Susan Sontag Revisited 3: The Disappearing Narcissist

Beim letzten Termin der kleinen Susan-Sontag-Retrospektive während der Wiener Festwochen vergessen Ioana und Patrick. Sie vergessen, was sie gesehen haben. Sie suchen Susan Sontag. Sie schwimmt nicht unbedingt im selben Kino mit ihren Filmen wie mit ihren Texten. Im besten Fall war es eine Öffnung hin auf etwas Größeres (Texte, Politik, die Welt), im schlechtesten Fall ein belangloser Versuch. Das Kino von Sontag ist irgendwas dazwischen.

Revisited 1

Revisited 2

Patrick

◊ Das letzt Programm war mit Sicherheit sehr weit weg, von dem,was wir normalerweise hier für interessant erachten. Es waren Fernseharbeiten von Sontag: A Primer for Pina, in der sie eine Einführung in das Schaffen von Pina Bausch gibt und En attendant Godot … à Sarajevo, in dem sie zusammen mit Nicole Stéphane auf ihre Theaterproduktion von Becketts Stück in Sarajevo blickt.

◊ Am Ende gab es eine Podiumsdiskussion und eine Frau hat Sontag Narzissmus unterstellt. Das bringt mich wieder zur Frage: Warum hat sie Filme gemacht? Warum nicht? Warum macht man Filme?

◊ Und doch: Wenn ich all ihre Filme gesehen habe, spüre ich noch den Versuch etwas zu machen, was sie von Außen gesehen hat…zu filmen. Ich mag das, aber ich bin mir nicht sicher, ob es sie weiter gebracht hat. Ob sie etwas erkannt hat, gesehen hat etc. Ich denke, dass es ihr wenn dann um das Leben mit der Kamera, am Set ging. Also, dass sie daraus etwas gewonnen hat.

◊ Ich habe nichts gesehen in Susan Sontag, was ich nicht lieber gelesen habe oder hätte.

◊ Die Broschüre bzw. das Büchlein vom SynemaVerlag ist übrigens ganz ausgezeichnet. Damit meine ich eigentlich hauptsächlich die Texte von Jonathan Rosenbaum und Dudley Andrew. Damit müsste man weiterarbeiten. Die Art und Weise, in der Sontag über Film nachgedacht hat. Egal ob mit oder ohne Film. Über Kunst.

A Primer for Pina ließ mich an den Tanz in Giro turistico senza guida denken. Ich mag Tänze ohne Musik. Sie sind wie eine Pantomime des Tons.

Pina Bausch

Susan Sontag2

Ioana

◊ Was in den Filmen von Susan Sontag verschwindet, ist Susan Sontag, hast du letztes Mal ungefähr gesagt. Ich spüre sie auch nicht.

◊ Ja, sie sind nicht was wir hier normalerweise für interessant erwachten, aber wenn ich wüsste, dass ich viele Sachen wie A Primer for Pina im Fernseher sehen könnte, dann würde ich ein Fernseher besitzen beziehungsweise Fernseh schauen. Es würde sich wunderbar ergänzen mit den Radionächten mit France Culture, bei denen man innerhalb von vier Stunden Interviews aus dem Archiv mit Straub, Duras und eine Besprechung des Werkes von Rivette bekommt. Aber vielleicht gibt es das sowieso irgendwo.

◊ Allgemein fühlt es sich so an, als hätte diese kleine Retrospektive mich eher in anderen Richtungen geschoben ( meine Aufmerksamkeit wurde eher auf Tanztheater, TV, andere Künste und Kultur gelenkt), als näher an Film und Kino zu gelangen. Ich habe mich bei Sontag nicht wie in meinem „Fishbowl“ gefühlt. Ich meine damit, dass ich nicht in meinem vertrauten Element war und jetzt weiß ich, dass es nicht daran lag, dass ich eine mir bis dato unbekannte Filmsprache kennenlernte. Es war zu weit weg vom Kino.

◊ Du erwähnst in diesem Text (den ich so mag) Ghatak. Bei ihm war ich auch sehr stark außerhalb meines „Fishbowls“ (aber anders) bis es sich zu einer, wenn nicht immer Liebes-, dann zumindest Faszinationsgeschichte entwickelt hat.

◊ Es schien mir, dass Warhol unser Komplize ist.

Susan Sontag Revisited 2: Durasiert

Ioana und Patrick unterhalten sich weiter über ihre Eindrücke von Susan Sontags Filmen. Es geht uns nicht darum, irgendwelche allgemeingültigen Aussagen oder Analysen ihres Werkes abzugeben, sondern eher einen Gedankenstrom wiederzugeben, der uns beim Treffen mit ihren Filmen heimsuchte.

Teil 1

Ioana:

◊ Trauerabend mit unversöhnten Menschen, verschwundenen Liebe und der verschwindenden Stadt

◊ Meine Verwirrung mit den Dialogen, die ich vielleicht zu stark betont habe, löst sich mit La déchirure – Promised Lands und Giro turistico senza guida (der mir bislang ihr vielleicht vollendester Film zu sein scheint) auf.

La déchirure – Promised Lands – Zeigt man trauernde Menschen in Nahaufnahmen?

◊ Der erschütterndste Moment, den ich bislang mit den Filmen von Sontag verbracht habe, ist der Blick in die Kamera-Partner PoV in Giro turistico senza guida. Dort ist nichts mehr. In Bröder Carl macht sie auch Gutes, vielleicht Mehrdeutigeres (nein, eigentlich nicht, es ist nur die Direktheit) mit  PoV, aber irgendwie tat dieser Moment mehr weh.

◊ Nein, man kann Duras nicht erreichen

◊ Du hast Recht mit den Ton-Sachen in La déchirure – Promised Lands.

◊ Ich mag den Screen Test von Warhol mit Sontag mit den Grimassen. Ich habe irgendwann viele Screen Tests von Warhol gesehen, ich glaube es war in einer Nacht in einem Jazz Garten in Bukarest und es gab eine wunderbar bizzare musikalische Begleitung und ich mochte es. Von Peter Kubelka hatte ich noch nie gehört.

PARIS - MARGUERITE DURAS

Susan Sontag

Patrick:

◊ Nein, man kann Duras nicht erreichen. Was bei mir vor allem verschwindet in diesen Filmen ist: Susan Sontag. Ich kann sie nicht spüren, ich spüre nur, was sie mag. Am besten hat mir deshalb vielleicht am Ende von Bröder Carl gefallen, als es darum ging, dass sie diese Wiedergeburt von Dreyer (von nirgends anders ist sie) nicht erreichen kann.

La déchirure – Promised Lands scheint mir in dieser Hinsicht ein ehrlicherer, ein dringlicherer Film zu sein. Da wollte sie einfach mit der Kamera an einem Ort, in einer Situation, in einem Thema sein.

◊ Der Anfang des Films mit dieser Tonmontage ist ziemlich beeindruckend. Allgemein sind diese Ton-Sachen in La déchirure – Promised Lands das einzige, was mir bleiben könnte aus den Filmen. Glocken, die sich in einem Orchester verdichten.

