SOPHIA DE MELLO BREYNER ANDRESEN von João César Monteiro

von Patrick Holzapfel

Die Bilder fließen über, flüchtig,
und wir stehn nackt vor allem, was lebendig ist.
Kann irgendeine Gegenwart
das Drängen in uns stillen, das unendliche,
Alles zu sein, zu blühn in jeder Blume?

Schlicht Sophia nennen sie in Portugal eine ihrer großen Mutterstimmen, die Dichterin Sophia de Mello Breyner Andresen. Ihr Werk erstreckt sich in erstaunlicher Konkretheit wie Fühler zwischen Lebendigkeit und Vergänglichkeit. Bei João César Monteiro würde niemand auf die Idee kommen, nur seinen Vornamen zu nennen. Zu ausgewählt und unberechenbar sein Auftreten, zu gefährlich und provokativ sein Kino. Beide treffen sich jedoch in ihrem Bewusstsein für Moral und Metaphysik von Sprache sowie in ihrer Prägung durch aristokratische Erziehung, die Sophia zu einer Flucht ans Meer bewegte und Monteiro in die Gosse brachte. Vielmehr noch finden sich die beiden in einer Poesie der Wahrnehmung.

Sophia de Mello Breyner Andresen war der erste Kurzfilm von Monteiro, mehr oder weniger eine Auftragsarbeit. Er wurde nicht müde zu betonen, dass er keinen blassen Schimmer davon hatte, wie man einen Film machen würde. Später würde er behaupten, dass der Film ihm gezeigt hätte, dass man Gedichte nicht verfilmen könne. Sein Film beweist freilich das Gegenteil. Es ist eine Arbeit der Annäherung von Film und Sprache, Worten und Bildern. Der Versuch des Kinos Gedicht zu werden und das Austarieren einer Bildwerdung poetischer Sprache.

Portraits von Autoren erfreuten sich bereits im frühen Kino großer Beliebtheit. Zum Beispiel gibt es im skandinavischen Kino frühe Aufnahmen von Selma Lagerlöf oder Gerhart Hauptmann. Dabei stellt sich seit jeher die Frage wie man die Arbeit oder das Sein Schreibender in Bildern festhalten kann. Ein häufiges Motiv dieser Filme ist der Schreibtisch und an einem solchen beginnt auch Sophia de Mello Breyner Andresen. Jedoch – und hier begeht dieser Filmemacher unzähliger Skandale einen ersten, beinahe unauffälligen Affront – sitzt Sophia nicht nur dort, sie schreibt, sie arbeitet. Es ist ein heiliger Akt, den Monteiro da filmt. Man kann sich durchaus fragen, ob man diesen Akt des Schreibens, des Denkens so wirklich filmen kann und soll. Später wird er gar das beschriebene Blatt Papier in einer Nahaufnahme zeigen. Wozu diese Nähe, wozu diese Intimität? Womöglich ist sie bereits ein erster Spiegel auf das Schreiben der Sophia, ein Ergebnis ihrer eigenen Direktheit.

Im Vordergrund also die Poetin an einem Tisch. Wie es sich beim Schreiben gehört, gibt es auf dem Tisch nur Früchte und Papier. In einer späteren Einstellung noch eine Zigarette. Viel wichtiger aber für das Bild und die Poetin ist das Fenster im Hintergrund. Es lässt einen Blick aufs Meer zu, ein Segelboot erscheint wie erträumt am Horizont. Dieses Fenster erscheint beinahe abstrakt, wie die Inspiration selbst. Ist sie filmbar?

