No Mice in Autumn: Hard to be a God von Aleksey German

Germn Hard to be a God

Während der letztjährigen Viennale äußerte Rainer Kienböck auf unserem Blog sein Missfallen über Hard to be a God von Aleksey German. Seine Schwierigkeit mit dem Film liegt im Fehlen „einer Vision, die dem Film Zusammenhalt gibt.“. Für ihn verlief sich die ästhetische Brillanz von German im Nichts. „Die potentielle ästhetische Sprengkraft einer manieristischen Visualität verläuft sich (…)“. „Die Länge des Films scheint einfach daher zu rühren, dass nie eine Entscheidung für oder gegen irgendetwas getroffen wurde.“. Das führt bei Herrn Kienböck schließlich zum polemischen Schlussfazit: „Im Kern, ist es die Aufgabe eines Künstlers eine Auswahl zu treffen (und wenn es nur die Wahl ist verschiedene Lesarten vorzuschlagen), wenn er das nicht tut, macht er sich selbst obsolet.“

Mal abgesehen davon, dass der sich selbst auflösende Künstler, die verschwundene Handschrift spätestens seit den 1960er Jahren durchaus Konjunktur hat und man ihr meiner Meinung nach nicht im Stil einer altmodischen Kunstdefinition ihren Wert abstreiten sollte, würde ich nach meiner Sichtung des Films auch bezüglich der anderen Aspekte von Herrn Kienböck einen gewissen Widerspruch erheben. Natürlich trifft German eine Auswahl und mehr als deutlich steckt hinter dem Unterfangen Hard to be a God eine künstlerische Vision. Zudem könnte man selbstverständlich keinen Film drehen, ohne eine Auswahl zu treffen. Germans Vision ist enigmatisch, sie ist kraftvoll und kompromisslos.

Hard to be a God

Nun möchte ich weniger auf die Hintergründe des Films eingehen, denn das wurde schon mehr als deutlich gemacht (zum Beispiel hier ), sondern mich mehr mit den filmischen Strategien und Stimmungen von German beschäftigen. Dabei versuche ich nicht zu sehr in allgemeine Definitionen zu geraten, möchte aber vorrausstellen, dass ich die Lesbarkeit eines Films prinzipiell nicht als Qualitätsmerkmal erachte. Das durchaus fundierte Klagen von Herrn Kienböck über die fehlende Verständlichkeit ist nachvollziehbar, hat aber letztlich nichts mit dem Film zu tun. Denn German schert sich offensichtlich nicht um diese Kategorien und so scheint sich im zwanghaften Versuch einer Sinnsuche hier einfach der falsche Betrachter zum falschen Film gefunden zu haben. Zumal man durchaus einen Sinn finden kann, wenn man sich weiter mit dem Film auseinandersetzt als das ein Festival oft zulässt oder wenn man genauer hinsieht. Die immer wieder hörbaren Forderungen von Filmzusehern nach dem „Erzähle mir etwas!!!“, sind Teil eines traurigen Verständnis von Film als Dienstleistung (bei Herrn Kienböck ist mir bewusst, dass seine Bedenken einen anderen Ursprung haben, sie hängen aber durchaus zusammen damit) . Dieses Verständnis wird dann mit einigen mehr oder weniger geschickten rhetorischen Kniffen zu einem Abschreiben der Kunsthaftigkeit eines Werks benutzt, die gar nicht so unähnlich einer politischen Zensur funktioniert. Es ist absolut in Ordnung, dass man sich bei Hard to be a God langweilt, dass man nichts damit anfangen kann und keine größere Idee bemerkt. Aber ist das ein Problem des Films?

