Land of the Dead: Inside/Outside of a Ritual

Drei Filme kreisten am Freitag im Rahmen der Land of the Dead-Reihe im Österreichischen Filmmuseum um Schwarze Magie und unheimliche Rituale: The Wicker Man von Robin Hardy, Invocation of my Demon Brother von Kenneth Anger und The Devild Rides Out von Terence Fisher. Die hohe Bedeutung von heidnischen Kulten, Satanismus und Ritualen generell für Horrorfilme bringt mich in meinem fast als Selbstversuch angelegten Tauchgang in das Reich des Horrors auch wieder zu allgemeinen Überlegungen zum Genre. Ich hatte einzig den Kenneth Anger Film bereits gesehen und wurde vor allem von Terence Fisher und seinem in jeder Sekunde fesselnden The Devil Rides Out begeistert. Was für ein Film!

The Devil Rides Out

Nach einer gefühlt eine Minute dauernden Exposition, in der Rex seinen alten Freund de Richleau (gespielt in einer abartigen Präsenz von Christopher Lee irgendwo zwischen unbestechlicher Autorität und Komik) wiedertrifft, wirft einen Fisher mitten in sein Geschehen rund um die beiden Freunde und einen dritten Freund, Simon, der sich der schwarzen Magie hingegeben hat. Richleau durchschaut das Spiel sofort, denn er ist ein Experte in der Bekämpfung von schwarzer Magie: „I have never told you but I am…“ Fisher hält sich niemals unnötig mit Erklärungen und Psychologisierungen auf, er wirft einen mitten in seine Szenen, mit atemberaubenden Perspektivwechseln und Erschütterungen des Glaubens an die Realität und die Wahrheit des filmischen Bildes. Die Freunde geraten in einen Strudel der Abhängigkeiten und der hypnotischen Kräfte von Satan selbst und seinen Anhängern. Dabei spielen Augen und was sie sehen eine entscheidende Rolle. Fisher schneidet immer wieder in Close-Ups weit geöffneter Augen, er deformiert die Augen mancher Protagonisten und viel allgemeiner entscheidet der unwissende und wissende Blick hier alles. Denn Rex, wird praktisch wie der skeptische Zuschauer in das Geschehen geworfen. Er muss lernen zu glauben. Er steht eigentlich auf der Außenseite, aber wird durch eine nur durch Augen erzählte Liebesgeschichte und seine Freundschaft zu Richleau involviert. Dieser Richleau dagegen ist ein Wissender, er weiß mehr, er sagt ständig: „I know“. Je nachdem aus welcher Perspektive der Film erzählt, finden wir uns so in vielen Momenten voller Suspense, entweder weil wir zusammen mit den Protagonisten das Unbekannte erschließen müssen oder weil wir in Erwartung des Schlimmsten sind und in Vertrauen zu Richleau beginnen zu wissen, was sonst niemand im Film weiß. Man ist entweder innen oder außen.

The Wicker Man2

In The Wicker Man ist man außen. An dieser zunächst banal erscheinenden Frage, also ob man sich außerhalb oder innerhalb von Ritualen befindet, hängen ganze dramaturgische Strukturen, Auflösungsentscheidungen und auch weitere Fragen wie jene nach der Ernsthaftigkeit und des Zynismus des Genres, der Relevanz von logischem Verständnis und den Spannungsfeldern von Allegorien und Spiritualismus. Beide Filme beginnen mit der Ankunft eines einsamen Flugzeugs in eine fremde Welt. In The Wicker Man landet der katholische und sehr ernste Polizist Sergeant Howie auf einer verlassenen schottischen Insel, auf der ein Mädchen als vermisst gemeldet wurde. Bereits bei seiner ersten Interaktion mit den Fremden auf der Insel ist er isoliert. Sie schicken ihm erst nach mehrfachem Drängen ein kleines Boot, um ihm vom Flugzeug ans Ufer zu transportieren. In der ersten Hälfte des Films erschließt Regisseur Robin Hardy zusammen mit dem Polizisten die Merkwürdigkeiten der Insel. Dabei geht es zum einen um die latente Bedrohung eines bizarren Krimis im Schatten eines heidnischen Glaubens und zum anderen um eine humoristische Erschließung der Inselbewohner samt ihrer zum Teil ekligen, zum Teil bedrohlichen, zum Teil sexistischen Rituale. Die Besonderheit am Film ist, dass die Figur, die unseren Blickwinkel teilt, also Sergeant Howie keineswegs sympathisch ist. Er ist ein Fremder unter Fremden und so wird unsere Perspektive nochmal nach außen verlegt. Dennoch ist seine Isolation äußerst typisch für ein Genre, das immer wieder alles versucht, um seine Figuren voneinander zu trennen und so die maximale Spannung erzielen möchte. The Devil Rides Out hängt immer wieder an den Fragen von Zusammenbleiben oder sich Isolieren. Durchgehend wird es bedrohlich, wenn Figuren sich auf eigene Faust durchschlagen wollen, wenn sie nicht an die Gefahr glauben. Sinnbildlich dafür steht der Kreis den Richleau mit Kerzen und auf den Boden gemalten Schriftzeichen bildet, um das Eindringen des Teufels zu verhindern. Der Teufel versucht mit Hilfe der Imagination auf die Figuren einzuwirken und sie aus der Gruppe zu lösen. Wer glaubt, verschwindet im Horror und genau das schafft der Film hier selbst, denn er arbeitet so intensiv und lange auf die Imagination des Zusehers ein bis dieser selbst nicht mehr weiß, was er glauben darf und soll. Die Selbstverständlichkeit des Horrors und des Zweifels daran sind eine wahnsinnige Stärke des Films. Trotz humoristischer Momente und auch einer irrsinnigen Szene mit einer riesigen Spinne, nimmt der Film seine Ängste ernst. Hier liegt vielleicht einer meiner Probleme, die ich sonst häufig mit dem Genre habe: Fisher nimmt sein Genre völlig ernst und vor allem nimmt er die Ängste seiner Figuren ernst. Da gibt es keinen augenzwinkernden Zynismus sondern nur Emotion. Bei Filmemachern wie Dario Argento oder Brian De Palma hatte ich immer das Gefühl, dass sie über ihren Filmen schweben, dass sie uns eine identifikatorische Lust am Horror vermitteln wollen. Bei Fisher gibt es diese Lust auch, sie ist aber Teil einer Notwendigkeit seiner diegetischen Welt, sie wird nicht von außen auf die Filme geworfen sondern existiert auch jenseits des Films. Fisher ermöglicht auch Skeptikern den Zugang zum Genre, weil er den Zweifel mit verarbeitet, den Zweifel an Horror, den Zweifel am Übersinnlichen, aber auch den Zweifel an Film.