◊ Aber was war das für eine furchtbare Kopie? Irgendeine digitale Sache bei beiden Filmen.

◊ Zeigt man trauernde Menschen in Nahaufnahmen? Wie zeigt man Trauer? Ich finde diese Frage sehr interessant bei einem Film, der unter anderem an der Klagemauer spielt. Man wendet sich an eine Mauer. Das Gesicht wendet sich ab oder wendet sich zu? Ist Trauer wirklich im Gesicht? Es gibt Denker, die sagen, dass das ganze Leben Trauerarbeit ist. Ist dann überhaupt eine Nahaufnahme erlaubt. Ich glaube, dass eine Nahaufnahme von Trauernden erlaubt sein muss, weil die nötige Distanz in diesem Fall keine Frage der Kamera, sondern der Montage ist. Denn nur die Trauer in einem Gesicht ist kein Verbrechen. Das Ausnutzen ihrer Emotionalität wäre es. Also zu zeigen: Hier trauert jemand, jetzt musst du auch weinen. Das finde ich nicht ok.

◊ Der Screen Test war tatsächlich wunderbar. Ich würde gerne einmal alle Screen Tests von Warhol sehen ein Jahr lang.

Giro turistico senza guida zeigt, dass Duras einen öffnet für Sehen und Schreiben und Sontag beherrscht diese beiden Dinge. Deshalb ist das ein guter Film. Auch wenn ich kein Fieber bekommen habe. Nur einen Tanz, manchmal einen Blick und ganz viel Untergang. (ich habe Mahler gehört, Visconti besitzt diese Stadt).

Susan Sontag Revisited 1: Susan geht am Ingmar in die Kirche

Vom 19. bis 24. Mai findet im Stadtkino Wien im Rahmen der Wiener Festwochen eine Schau zum unbekannten filmischen Werk Susan Sontags statt. Ioana und Patrick besuchen die Programme und versuchen ihre Konfrontation mit dem Werk möglichst ungefiltert wiederzugeben.

Am ersten Tag wurden vier Filme gezeigt. Duet för kannibaler und Bröder Carl jeweil begleitet von einem Screen Test von Andy Warhol mit Susan Sontag. Vor dem zweiten Film gab es eine spannende Einführung von Kurator Ralph Eue.

Patrick:

◊ Vor kurzem habe ich in der Biographie von Josef von Sternberg gelesen. Er schreibt, dass er sich theoretisch mit Kunst und Film beschäftigt habe, bevor er die Technik lernte. Für ihn sei das ausschlaggebend in seiner Karriere. Ich bin eigentlich sehr seiner Meinung. Ich weiß, dass viele das anders sehen. Das man erstmal das Handwerk beherrschen muss bevor man die großen Ideen hat.

◊ Es ist nicht leicht über die ersten Filme von Susan Sontag zu schreiben. Mein Problem: Ich bin mir nicht sicher, ob ich Filme von Susan Sontag gesehen habe. Es sind schwedische Filme. Vielleicht die besten Bergman-Kopien (nicht im analogen Sinn), die ich bislang gesehen habe. Sie sind nicht amerikanisch, sie sind Ausdruck einer Bewunderung.

◊ Was mir vor allem aufgefallen ist: Sie sind handwerklich perfekt. Nein, das stimmt nicht ganz. Vor allem in Bröder Carl hatte ich große Probleme mit dem Post-Synch Dialogen, das war nur schwer zu ignorieren.

◊ Kennst du das, wenn du eine Sache nicht mehr sehen kannst in Filmen? Bei mir gehört dazu: Ein Schnitt von Mann und Frau, die zusammen ins Bett gehen auf das Frühstücksei. So gesehen in Duet för kannibaler. Hat der Film etwas eigenes? Ich weiß nicht. Ralph Eue hat es mit seiner Bergman, Antonioni und Godard Querverbindung ziemlich gut beschrieben.

◊ Warum hat sie Filme gemacht? Diese ersten beiden Arbeiten wirken ein wenig so, als wollte sie sich und uns etwas beweisen, oder? Vielleicht sprechen aus diesen Filme Liebe und Bewunderung für eine bestimmte Form des Kinos, vielleicht sprechen daraus aber auch Frustration über die bloße Reaktion darauf.

Bröder Carl hat mir besser gefallen. Es ist zwar irgendwie eine Mischung aus Dingen, die man in Persona (die Frage des Sprechens, der Ausdruckmöglichkeiten und des Begehrens, was dort drin steckt) und Ordet (die Frage des Glaubens, der Wiedergeburt, des Wunders), aber es gibt dort ein paar Szenen (zum Beispiel die Badewannenszene), die für mich etwas eigenes ausgedrückt haben.

◊ Ist es prinzipiell ein Problem, wenn man das Gefühl hat, dass jemand keine eigenen Dinge sagt? Eigentlich finde ich das nicht. es steckt viel Liebe darin, mehr Liebe und Originalität als andere in Arbeiten haben, bei denen nicht so leicht auf Vorbilder zu schließen ist. Bei Sontag hat es mich gestern trotzdem gestört, vielleicht weil ich diese Liebe in ihren Texten mehr gespürt habe, als in den Filmen?

◊ Insgesamt gibt es viele Medien in den Filmen: Aufnahmegeräte, Bücher, Tafeln, Schrift, Sprache, Körperlichkeit, Tanz, Musik, Essen. Und es gibt eine merkwürdige Abkehr davon, die sich am besten in den Männern äußert, die sich auf den Kopf stellen, wenn sie keine Lust mehr haben in beiden Filmen.

◊ Die Screen Tests sind wunderbar. Im zweiten war Sontag viel unehrlicher. Sie war eine Pose. Im ersten war sie einfach nur da. Sie sind beide wunderbar.

Susan Sontag

film-persona

Ioana:

◊ Es ist nicht leicht, über die ersten Filme von Susan Sontag zu schreiben. Mein Problem: Ich brauche sehr lange, um mich daran zu gewöhnen, dass ihre Filme ganz andere Register und Milieus durchwandern, als ich (ohne nachzudenken und etwas engstirnig) vielleicht erwartet habe.  Ich war bereit, etwas zu sehen, dass ein wenig mit den Filmen von Carolee Schneemann oder den Filmen von Jean Epstein in Verbindung stehen könnte. Absurd, da letztere Verbindung vielleicht aufgrund der der Beteiligung von Ralph Eue an dieser Schau induziert wurde, aber auch, weil man zwischen Schneemann und Epstein ein großes Stück von dem, was es an Film gibt, platzieren kann. Nach den ersten zwei Filmen – ja, ich finde auch, dass die Bergman, Antonioni und Godard Querverbindung es gut beschreibt, ich spüre von Ihnen am stärksten Bergman, am zweitstärksten aber Rivettes Abdriften ins Spielerische (du hast mir irgendwann erklärt, dass man das, was ich jetzt meine,  anders besser beschreiben kann, aber ich habe vergessen wie), Céline et Julie vont en bateau, das Ende von Out 1 (die Ähnlichkeiten sehe ich eher in Duett för kannibaler als in Bröder Carl).