German wirft einen in die mittelalterliche Parallelwelt eines Planeten voller Schlamm und Gedärme. Von Anfang an wirkt das Mise-en-Scène Gewusel wie ein bewegtes Bild von Hieronymus Bosch. Alleine diese bildliche Gewalt ist zwingend virtuos und unfassbar, in der Länge ihrer Betrachtung entfaltet sich ein anderes Weltbild vor den Augen, man verfällt in eine Trance des Drecks, man spürt die titelgebende Last auf der Hauptfigur Don Rumata, man bemerkt den Schlamm, der einen nach unten zieht, die Gleichgültigkeit gegenüber der keuchenden Fratzen dieses fremden Planeten, die uns zu Beginn noch so bizarr vorkommen und irgendwann nur noch erschlaffen mit ihren grandios komponierten Lauten und Tönen. Dabei hängen und ragen ständig Gegenstände direkt vor der Linse durchs Bild, Dinge werden getragen, irgendwo gibt es eine Lichtexplosion, wir verharren kurz auf einem dreckigen Hinterkopf und bewegen uns dann weiter wie eine Made in einem Mülleimer. Es ist als würde man sich durch die Gedärme der Welt bewegen. Die Darstellung dieser Welt ist der Kern dieser künstlerischen Vision, die Film bedingungslos jenseits seiner narrativen Möglichkeiten versteht. Das herausragende an dieser Art der Inszenierung ist etwas, was ich als visuellen Schock bezeichnen würde. Denn immer wieder blockieren scheinbar zufällig ins Bild gestolperte Figuren, Tiere oder Gegenstände den Blick bis dieser fast spielerisch freigegeben wird und man Rumata wieder folgen kann. In gewisser Hinsicht hat mich das Setting an Leviathan von Lucien Castaing-Taylor und Véréna Paravel erinnert. Dort befindet man sich (übrigens auch ziemlich frei von einem klassischen Auswahlverfahren des Künstlers) auf einem riesigen Fischerboot inmitten der blutigen Überreste gefangener Fische, Fäkalien und dem Gestank des Meeres. In beiden Filmen wird ein subjektives Erleben von inneren und äußeren Welten ermöglicht, das tatsächlich soweit geht, dass man glaubt, die Bilder zu riechen. In diesem Sinn sind die kinematographischen Leistungen von German durchaus mit den literarischen Großartigkeiten eines Patrick Süskind vergleichbar. Ständig riechen die Figuren an ihren eigenen Händen und davon geht fast eine penetrante Komik aus, würde sie nicht immer wieder von Gewalt und Ekel verdrängt werden.

Hard to be a God3

Hard to be a God folgt einem beständigen Rhythmus der Erschöpfung im Stil eines Stimmungsbilds. Zwischen den ruhigen Szenen am Anfang und am Ende herrscht fast durchgehend Krieg. Der Film versetzt einen in einen Zustand der erhöhten Alarmbereitschaft. Die außergewöhnlichen Gesichter sind von einer manischen Erschöpfung zerfressen. Immer wieder müssen sie die Figuren hinsetzen, geduckt laufen oder mit letzter Kraft eine Tat vollbringen. Sie husten, spucken und bluten. Noch während der Titelsequenz setzt sich ein Mann in den Schlamm und bekommt einen Anfall. Mit schmerzverzerrten Gesicht und röchelnd steht er wieder auf und bückt sich äußerst schwerfällig, um etwas Schlamm aufzuheben (während des Films dachte ich über die Heilwirkung von Schlamm nach, das Gefühl von Schlamm auf der Haut, das Gefühl, wenn man als Kind gebadet wird,…). Er kämpft sich, die Hände voller Schlamm, durch die Nebelschwaden zurück und setzt sich wieder in den Schlamm. Wild atmend sitzt er dort. Ein anderen Mann kommt, er klingt ein wenig wie eine Ente, und er versucht scheinbar etwas vom Schlamm in der Hand des Mannes zu essen? Daraufhin kommt ein anderer Mann, der die „Ente“ an der Nase packt (ständig werden Figuren an der Nase gepackt, als würde German mich zwingen an das Riechen zu denken; einmal wird eine Nase derart gebrochen. Vielleicht, denke ich mir, geht es um unsere fehlenden Möglichkeiten nicht wahrzunehmen, die fehlende Möglichkeit die Augen zu schließen, nichts zu hören und zu riechen, damit wir dieser Überfüllung entgehen können). Schließlich blickt der Mann im Schlamm nach oben, die Kamera folgt seinem Blick mit einem Schwenk, der Regen prasselt unaufhaltsam nieder. Hard to be a God ist ein absurder Film. Unzusammenhängende Dialoge entbehren keineswegs einer gewissen Komik, die eben auch von den bizarren und deformierten Gestalten, Lauten und den irren Tempowendungen ausgeht. „Es ist Herbst, es gibt keine Mäuse“, wird da gesagt, Sätze werden nicht fertiggesprochen, sie kommen und gehen ins Nichts. Es ist als würde es keine Kommunikation geben auf diesem Planeten ohne Kultur.

