Vienna Independent Shorts: Abschlussbericht

"Wind" von Robert Löbel

Cut. Es ist vorbei. Alle Preise sind vergeben, das VIS rollt seinen (imaginären) roten Teppich wieder ein. Eine viel zu kurze Woche, in der ich dem Festival viel zu wenig Zeit widmen konnte ist vorüber. Das formidable „Animation Avantgarde 2“, das wie schon der erste Teil dieses Wettbewerbs v.a. durch eklektische Filmauswahl im Gedächtnis bleibt; „Innocence Is Kinky“, den Musikvideo-Abend der „radical“-Schiene (dem Motto des diesjährigen Festivals); den Adam Yauch-Tribute „Homage to Homeboy”; und das mitternächtliche „très chic“-Trashfest; das Angebot an Programmen und gezeigten Filmen bietet Anlass zu Begeisterungsstürmen (kurz: ich werde nächstes Jahr wiederkommen).

"Water me - FKA Twigs" von Jesse Kanda

Water me – FKA Twigs von Jesse Kanda

Der Dienstagabend entwickelte sich für mich zu einem (unfreiwilligen) Musikvideo-Abend. „Innocence Is Kinky“ machte den Anfang – eine Stunde geballter Ladung von Musikvideos, die einen schon bald in einen tranceartigen Zustand versetzten. Negative Stimmen werden sich über die Vorführungsweise ohne Lichtpausen beschweren, der das elektronisch-musikalische Einerlei noch ununterscheidbarer macht. Sieht man das ganze positiver, wird man sich ob der Andersartigkeit des Programms (im Gegensatz zu herkömmlicheren Kurzfilmen) begeistern können. Im Nachhinein betrachtet, bin ich aber ganz froh über diese spezielle Seherfahrung, auch weil sich hier exemplarisch zeigen lässt wie die Grenzen zwischen Avantgardefilm und Musikvideo verschwimmen. Kaleidoskopisch wachsen diese verschiedenen Videos ineinander, überwuchern sich, steigern sich zu einem musikalischen Unisono, das nur in der Mitte durch Kristoffer Borglis Kurzdoku WHATEVEREST plötzlich Distanz schafft. Der Film fungiert einerseits als dramaturgischer Ankerpunkt inmitten des musikalischen Rauschs, auf einer Metaebene könnte man den Film auch als Message deuten. Immerhin geht es darin um einen jungen Musikliebhaber, der sich seine eigene Droge aus Supermarktzutaten zusammenbraut und danach feiert – sind Drogen die richtige Vorbereitung für „Innocence Is Kinky“? Bier hat auch ganz gut funktioniert.

Auf das recht wilde „Innocence Is Kinky“, das den Kriterien der Hochkultur nicht unbedingt entspricht, folgte das noch trashigere Adam Yauch-Programm (Trash ist wohl nötig um als hip wahrgenommen zu werden). Für alle die es nicht wissen: Adam Yauch war einer der „Beastie Boys“ (Für alle die noch weniger wissen: eine vor allem in den 80er Jahren sehr erfolgreiche Hip Hop/Rap-Gruppe) und verfolgte neben seiner Musikerkarriere auch eine Laufbahn als Filmemacher. Neben einigen Musikvideos für die „Beastie Boys“ machte er auch einige eigenständige Kurzfilme. Quasi als Antithese zu den Musikerkarrieren von Woody Allen und Kevin Costner zeigt sich hier, dass ein etablierter Name allein oft reicht um als Künstler wahrgenommen zu werden – relativ unabhängig von der tatsächlichen Qualität der Werke. Alles in allem, sind diese Filme zwar bewusst low-fi und trashig angelegt, können aber bei aller Selbstironie nicht über eine gewisse Dilettanz hinwegtäuschen. Ich denke nicht, dass Yauch ein sehr begabter Regisseur war – wenngleich ich seinen Humor schätze. Highlights: das starbeladene Fight For Your Right – Revisited, für das Yauch ganz einfach seine Schauspielerfreunde (von Seth Rogen bis Elijah Wood) schaulaufen ließ und das innovativ animierte Musikvideo zum „Beastie Boys“-Song „Shadrach“.