In der Folge unterschiedliche, und in ihrer Nähe zur Dichterin, doch homogene Ansätze einer filmischen Annäherung an die Poesie: zum einen Gedichte als Text im Bild. Gleich zu Beginn konfrontiert uns Monteiro, in dessen Werk Sprache und Literatur immer eine überragende Rolle spielte – man denke nur an seine Robert-Walser-Verfilmung Branca de Neve – mit einem Gedicht von Jorge de Sena. Zum anderen Bilder, die man beinahe als Visualisierung der Gedichte von Sophia verstehen könnte, obwohl es sich gleichzeitig um dokumentarische Aufnahmen von ihrer Familie beim Baden handelt. Ein Bootsausflug untermalt mit klassischer Musik, immer wieder das Meer, die Felsen, Reflektionen des Wassers auf den Felsen, ein Tauchgang. Später hören wir dann gar ein Gedicht von Sophia aus dem Off zu diesen Bildern. In ihrem Gedicht Biographie schreibt Sophia: „Ich habe mich gesucht im Licht, im Meer, im Wind.“ Wer sich im Licht sucht, möchte man meinen, ist im Kino. Immer wieder kehrt Monteiro zu den Motiven der Poetin zurück: Das Meer, der Strand, am Himmel kreisende Vögel. Er zeigt nicht nur diese Bilder, er wiederholt sie auch, lässt sie wiederkehren, arbeitet letztendlich in der Montage mit sprachlichen Mitteln.

Die Kinowerdung der Sophia bei Monteiro setzt sich fort im Akt des Lesens. Sophia, die auch für ihre Kindererzählungen berühmt ist, liest einem ihrer Söhne vor. Sie liest vom Meer, einer Beziehung zum Meer. Monteiros Kamera ruckelt immer wieder leicht. Man bemerkt das Amateurhafte, das er in einem Text zum Film (etymologisch korrekt) mit Liebe übersetzte.

Der Sohn ermahnt Sophia nach dem Vorlesen. Sie solle nicht so aufgesetzt lesen, lieber natürlicher. Die Natürlichkeit hängt für Sophia an etwas anderem. Sie sagt, dass es ihr in der Poesie um eine Beziehung zur Realität gehe. Sie entdecke diese Präsenz des Realen in einer Frucht. Ganz ohne Fantasie, ganz ohne Imagination. Monteiro nimmt diese Definition der Poesie mit seinem Kino auf. Plötzlich sehen wir beobachtende Bilder von der Straße. Er filmt nicht einfach die Worte von Sophia, er versucht sie in das Kino zu übersetzen. Seine ganz eigene Hinwendung zur Realität. Immer mehr löst sich der Film in seiner Montage vor uns auf. Monteiro wirft uns in ein Meer aus gleichzeitigen Worten und Eindrücken. Dort, wo Sophia in ihren Gedichten eine Verbindung mit den Dingen beschwört, sucht sie Monteiro zwischen Bildern und Worten. Das liegt letztlich auch daran, dass er in seinem ersten Film beweisen will, dass er weiß, was das Kino ist.

Er gibt Sophia Raum für die Philosophie ihrer Poesie. Sie spricht darüber, dass die Poesie eine Moral wäre, es gehe um die Suche nach Gerechtigkeit. Die Würde des Seins, das Überleben als Tier und die Suche nach Freiheit seien Themen der Poesie. Sie suche nach einer Nacktheit und absoluter Gegenwärtigkeit vor dem Leben. Dazu gehört auch, alles so anzusehen, als würde man es das erste Mal sehen. In den Worten des großen japanischen Filmemachers Kenji Mizoguchi, als würde man sich vor jeder neuen Einstellung die Augen waschen. Die Gedanken zur Poesie werden im Film zu Gedanken über die Wahrnehmung und dadurch auch zu Gedanken über das Kino.

Dieser Ruf nach Direktheit und Realität wird im Kino von Monteiro zu einer Art Verunreinigung der Kraft der Sprache. Denn Sophia sagt ihre Sätze nicht im luftleeren Raum oder auf einem Blatt Papier. Ihre Kinder versammeln sich um sie, korrigieren sie, machen Scherze. Schließich lässt der Filmemacher den Nachwuchs auch etwas über die Mutter erzählen. Dadurch wird Sophia de Mello Breyner Andresen auch ein Film über die Liebe einer Mutter, und zeigt darüber hinaus, was eine Hinwendung zur Realität für Film bedeuten kann. So schwimmt Monteiro mit seinem Portrait im Herzen des Lebens und jenseits des Lebens bis Sophia am Ende ihren Namen schreibt. Ein Name, der zum Titel, zum Film, zur Sprache des Films wird. Eine Sprache, die beständig daran scheitert Poesie zu werden, weil die Nacktheit vor dem Leben im Schreiben eine andere ist als im Filmen.