The Devil Rides Out2

Mich erinnerte The Devil Rides Out in seiner grün-schummrigen Farbgestaltung, in seiner hypnotischen Sogkraft und in seinen virtuosen Perspektivwechseln, die fast immer eine neue Form der Spannung erzeugen an Alfred Hitchcocks Vertigo. Nicht zuletzt wird in beiden Filmen die Zeit selbst angezweifelt. Beide umarmen in einer kinematographischen Eleganz und Souveränität die Schönheit von Angst. So verschwindet die junge, vom Teufel besessene Frau im zarten Spurt in einen dichten Wald, ganz so als würde sie gleich unter der Golden Gate Bridge abtauchen. Bei Fisher steht kaum etwas über den Rändern, er zeigt immer das Entscheidende und nicht das Offensichtliche, seine Szenen beginnen da wo es interessant wird. So ist die Reaktion oft wichtiger als die Handlung selbst. Ein Beispiel ist ein Schnitt als Richleau seinen Verwandten von den Geschehnissen erzählt und wir in die Szene kommen als diese darauf reagieren. Das Mystische vermag Fisher in Rauchschwaden, unleserlichen Zeichen oder beschlagenen Fenstern beschwören, bei ihm ist der Wind eine Veränderung des Gesichts, der mit aller Kraft versucht zu Isolieren und in uns Einzudringen. Ein tatsächlich sinnlicher Horrorfilm, der sich im Gegensatz zu The Wicker Man und zahlreichen anderen Vertretern der Schau nicht um körperliche Nacktheit bemühen muss, um ein Gefühl von Erotik zu erreichen. Das Erotische liegt hier im Spirituellen und in den abhängigen Augen. Der Spiritualismus steht im krassen Gegensatz zur Strangeness und Komik des Rituals in The Wicker Man, den ich eher als ethnographisches Portrait eines bedrohlich-grotesken Kults bezeichnen würde, denn als Horrorfilm. Schon der Produzentenhinweis vor dem Film deutet auf eine solche Verunsicherung gegenüber der tatsächlichen Existenz der Bewohner von Summerisle und ihres Kults hin. Man würde sich bei den Bewohnern der Insel für den Einblick in ihre Rituale begleiten. Auch die Aufnahmen beim Prozess am Ende des Films haben einen dokumentarischen Wert, die Kamera wirkt direkt involviert, so als würde sie dem Geschehen nur folgen. Die Stilisierung des Fremden und Fantastischen weicht hier-und das ist neben der inhaltlichen Wendung das eigentlich erschreckende am Film-einer dokumentarischen Ästhetik.

