Hou Hsiao-Hsien Retro: Der Regisseur als Puppenspieler

Die Magie des Puppenspiels ist eine doppelte im Bezug auf Film. Da ist zum einen der mimetische Effekt, das Leben, das aus scheinbar totem Stoff, Holz oder anderen Materialien gewonnen wird, wie der Zelluloidstreifen oder das digitale Nichts, aus dem Bilder, Geschichten und Gefühle entstehen. Zum anderen ist es die Funktion des Puppenspielers, das Geheimnis in der Unsichtbarkeit der Autors, der bestenfalls spürbar ist, spürbar im Sinne einer Sprache. Wie frei lässt er seine Puppen tanzen? Wie sehr leitet er sie? Wie natürlich oder künstlich bewegen sie sich in seiner Vision? Hou Hsiao-Hsien hat in einem Gespräch mit seinem amerikanischen Protegé David Bordwell mal erwähnt, dass er sich selbst für zu genau und sorgfältig halte in Fragen der Mise en Scène. Ein Mann, der seine Puppen nicht loslassen kann. Dennoch ist das Schauspiel in seinen Filmen von einer großen Natürlichkeit geprägt, er vermag es immer wieder kleine, fast unbeobachtete Momente festzuhalten und die Beiläufigkeit nicht nur durch seine Kamerapositionen, Kamerabewegungen und Montage zu erreichen, sondern auch in den Reaktionen und Aktionen seiner Figuren. Dieser Realitätsnähe folgend, die immerzu den Ort und die Zeit auf gleicher Ebene verhandelt wie die Narration und die Figuren, inszeniert Hou Hsiao-Hsien auch keine vorgefertigten Dialoge und fertigt auch keine Shot Lists oder Storyboards an. Vielmehr findet er seine Szenen an den Locations selbst. Es ist verwunderlich, dass er es trotzdem vermag, eine derartige Strenge in seine Form zu bringen. Ist Hou Hsiao-Hsien ein so guter Puppenspieler, dass er mit künstlichen Methoden ein völliges Realitätsgefühl vermitteln mag oder aber ist er weniger streng als seine Form und bereit ,die Welt in seine Filme zu lassen und Kontrolle abzugeben?

Le Voyage du Ballon Rouge set

In „The Puppetmaster“ und auch in „Le Voyage du Ballon Rouge“ stehen Puppenspieler beziehungsweise Autorinnen und Sprecherinnen bei Puppenspielen im Zentrum des Films, sie könnten unterschiedlicher nicht sein. Li Tian-lu erzählt in „The Puppetmaster“ seine eigene Lebensgeschichte fast wie „Forrest Gump“ am unschuldigen Rand der Historie seines Landes und gerade deshalb immer mitten drin. Er wirkt wie durch das Leben geschleudert, er folgt seiner Berufung durch Zufälle und Talent, eigentlich passiv, instinktiv und diese Eigenschaften scheinen sich auf sein Puppenspiel auszuwirken, das eine solche Lebendigkeit hat, dass Hou Hsiao-Hsien sich gezwungen sieht in einer bemerkenswerten Sequenz, echte Menschen für einige Augenblicke wie Puppen (E.T.A. Hoffman ist groß) wirken zu lassen. Li Tian-lu ist ein Geschichtenerzähler, ein sympathischer Träumer, der gerade dadurch gelebt hat. Neben den eigentlich recht konventionellen Biopic-Momentaufnahmen samt Voice-Over Narration lässt Hou Hsiao-Hsien den Mann immer wieder direkt in die Kamera sprechen und gibt uns damit eine Chance zum eigenen Urteil. Wer ist dieser Mann, spielt er nur ein Bild von sich selbst, ist sein politisches Bewusstsein jenes von Hou Hsiao-Hsien oder kommt er von ganz alleine auf die Analogien und Bemerkungen, die sein eigenes Schaffen immerzu in Relation zur Geschichte Taiwans setzen? Ähnliche Fragen also wie in Abbas Kiarostamis „Close-Up“, der das Kunstschaffen und die Frage nach der Evidenz ungleich virtuoser und deutlicher stellte, aber im Zentrum eine ähnlich faszinierende, kunstorientierte Figur hatte. „Are you acting now?“, wird Sabzian bei Kiarostami dann auch gefragt, während man es Li Tian-lu nie so recht anmerken will, insbesondere da er ja ein Schauspieler ist. Er erzählt seine Geschichte als eine Geschichte des Anpassens, immer im Bezug zu familiären und politischen Tragödien, auf der Suche nach einem Leben mit der Kunst in der Misere. Er will dieses Leben nicht kontrollieren, es kontrolliert ihn.

