Liebesbrief an Eleni Karaindrou

Liebe Eleni Karaindrou,

ich habe dich gehört, bin mir aber nicht sicher, ob du auch mich gehört hast. Warum solltest du? Du lebst in deinen eigenen Klängen. Es sind eigentlich Töne. Du hältst sie lange, man nennt das einen Bordun, habe ich gelesen. Du hältst diese Töne und bedeckst damit ganze Welt. Wenn ich sie höre, lässt du mich in die Zeitlosigkeit zurückfallen. Eine Welt vor meiner Erinnerung. Eine Welt, in der alle Toten als summender Ton unter den Lebenden bleiben.

Ich verstehe nicht viel von Musik und ich verstehe nicht genug von Griechenland und trotzdem spüre ich das. Ich sehe das Meer und sehe das Meer im Nebel verschwinden. Du folgst kleinen Themen, Akkorden, Melodien, so wie andere im Dunkel tanzenden Lichtern. Du merkst, meine Worte sind hilflos. Ich stehe mit einer Stirnlampe und versuche deinen Schatten zu folgen. Dann begreife ich mit einem Mal, warum die Menschen von Klangfarben sprechen. Deine sind Blau, aber Blau ist so viel. Manchmal ist Blau nur ein Ton, manchmal ist es ein singender Mann, der beklagt, dass seine Liebe ins Meer gesprungen ist. Du flüsterst, selbst mit einem Orchester.

Ich muss dir sagen, dass sich deine Töne allzu leicht mit Bildern verbinden. Du kennst sie. Männer in Mänteln auf den vergessenen Straßen Europas, der langsame Wolkenhimmel, der sich über die melancholischen Morgenstunden schiebt, ein verschlafener Blick erschöpfter Paranoia. Alles schwebt und tastet sich vorwärts. Du verbindest dich mit dem Nichtgesagten, dem Atemschlag der Bilder. Du hast mir bewusst gemacht, dass in jedem Schritt, den wir gehen, eine Musik verborgen liegt. Du hast meine Ohren geöffnet für den Rhythmus im Unsichtbaren.

Ich möchte auch vom Elegischen schreiben, aber eigentlich klagst du nicht. Du ruhst in der Verlorenheit. Du reduzierst, sprichst zwischen den Tönen oder in der Stille des Abklingens. Ich kenne dich ja gar nicht. Genügt es, dich zu hören, wieder und wieder zu hören? Vielleicht muss das genug sein, vielleicht ist es schöner so.

Ich würde dir gern mehr schreiben, aber du ich glaube, dass du das Skizzenhafte bevorzugst. Wenn die Klänge und Buchstaben noch aus Blut sind und nicht mit zu vielen Gedanken verdünnt wurden. Wenn wir endlich vergessen dürfen, dass wir sind.

Die Grenzen in Anthony Mann

Eine filmische Grenze, gibt es das? Sicherlich gibt es Grenzen, die man mit der Kamera nicht übertreten sollte. Moralische Grenzen. Vergessen wir nicht, dass die Kamera eine Waffe ist, die in Erinnerung und deren Entblößung töten kann. Man kann auch Grenzen filmen. Zwischen Menschen etwa, den Raum, die Distanz zwischen zwei Menschen filmen. Vielleicht ein Glas, das sie trennt, eine Tür, eine Welt, die in einem Schnitt verschwindet oder verschwinden lässt. Politische Grenzen kann man nicht filmen. Man kann nur ihre Illusion filmen und ihre Konsequenzen. Ihre Ungerechtigkeit und Lächerlichkeit. Man kann den Schritt über eine Grenze in einer Einstellung filmen, nicht aber seine Bedeutung. Die Bedeutung ist dann eine Sache der Blicke, der Reaktionen, der Montage, die diesem Schritt folgt (Theo Angelopoulos kam sehr nahe, dass Gegenteil zu beweisen in seinem Eternity and a Day). Grenzen sind auch Limits. Wie weit kann man filmen, wie nah? An welchen Ort kann man eine Kamera bringen? Aber Film ist kein Extremsport, ist es nicht vielmehr eine Reaktion?