Das Stimmungsbild wird von Symbolen und Lichtern heimgesucht. Eulen, die auch das Werk von Bosch prägen, fliegen durch das Bild und tote Fische baden in Milch. Es ist eine vulgäre Poesie, die keinerlei Eindeutigkeit aufweist, aber von Verderben und Fruchtbarkeit erzählt, vom blühenden Leben im Dreck und von der Existenz der Verwesung zwischen den Lebenden. Folgerichtig spricht Rumata auch mit einigen Erhängten als wären sie noch am Leben. Gegen Ende füttert ein Kind einen Toten mit Resten aus dem After eines anderen Toten. Fast gegenläufig schwitzt eine wundersame Kamera durch diese Welt. Zum einen sind die Sets bis zum letzten Detail mit einer Liebe für Szenenbild und Licht ausgestattet, an der man sich kaum sattsehen kann und die man wohl nie auf einmal erfassen kann, zum anderen spielt die Kamera ganz wie in Andrzej Żuławskis On the Silver Globe (meine Besprechung), der sowieso einige Parallelen aufweist, auch eine aktive Rolle im Geschehen. Die Figuren brechen immer wieder die 4. Wand, sie schauen uns an und sprechen mit uns. Wenn Rumata ein Forschender ist, ein Mann auf der Suche in diesem Dreck, dann sind es wir auch, die Kamera scheint eine Figur zu sein, die auch durch den Schlamm muss und dasselbe gilt somit für den Zuseher. Allerdings wird diese Rolle der Kamera im Gegensatz zu Herrn Żuławskis Irrsinn nie erklärt oder angedeutet. Ihre Anwesenheit erinnert aber durchaus an Strategien des Direct Cinema und dadurch gelingt es German auch, diese Gegenwärtigkeit und Zufälligkeit zu einem Prinzip zu erheben.

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Manchmal nimmt sie jedoch eine Pause und verharrt in scheinbar, aber nur scheinbar klassischen Einstellungen. So sehen wir aus einer Totalen einige Figuren über einen kleinen Seiltransport einen Fluss queren. (noch weit im Bildhintergrund sind lodernde Flammen zu erkennen.) Wir hören Hunde bellen und erkennen einen Mann am unteren Bildrand. Die Kamera fährt auf einem Kran nach unten, es blubbert und grunzt schon wieder, wir nähern uns erneut dem Dreck. Ein ausgemergelter Mann mit Schnauzbart und Helm blickt in die Kamera. Wir folgen ihm (nach wie vor ohne Schnitt) ein paar Schritte und greifen die Bewegung einiger Kinder auf, die uns stumm gestikulierend ihren nackten Hintern zeigen. Plötzlich drückt sich ein toter Hahn in den Bildvordergrund. Ein Mann mit Rüstung zeigt ihn uns, als wollte er ihn verkaufen. (Häufiger im Film habe ich mich gefragt, ob die Figuren in der Kamera eine Rettung aus ihrem Leiden sehen.) Wir folgen dem Mann ein paar Schritte, im Hintergrund liegen Gegenstände, die auch tote Tiere sein könnten und Mondlicht schimmert auf dem Fluss. Jemand fragt: „Kannst du sehen?“ ; der Junge rennt mit nackten Hintern das Bild und wir fahren an einem großen Gegenstand vorbei (hier womöglich ein unsichtbarer Schnitt). Vorbei an einer Gruppe von Menschen, einer schreit uns an und wirft einen Gegenstand auf einen anderen Menschen, einer der Männer verharrt in einer merkwürdigen Pose, als würde sein Kopf gleich platzen. Auf einem Karren liegen Gedärme, im Hintergrund läuft immer noch der Mann mit dem toten Hahn, wir fahren weiter parallel und treffen auf einen anderen Mann an einem Lagerfeuer. Er scheint uns etwas sagen zu wollen, er winkt uns zu sich, er kommt näher und flüstert etwas Unverständliches. Dann muss er husten, wir fahren wieder nach oben, überall sind Pfützen, es gibt eine Art Holzfestung. Ein Pferd trampelt in den Pfützen und wiehert dabei. Da kommt wieder der tote Hahn ins Bild. Die Kamera neigt sich nun (wie oft) ganz bewusst zum Boden, sie sucht den Dreck, versucht im Schlamm zu wühlen. Sind wir Gott? Ein Helm rutscht in den Vordergrund, im Hintergrund einige Gestalten und immer noch der Mann mit dem Hahn. Ihm folgen wir. Die Szene erinnert in mancher Hinsicht Pedro Costas unglaublichen Tracking Shot in Ossos, denn man folgt gleichzeitig einer Figur und deren Geheimnis und bekommt etwas über die sozialen Gegebenheiten des Ortes erzählt. Eine Gruppe von Soldaten tanzt und singt eng umschlungen an einer Essensausgabe. Dann finden wir Rumata. Er steigt von einem Pferd und wir sind uns nicht mehr sicher, ob wir gerade einem subjektiven POV-Shot aus seiner Sicht erlebt haben oder ob er ebenfalls nur zufällig dort war. In diesem Sinn dynamisiert German den Raum und fordert uns auf zu blicken und unser Blicken zu reflektieren.

