sich immerzu verdichtet und wieder ausdehnt: eine filmische Lavalampe, ich schäme mich für den Vergleich. Ich war heilfroh nicht im Anschluss gleich einen weiteren Film sehen zu müssen. In der eintretenden Dunkelheit, bin ich durch St. Pauli gewandert, habe nach Luft geschnappt, versucht wieder aufzuwachen. Hong lullt einen anders ein. Was er macht, ist fast ebenso wenig zu fassen, wie Samuray-s. Die rotzigen Schwenks und Zooms, die Klarheit seiner Bilder, die unfassbar detailreiche Ausstattung der Räume, in denen er seine Schauspieler aufeinanderprallen lässt. Perrone und Hong scheinen in ihren Filmen an völlig gegensätzlichen Dingen interessiert zu sein, doch im Kern spürt man beiden eine große Liebe zum Kino, eine Faszination für die (Film-) Geschichte, aber eine totale Hingabe an die Gegenwart, die bei Hong in einer detailreich konstruierten, klinisch-lebendigen Wirklichkeit mündet, und bei Perrone in einer verzückend abstrakten Scheinwelt aus Schatten und Schemen, die durch ihre immersive Qualität zur Wirklichkeit wird.

Right Now, Wrong Then von Hong Sang-soo

Right Now, Wrong Then von Hong Sang-soo

Der letzte Tag, ein Tag, an dem nichts zusammenpasste, und irgendwie doch alles. Ein Schweben in eisiger Kälte, unterbrochen durch die Geborgenheit des Mutterleibs Kino (selbst wenn dieser Mutterleib von außen, besprayt und heruntergekommen aussieht wie das B-Movie Kino). Währenddessen kämpfe ich mit der Technik. Auch das gehört irgendwie zu einem Festival dazu. Läuft man den ganzen Tag mit Laptop herum und versucht in den Pausen zu schreiben, oder verlegt man das auf die Morgen- und Abendstunden? Was tut man, wenn der Laptop bockt, und auf einmal die Umschalttasten nur mehr sporadisch funktionieren? schreibt man dann einfach klein weiter, ohne rücksicht auf verluste, oder müht man sich mit irgendwelchen behelfen ab, die den schreibfluss unterbrechen? Aufgrund meiner neurotischen Veranlagung gelingt es mir nicht über orthographische Mängel hinwegzusehen und ich wähle die letztere Alternative. Das Leben geht weiter, mit und ohne Großschreibung, auch nach dem Festival, auch nach Hong.

Filmfest Hamburg 2015: Right Now, Wrong Then von Hong Sang-soo

Eine ausführlichere Variante dieses Textes erscheint auf kino-zeit.de

Das konstante Gefühl eines Missverstehens, eines Missverständnisses beginnt im Fall von Hong Sang-soos phänomenalen Locarno-Gewinner Right Now, Wrong Then bereits im Titel, der zu Beginn nicht der gleiche ist. Der in zwei Teile gegliederte Film beginnt mit Right Then, Wrong Now und einer Melodie in den Wolken, die in aller Sanftheit, Schlichtheit und Unschuld dafür sorgt, dass man missversteht, was passieren wird.

Man findet sich sehr schnell im Hong-Universum: Der junge Filmemacher ist ein Mann, ein Mann, der sich selbst und Frauen mag, der sich selbst nicht mag, ein Mann, der feststellt, dass der Kontakt mit Frauen kein leichter ist; die junge Frau ist eine Kunststudentin, etwas verloren, treibend, sich findend, sie will sich mögen, tut es kaum. Man geht zusammen trinken, man geht zusammen essen, man redet über sich und über dich und über Kunst, man trinkt mehr, man ist betrunken, es gibt peinliche und zärtliche Momente, man geht spazieren, man lacht, man lügt, man weint, man wird müde, es ist kalt, Schnee fällt; man verpasst sich, man wartet auf eine Reaktion, man schaut, man begehrt, man macht Fehler, man möchte im Boden versinken und doch ist alles voller Wärme. Im Kern sucht man sich vielleicht und versteht sich nicht, es sind Missverständnisse der Selbstwahrnehmung. In diesem ersten Teil seines Films sehen wir den verzweifelten Versuch des Filmemachers, die Kunststudentin zu verführen, ein Versuch, der auf Lügen basiert, die letztlich in der gleichen Einsamkeit scheitern, in der sie begonnen haben. Dazu die Kälte im Süden Koreas und der Schnee, der Hongs Welten mit einer wiederkehrenden Schutzhülle umgarnt.