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Eine Grenze existiert auch zwischen dem Betrachter und dem Film. Die Haut des filmischen Materials ist eine Form von überwundenem Rassismus. Eine Wunde in der Schicht der Berührungslosigkeit, die uns mit den Augen etwas berühren lässt, wovor wir normalerweise den Blick abwenden. Anthony Mann ist ein Filmemacher, in dessen Filmen Grenzen und Rassismus eine große Rolle einnehmen. Vielleicht ist es keine Rolle, sondern eine Grenze gegen die seine Filme anrennen. Es gibt einige Szenen, die darauf hindeuten. Was ist zwischen uns und dem Bild? Natürlich erstmal die Zeit, die unterschiedliche Zeit, die unterschiedliche Wahrnehmung von Zeit. Man muss sich in der Zeit ändern, um mit oder in einem Film Grenzen zu überwinden. Ein Blick auf die Uhr macht die Grenze zwischen Zuseher und Leinwand manifest. Sie muss aber flüssig werden, marginal. Es gibt die Temperatur des Kinosaals, das Licht dort, das eine Grenze markiert. Man darf nicht spüren, ob es war oder kalt ist, man darf auch keinen Körper haben, um diese Grenze zu überwinden. Doch ist es nicht das schönste Gefühl, wenn man sich im Schwebezustand zwischen zwei Welten weiß, wie wenn man im Traum weiß, dass man träumt und dennoch alles im Traum bei vollem Bewusstsein erleben kann? Wenn man seine Hand auf den eigenen Beinen spürt, während die Augen ein anderes Leben leben. Das Kino ermöglicht das gleichzeitige Sein eines Anderen und eines Ichs. Diese Gleichzeitigkeit ist ein Begehren und gleichzeitig die Überwindung der Grenzen. Das Kino ist wie der ständige Schritt über die eigene Schüchternheit hinweg hin zu einem ersten, verbotenen oder tödlichen Kuss.

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In einem Film wie Border Incident gibt es die Grenze nicht nur als thematische Idee (jene zwischen Mexiko und den USA wie in The Furies oder mit Amerikanern und Natives in The Tin Star; man kann bemerken, dass Fremdenfeindlichkeit bei Mann eine schreckliche Gegebenheit ist, die aus einer anderen Zeit stammt und sich in die Menschen eingeschrieben hat, sodass es kein Verbesserungspotenzial gibt, sondern nur den Zynismus und das Bestreben es selbst anders zu machen.) sondern auch als formale Idee. Denn natürlich gibt es zwei Möglichkeiten die Leinwand zu sehen: Als Grenze zwischen Auge und Bild oder als Schwelle beziehungsweise Haut. Anthony Mann verspürt eine enorme Frustration aufgrund der Unfähigkeit, mit der Kamera zu berühren. Seine Zärtlichkeit liegt in der Gewalt dieser Unfähigkeit und so lässt er immer wieder Figuren gegen oder bis Millimeter vor die Linse der Kamera rennen und fallen, um sie fast aus der Leinwand springen zu lassen. Manchmal erschüttert das Bild leicht, weil die Linse berührt wird. Seine Tiefenschärfe existiert für den Effekt einer Plötzlichkeit unmittelbar hinter oder vor der Haut des Films. Es ist als wollte Mann sagen, dass er nicht an diese Grenze glaube, aber wahrscheinlich ist es einfach so, dass er derart tatsächlich die Grenze selbst gefilmt hat. In The Tin Star, der mehr an Rahmungen als an Plötzlichkeit zu glauben scheint, wird die Grenze im Moment eines Schusses auf die rassistische Figur überwunden. Der Darsteller stolpert mit dem Rücken zur Kamera fast in diese hinein. Für eine Sekunde bleibt uns nur das Schwarz einer verstellten Sicht. Es ist eine ambivalente Sache wie fast alles bei Mann (man denke an die Figuren von James Stewart bei ihm, zum Beispiel in The Far Country ), denn für diese Überwindung brauchte es eine Bereitschaft zu Töten. Hier gibt es eine Verwandtschaft zur politischen Problematik eines Sicario von Dennis Villeneuve. Es ist aber auch eine Beobachtung des amerikanischen Zustandes, jenes Zustandes, der am besten Grenzen auflösen kann, aber auch am schlimmsten wieder errichten kann. Es ist als wollte Mann uns sagen, dass man immer neue Grenzen baut, wenn man alte überwindet. Sein Lösungsvorschlag ist der freundschaftliche Blick des Verstehens meist zwischen zwei Männern. Mehr gibt es nicht von Mann, vielleicht, ziemlich sicher ist es zu wenig, aber vielleicht ist es mehr als man erwarten kann.

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Wenn man nach der Grenze fragt, muss man vielleicht auch nach dem Boden fragen. Er ist die Haut der Erde. Der Staub verwischt die Sicht. Anthony Mann hat selbst die Grenzen des Bodens bearbeitet. In Border Incident werden mexikanische Arbeiter getötet und in eine Art Sumpf geworfen, der aus harten Brocken Erde besteht, die unter dem Gewicht der Körper nachgeben. Grenzen, die töten, die Körper nicht halten können. In The Furies ist es ein junges Kalb, das seinen Kopf gerade noch aus einem solchen Sumpf steckt. Auf der einen Seite die amerikanischen Landbesitzer, auf der anderen die Mexikaner, die auf diesem Land leben. Besitz ist keine Frage von Gerechtigkeit. Vielmehr ist es der traurige Ausdruck einer Lebensart, aus der Rassismus entsteht. Das bringt uns wieder zur Moral. Die filmischen Grenzen von Anthony Mann sind moralische Grenzen in Form und Inhalt. Seine Kamera ist eine Waffe, auf die geschossen wird, um zumindest für Augenblicke Grenzen verschwinden zu lassen.