In dieser filmisch konstruierten Subjektivität liegt für mich die Erfahrung von Hard to be a God, die sich eben jenseits jeglicher Kausalität abspielen muss, damit sie fühlbar wird. Man wird selbst gezwungen Stellung zu beziehen zu moralischen Fragen. Vor einigen Jahren erschien das Videospiel God of War und die damals schon schwierige Fantasie des Gottseins wird bei German noch deutlich moralischer. Denn wie soll man im Morast noch ethischen Grundsätzen folgen, wie soll man sich unterscheiden in seinen Taten? Will man das überhaupt? Oder will man sich einfach der Gewalt hingeben? Will man sich einfach hinlegen? Der Film antwortet auf diese Fragen zum einen mit einer alttestamentlichen Verwüstung, einer Stille und Leere und einer Müdigkeit, die allerdings nicht in ein totales Ende sondern in einem Fortgang der Geschichte mündet. In all diesen Vorgehensweisen sehe ich ein formales und inhaltliches Auswahlverfahren eines Filmemachers und insbesondere eine Vision, die aus der literarischen Vorlage der Strugatsky-Brüder vor allem den Dreck und unser Vertiefen darin gefiltert hat. Aus diesem Matsch, Ekel und Sterben entsteht dann – die Historie zeigt das – Geschichte. Und das empfinde ich – trotz dem grausamen Wesen der Menschheitsgeschichte – als künstlerisch sinnvoll und zusammenhängend (selbst wenn das keine Rolle spielt).

Viennale 2014: Expanded 16 eingesperrt im Kino

Die Viennale wagt schon was. Da findet man sich plötzlich an einem dieser eiskalten Abende in Wien im neu gestalteten Metrokino und schaut sich ausgerechnet dort ein Programm zum Expanded Cinema im Rahmen der 16mm-Schau des Festivals an. Das ist insbesondere deshalb bemerkenswert, weil das Expanded Cinema, das in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts einen Hochpunkt erreichte, bekanntermaßen die gewöhnliche Raum- und Zeiterfahrungen des Kinobesuchs aushebelt und daher eigentlich nicht wirklich für den klassischen Kinosaal geeignet scheint. Die Tatsache, dass die Viennale sich dann auch noch für das Metrokino mit seinem Guckkasten-Aufbau aus Zeiten des bürgerlichen Theaters für die Doppel- und Dreifachprojektionen in 16 Milimeter entschieden hat, kann nur mehr als Statement gedeutet werden. Aber was ist das Statement?