◊ Die Probleme mit dem Post-Synch Dialogen in Bröder Carl. Ich habe sie auch und bei mir sind sie auch Teil eines größeres Problems. Oder: Sie haben in meiner Wahrnehmung des Films ein größeres Problem ausgelöst.  Ich habe die Dialoge in  Bröder Carl als sehr forciert empfunden und hatte oft das Gefühl, dass es an bestimmten Stellen zu viel ist, wenn dieser eine Satz jetzt ausgesprochen wird. Ich muss hier wahrscheinlich das Wort Fremdschämen einwerfen. Was ich ab hier nicht mehr weiß ist, ob es Fremdschämen für die Figuren ist, die sich nicht davon abhalten können, einen bestimmten Satz zu sagen, schreckliches über sich zu offenbaren (wenn es so wäre, dann wären wir gar nicht so weit entfernt von dem, was ich an Bergman bewundere, nämlich das Gift, das aus den Figuren herauskommt.) oder ist es Fremschämen für die Art und Weise wie Sontag mit Dialogen in dem Film umgeht (ist es ein Zeichen dafür, dass  Sontags Übergang von Schreiben zu Film in diesem Aspekt nicht so glatt gelaufen ist)?

Bröder Carl hat dir besser gefallen. Die Unstimmigkeit (der Sprung zu dem, was mich an Rivette erinnert) in Duett för kannibaler scheint mir einen einstimmigeren, kohärenteren Film zu ergeben, als die zerstreutere Kohärenz von Bröder Carl. Vielleicht hat mir Duett för kannibaler mehr gefallen, obwohl ich einige Szenen in  Bröder Carl viel vollendeter finde. Aber nicht den Film als Ganzes.  Ich hoffe, dass du  verstehst, was ich meine.

◊ Es tut mir leid, aber ich muss es sagen – die Ähnlichkeit zwischen (dem Bruder) Carl und Ben Whishaw ist unheimlich.

Interview mit Jan Soldat: Kontrolliertes Einlassen

Still aus Jan Soldats 'Hotel Straussberg'

Jan Soldat gehört zu den interessantesten deutschen Dokumentaristen der Gegenwart. Er porträtiert Menschen, die sich sexuell abseits gesellschaftlicher Normen verorten, auf Augenhöhe und in gegenseitigem Einverständnis. Seine Filme verstellen ebensowenig wie sie ausstellen, lassen die Porträtierten für sich sprechen und ermöglichen so ein unbefangenes Kennenlernen – es ist eine empathische Distanz, die letztlich auf Nähe hinaus will. Eine zweitägige Präsentation von Filmen des 31-jährigen Regisseurs im Wiener Stadtkino bot die Gelegneheit zum Gespräch über Soldats künstlerischen Werdegang, seine permanente Arbeit an der eigenen Methode und die Frage nach Verantwortung im Dokumentarfilm. Das Interview wurde am 14. April auf der Wiese des Heldenplatzes geführt.

Still aus Jan Soldats 'Hotel Straussberg'

Still aus Jan Soldats ‚Hotel Straussberg‘

Andrey Arnold: Mir ist gestern aufgefallen, dass du beim Q&A nach den Screenings ein Metal-Bandshirt anhattest. Der Schriftzug war kaum zu entziffern, welche Band war das?

Jan Soldat: Wolves in the Throne Room.

Bist du selbst Metal-Fan?

Nicht wirklich, aber ich komme aus der Richtung – meine Kumpels haben von Grindcore über Black und Death alles gehört. Doom fand ich auch noch cool!

War das in deiner Jugendzeit?

Schon auch noch Anfang 20. Ich habe mir das live immer reingezogen, war jeden Freitag bei einem Metal-Konzert. Speed, Thrash, alles Mögliche, es war immer eine Band am Start. In meinem Freundeskreis waren viele Metaller, und zum Weggehen fand ich das gut, zuhause habe ich es aber nie gehört, außer vielleicht mal ein bisschen Burzum oder Dimmu Borgir. Wolves in the Throne Room höre ich erst seit einem Jahr, ich finde die einfach krass. Inhaltlich und formal ist das völlig untypisch für Black Metal, wie ein Exorzismus der Genre-Floskeln. Im Vergleich zu etwas wie Burzum ist ihre Musik total bejahend, sie hat eine geile positive Energie. Ich wusste anfangs gar nicht, worüber die singen, aber man spürt, ohne es zu wissen, dass es etwas ganz Naturverbundenes ist. Das sind ja Biobauern, die am Rand der Gesellschaft leben und dort diese Mucke machen. Das merkst du auch in den Bildern, die sie besingen, das sind vorwiegend mystische Naturbilder. Ich fand es spannend, dass es so positiv ist.

Warst du früher eher an Musik interessiert als an Film?

Nein, das war einfach nur mein Umfeld, als ich aufgewachsen bin. Ich kann dir auch nicht sagen, warum, aber in Chemnitz, im Erzgebirge, gibt es eine extrem krasse Metalszene. Ich selbst war eher Gruftie, habe Gothic und Industrial gehört, aber wir waren alle immer auf Konzerten. Das hat aber nichts mit meinem filmischen Werdegang zu tun. Ich habe ja früher auch Mathematik studiert, später Maschinenbau, und dann habe ich mir irgendwann gedacht, ich mache jetzt einen Kurzfilm.

War Film in deinem Umfeld zu der Zeit stärker präsent?

Immer, aber nicht als Kunst. Ich hab mir hauptsächlich Mainstream-Scheiß angeguckt, viel Männer-Actionkino.

Hast du dir da schon ausgemalt, dass du später mal Filme machen wirst?

Nein, das hat keine Herleitung. 2006 wollte ich einfach Kamera machen und etwas filmen. Und seitdem habe ich Filme gemacht.

War deine Bewerbung an der Filmhochschule in Potsdam auch eher Zufall?

Ich habe den Kurzfilm damals ja mit einem Kumpel zusammen gemacht, das war eher so Splatter-Zeug. Aufschneiden und so, das fanden wir irgendwie cool. Viel Kotzen auch, Kotze fressen. (lacht) Und das hätte ich wohl auch weitergemacht, aber dann kam das Arbeitsamt und hat gesagt, ich muss mich bewerben. Ich habe mich also für irgendwelchen Scheiß beworben, eine Mediengestalter-Ausbildung, Medientechnik – das war irgendwie greifbar, ich wusste noch gar nicht, dass es Filmhochschulen gibt. Dann hat man mich da abgelehnt, und mein Kumpel meinte: Du bist doch gut genug für die Filmhochschule! Dann habe ich mich halt dort beworben, und die haben mich genommen. Zu dem Zeitpunkt wusste ich nur: Ich habe jetzt schon zwei Studienrichtungen abgebrochen und will jetzt etwas machen, das mir Spaß macht. Geplant war es aber nicht.

soldat02

„Die sechste Jahreszeit“

War der Zugang zu Film an der Hochschule für dich erstmal ein Schock, also etwas ganz anderes als das, was du davor gewohnt warst?