The Puppetmaster

The Puppetmaster2

Genau andersherum funktioniert die kinematographische Sprache von Hou Hsiao-Hsien. Alleine durch den häufigen Modus der Vergangenheit, der durch die distanzierte Bildsprache, die poetische Lichtsetzung, die Voice-Over Narration und unter anderem durch das was viele eine Geschichtschronik nennen (also eine Einbettung der Handlung in größere gesellschaftliche Zusammenhänge), entsteht ein Gefühl von Kontrolle, von ganz bewussten Entscheidungen, die immer mehr bedeuten als das, was man im Zentrum des Bildes erkennen kann. Es braucht ein sehr eingespieltes Team, um diese Mischung aus Reaktion und Kontrolle, Leben und Kunst so hinzubekommen. Eine Figur, die genau andersherum funktioniert wie Li Tian-lu ist in diesem Zusammenhang Suzanne, gespielt von der unglaublichen Juliette Binoche in „Le Voyage du Ballon Rouge“. Sie will kontrollieren, sie will dominieren, sie schreibt die Stücke selbst und spricht dann alle Figuren. In einer ironischen Wende ist es aber Li Tian-lu, der scheinbar viel mehr Kontrolle über sein Leben hat als Suzanne, die immer am Rande des Nervenzusammenbruchs steht, die ihr Privatleben nicht im Griff hat und deren Glück in raren Momenten mehr einer Verpflichtung gleichkommt, so wie das kurze Atmen eines Fisches über Wasser.

Hier stellen sich also nicht nur zwei unterschiedliche Herangehensweisen an einen einzelnen Film, sondern vielmehr zwei unterschiedliche Lebensweisen mit Film und der Kunst dar. Jene ehrgeizige Walze, die alles der Kunst unterstellt oder jener Überlebenskünstler, der sein Leben als Kunst führt. Es ist interessant zu beobachten, wie Regisseure immer wieder mit und zwischen diesen beiden Images spielen. Pedro Costa hat einmal vor einer Gruppe japanischer Filmstudenten gesagt, dass ein Regisseur immer zugleich 20 und 80 Jahre alt sein müsse. Vielleicht ist die Kontrolle 80, und das Leben 20 Jahre alt. Ich habe eine Szene aus dem Making of von „Morte a Venezia“ von Luchino Visconti vor mir als der in die Jahre gekommene Regisseur auf einem Boot erläutert, dass bei seinen Drehs in der Regel früh am Abend Drehschluss sei, weil dies seinem Rhythmus entspreche und sein Rhythmus wäre alles für ihn und seine Arbeit. Anders könnte man fragen: In welchem Zustand zwischen Leben und Künstlichkeit muss man sich befinden, um mit einem Blick schaffen zu können, der ein Gefühl für eine Weltsicht in filmischer Form zulässt? Ist der Gipfel des privaten Glücks vielleicht diese wahnsinnige Szene gegen Ende von „Le Voyage du Ballon Rouge“, wenn sich Binoche dazu zwingt in größter Erschöpfung am Familienleben teilzunehmen für wenige Augenblicke, ein kurzer Moment des Glücks, der sich gar nicht von der verkrampften Haltung lösen kann, aber es dennoch zum Herzen der Figur schafft.