Vier Filme waren im Programm zu sehen: Das scheinbar zufällige und doch komponierte Farbenspiel Retour d’un Repère von Rose Lowder aus dem Jahr 1979 machte den Anfang. Hierbei wurde in einer subtilen Überlagerung eine Veränderung der filmischen Information in Form eines hypnotischen Gedichts zelebriert. Ein technisches und doch gefühlvolles Experiment. Im Anschluss daran wurde einer weiteren Doppelprojektion auf die Leinwand geworfen, die sich diesmal nicht als Überlagerung sondern als Splitscreen offenbarte. Third Eye Butterfly von Storm de Hirsch zeigt wie ein explosives Imaginarium aus dem Einsatz einer leinwandsprengenden Ästhetik entstehen kann. Das Metrokino, das nach dem eher sinnlich-entleerenden Auftakt nach einem langen Festivaltag drohte einzudösen und das revolutionäre Potenzial dieser Form des Kinos in seinem Bauprinzip verschluckte, wurde belebt. Denn de Hirsch zeigt in seinem Film aus dem Jahr 1968, dass sich Expanded Cinema nicht nur auf die Form beziehen muss sondern auch auf die Wahrnehmung. So entstehen in diesem Film tatsächlich dritte Bilder zwischen den beiden sichtbaren Bildern und man wird mehr oder weniger Zeuge einer Geburt des Lichts. Formen und Farben der nebeneinander aufscheinenden Bilder vereinen sich zu einem Gesamtbild und Rhythmus. Im darauffolgenden Film sollte diese Geburt oder gar sexuelle Erzeugung von Bildern jedoch in eine Aggression verwandelt werden: Razor Blades von Paul Sharits aus dem gleichen Jahr ist ein Blitzlichtgewitter, das es auf völlig andere Art schaffte, das Metrokino zu bombardieren und so langsam wurde mir klar, warum man dieses Programm an diesen Ort brachte.

Third Eye Butterfly

Sharits Film war der mit Abstand komplexeste im Programm, ein Meilenstein dieser Form des Kinos. Wie häufig beim amerikanischen Künstler ist der Film eine Mischung aus Zerstörung und Erleuchtung. Die rasenden Bilderfetzen zersetzen die Wahrnehmung und abwechselnd fühlt man sich heimisch wohl in den kühlen Polstern des Kinos und furchtbar unwohl, ob ders Flicker-Drucks zwischen Wortspielen, aufscheinenden Gesichtern, Rauschen und männlichen Geschlechtsteilen. Dieser Film scheint mir trotz allem sogar wie gemacht zu sein, in einem Kino zu laufen, weil man nur dort nicht flüchten kann und will. Eine mysteriöse Hypnose setzte ein und wurde mit dem letzten Film im Programm, der japanischen Rock’n Roll Ballade in Dreifachprojektion Tsuburekakatta Migime No Tame Ni (For The Damaged Right Eye) von Matsumoto Toshio zugleich bestätigt als auch von dem Druck im Kinosaal befreit.

Unmittelbar bevor es losging, waren über ein Funkgerät die angespannten Ansagen der Projektionisten zu hören und auch wenn der Kinosaal nicht verlassen wurde, hatte er sich doch verändert. Ein Blick in die müden Augen der meisten Besucher zeigte jedoch, dass man eine solche Schau leider kaum mit der Aufregung einer Kino-Gegenwart betrachtet sondern immer mit dem intellektuellen Gehabe einer historischen Distanz an die Werke herangeht. Matsumoto Toshio verband gewissermaßen die formalen Strategien der drei vorangegangenen Filme, da er zugleich eine Bildteilung als auch eine Überlagerung einsetzt und damit ein rauschendes Gefühl für eine Zeit entstehen lässt und einem insbesondere im klassischen Kino die Möglichkeiten des Kinos aufzeigt.

Der Programmierung unterlagen also durchaus sinnvolle Gedanken, weil sich gerade im Konflikt der Spielstätte mit den Filmen eine neue Ebene aufmachte. Es ist seit jeher Politik des Festivals Kino in seiner Gesamtheit zu denken und insbesondere mit der Geschichte des Österreichischen Kinos ist das Zeigen solcher Programme absolut wünschenswert und gehörte auch in diesem Jahr für mich zu den spannendsten Festivalerlebnissen. Vielleicht konnte die entsprechende Stimmung an diesem eher toten Ort nicht wirklich entstehen, aber das ist eine Frage des Blickwinkels. Das Sichtbarmachen experimentellerer Formen und das Zeigen dieser im gleichen Kontext wie narrative oder dokumentarische Werke wurden jedenfalls von der Präsentation all dieser Formen am gleichen Ort in seiner Relevanz erhöht. Es ist wichtig, dass weiterhin auf das Nicht-Existieren von Grenzen des Kinos hingewiesen wird und in diesem Sinn ist die Viennale tatsächlich ein Keeper of the Flame.