Als Jugendlicher habe ich ja nur Actionkino geschaut, aber bis zur Aufnahme an die Filmhochschule habe ich schon sehr viel Arthaus- und Weltkino gesehen und war dann eigentlich ein bisschen entsetzt, dass das dort viele nicht kannten, auch Professoren. Und man muss ja nicht alles geil finden, aber über ein bestimmtes deutsches Kino wurde dann immer gelacht, was ich schon seltsam fand.

Über welches Kino?

Wenn man jetzt die Kategorie Berliner Schule haben will: Ist ja egal, wie man dazu steht, aber das ist ja trotzdem wichtiges zeitgenössisches deutsches Kino gewesen. Da haben die so verächtlich drauf geguckt, und ich dachte mir, das ist ja noch mit das stärkste deutsche Kino, das du hast! Oder thailändisches, philippinisches Kino, das kannten die nicht, und ich dachte, da bin ja erst im Arthaus-Mainstream, das ist ja noch nichts total Absurdes.

Hast du Spielfilm oder Dokumentarfilm studiert?

Es gibt dort ein Grundstudium: Ein Jahr Dokumentarfilm, ein Jahr Spielfilm, und die letzten drei Jahre kannst du machen, was du willst – eigentlich kannst du schon in den ersten beiden Jahren machen, was du willst, aber die Richtungen sind vorgegeben. Ich hatte bis dahin vielleicht zwei Dokumentarfilme gesehen in meinem Leben, und ich wusste nicht, was das sein soll, wenn man da so Leuten zuguckt. Anscheinend war mir das richtig fremd, ich bin immer eingepennt, weil ich das so langweilig fand. (lacht)

Hast du dir aus dem heraus gedacht, du machst das jetzt anders und besser? Wann kam für dich der Punkt, an dem Dokumentarfilm für dich wichtiger wurde als Spielfilm?

Ich glaube, der kam erst im Hauptstudium, als ich gemerkt habe, dass meine Spielfilme extrem gewollt sind und auch nicht die Kraft haben von meinen Dokumentarfilmen. Das hat übrigens nichts mit meinem Geschmack zu tun. Ich gucke zuhause trotzdem noch hauptsächlich Spielfilme, Dokumentarfilme viel mehr auf Festivals. Aber mein Machen ist davon erstmal unabhängig, ich habe einfach gemerkt, dass mir das selbst mehr zu liegen scheint. Manche Leute mögen ein, zwei Kurzspielfilme von mir und sagen: Du kannst doch gut inszenieren! Das hat mich aber nicht interessiert. Schauspielarbeit hat mich nicht interessiert, Drehbuchschreiben hat mich auch nicht interessiert.

Warum nicht?

Ich glaube, das hat etwas mit Kalkül zu tun, dass man etwas herstellt. Im Rückschluss auf den Dokumentarfilm hatte ich das Gefühl: Das ist doch reicher! Ich erfahre etwas, ich kann mehr teilen, ich kann jemanden kennenlernen, überrascht werden. Beim Spielfilm habe ich die Abstraktion nicht verstanden, und da ist immer eine Abstraktion, egal, wie offen ein Regisseur ist und wie sehr er mit dokumentarischen Mitteln arbeitet – was auch immer das heißen soll. Dass ich da jetzt eine Geschichte erzähle, habe ich irgendwann über die Jahre nicht mehr begriffen. Dramaturgie ist ja etwas, das irgendwas voranbringt, und das fand ich eklig. Das Dokumentarische war freier. Dass man da einen Menschen hat wie Klaus in Der Unfertige – da funktioniert es am besten von meinen bisherigen Filmen, finde ich – dass dieser Mensch da ist und sich einfach öffnet und greifbar wird: Das will ich machen, da will ich weiter daran arbeiten.

„Der Unfertige“

Jetzt könnte man natürlich den Einwand bringen, Dokumentarfilm ist auch nur eine Konstruktion. Der Unberechenbarkeitsgrad ist höher, aber du musst ja trotzdem dein Material zusammenfügen, da triffst du Entscheidungen, du triffst die Entscheidung, was du drehst und was nicht. Bei deinen Filmen spüre ich einerseits, dass es zwar immer eine Suchbewegung ist, du lotest etwas aus und es entsteht etwas in der Zusammenarbeit mit den Figuren, die auch mitbestimmen, wie der Film am Ende aussieht, aber gleichzeitig scheinst du eine sehr feste Haltung zu haben, oder zumindest eine klare Vorstellung davon, wie ein Dokumentarfilm nicht auszusehen hat. Hat sich das bei dir erst langsam entwickelt oder hast du dich auch theoretisch damit auseinandergesetzt?

Nein, das entwickelte sich immer in der Rückschau auf die Filme. Ich habe mir den fertigen Film angesehen und mich gefragt: War mir das jetzt zu eng, habe ich die Menschen begrenzt? Ich habe mich oft schlecht gefühlt – es stellt sich ja immer die Frage, was nehme ich denen, wie sehr enge ich sie ein? Wie du sagst: Die Konstruktion findet auch statt, sie findet aber weniger statt als im Spielfilm. Ich würde das gar nicht formal unterscheiden, oder von der Methode her. Nach dem Film Geliebt habe ich mir zum Beispiel gedacht, Interviews sind falsch und feige.

Warum?

Das habe ich damals auch nicht verstanden. Ich kann es nicht genau sagen, jedenfalls habe ich das abgespeichert. Vielleicht, weil mir Interviews extrem leicht gefallen sind, weil ich mich viel mit Kommunikation auseinandergesetzt habe. Irgendwie hatte ich das in mir drin. Rückwirkend finde ich das auch Quatsch. Ich habe dann nur noch beobachtet, habe aber bald gemerkt, dass die Begrenzung aufs Beobachtende auch Schwachsinn ist, weil ich den Personen ganz viel von der Vergangenheit nehme, die du ja auch benennen kannst, wenn du möchtest. Die Situation mit Manfred und Jürgen aus Ein Wochenende in Deutschland finde ich an sich auch ok so, da hat man ja auch einen kurzen Moment, wo über die Vergangenheit gesprochen wird. Das ist wie ein Pendeln, mal gehe ich zu weit weg, mal wieder näher ran. Bei Der Unfertige passt die Balance ganz gut, finde ich, wenn es darum geht, wie man sich über ein beobachtendes Gespräch, das kein Interview ist, einen Menschen nähern kann. Das mit dem Abstand der Kamera, was du konkrete Haltung nennst, hat sich über die Jahre entwickelt, damit fühle ich mich wohl, damit ist der Film für mich stimmig. Cinema Verité oder Direct Cinema, das habe ich hingegen nie so richtig gepeilt.

Du hast also einen ganz praktischen Zugang.

