Viennale 2014: Weimar 101010

Die Hand über der Stadt aus "M"

Hin und wieder gelingt es ein persönliches Festivalprogramm so zusammenzustellen, dass sich zwischen zwei oder mehr Filmen spannende Synergien ergeben. Noch interessanter wird das, wenn sich diese Filmfolge nur rein zufällig aus dem Programm ergibt und nicht von den Kuratoren vorhergesehen ist. Montagabend war eine dieser Gelegenheiten, als um 18 Uhr im Urania-Kino in Von Caligari zu Hitler feierlich auf die Filme der Weimarer Republik zurückgeblickt wurde, und es quasi im Anschluss im unweit gelegenen Metro-Kino die Möglichkeit gab einen dieser Filme, Georg Wilhelm Pabsts Die Büchse der Pandora, zu bewundern. Pabsts Stummfilmklassiker lief im Rahmen des Special Programs zu Ehren des österreichischen Schauspielers Fritz Kortner, der im Film eine der Hauptrollen innehat.

Von Caligari zu Hitler ist, wenn man so will, das perfekte Vorprogramm zu quasi jedem Film dieser Ära. Zwar erreicht der Film nicht die Höhen wie Martin Scorseses Aufarbeitung der amerikanischen beziehungsweise italienischen Filmgeschichte und schon gar nicht die von Mark Cousins 15-stündigem magnum opus The Story of Film: An Odyssee, aber er macht Lust darauf diese Filme (wieder) zu sehen, und das ist denke ich einmal das wichtigste an einer Filmdokumentation über Film. Szene aus

An dieser Stelle eine Randbemerkung über Restaurations- und Aufführungspraktiken: Die Büchse der Pandora wurde in einer 2009 restaurierten Version mit Live-Klavierbegleitung gezeigt. Es handelt sich dabei um eine digitale Restauration, so weit so gut. Ich bin davon überzeugt, dass von dieser Restauration auch 35mm-Vorführungskopien gezogen wurden, im Metro-Kino wurde an diesem Abend allerdings digital projiziert. Einmal abgesehen davon, dass es mir etwas überkompliziert vorkommt eine DCP ohne Tonspur zu produzieren, da in diesem Fall die Verkleinerung des Bildkaders durch Hinzufügen einer Tonspur, wie es bei einem 35mm-Print der Fall wäre, wegfällt, halte ich es für bedenklich, dass hier einem Proxymedium der Vorzug gegeben wird. Gerade ein kanonischer Klassiker wie Die Büchse der Pandora muss doch in passabler Qualität als 35mm-Print verfügbar sein, und dann muss es im Sinne der Veranstalter, wie des Publikums sein, eine Präsentation im Originalmedium zu gewährleisten. Ich lasse mir hier gern Purismus vorwerfen, aber wenn schonl zu Beginn des Films Texttafeln anpreisen, dass durch die Möglichkeiten der digitalen Technik, das Gefühl der Montage, wie Pabst sie im Sinn hatte rekonstruiert werden konnte, dann ist eine solche Präsentationsweise einfach unehrlich. Und da steht nicht nur die Institution unter Kritik, die diese Schau organisiert, sondern vor allem die verleihende Institution, die solch eine DCP überhaupt anbietet. Erschwerend hinzu kommt noch, dass diese technisch gar nicht auf dem neuesten Stand ist und auf der Basis eines 2k-Scan hergestellt wurde. Für die technischen Möglichkeiten von 2009 sieht die DCP sogar sehr gut aus, den Vergleich mit einer Vorführungskopie in 35mm dürfte sie jedoch nicht wagen. Kortner und Brooks in

Das alles ist sehr schade, denn der Film entpuppte sich als ein sehr erfreuliches Kinoerlebnis. Die Büchse der Pandora ist zurecht ein kanonisiertes Werk der Filmgeschichte und zählt nicht umsonst zu den bekanntesten Filmen des Weimarer Kinos. Pabst gelingt es wie anderen großen Meistern der Filmkunst klassische Stummfilmästhetik hinter sich zu lassen und stattdessen eine universale Filmsprache zu sprechen. Deshalb war der Film zur damaligen Zeit wohl ein kommerzieller Flop – der Film ist ganz einfach zu progressiv. Psychologisch motivierte Charaktere, komplexe moralische Fabeln, ein bitterböses Ende und ein Hauptcharakter, der zur Hälfte des Films ganz einfach verstirbt – was aus heutiger Sicht recht banal klingen mag ist für die Weimarer Kinoindustrie geradezu avantgardistisch. Aber nicht nur das Drehbuch hält dem heutigen Erzählstandard stand, vor allem in Sachen Montage kann jeder (angehende) Filmemacher noch einiges von Pabst lernen. Mit einer unvergleichlichen Flüssigkeit und Leichtigkeit schreitet der Film voran und schafft es die Opulenz eines großbürgerlichen Penthauses mit einer kümmerlichen Dachgeschosswohnung zu verbinden, ohne dabei mit seinem visuellen Stil brechen zu müssen. Als einziger Wermutstropfen bleibt, dass gerade einem Film wie Die Büchse der Pandora das Glänzen und Flackern einer Zelluloidprojektion sehr stark abgeht – gerade wenn man sich nach Von Caligari zu Hitler, der verständlicherweise aus digitalisierten Filmausschnitten besteht, auf „the real thing“ freut.

PS: Kommt es nur mir so vor oder verringert sich tatsächlich die Zahl der läutenden und vibrierenden Mobiltelefone in den Kinosälen? Kann es sein, dass es zumindest in Festivalkreisen nun endlich dazu gekommen ist Awareness für solche Störungen zu schaffen? Das Kino als Ort, wo man noch Ruhe hat, vor der Welt, die einem ständige Erreichbarkeit abverlangt.