Die Frage bleibt, ob das Expanded Cinema an einem derartigen Ort eher wie ein Tiger im Käfig war oder ob wir uns nur so selbst in den unberechenbaren und wundervollen Urwald des Kinos mit all seinen Tigern getraut haben…

Al doilea joc von Corneliu Porumboiu

Wenn einer der besten Filme des Kinojahres ohne Kameramann und Drehbuchautor entsteht, dann sollte man darüber nachdenken. In Corneliu Porumboius Al doilea joc sehen wir ein Fußballspiel zwischen Steaua Bukarest und Dinamo Bukarest. Es ist dies die Aufnahme einer alten VHS-Kassette aus dem Jahr 1988, die Bildqualität zergeht in den Informationen einer ausgeleierten Optik, aber man erkennt eine ungeahnte Schönheit im beständigen und unwirklichen Schneetreiben der rumänischen Hauptstadt. Zu hören ist-und hier kommt tatsächlich die Arbeit eines Cutters mit ins Spiel-ein die Bilder kommentierender Dialog zwischen Corneliu Porumboiu und seinem Vater Adrian, der die Partie vor 26 Jahren als Schiedsrichter leitete. Dieser Dialog, so gestand der Regisseur, wurde aus mehreren Takes zusammengeflickt. Außer dem Einlaufen der Spieler und einem tatsächlich mit hinzugefügter Musik unterlegten Ende des Spiels hat der Film also tatsächlich exakt die Länge eines Fußballspiels: 90 Minuten +/- Nachspielzeit.

Zwar sind und waren Paarungen zwischen Steaua und Dinamo immer von besonderem Charakter, zumal in der Ära von Ceaușescu somit das Team der Armee gegen jenes der Geheimpolizei antrat, aber ansonsten ist diese Partie wohl abgesehen vom heftigen Schneetreiben keinem Fußballfan in Rumänien in besonderer Erinnerung, ein normales Spiel, ein alltägliches Spiel aus einer großen Zeit des rumänischen Fußballs (Sport wurde besonders und mit allen Mitteln gefördert, weil er ein bestimmtes Bild des Kommunismus vermittelte, damit ist eines der zahlreichen Themen, über die Vater und Sohn hier sprechen auch ganz automatisch der Verfall des rumänischen Fußballs). Schon zu Beginn stellt sich natürlich die Frage, inwiefern ein solches Unterfangen überhaupt von einer filmischen Qualität sein kann, denn schließlich stehen weder Technik noch Inhalt für das Kino. Aber in der Kombination von Bild und Ton und vor allem ihrem Auseinander- und Zueinanderdriften entwickelt sich eine Ebene, die man schlichtweg als großes Kino bezeichnen kann. Hinzu kommt, dass Herr Porumboiu wie bereits in seinem grandiosen Debut A fost sau n-a fost? die zeitliche Geschlossenheit einer TV-Übertragung als rhythmisch-dramatisches Element für seinen Film benutzt. Und wie in seinem vorletzten Film Când se lasa seara peste Bucuresti sau metabolism legt er gleichzeitig einen selbstreflexiven Spiegel auf sein eigenes Schaffen und jenes des Mediums, das er dafür benutzt. Der Schnee, der mit den zum Teil absurden Zensurschnitten des staatlichen Fernsehens, die bei körperlichen Auseinandersetzungen auf dem Spielfeld auf die starren vereisten Zuseher schneiden, eine betonendes Element bekommt, gibt dem Spiel eine ästhetische Qualität, die man so nicht erwartet hätte. Ein VHS-Baum ist mehrfach im Bild, im Hintergrund stehen kaltgefrorene Polizisten und das weiße Rauschen legt sich über das Spiel wie die Zeit selbst, ein sinnlicher, spürbarer Genuss, der auch die Bewegungen von Ball und Spielern in einer Art entfremdet, die man im professionellen Fußball selten sieht.