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Aber dann schneidet Hong in einer dieser herausragenden Bilder, die der Film selten und dadurch effektiv in seine Grammatik der nackten Essenz einstreut, auf eine Buddha-Statue und das Spiel beginnt von vorne. Es ist nicht so als wäre das Prinzip der Wiederholung etwas Neues für Hong, man denke an die Begegnungen mit dem unvergesslichen Life Guard in In another country oder die Avancen gegenüber der Kellnerin in Woman is the Future of Man. Aber derart klar hat Hong noch nie eine Narration nach diesem Prinzip aufgebaut. Die Geschichte beginnt von vorne, aber im Gegensatz zu einem Film wie Groundhog Day geschieht die Repetition nicht im Bewusstsein der Figuren. Vielmehr könnte man von einem Déjà-vu sprechen, also einer eher unbewussten Wahrnehmung dieser Wiederkehr (Hong selbst hat den Begriff in diesem Interview abgesegnet). Letztlich aber beginnt ein neuer Film (Titel: Right Now, Wrong Then), eine neue Chance. Der Filmemacher ist immer noch ein Mann, doch statt dem Prinzip der Lüge folgt er nun jenem der absoluten Ehrlichkeit, um diese Frau nicht mehr lediglich zu verführen, sondern möglichst zu heiraten. Es sind die gleichen Settings, zum Teil die gleichen Dialoge, aber doch ist alles anders. Gerade durch die Wiederholung legt Hong den Fokus auf die Differenzen. Manche Szenen werden aus anderen Einstellungen gefilmt, der Voice Over verschwindet,verschiedene Sätze werden leicht verändert gesagt oder nur mit einem anderen Ton, dann gibt es völlig neue Situationen (man darf nicht glauben, dass Hong sich hier sklavisch an ein Konzept hält) und ein beständiges Spiel zwischen der Erwartung dessen, was da kommen wird und der unendlichen Verzögerung einer Enttäuschung dieser Ewartungen. Schließlich ist Hong der genuine Filmemacher der Enttäuschung. Das kann sich sowohl in einem absurden oder bitteren Humor ausdrücken, als auch im plötzlichen Schmerz einer Erkenntnis. Dabei geht es viel um Missverständnisse, die dadurch entstehen, dass man nicht ausdrücken kann, was man möchte.

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Right Now, Wrong Then auch ein Film über unsere Wahrnehmung im Kino. Man kann förmlich an sich selbst studieren, was eine andere Einstellung, ein anderer Dialog mit einer Szene macht. So verschwindet das Lachen außer in einer dieser unfassbaren Szenen des Betrunkenseins samt Striptease aus dem zweiten Teil. Szenen, in denen man zu Beginn lachen oder schmunzeln musste, kommen einem nun sehr ernst vor. Man fragt sich, ob das nur an der Wiederholung liegt. Im zweiten Teil  ist es der Herzschmerz, der dominiert, ohne dass Hong auch nur eine Sekunde von seiner Leichtigkeit verlieren würde. Durch die Doppelung beginnt erst die Konzentration des Blicks. Es ist eine Beunruhigung, in der jede Nuance mit unserer Antizipation und Erinnerung gleichermaßen spielt. Mal interpretiert man seine eigene Antizipation als Erinnerung und mal die Erinnerung als Antizipation. Im Loch, das sich zwischen diesen Missverständnissen öffnet, entsteht ein wunderbares Kino der Gesten, Fettnäpfchen, Sehnsüchte und Einsamkeit. Der Film erzählt auch von einer verzweifelten Suche nach einer männlichen Identität. Er macht dies sowohl ironisch als auch emotional.

Dabei ist Hong ein derart guter Beobachter menschlicher Verhaltensweisen, dass jeder Blick seiner Figuren, jede Geste und jede Bewegung einen Subtext enthält, der völlig greifbar vor dem Zuseher liegt, ohne jemals ausgesprochen zu werden. Es ist keine Frage, dass für dieses Kino das Schauspiel von äußerster Wichtigkeit ist. Jeong Jaeyeong gibt den Filmemacher derart überzeugend, dass wir hier von einer der besten schauspielerischen Darbietungen der letzten Jahre reden können. Bei ihm kann ein Lächeln alles bedeuten und all das wird für die Kamera sichtbar, nicht aber für ihn selbst oder seine Mitmenschen. Bei Hong besteht Reduktion nicht nur in wenigen und langen Einstellungen, sondern letztlich auch in einer Präzision gegenüber der Zeit, einem Timing, das Missverständnisse erst ermöglicht. Jeong Jaeyeong legt dort hinein diese unersetzliche Fähigkeit, seinen Körper und seine Stimme zu trennen. Was er sagt, ist selten, das was er macht und was er macht, ist selten das, was er sagt. Daher sehen wir dann seine nackten Emotionen.

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In mancher Hinsicht scheint Right Now, Wrong Then ein religiöser Film zu sein. Das Treffen des Pärchens in einem Tempel und die Bedeutung des Buddhas sowie das überstrahlende Thema der Wiederkehr, der zweiten Chance im Hinblick auf Verhaltensweisen und Auffassungen von zwischenmenschlichen Beziehungen deuten darauf hin. Gleichermaßen ist der Film aber auch ein Märchen, denn Hong macht Filme, die eine Traumwelt versetzen, eine Welt, in der man gerne leben würde bis man feststellt, dass man bereits in ihr lebt. Es gibt eine Fluktuation zwischen seinem Blick und der Realität, die einen mit anderen Augen sehen lässt. Man stellt fest, es sind seine Augen, in denen man leben will. So ist es konsequent, dass der Film mit dem Verlassen des Kinos endet und man im Schnee von Hong in diese zärtliche Einsamkeit fällt, die an einem haften bleibt, wie der Geschmack eines Madeleines.