Ein befreundeter Regisseur hat mir mal gesagt, dass er besonders gerne und gut schreibt, wenn es im Sommer regne und er bei offenem Fenster an seinem Schreibtisch sitzen könne. Wie abhängig ist man von Dingen wie Inspiration, was ist das? Das erstaunliche oder auch gewöhnliche bei Hou Hsiao-Hsien ist, dass sich seine Figuren solchen Fragen gar nicht gegenüber stehen. Sie schaffen einfach, es ist ihr Beruf. Die Betonung seiner Bilder liegt auf der handwerklichen Tätigkeit. In beiden Filmen zeigt seine Kamera an, was hinter der Bühne für eine Arbeit geleistet wird, um die Illusion zu erzeugen. In „Le Voyage du Ballon Rouge“ ist die Herstellung von Illusion sogar eines der expliziten Themen des Films, wogegen in „The Puppetmaster“ durchaus die Magie des Puppenspiels betont wird, in langen Sequenzen, die das rhythmische Menschwerden der Puppen vorführt egal ob für propagandistische Zwecke oder als reine Unterhaltung. Das gefilmte Theater vermag in diesen Sequenzen zum Film zu werden wie das sonst nur bei Regisseuren wie Kenji Mizoguchi, Ingmar Bergman oder Rainer Werner Fassbinder gelingen konnte. Beschäftigt man sich also mit der Frage nach Kontrolle und Leben in den Filmen von Hou Hsaio-Hsien, muss man auch die Frage nach Magie und Nüchternheit stellen sowie nach Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. In seinen schwächeren Momenten, zu denen „The Puppetmaster“ sicherlich gehört, konstruiert der Regisseur seine Unsichtbarkeit, man sieht sehr deutlich, dass er etwas versteckt, aber man fühlt es nicht, man merkt, dass er sich zu einer nüchternen Distanz zwingt, wo er eigentlich empathisch aufgeladen ist. In seinen besseren Momenten, zu denen sicherlich „Le Voyage du Ballon Rouge“ zählt, versucht er sich und seinen Formalismus nicht zu verstecken, sondern gewinnt aus ihm das Gefühl, das Sichtbare und Unsichtbare selbst. Dann wird ganz nüchtern Magie gefilmt und obwohl wir alle wissen und sogar klar erkennen können, dass jemand diese Puppen steuert und spricht, schauen wir nur noch sie und ihr Leben an.

Les quatre cents coups

Les quatre cents coups von François Truffaut

Hou Hsiao-Hsien Retro: Dust in the Wind

Hou Hsiao-Hsien, das ist auch die Freude und das Leiden am Bild. In Phantom Rides auf engen Gleisen beginnt eine erneute Reise in die Vergangenheit in „Dust in the Wind“. Zunächst kommt ganz langsam ein Licht aus einem Tunnel auf uns zu. Wie so oft wird es ein Zug sein, der uns in die Geschichte führt, eine Passage. Die Gleise führen durch dicht bewachsenes Naturgebiet, ein romantischer Ort, an dem man alles machen möchte außer leben. Diese Phantom Rides bei Hou Hsiao-Hsien haben etwas meditatives, sie machen Zeit und Raum spürbar, sie setzen die Figuren in eine Umwelt, aus der sie nicht entkommen können. Sie werden immer weiter fahren. Ähnlich wie in „The Boys from Fengkuei“ befinden wir uns im Graduate-Alter des Protagonisten Wan, in einer Welt, die beginnt in der Tiefenschärfe zu entfremden und die somit aus der Distanz des Regisseurs ein Lebensgefühl der Figuren gewinnt. „Dust in the Wind“ ist der Versuch einer Liebe in jungen Jahren zwischen Wan und Huen. Die beiden stehen manchmal nebeneinander im Zug und alleine durch ihre Blickrichtungen erzählt Hou Hsiao-Hsien vom Wechselspiel aus Nähe und Distanz, von der Zärtlichkeit und Schüchternheit, dem Unausgesprochenen, dem Unvereinbaren. Immer wieder wird er Figuren auf engen Raum durch ihre Positionen zueinander in Beziehung setzen. Hintergrund, Vordergrund, links, rechts, oben, unten, Offscreen…es gibt viele Variationen. Beide kommen aus einem ländlichen Bergdorf, dessen verwahrloste Schönheit und hoffnungslose Romantik Hou Hsiao-Hsien immer wieder gekonnt in Szene setzt. Beide zieht es nacheinander auf der Suche nach Ausbildung und Arbeit nach Taipeh. Der Zug verbindet diese beiden Welten und schnell wird aus dem sozialgeographischen Thema der Landflucht ein philosophisches Thema der Flucht, der Jugend, der Unschuld.

Dust in the Wind
Die engen Gleise auf denen das Leben der Figuren verläuft, das Eingesperrtsein im Ich ist jederzeit greifbar. Der Lauf der Dinge kennt kein Zusammenkommen von Menschen, sondern letztlich nur die Trennung. Wan muss zum Militär, Huen wird einen anderen Mann heiraten. Das sind keine dramatischen Plot Twists, sondern Gegebenheiten, die aus einer Natürlichkeit entstehen, die sie erst so richtig grausam machen. Besonderes Highlight im Film ist der feuerwerksschießende Großvater von Wan, der von „The Puppetmaster“ Li Tian-lu in einer Mischung aus Zärtlichkeit und Aberwitz verkörpert wird. Als sein Enkel die Familie verlässt, um zum Militär zu gehen, feiert er dies, indem er Feuerwerkskörper in die Luft wirft als er ihn zum Zug bringt. Am Ende werden die beiden wieder vereint sein. Aber nicht vereint im Sinn von Glück, sondern nur nebeneinander, in der ewigen Passage zwischen Tunnel und Licht, Kurve und Gerade, hin und zurück, eben alt und jung, leben und sterben. Der Film bildet den Abschluss der Coming of Age Tetralogie des Regisseurs und basiert wie „A Summer at Grandpa‘s“ auf der Biografie der Drehbuchautorin Chu Tien-Wen.