Ich wollte einfach erfahren, was für mich ok ist. Aber den Ulrich-Seidl-Einfluss sieht man durch, das ist klar. Bei Geliebt hatte ich Tierische Liebe kurz davor gesehen. Egal was man davon hält, irgendwas daran hat mich interessiert. Ich finde auch entgegen dem, was alle sagen, dass das, was er macht, etwas sehr Würdevolles hat. Gerade seine frühen Dokumentarfilme sind noch ganz humanistische Filme, bei den späteren Spielfilmen ist es was anderes. Es gab auch immer wieder andere Filmemacher, die mich beeinflusst haben. Romuald Karmakar zum Beispiel, der über das Erfahren zeigt, was ihm wichtig ist, gerade in Land der Vernichtung. Er weiß, was er will, ohne zu wissen, was inhaltlich passiert, das fand ich spannend. Oder Thomas Heise – wir sind inhaltlich schon unterschiedlich, aber mit ihm fühle ich mich auch sehr verbunden, etwa über seinem Film Stau mit den Neonazis. Da hast du das Gefühl, der nimmt die trotz seines Unverständnisses ernst. Das fand ich ganz toll, auch dass die dann so rot werden vor der Kamera, als er fragt: „Hast du eine Freundin?“ Von da her habe ich geguckt und Bücher gelesen, etwa Sündenfall: Die Grenzüberschreitungen des Filmemachers Ulrich Seidl, oder das Karmakar-Buch von Olaf Möller. Darüber lerne ich ja auch, zu analysieren oder mich in ein Verhältnis zu setzen. Manchmal versuche ich dann auch, Sachen methodisch ähnlich zu machen. Im Fuhrwerk-Verlag gibt es von Eva Hohenberger diese ganzen Wirklichkeitstheorie-Schriften, das habe ich auch zu lesen versucht, aber da komme ich nicht dahinter, das ist mir zu gedacht, da tut mir der Kopf weh. Da heißt es dann, der Film hat sowieso nichts mehr mit der Realität zu tun, das ist alles nur eine Konstruktion meiner subjektiv erfahrenen Realität. Wenn ich nur noch darüber nachdenken würde, würde ich wahrscheinlich gar keinen Film machen.

Aber Verantwortung spielt bei dir eine große Rolle, oder? Bei dir stehen ja immer Menschen im Mittelpunkt und nicht irgendwelche gesellschaftlichen Zusammenhänge oder Orte. Weil bei dir auch Nacktheit und Körperlichkeit immer präsent ist, hast du das Gefühl, dass du anders herangehen musst, eine andere, größere Verantwortung hast?

Es gibt schon Unterschiede in der Intimität, wo ich sagen würde: Diesen Film kannst du überall zeigen, den kannst du auch ins Netz setzten, einen anderen nicht. Aber das hat nichts mit der Nacktheit an sich zu tun, sondern damit, wie die Leute, die in den Filmen vorkommen, dazu stehen. Deshalb kommen die Filme ja auch nur im Kino, die kommen nicht auf DVD heraus und sind nicht im Internet zu sehen. Dass man noch einen Schutzraum hat, dass diese Bilder den Menschen nicht weggenommen werden, ist wichtig. Das ist immer wieder eine bewusste Entscheidung von mir, aber auch im Einvernehmen mit den Leuten, die ich filme. Ob sich die Verantwortung grundsätzlich unterscheidet zu Filmen mit anderen Themen, bezweifle ich. Ich finde es ja auch schon grenzwertig, wenn dir jemand etwas erzählt in einem Film, das ist immer intim. Da habe ich auch meine Probleme damit, aber wahrscheinlich würde ich es eher öffentlich machen und mich wohler fühlen, weil damit keine Stigmatisierung in dem Sinne verbunden ist, wie wenn man Geliebt auf DVD rausbringt. Dann ist klar, das werden einfach irgendwelche Leute sehen, die werden das auch umkehren, zerschneiden und als Gegenpropaganda benutzen, und die Menschen aus dem Film vielleicht noch auf der Straße zusammenhauen. Da gibt es schon Grenzen. Du hast ja auch gesehen: Meistens sind keine Namen im Abspann, manchmal schon, aber das hat immer etwas mit den Menschen zu tun, ob sie das wollen oder nicht. Das alles ist aber nicht immer Thema – es wird benannt, und dann ist es auch meistens klar, das merkst du schon im Vorhinein. Meine Hauptverantwortung liegt glaube ich darin, dass ich mir Leute suche, die auch wirklich drehen wollen, dann kann erstmal nichts schiefgehen. Der Klaus hatte zum Beispiel ein sehr starkes Bedürfnis, sich zu zeigen und sich über den Film als Sklave zu produzieren, und da war dann relativ klar, das kann gar nicht kippen. Das habe ich einfach gespürt, weil wir das beide zusammen gemacht haben. Aber bei Hotel Straussberg war es schwieriger, den Film gemeinsam zu tragen: Das hat man es mit einer Gruppe von Menschen zu tun, und alle sind unterschiedlich. Manche schwanken oder wollen ihr Gesicht nicht in Deutschland zeigen. Da wird’s dann kritischer. Man merkt es ja auch in dem Film, die Kamera arbeitet ganz anders, weil ich mich einer Gruppe natürlich auch in einem anderen Tempo annähern muss.

soldat04

„Geliebt“

Wie viele Filme hast du eigentlich schon gemacht?

Vierzig oder so, ich weiß nicht genau. Das sind einfach ganz viele Fünf-Minuten-Sachen dabei.

Dass man sich in so kurzer Zeit ein so unüberschaubares Oeuvre erarbeitet, impliziert einen ganz eigenen Arbeitsprozess. Bisher hast du vornehmlich kürzere Filme gedreht, mittlerweile sind auch mittellange dabei. Woher rührt diese Arbeitsweise? Wolltest du auch mal einen längeren Film, einen 90-Minüter machen, oder ist es für dich ganz normal, eher episodisch zu arbeiten? Teilweise hat dein Schaffen auch etwas Serielles, weil du immer wieder dieselben Leute aufsuchst, neue Perspektiven auf sie eröffnest, auf gewisse Aspekte näher eingehst.

Ganz banal gesagt: Es war immer schon so, das da etwas war, was ich filmen wollte. Die Länge hat sich immer an die Situation gebunden. Wenn ich wusste, ein bestimmtes Event geht nur zwei oder zweieinhalb Tage, war klar: Das wird maximal ein Dreißigminutenfilm, und kein Langfilm. Ginge zwar auch, da gibt es bestimmt auch Beispiele dafür, aber im Prinzip hat sich die Länge bei mir daran orientiert. Ich dachte mir, wenn ein Langfilm rauskommt, kommt eben ein Langfilm raus, und wenn’s fünf Minuten werden, werden es eben fünf Minuten. Aber klar: Die Filme werden jetzt tatsächlich immer länger, weil ich mich auch immer mehr auf die Leute einzustellen versuche. Dann wird das natürlich reicher. Bei Geliebt war ja erstmal ein ökonomischer Fokus da durch die Schule. Ich hatte nur 50 Minuten 16mm-Material, also 5 Rollen, und da war klar, im Verhältnis zum Rohmaterial werden das am Ende maximal 20 Minuten. Deshalb musste ich mich auch konzentrieren, deshalb ist der Film auch so auf die Beziehung fokussiert, was ich gut finde, aber wenn ich das jetzt bearbeiten würde, würde ich offener herangehen, weil dann mehr Themen, mehr Situationen und mehr Räume erschlossen werden können.

Der Unfertige war dein Abschlussfilm an der Filmhochschule. Du hast also einen Großteil deiner Filme im Hochschulkontext gedreht?