Porumboiu Steaua Bukarest

Vielleicht ist es aber sowieso der Fußball selbst, der einiges an künstlerischem Potenzial aufweist, was meist unter dem Zirkusspektakel und Gejohle von Fans begraben wird. Herr Porumboiu besitzt den sensiblen Filter, der auf jene ästhetischen und philosophischen Aspekte des Spiels eingeht. Damit steht er sicherlich nicht alleine. So hat die Cahiers du Cinéma im Sommer anlässlich der Fußballweltmeisterschaften die unterschiedlichen Regisseure der TV-Übertragungen nach auteuristischen Merkmalen untersucht und die jeweiligen Übertragungen nach formalen Gesichtspunkten wie der Länge von Einstellungen und der Häufigkeit von Zwischenschnitten untersucht. Ich habe mich darin versucht, den Freeze-Frame zwischen Fußball und Kino zu betrachten. Auch erinnerte mich Al doilea joc an eine legendäre TV-Übertragung einer Partie zwischen Bayern München und Borussia Dortmund im Pay-TV (damals noch: Premiere). Man konnte bei diesem Spiel zwischen zwei unterschiedlichen Tonspuren wählen. Auf einer kommentierte Marcel Reif das Geschehen und auf der anderen das Duo Michael Bully Herbig und Stefan Raab. In der ersten Hälfte kommentierten die beiden Komiker noch das Geschehen, sie rissen ihre Witze und hatten einen großen Spaß bei einem ziemlich unvergesslichen Spiel. In der Halbzeit entschieden sie sich dann, eine Pizza zu bestellen und verweigerten zu großen Teilen der zweiten Hälfte jeglichen Kommentar des durchaus dramatischen Geschehens. Auch das war gewissermaßen Kino. Wie bei Herrn Porumboiu entfaltete sich eine Dynamik, die auch jenseits des Spiels hätte stattfinden können, aber nur mit den Augen auf dieses Spiel so stattgefunden hat. Zwar ist in Al doilea joc der Kommentar des tatsächlich sichtbaren Bilds deutlich relevanter, aber die von merkwürdigen Schweigepassagen und zärtlichem Humor bestimmte Vater-Sohn Beziehung, die hier im Rahmen des Spiels entsteht, gibt zu denken. Zum einen, weil man hier einen Sohn hat, der seinen Beruf ausübt und sich während seiner Tätigkeit mit dem Beruf seines Vaters auseinandersetzt. Dadurch werden Parallelen zwischen beiden Berufen offengelegt und Denkweisen verglichen. Hier wäre die ausgiebige Diskussion der Vorteilsregel nennenswert, die Adrian bis zur Schmerzgrenze sehr konsequent anwendete. Es ging ihm dabei um den Fluss des Spiels, das Weitergehen, also wie die Zeit, wie das Kino. Statt einer Unterbrechung der Welt geht die Zeit weiter. Die Dinge verändern sich, aber sie laufen weiter. Inwiefern sich also die Aufgaben eines Regisseurs und eines Schiedsrichters ähneln,, ist eine der Fragen des Films. Wenn man Zeit-und so macht man das vernünftigerweise-als einen Motor des Kinos betrachtet, ist klar, dass die Bedeutung ihres Kontinuums eine große Rolle spielen muss und gerade im zeitgenössischen rumänischen Kino und im Schaffen von Porumboiu spielt die Idee einer zeitlichen Geschlossenheit und Kontinuität eine herausragende Rolle.

