Framing Reality: Concussion von Stacie Passon

"Concussion"

Zum ersten Mal findet dieses Jahr die Filmserie „Framing Reality“ im Filmcasino statt. Den Gründern dieser Reihe ist es ein Anliegen Filme zu zeigen, die es nicht in den regulären Verleih schaffen – vor allem Filme von Frauen und Filme für Frauen. Unterhaltungsfilme mit Anspruch. Eine gute Idee, wahrscheinlich auch eine wichtige. „Framing Reality #1“ konzentrierte sich auf Filme, die in den letzten Jahren am Sundance-Festival gelaufen sind, es aber nicht nach Österreich geschafft haben. Außerdem wurde der Dokumentarfilmerin Barbara Kopple eine Personale gewidmet. Mich hat es schließlich, zu Stacie Passons Concussion verschlagen.

Robin Weigert in "Concussion"

Abby Ableman (Robin Weigert) ist eine Hausfrau Anfang/Mitte Vierzig mit zwei Kindern und einem tollen Haus. Sie ist sexuell unbefriedigt und nachdem ihr Sohn ihr einen Baseball an den Kopf wirft, entscheidet sie sich ihre Karriere als Innenarchitektin wiederzubeleben und eine Wohnung zu renovieren (die Korrelation zwischen diesen Ereignissen erschließt sich mir nicht ganz, aber irgendeinen Grund muss es doch haben, dass der Film nach der Gehirnerschütterung benannt ist, die Abby durch den Baseballunfall davonträgt). Abby pendelt also fortan von den Suburbs in die Stadt und kommt schon bald auf die Idee ihren Sexualtrieb mit Prostituierten zu befriedigen (die Wohnung kommt ihr dabei gerade recht). Nachdem ihr das zu teuer kommt, empfiehlt ihr Justin, ihr Mitarbeiter, der die handwerklichen Arbeiten in der Wohnung übernimmt, doch selbst im horizontalen Gewerbe einzusteigen. Glücklicherweise ist Justins neue Freundin Zuhälterin – kein Witz. Dieser Plot stammt nicht aus der Feder von Jason Friedberg und Aaron Seltzer (ich habe es in den Credits überprüft), sondern ist als ernstgemeintes Indie-Drama konzipiert. Und tatsächlich war der Film ein Hit beim Sundance Festival 2013 und wurde später auch auf der Berlinale gezeigt. Wie es dazu kommen konnte? Abby Ableman ist lesbisch, lebt mit einer erfolgreichen Rechtsanwältin zusammen und hat Sex mit Frauen, der auch recht explizit – für amerikanische Verhältnisse – vor der Kamera praktiziert wird.

Durch den Sieg von Abdellatif Kechiches La Vie d’Adèle in Cannes ein paar Monate später wurden natürlich sofort Vergleiche zwischen den beiden Filmen auf den Plan gerufen (denn so tickt leider die Filmkritik). Das tut mir außerordentlich leid für La Vie d’Adèle, denn Kechiche beschritt tatsächlich neue Wege, schuf ein dreistündiges Epos, das nicht nur durch seine Thematik, sondern auch durch seine Machart zu überzeugen wusste. Das fängt damit an, dass Kechiche im Gegensatz zu Passon tatsächliche explizit wurde. Die Energie von La Vie d’Adèle entstammt der behutsamen Konstruktion der einzelnen Szenen, der unglaublichen Nähe zwischen der Kamera und den Charakteren, und nicht zuletzt den schauspielerischen Leistungen die Kechiche aus seinen Darstellerinnen presst. Bei „Concussion“ ist das Gegenteil der Fall. Der Film steht ganz im Zeichen des US-Indies, der sich am großen Hollywoodvorbild orientiert, aber ohne dessen finanzielle Mittel auskommen muss. Passon bearbeitet pragmatisch die Gefühle ihres Publikums, mal die Tränendrüsen, mal die Lachmuskeln. Alles in allem, ist der Film stilistisch sehr unaufgeregt und bieder. Ohne die LGBT-Thematik wäre „Concussion“ bald in den Gefilden der mittelmäßigen Beziehungsdramen in Vergessenheit geraten.

"Concussion"

Aber auch wenn es unzählige bessere filmische Midlife-Crisis-Studien gibt, und Luis Buñuel schon 1967 in Belle de Jour eine weibliche Protagonistin ihr bourgeoises Domizil gegen ein Bordell tauschen ließ, ist Concussion (zumindest thematisch) vielschichtiger. Denn Film hat, das kann man nicht verleugnen, auch sozio-politisches Potenzial und genau wie Belle de Jour, die sexuelle Unterdrückung der Frau thematisierte und damit darauf aufmerksam machte, so projiziert „Concussion“ diese Verhältnisse auf eine gleichgeschlechtliche Ehe. Solche Filme sind wichtig um bewusst zu machen, dass auch gleichgeschlechtliche Paare mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben, wie heterosexuelle.

Das macht den Film natürlich nicht besser – aber relevanter. Auch wenn ich mir wünschen würde, dass diese Thematik nicht von so einem minderen Film behandelt würde, bleibt seine soziale Sprengkraft bestehen. Am Ende des Tages, kann man sich natürlich darüber streiten wie ehrlich es ist, in so einem Film ausnahmslos schöne Körper zu zeigen (die verzweifelte Hausfrau des 21. Jahrhunderts ist sportlich und fit) und die Ereignisse quasi ohne Konsequenzen in einem Happy End ausklingen zu lassen. Da fehlt es nicht nur an Kühnheit von Seiten der Regisseurin und der Produzenten, sondern auch an Kreativität und handwerklichem Können. Den Olymp des Kunstfilms wird Concussion nie erreichen (weshalb er meiner Meinung nach auf der Berlinale nichts verloren hat), aber als gesellschaftspolitisches Statement muss man ihn ernst nehmen. Dass Passon, und das macht sie sehr deutlich, ernst genommen werden will und dabei vergisst einen guten Film zu machen, bleibt als bitterer Nachgeschmack zurück.