Nein – die meisten meiner bisherigen Filme sind währen der Hochschulzeit entstanden, haben aber nichts mit der Schule zu tun. Ich habe die Filme immer gemacht, weil ich sie machen wollte, und habe sie auch mehrheitlich alleine umgesetzt. Ich habe studiert, die Filme aber nebenher für mich gemacht. Ich hatte auch keine Beratung an der Schule. Der Unfertige ist nur ein Diplomfilm, weil ich ihn mir habe anrechnen lassen, damit ich den Abschluss bekomme.

Wie wurden deine Filme an der Hochschule aufgenommen?

Geliebt natürlich grenzwertig, weil jeder an seine eigene Grenze gekommen ist mit dem Thema. Da habe ich gemerkt, dass viele ziemlich überfordert waren – aber ich auch, weil ich gar nicht wusste, wie verhalte ich mich in so einem Hochschulkontext? Ich glaube, da waren dann relativ viele ruhig, als der Film auf der Berlinale lief und sich ein Erfolg eingestellt hat, aber hintenrum habe ich schon gemerkt, viele halten mich für ein bisschen bescheuert. Es gab auch immer wieder Leute, die mich sehr unterstützt haben, aber im Großen und Ganzen habe ich eher gelitten, weil ich das Gefühl hatte, alle gucken mich komisch an. Ich glaube, von vielen Filmen wissen sowohl meine Mitstudenten als auch meine Dozenten nichts. Obwohl: Spätestens, als ich für meine Diplomarbeit meine dokumentarische Methode erläutert habe, die ich dafür „kontrolliertes Einlassen“ genannt habe – diesen Zwiespalt, wie weit gehe ich rein, wie offen bin ich, dieses Nähe-Distanz-Ding – spätestens dann haben sie sich die Filme angesehen. Ich glaube, Der Unfertige fanden sie auch alle ganz gut – also stimmig, sich selbst entsprechend. Man kann die einzelnen Filme von mir ja nicht wirklich vergleichen, ich finde die auch alle unterschiedlich. Natürlich hat jeder für sich eine andere Kraft, und da kann man dann noch schauen, ist er jetzt ok als das, was er sein will? Es gibt ein Kino, wo ich hin will, und manche Filme von mir finde ich schlechter als andere.

Viele deiner Filme sind entweder im Alleingang produziert oder mit sehr kleinen Teams. Resultiert das aus deinem Zugang, oder könntest du dir auch mal eine Produktion in einem größeren Team vorstellen?

Geliebt wurde ja mit einem größeren Team gedreht, und auch meine Kurzspielfilme waren immer 7 bis 12 Leute, was für mich schon viel zu viel ist. Was mich gestresst hat, ist auch die Behäbigkeit von so einem Apparat. Mich hat das Machen interessiert, dass ich nicht warten und mich auch nicht erklären muss. Daher hatte ich irgendwann keinen Bock mehr, beim Dreh mit jemandem zusammenzuarbeiten, weil die meisten dann doch ihre Meinung sagen – das soll nicht heißen, dass meine Meinung die bessere ist, aber gerade bei Geliebt war es für mich anstrengend, dass da Beklemmungen auf der anderen Seite spürbar waren, wo ich mir dachte, das will ich jetzt nicht wissen, wir gehen da jetzt hin und Filmen mit den Leuten. Da will ich mich auch nicht psychologisieren müssen oder erklären, warum ich den Film mache. Vor „Ein Wochenende in Deutschland“ habe ich zudem geschaut, dass es noch direkter meine Erfahrung wird, wie ich das bei Karmakar zu beschreiben versucht habe. Dass ich persönlich etwas erfahre und es noch direkter in der Kamera landet, das fand ich spannend, und ich habe nicht verstanden, warum ich dafür noch jemanden mitnehmen muss. Beim Klaus war es einfach unnötig. Wenn die Kamera da steht, er auf dem Bett sitzt mit mir davor und wir reden, wieso muss da jetzt ein Tonmann oder ein Kameramann dabei sein, der uns vielleicht ablenkt oder die Konzentration der Beziehung verschiebt?

Aber wenn es die Situation hergibt, könnte es für dich auch funktionieren?

Ich weiß nicht, ich merke, ich bin da übervorsichtig, weil mir das zu intim ist. Ich fühle mich selbst immer extrem offen, und mir wird das dann auch schnell zu viel, da muss man wirklich auf einer Wellenlänge sein. Bei den Themen, die ich behandle, ist das immer schwierig gewesen. Ich habe schon Leute getroffen, die offen waren und interessiert, aber trotzdem war dann immer irgendwas, wo ich mich eingeengt fühlte, da bin ich sensibel, glaube ich. Wenn der dann immer da ist, kann ich trotzdem nicht abschalten, wenn ich weiß, er denkt insgeheim, dass die Leute, die wir filmen, komisch sind. Da will ich, dass der weg ist (lacht).

Deine Filme laufen hauptsächlich auf Festivals und du sagst, dass du sie in den meisten Fällen auch nicht auf DVD herausbringen willst. Wie steht es dann eigentlich mit der Finanzierung und Auswertung?

Gute Frage. Gerade bei Geliebt habe ich Angebote bekommen für DVD-Veröffentlichung und Weltvertrieb, wo Geld für mich rauskommen würde, wo ich dann aber merke, ich muss das jetzt aus prinzipiellen Gründen fallen lassen. Ich habe letztes Jahr einen langen Dokumentarfilm geschnitten und dafür Geld bekommen, zudem bekomme ich immer wieder mal Vorführgebühren, was aber relativ wenig ist. Dann habe ich auch Geld verdient, weil ich an Hochschulen war, etwa bei Thomas Heise, in seiner Klasse in Wien. Dort habe ich in verschiedenen Kontexten über meine Arbeit geredet – Produktionsbedingungen oder Sexualität im Film. Aber das Verkaufen ist schon schwierig, vor allem, wenn nicht von Vorneherein klar ist, was mit dem Film passiert. Wenn ich von Anfang an weiß, ich mache jetzt mit Arte einen Film, dann sieht er auch anders aus. Nicht wegen Arte, sondern wegen mir, weil ich weiß, der Film kommt ins Fernsehen – dann werde ich ihn anders bauen und den Klaus manche Sachen nicht sagen lassen. Ich meine jetzt nicht einmal die Sache mit der Nacktheit, damit hat Klaus ja keine Probleme, aber in anderer Hinsicht würde ich anders entscheiden. Ich könnte auch um Filmförderung ansuchen, und vielleicht würde das auch klappen, weil ich inzwischen viele Referenzen habe, aber ich habe es bisher nicht getan, weil es einfach so ewig lange dauert. Bei Hotel Straussberg haben mir die Leute ja einen Monat vorher gesagt, du kannst kommen, und da war noch nicht einmal klar, ob ich überhaupt drehen darf. Unter diesen Bedingungen einen Antrag zu stellen, und dann kippt das vielleicht… Bis das Geld da ist, habe ich schon längst den Film fertig.