Der Gegensatz von Stadt und Land beziehungsweise alt und neu ist sehr präsent im Kino von Hou Hsiao-Hsien. In seinen frühen Filmen wirkt die Stadt selbst in ihrer Präsenz wie ein fremdes Dorf, Orte der Arbeit in nahen Einstellungen, die niemals die Bilder-Kraft des Horizonts bekommen können, sondern immer nur das Unbekannte ausstrahlen, eine Passage eben ins neue Leben. Gerade die vier Coming of Age Filme verschwimmen bei einer derart forcierten Sichtung wie sie das Österreichische Filmmuseum derzeit anbietet. Die Bilder von sitzenden Vätern und schuftenden Müttern, das Laternenlicht vor einem Haus, die Möbel, das Licht, die Felder, der Wind, alles scheint einer Bewegung zu entspringen und entwickelt sich zu einem angenehmen und doch nachdenklichen Staub, der auf mein Haupt niedergeht im Wind der Zeit bei Hou Hsiao-Hsien. Kein Wunder, dass in „Dust in the Wind“ das Kino selbst dem Wind ausgesetzt wird. Einmal hängt die provisorische Leinwand, die im Dorf errichtet wird im Wind (bevor der Strom ausfällt) und sonst ist es die Beziehung von Huen und Wan, die vor den Bildern des Kinos in Taipeh, ja selbst hinter der Leinwand lebt und stirbt.

 

Hou Hsiao-Hsien Retro: The Boys from Fengkuei

In “The Boys from Fengkuei” widmet sich Hou Hsiao-Hsien jenen Coming of Age Momentaufnahmen, die sein Schaffen in den 1980ern maßgeblich prägten. Vier Jugendliche leben in einem Fischerdorf im Westen Taiwans (Fengkuei) zwischen Scooter, Pool und Schlägereien. Der Protagonist Ah-Ching ist dabei ein unbeschriebenes Blatt, nicht wirklich charakterisiert, sondern als leeres Objekt in den Film geworfen mit einem Vater, der ein „Loch“ im Gesicht hat vom Baseballspielen. Ah-Ching muss seinen Vater füttern, er will nicht. Das ländliche Familienleben, die Verpflichtungen, die Monotonie; all das gibt Hou Hsiao-Hsien den Rahmen für eine ziemlich allgemein gehaltende und doch persönliche Geschichte. Überraschend harte Gewalt schlägt in der Ziellosigkeit des Anfangs durch die Bilder, die sonst eigentlich eher wirken wie aus einer frühen Chaplin Komödie (wobei es auch dort Gewalt gibt), mit Gestalten, die sich verfolgen und von links nach rechts durchs Bild laufen. Die Charakterisierungen/das Gefühl beginnen dann, wenn Frauen ins Spiel kommen.

The Boys from Fengkuei

Einmal am Meer, als die vier Jungs sich in einer denkwürdigen Einstellung vor einer Frau zum Affen machen während im Hintergrund Wellen gegen das künstlicher Ufer brechen und zu riesigen Fontänen aufsteigen. Das andere Mal dann als Zentrum der traurigen Liebesgeschichte des Films: Die Jungs zieht es nach Kaohsiung, in die Stadt. Sie wagen den Schritt als Trio, denn einer ihrer Freunde wird vom Militär eingezogen. Verabschiedung, Neuanfang, die Jugend wird hier schon als ein Verlust gezeigt, die Lebensgeschichten bei Hou Hsiao-Hsien sind wie zum Beispiel auch in „A Time to Live and a Time to Die“ oder „The Puppetmaster“ Geschichten des Verlassens und Sterbens. In seinen frühen Filmen trifft ein romantisierter Alltag auf einen nüchternen Schmerz. Die Jungs um Ah-Ching suchen Arbeit in Kaohsiung, versuchen ihr Leben zu beginnen. Gegenüber ihrer Wohnung lebt Hsiao-hsing, eine junge Frau, die in einer unglücklichen Beziehung mit ihrem arbeitenden Freund lebt. Sie wird eine Freundin für Ah-Ching und mehr noch eine Begierde, eine Faszination. Einmal ist im Film eine Szene aus „Rocco e i suoi fratelli“ von Luchino Visconti zu sehen. Dort wird auch die Faszination einer Frau in die enge Welt von armen Männern in einer neuen Stadt geworfen, dort kommt es auch zu Schlägereien und Versöhnungen. Aber bei Visconti sind die Welt und die Charaktere gleichberechtigt, die Wüste der Stadt ist die Wüste in den individuellen Charakteren, wogegen bei „The Boys from Fengkuei“ die Betonung auf der Wüste liegt, die von weniger charakterisierten Subjekten bevölkert wird.