The Wicker Man

Hardy übt sich in der völligen Isolation seiner Hauptfigur: Eine Insel, sprachliche Differenzen, Unverständnis und unterschiedliche Vorstellungen von Glauben und Gerechtigkeit. Gewissermaßen hätte der Film auch ein spannendes Double Screening mit Rosemary’s Baby von Roman Polanski abgegeben. Zwei Filme, die sich scheinbar über ihren Horror stellen, aber dann doch einen Zweifel mit all seinen brutalen Konsequenzen schüren. Der Unterschied liegt in der Psychologie der Protagonisten und auch der Zuseher. Denn an einer tief aus dem Inneren empfunden Angst hat der Kultfilm (in jeder Hinsicht) The Wicker Man gar kein Interesse. Vielmehr geht es ihm um eine schwarzhumorige Fremdheit, die sich im seltsamen Mix außerordentlicher Momente wie einer unkommentierten Orgie am Strand, einem nackten Balztanz mit Gesang der Tochter des Wirts aus dem Nachbarzimmer, eigenwilliger Musicaleinlagen oder einer abgetrennten Hand als Schlafmittel offenbaren. Das Abartige zeigt sich in allen drei Filmen des Abends. Es ist in The Wicker Man und Invocation of my Demon Brother, dass es in den Horror führt und in The Devil Rides Out in Form der Spinne und des reitenden Teufels, dass es ihn bezweifelt und spirituell erhöht. Ein Reiz von The Wicker Man, dessen hohe Bedeutung für das Genre ich kaum nachempfinden kann, liegt in der Spannung zwischen dem Lachen über und die Angst vor der Abartigkeit. Einzig scheint sich Hardy dieser Spannung nicht immer bewusst zu sein und so wirft er bis vor kurz vor Schluss mit pseudo-anarchistischen Verfremdungseffekten in seine Abartigkeit und macht sie damit nicht noch abartiger sondern bricht sie als filmisches Konstrukt. Er wird dafür gefeiert natürlich, aber er verspielt auch das Herz des Films. Christoph Huber erwähnte in seiner Einführung den Status des Films als Citizen Kane des Horrors. Diese Formulierung klingt besser als sie ist. Die Kontrolle über die Sprache von Welles, mit der charmanten Unbeholfenheit von Hardy zu vergleichen, ist eine Beleidigung.

The Invocation of my Demon Brother

Bleibt noch Invocation of my Demon Brother, oder? Da ist noch etwas. Denn dort wo Anger den Film selbst zum Ritual oder besser zum Teil des Rituals macht, indem seine Bilder sich fast wie ein Geschwür zu den Sounds von Mick Jagger durch den Projektor schlängeln, da fühle ich mich in meinem eigenen Ritual, meiner eigenen Isolation erwischt. Schließlich ist jeder Kinogang ein solches Ritual. Auch dort gibt es Menschen, die innen und außen sind. Im Rahmen einer Horrorschau fühle ich mich wie ein Außenstehender. Da kommen Menschen ins Filmmuseum, bei denen ich mir nicht ganz sicher sind, ob sie sich dem Anlass entsprechen verkleidet haben oder ob sie immer so herumlaufen, andere scheinen über jede Kleinigkeit in einem Horrorfilm zu lachen, wieder andere erzählen nach den Filmen begeistert von B-Movie Schauspielern, von denen ich mein Leben lang nicht gehört habe. Es gibt Applaus nach manchem Film, die Haltung zu den Filmen ist eine viel wärmere, sie ist enthusiastischer und das irritiert mich, da die Filme so oft von etwas Fremden und Kalten erzählen. Kurator Christoph Huber erwähnt in seiner Einleitung die besondere Verbindung von Fans und Film im Horrorgenre. Er tut dies im Bezug zu den Diskussionen unterschiedlicher Schnittfassungen und deren Bedeutung für die Wirkung eines Films. Solche Diskussionen sind für mich absolut nachvollziehbar, jedoch verschließt sich mir, weshalb diese-jenseits der natürlich häufiger vorkommenden Zensur bei Horrorfilmen-nicht auch jenseits des Genres zu einer besonderen Beziehung zwischen Fans und Film führen sollte. Fehlt mir ein Glaube, eben jenes augenzwinkernde Einverständnis, dass das was ich sehen werde anderen Gesetzen gehört? Wohl kaum, denn das Übersinnliche und Magische, das Fantastische äußert sich für mich eben durch eine Aufrichtigkeit und nicht durch ein zynisches „Wir wissen doch alle, dass das nicht echt ist“-Gehabe. Zap, you’re pregnant. That’s witchcraft… In diesem Sinn ist Kenneth Anger vielleicht ein wirklicher Film des Horrors gelungen, ein Film, der achte seiner Magick Lantern Cycles, der den Horror durch Bilder und Töne evoziert, der ein Ritual im Kinosaal und mit dem Zuseher vornimmt. Es ist als würde man dieses Ritual wirklich erleben und es spielt auch gar keine Rolle mehr, ob man außen oder innen ist. Wenn es im Kino darum geht, sich zu verändern, dann sind Rituale der Ausdruck des Kinos, wie eine Taufe. Nur eine Taufe bedeutet noch lange nicht, dass man glaubt.