Viennale 2014: German Love: Amour Fou von Jessica Hausner

Amour Fou von Jessica Hausner

Heute Abend eröffnet Amour Fou von Jessica Hausner die Viennale. Premiere feierte der Film in der Un certain regard Sektion der diesjährigen Filmfestspiele in Cannes. In einer ganz bitteren Ironie erzählt die Regisseurin darin wie Heinrich von Kleist, einer jener großen deutschen Dichter und Denker, ein Romantiker, fataler Romantiker, bestechender Pragmatiker, dieser Mann, eine Partnerin nicht zum Leben sucht, sondern zum Sterben. Nach langer vergeblicher Mühe findet er in der Ehefrau eines Bekannten, Henriette Vogel, eine mögliche Partnerin.

Die deutsche Liebe, so voller Fatalität und Nüchternheit, so voller Vernunft und doch schlägt in ihr ein Herz, ein absurdes Herz. Man denkt an Wir sind Helden (auch wenn man sie nicht hören muss):

Aurélie die Männer mögen dich hier sehr
Schau auf der Straße schaut dir jeder hinterher
Doch du merkst nichts weil sie nicht pfeifen
Und pfeifst du selbst die Flucht ergreifen
Du musst wissen hier ist weniger oft mehr

Ach Aurelie in Deutschland braucht die Liebe Zeit
Hier ist man nach Tagen erst zum ersten Schritt bereit
Die nächsten Wochen wird gesprochen
Sich aufs Gründlichste berochen
Und erst dann trifft man sich irgendwo zu zweit

Amour Fou von jessica Hausner

Selten hat man diese zärtliche Gefühlskälte derart gekonnt, weil komisch, sowohl im Sinn von lustig als auch merkwürdig, gesehen. Dabei füht Hausner mit subtilen und tonalen Spitzen einen absurd-präzisen Kampf gegen die eigene Form und lässt gerade daraus so etwas wie ein filmisches Pendant für die Fatalität der Handlung entstehen. Das Erschreckende scheint, dass diese Art des Ausdrucks nicht nur ein historischer ist (auch wenn daher natürlich die meisten Manierismen der Figuren rühren) sondern ein deutscher. Amour Fou ist-wie man das so macht im österreichischen Kino-ein Tableaufilm. Nur, dass es hier die Bilder einer Zeit sind, die in den gemäldeartigen, entleerten Décors und in den steifen Personenkonstellationen zu Tage tritt. Wie Éric Rohmer in seinem Die Marquise von O… evoziert die Bildsprache eine Zeit und ein Gefühl für die Kunst und Weltsicht jener Zeit. Aber das Echo davon hallt heute besonders stark. Auch ist der Film äußerst vertraut mit dem Werk von von Kleist. Fast zu verspielt zitiert der Film nicht nur Inhalte sondern auch sprachliche Eigenheiten des Autors.

Hausner erzählt von den fehlenden Verbindungen zwischen den Menschen, den Merkwürdigkeiten, die in einem selbst verharren statt herauszuplatzen. Moralische Fragen werden in dieser Welt in ihr Gegenteil verkehrt. Ein Selbstmord als gemeinsame Tat ist dabei einer der großen paradoxen Aspekte des Films. Von Kleist erhöht den Moment größter Einsamkeit zur absoluten Zweisamkeit. Aus diesem Widerspruch zittert sich langsam eine allgemeine Widersprüchlichkeit zwischen Zuneigung und Respekt (diese wird besonders eindrucksvoll in der Dreiecksform des Schlafzimmers von Henriette und ihrem Gatten eingefangen).

Amour Fou von Jessica Hausner

Dabei deformiert die Regisseurin ihre Bilder hin zu einer bizarren Wahrnehmungsverschiebung im Zuseher. Am poetischsten gelingt ihr dies gegen Ende, wenn der großartig aufspielende Stephan Grossmann (schon lange habe ich keinen deutschen Schauspieler mehr derart nuanciert gesehen) als Vogel kurz nachdem er das Drama besichtigt einen Blick auf den See wagt. Die Banalität dieser Einstellung und die Spannungen zwischen inneren und äußeren Welten, die dabei entstehen, erinnern an jene Einstellungen von Bruno Dumont wie etwa am Ende seines La Vie de Jésus, in denen gerade durch die Normalität eine Beunruhigung ins Spiel kommt.

Der romantischte Film über die Lächerlichkeit von Romantik, den ich gesehen habe.

Adieu, verlorene Zeit – ‚Abschied‘ von Ludwig Wüst

Abschied von Ludwig Wüst

Wer einmal den Fächer der Erinnerung aufzuklappen begonnen hat, der findet immer neue Glieder, neue Stäbe, kein Bild genügt ihm, denn er hat erkannt: es ließe sich entfalten, in den Falten erst sitzt das Eigentliche: Jenes Bild, jener Geschmack, jenes Tasten um dessentwillen wir dies alles aufgespaltet, entfaltet haben; und nun geht die Erinnerung vom Kleinen ins Kleinste, vom Kleinsten ins Winzigste und immer gewaltiger wird, was ihr in diesen Mikrokosmen entgegentritt.

Walter Benjamin, Berliner Chronik

Ludwig Wüst macht Filme über Zeit. Verlorene Zeit, wiedergefundene Zeit, Zeit die kommt, Zeit die geht, Zeit die gibt, Zeit die nimmt, Zeit, die uns in Abgründe stürzt und wieder aus der Taufe hebt, Zeit die wirkt und waltet und immer währt: Das Allseiende, das Allbestimmende. Sein stetig wachsender Werkkorpus ist durchzogen von Vanitas-Motiven und Menschen, die mit Verlust konfrontiert sind – diesem ultimativen Index von Zeit- und Sterblichkeit – aber ebenso vom Glauben an die restaurative Kraft von Erinnerung und Eingedenken. Immer ist es eine Abwesenheit – oft ein traumatisches Ereignis – die den Kern der Erzählungen bildet und die Figuren in Gemütsbewegung versetzt. Vergebung (Zwei Frauen, 2006), Versöhnung (Koma, 2009), Verderben (TAPEEND, 2011), Vergessen (Pasolinicode, 2011), Versäumnis (Das Haus meines Vaters, 2012): Vergangenheit und Zukunft sind die Gegenwart dieser Filme, Dauer ihr Formprinzip.

Wüst kam von der Malerei zum Theater zum Kino, und man merkt es seiner Kunst an. Das Theatralische droht manchmal, ihre Wirkung zu unterlaufen – der einen Deut zu präzise Naturalismus in Schauspiel und Dialog, die Grad-halt-kein-Guckkasten-Kadrage, die Neigung zum Melodramatischen – doch das scharfe Bewusstsein für die Eigenarten der filmischen Form und die bedingungslose Bekenntnis zum Material transzendieren solche Schwächen (er sagt, er sei vom Theater zum Kino gewechselt, weil im Theater von der Aufführung nichts bleibt als eine schöne Erinnerung und ein schlechtes Video). Seine jüngste Arbeit mit dem programmatischen Titel Abschied hatte vor kurzem ihre Wien-Premiere im Österreichischen Filmmuseum und ist das vielleicht schönste, intensivste und formal gewagteste Zeit-Bild des konsequent unabhängigen Regisseurs.