Zum anderen ist das private Gespräch abseits jeglicher Kameras von einer Natürlichkeit und Alltäglichkeit geprägt, die tatsächlich in das Leben zwischen diesen beiden Menschen blicken kann. Der Blick auf ein drittes Bild, das in Relation zu diesen beiden Menschen steht, ist dabei von entscheidender Bedeutung, denn das Fußballspiel ist Grund für den Film und Vergangenheit des Vaters zugleich. Neben den unterschiedlichen Welten und Perspektiven treffen hier also auch unterschiedliche Zeiten von Vater und Sohn aufeinander. Natürlich ist man versucht sofort die politische Karte zu spielen, sicherlich wählt Porumboiu auch nicht nur wegen des Schneefalls ein Spiel aus dem Jahr 1988 aus. Aber seine Angst als Kind, von der er einmal spricht und die professionelle Nüchternheit seines Vaters gegenüber dieser Vergangenheit bewegen sich auf einer Rasierklinge des Unaussprechbaren (der Vater erzählt wie es lief und was er tat, Emotionen scheinen damit nicht verbunden zu sein.). Damit ist Al doilea joc ein zutiefst trauriger Film. Er erzählt davon, wie schwer es ist, mit unseren Söhnen und unseren Vätern zu kommunizieren. In Juventude em marcha von Pedro Costa gibt es diese Szene zwischen Vanda und Ventura, in der die beiden minutenlang nebeneinander auf einem Bett sitzen und liegen und in einen Fernsehschirm Off-Screen blicken. Ihre Kommunikation reduziert sich auf die Bilder. Herr Porumboiu dreht dieses Bild um, er zeigt uns nur den Fernsehbildschirm, aber die Kommunikation ist dieselbe. Selbstverständlich wirkt dies zunächst anders, da der Regisseur mit einigen konkreten Fragen versucht, seinen Vater aus der Reserve zu locken. Aber gerade in der zweiten Halbzeit werden die Passagen des Schweigens länger und eine triste Leere legt sich über die Gegenwärtigkeit des Spiels. Hier reduziert sich der Dialog oft auf kurze Bemerkungen zum Spiel, kritische Seitenhiebe bezüglich einer Schiedsrichterentscheidung und einer gewissen Bewunderung der Geschwindigkeit des Spiels. Damit ist es das dritte Bild einer verzehrten und irgendwie unterschiedlichen Vergangenheit das Vater und Sohn hier fast gewaltvoll, in Form eines Films zusammenbringt.

Al doilea joc

Al doilea joc ist auch ein Film über die Möglichkeit eines Films. Vor dem Gespräch besteht einzig das Potenzial eines Films, der erst im Gespräch zur Realität werden kann. Damit macht Herr Porumboiu die Zeit schon in der Herstellung seines Films zu einem Hauptcharakter. Gerade in einer Zeit, in der Originalität und Individualität als unhaltbar hohe Werte im Filmschaffen hochgehalten werden, zeigt Herr Porumboiu bereits zum vermehrten Mal, dass die Absurdität des Alltags das ganze Kino umarmen kann. Er geht nur insofern einen Schritt weiter, indem er beweist, dass er dafür keine Kamera braucht. Ein Found Footage-Beckett sozusagen. Wenn Herr Porumboiu an einer Stelle das laufende Spiel mit einem seiner Filme vergleicht, weil da genauso wenig passiert, dann sieht man ihn fast schelmisch grinsend hinter dem Mikrofon. Dieser hors champs der Stimmen, die wir da hören, ist auch deshalb so bemerkenswert, weil wir das jüngere Abbild eines Mannes sehen während wir von seiner Gegenwart nur noch eine Stimme haben, als Echo einer verdrängten Vergangenheit, die politisch oder persönlich oder beides sein kann. Welches Bild setzt sich in einem Kopf fest? Der Fußball ist deshalb so ein geeignetes Ereignis für diese Fragen, weil er zugleich ein flüchtiger Sport ist, in dem die Helden von heute in einer Woche vielleicht nur noch Ersatzspieler sind und er trotzdem so unheimlich auf Legendenbildung und Historizität baut. Dies wird auch an einer Stelle im Film thematisiert. Das Bild dieses Mannes sehen wir, aber nur das vergangene Bild. Dieses Bild wird aber wieder gegenwärtig im Film, damit belebt der Sohn die Vergangenheit des Vaters und wir erleben den Prozess dieser Wiederbelebung. In diesem Sinn ist Al doilea joc ein schöner, zärtlicher Film.

Anmerkungen: Vor längerer Zeit habe ich einen kurzen Text zum Schaffen von Porumboiu verfasst. Hier der Link