The Boys from Fengkuei

Dabei filmt der Regisseur die verlorenen Bewegungen innerhalb der überfordernden Stadt aus einer Art distanzierten Sicht von Ah-Ching. Als würde dieser selbst von seiner Vergangenheit erzählen, die er nur noch als dritte Person wahrnehmen darf. Zwar erscheint die Welt oft aus der Sicht des jungen Mannes, jedoch immer wieder aus totalen Einstellungen, die den Ort, das Meer, ja die Erinnerungen größer und wichtiger erscheinen lassen als den Plot. Fast verschluckt wird die Narration hierbei von der Welt. Der Point-of-View de Regisseurs ist hierbei entscheidend. Was hat es mit dieser Erinnerungsposition im Kino von Hou Hsiao-Hsien auf sich? „The Puppetmaster“, „A Time to Live and a Time to Die“, „Dust in the Wind“ oder „A Summer at Grandpa’s“ scheinen nur eine reinere Version, der immer gleichen Momentaufnahmen aus der Vergangenheit zu sein, die sich durch das komplette Werk des Regisseurs ziehen. Dabei wirken seine manchmal zu schönen Bilder wie aus einer anderen Zeit. Auf allem Leiden, aller Gewalt liegt immer der Filter einer Nachbetrachtung, Nostalgie, Melancholie. Die Brüche werden daher kaum als solche wahrgenommen, weil aus einer rückblickenden sinnstiftenden Betrachtung erscheinen. Wenn jemand stirbt, dann hat man das schon kommen sehen (selbst wenn es nie angedeutet wird), man ist nicht in der Lage des unmittelbaren Schocks, man erlebt nicht die Direktheit, mit der die Figuren von den Schicksalsschlägen getroffen werden, sondern in einer fast parabelhaften, tröstenden Façon. Es ist kein Wunder, dass ausgerechnet Olivier Assayas so großen Gefallen an Hou Hsiao-Hsien findet, ist in seinem Werk die Erinnerung, das eigene Nacherleben der Erinnerung doch von ganz ähnlichen Fragen beseelt. In Filmen wie „The Boys from Fengkuei“ steht die Erinnerung nicht als Emotion oder Plotinformation im Zentrum, sondern schlicht als Identifikation. Man identifiziert sich mit den Situationen, den Momenten, kleinen Bildern. In seinen schwächlichen Momenten ist sich Hou Hsiao-Hsien dieser Tatsache zu bewusst und untermalt plötzliche Zeitlupensequenzen mit den Vier Jahreszeiten von Vivaldi; das kann schon alleine deshalb nicht funktionieren, weil er kein wirkliches Gespür für das Laufen der Zeit entwickelt, sondern nur für ihre bereits vergangene Dauer. Im Gegensatz zu seinem Kollegen Tsai Ming-liang ist er vor allem in seinen frühen Filmen, nicht in der Lage die Zeit zu filmen, er beklagt lediglich ihren Verlust. „Flowers of Shanghai“ wäre ein Beispiel dafür wie Hou Hsiao-Hsien einen anderen Umgang mit Zeit etabliert.

Was also bleibt sind Momente, kleine elliptische Eindrücke mit denen man verbinden kann oder nicht. Hou Hsiao-Hsien hilft manchmal mit zu sentimentalen Regungen nach, Regungen die schön erscheinen lassen, was eigentlich nur sein sollte, aber insgesamt lässt er die Welt als solche bestehen. Auf diese Art wird seine Kinosprache ein Ausdruck, seine Welten zur kinematographischen Realität. Er verkauft seine Erinnerung nicht mit seinen Filmen, er bewahrt sie. Und am Ende steht dann wieder ein Verlust, ein sentimentaler Verlust. Das Problem der Sentimentalität ist hier nicht ihr Effekt, sondern schlicht, dass sie die Erinnerung selbst verstellt, verzehrt und damit am Ende doch verkauft und unwahr erscheinen lässt.