Abschied von Ludwig Wüst

Für den Plot reicht ein Satz: Eine Frau erhält Besuch von ihrer Freundin, und die beiden kommen ins Gespräch. Gefilmt ist dieses Treffen in einer ungebrochenen Einstellung, die sich im Verlauf des Films schleichend per Zoom von der Totale zur Nahen verengt und schließlich wieder öffnet, während der emotionale Tonus der Unterhaltung fließende Phasenverschiebungen durchläuft und gleichsam mit den Sprechenden durch die Zeit reist. Abschied vereint so das Echtzeit-Experiment von TAPEEND mit den Gedächtniserkundungen in Das Haus meines Vaters, übertrifft aber beide in der Ökonomie seiner Mittel und dem erzielten Effekt. Der ungefähr dreiviertelstündige, digitale Zoom stellt die konzeptuelle Methodik von Michael Snows Avantgarde-Klassiker Wavelength in den Dienst eines präzisen psychologischen Realismus: Er definiert den filmischen Raum, konzentriert das Bild, bestimmt über Off und On, macht Zeit sichtbar und schraubt an der Spannung, wenn er sich wie eine Schlinge zuzieht, aber alles im Einvernehmen mit dem affektiven Auf und Ab der Erzählung. Unser Gefühl ist eine Funktion seiner Bewegung, und die Schauspielführung ist vorbildlich auf ihn abgestimmt.

Mittel- und Schwerpunkt des Kaders ist ein unauffälliger Stuhl, der von den beiden Frauen abwechselnd besetzt wird und dem aufgrund seiner Positionierung eine Aura zuteilwird, die man besonders dann spürt, wenn niemand im Bild ist. Er scheint auf seine Besetzung zu warten und verfügt als eine Art hot seat über das Recht auf Aufmerksamkeit: Nur wer dieses in Anspruch nimmt, darf wirklich sprechen. So ist wie bei Wavelength zu Beginn keineswegs klar, wer oder was im Zentrum des Films stehen und ob dieser überhaupt ein Zentrum haben wird. Vorerst bekommen wir einen Eindruck von der Gastgeberin Helene (Martina Spitzer), die sich und ihre Wohnung überhastet auf den anstehenden Besuch vorbereitet, und die subtile Skizzierung ihres missmutig-nervösen Charakters, der etwas zu verbergen scheint – zusammen mit dem schlichten Umstand, dass sie als Erste die Szene betritt – unterbreitet sie als Hauptfigur. Das erste Viertel hindurch sitzt sie am Schicksalsstuhl, und man wähnt sich bestätigt, doch kurz darauf befördert eine Rauchpause eine beiläufige Rochade, und schon findet sie sich hors-champ, indes ihre Freundin Johanna (Claudia Martini) ins Fadenkreuz der Kamera gerät. Die scheinbar zufällige Neuverteilung der Plätze führt unmerklich zu einer totalen Verlagerung des narrativen und emotionalen Fokus sowie zur Ahnung einer anderen Geschichte, die uns entgangen ist, die wir an die filmische Zeit verloren haben (wobei ein Rest von Unentschiedenheit bleibt: Helene reklamiert die Diegese mit vielsagenden Randbemerkungen und der eigentümlich kühlen Distanz, die sie ihrem Gast bis zum Schluss entgegenbringt, stellenweise wieder für sich).

abschied08

Das eigentliche Spektakel spinnt sich unscheinbar an: Eine im Vorbeigehen entdeckte DVD des Claude-Sautet-Films Les choses de la vie ruft bei Johanna die mémoire involontaire auf den Plan, und wir sehen ihr dabei zu, wie sie sukzessive den Untiefen der Erinnerung anheimfällt, sich unwillkürlich von einem Trigger-Moment zum nächsten hangelnd, bis man gewahr wird, dass man soeben einer rückhaltlosen seelischen Entblößung beigewohnt hat, die ebenso sachte und unerbittlich von statten ging wie der sie begleitende Zoom. Ein altes Lied führt zur verschämten Bekenntnis einer Jugendliebe, die sich dann doch als mehr herausstellt als nur das. Stück für Stück werden Tiefenschichten aufgebrochen, die Minuten zuvor noch im Dunkeln waren. Das anfängliche Geplänkel wird zu einer veritablen Beichte, und die vom Off verschluckte Helene nimmt die Rolle des Pastors/Therapeuten ein, der nahezu anteillos als akusmatische Stimme Beistand leistet. Als sich der Würgegriff des Bildausschnitts schließlich lockert, uns den Raum wiedergibt und neuerlich trügerische Ruhe einkehren lässt, muss man aufatmen.

Doch in einer überraschenden Volte überspannt Abschied nun seinen eigenen Bogen und sprengt dessen Rahmen. Nach einem kurzen Schwarzbild, das Credits verheißt, löst der Film Hauptfigur und Kamera aus ihren Fixierungen und lässt sie ins Freie fleuchen, wo Johanna einen nachträglichen Polterabend begeht: Sie kauft sich ein rotes Kleid, streift durch die Straßen, taucht in ein Kino (hier hat Wüst einen persönlichen Abschied eingearbeitet – es ist die letzte Aufnahme des Zuschauersaals seines geliebten Wiener Stadtkinos kurz vor dessen Räumung), geht auf Zechtour, flirtet umher und legt sich schlussendlich in einer peripheren Zone zum Schlafen in ein Betonrohr, für eine einzige Nacht ihrem Leben und der Welt entstiegen. Wüst und sein Stammkameramann Klemens Koscher filmen diese Fluchtbewegung zunächst aus großer Distanz und unmöglichen Perspektiven, in seltsam verwaschenen Weitwinkeltotalen, wie von Überwachungskameras oder Geisteraugen beobachtet. Es ist das Gegenteil der Hermetik des ersten Teils.

abschied06

Am Ende kehrt Johanna in ihr Heim zurück, sie scheint ihren Abschied genommen und ihren Frieden gemacht zu haben mit dem, was war. Doch hier erfasst den Zuschauer selbst ein retroaktiver Impuls: Der Anblick ihres eindrucksvollen Bungalows wirft uns zurück an den Anfang, man besinnt sich der sozialen Kluft und unterschwelligen Spannung, die sich in flüchtigen Gesten und allfälligen Dialogzeilen zwischen ihr und Helene aufgetan haben, und wieder wittert man eine Gedächtnisspur, der nachzugehen keine Zeit bleibt. Der Film hat inzwischen einen weiteren Sprung gemacht, erneut begibt er sich an Johannas verwahrloste Schlafstätte des vergangenen Abends, um dort ihre Abwesenheit aufzuzeichnen. Es gibt nichts zu sehen, und doch sieht man deutlich jenen Teil von ihr, den sie hier abgelegt hat wie eine Traumhaut. Und unversehens strahlt der ganze verstreute Plunder ringsum mit der Kraft unzähliger Zeiten und Erzählungen, die sich immer noch kreuzen an diesem abgeschiedenen Ort. Mit einem Schlag hört man das Lied in allen Dingen und spitzt gebannt die Ohren.