Toto von Zbigniew Czapla

Toto von Zbigniew Czapla

Am Tag davor wurde das zweite der drei „Animation Avantgarde“ Programme im Künstlerhaus gezeigt, das wieder mit einigen Leckerbissen aufwartete. Am meisten an der filmischen Avantgarde interessieren mich jene Werke, die die Grenzen der menschlichen Wahrnehmung austesten bzw. das Verhältnis von analog und digital thematisieren. In dieser Hinsicht lieferte der Kubelka-Schüler Thorsten Fleisch mit Picture Particles ein All-in-One-Package ab. Zuerst eine wilde Collage aus einzelnen Filmkadern und zerschnittenen Teilen, fast Flickerfilm, entwickelt sich der Film langsam zu einem digitalen Kaleidoskop. Der Übergang, den man bewusst kaum wahrnimmt, und der erst im Nachhinein klar wird, überfordert die Wahrnehmung, und Filme die überfordern sind bekanntlich die besten. Konzeptuell, visuell beeindruckend und genial zugleich war Dirk Koys The Time Tunnel. Ein Film der etwas anderen Art – eine Kamera am/im Autoreifen montiert kreiert einen einzigartigen kinematischen Tunnelblick. Die Welt dreht sich im Loop und das Endresultat verleitet einen zu glauben, der Film sei im Computerprogramm entstanden. Das ist nur zum Teil richtig, denn einzelne Passagen des Films sind tatsächlich stark bearbeitet und zur Abstraktion umgekehrt. Im Kern ist der Film jedoch ein Konzeptfilm, der jede Gehirnzelle auslastet – eine visuelle Achterbahnfahrt im besten Sinne.

Vor allem die Filme im Mittelteil des Programms haben besondere Würdigung verdient. Neben The Time Tunnel und Picture Particles zählt dazu auch Darkroom von Billy Roisz, den ich schon auf der Diagonale gesehen habe. Beim zweiten Mal wirkte der Film noch viel besser. Eine Erforschung unsichtbarer Räume („unsichtbar“ im buchstäblichen Sinn, wurde der Film doch zum Teil im „Unsichtbaren Kino“ des Filmmuseums gedreht) mittels Ton und Licht – eine installationsartige Interpretation des Phänomens Film. Dicht, ebenfalls überforernd – ein großes Werk.

Groß auch die Lacher für Luiz Stocklers Montenegro. Eine Kurzanimation übers Leben und Altern mit betont humoristischer Note in minimalistischen wenn auch charmantem Stil. Darauf folgte im Programm mit Toto der ernsthafteste und bedrückendste Film des Abends (und vielleicht sogar des gesamten Festivals). Der 12-minütige Kurzfilm des polnischen Regisseurs Zbigniew Czapla thematisiert Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche in unruhigen expressiven Bildern im Acryl/Öl-Look. Schatten bzw. Dunkelheit und die Czaplas düstere Farbpalette erzählt dabei zu gleichen Teilen die Geschichte. Selten haben der Animationsstil eines Films und seine Narration so perfekt zueinandergepasst. Narration ist dabei vielleicht sogar zu hoch gegriffen, Toto passiert in erster Linie im Kopf des Zusehers – was sich auf der Leinwand abspielt ist nur ein vages Angebot an Gefühlseindrücken und Bildfetzen. Es gibt keine Dialoge, die Charaktere und Orte haben keinen Namen. Das macht die Geschichte einerseits universal, andererseits ergibt sich daraus ein Gefühl der Unbestimmtheit, dass den Film paradoxerweise umso persönlicher wirken lässt. Dieser persönliche Eindrück wird noch verstärkt durch die häufigen Großaufnahmen von Gesichtern und den privaten Einblicken, die der Film bietet.

"The Auteurs of Christmas" von Adrian Thiessen

The Auteurs of Christmas von Adrian Thiessen

Mein persönlicher (verfrühter) Festivalabschluss schließlich das Mitternachtsprogramm am Mittwoch. Passend als „Nacht des absurden Humors“ betitelt hat es gehalten was es versprochen hatte (It had me at Don Hertzfeldt). Vielleicht etwas zu betont berufsjugendlich, aber es hat immerhin zu später Stunde noch einmal den Saal des Stadtkinos gefüllt. Der Filmmix war abermals eklektisch. Eine Handvoll Videos, die ihren Ursprung auf Youtube haben (The Auteurs of Christmas bzw. zwei Videos von Kurt Razelli), Klassiker wie Staplerfahrer Klaus, Animation in unterschiedlichen Obszönitätsgraden, aber auch verstörend-amüsante Realfilme. Prädikat: unterhaltsam.