Len Lye: Poesie/Industrie

von Rainer Kienböck

Drei Minuten Farben- und Formenspiel. Punkte und Linien tanzen über die Leinwand, knallige Signalfarben wechseln sich wild ab, verdrängen sich, verbinden sich, gehen ineinander über. Kreolische Tanzmusik gibt den Takt an, legt den Rhythmus fest, in dem sich die Farbkleckse in nicht enden wollender Fantasie gegenseitig ablösen. Das geht rund drei Minuten so, ein früher Versuch eines kameralosen Films. Der Filmemacher Len Lye hat für A Colour Box den Filmstreifen direkt bearbeitet. Er hat das Zelluloid Kader für Kader mit der Hand bemalt und mit Schablonen bedruckt. A Colour Box ist einer der ersten Filme, der auf diese Weise entstanden ist, der gebürtige Neuseeländer Lye ist einer der Pioniere des „direct film“. Die ästhetischen Qualitäten seiner Filme, vor allem jener aus den dreißiger Jahren, in denen er die Möglichkeiten neuartiger Farbfilmprozesse, die direkte Bearbeitung des Filmmaterials und Einflüsse polynesischer Kunst zusammenführte, sind unbestritten. Ein Schock markiert aber den Höhepunkt von A Colour Box, wenn nach rund zwei Minuten abstrakten Formenspiels zu fröhlicher Tanzmusik große schwarze Lettern im Film auftauchen. Das filmische Formexperiment wird zur Werbeannonce. „Cheaper Parcel Post“ heißt es da. Der Paketdienst des General Post Office wird angepriesen. Die Werbebotschaften tanzen über die Leinwand, wie zuvor die geometrischen Formen, das Farbenspiel wird ebenfalls nicht unterbrochen. Die Banalität des Postverkehrs trifft auf die avantgardistische Qualität von Lyes Kurzfilm. Eine ungewöhnliche Kombination. Wie kam es, dass der künstlerische Freigeist Lye einen Werbefilm für die Post produzierte? Wie kam es dazu, dass die Post einen Avantgardisten wie Lye mit einer Kommission bedachte? Wie fanden Kunst und Kommerz hier zusammen?

Das General Post Office (GPO) ist freilich in der Filmgeschichte keine unbekannte Größe. Der Filmemacher John Grierson hatte Anfang der dreißiger Jahre die Führungsetage des GPO davon überzeugen können, eine eigene Filmsparte ins Leben zu rufen. Die GPO Film Unit produzierte fortan Werbefilme für die Post und sozialkritische Dokumentarfilme. Zudem zeigte sich Grierson immer offen für Experimente und unterstütze Filmemacher in der Umsetzung experimentellerer Filmprojekte. Zu seinem Team zählten unter anderem Alberto Cavalcanti, Humphrey Jennings, Basil Wright, Paul Rotha und Norman McLaren (seines Zeichens ebenfalls Pionier des direct film) , der Dichter W.H. Auden und der Komponist Benjamin Britten zählten zu ihren regelmäßigen Kollaborateuren. Auf Lye war Grierson Mitte des Jahrzehnts aufmerksam geworden. Lye hatte die kostengünstige Form der direkten Bearbeitung des Filmmaterials für sich entdeckt. Er bat den Schauspieler John Gielgud eine Passage aus William Shakespeares Stück The Tempest einzusprechen. Diesen Soundtrack ergänzte Lye um ein abstraktes Formenspiel aus geometrischen Elementen. Der Film, Full Fathom Five, wurde Grierson vorgeführt, der Lyes Potenzial erkannte und ihn an Bord holte. Grierson war ein begnadeter Verhandler. Er hatte immerhin die staatliche Postbehörde davon überzeugen können, eine Filmabteilung zu gründen, die in erster Linie anspruchsvolle Dokumentarfilme herstellte, die soziale Missstände anprangerte. Lyes Arbeit stellte ihn dann aber doch vor Herausforderungen. Wie rechtfertigen, Staatsgelder für abstrakte Filmexperimente aufzuwenden? Grierson entschied, dass dem Film am Ende eine kurze Werbebotschaft für die Post hinzugefügt werden sollte. Lye war zu diesem Kompromiss bereit, anstatt Full Fathom Five umzuarbeiten, stellt er einen ganzen neuen Film her. Die Werbebotschaft am Ende stand nicht gesondert vom restlichen Film, sondern er integrierte sie in den Film: A Colour Box wurde seine erste Arbeit für die GPO Film Unit. Fortan erhielt Lye von Grierson ein bis zwei Aufträge im Jahr für Werbefilme. Die Budgets blieben überschaubar, doch Lyes Produktionen waren vergleichsweise kostengünstig herzustellen. 1936 entstand als nächste Auftragsarbeit des GPO der Film Rainbow Dance. Rainbow Dance soll die GPO Savings Bank bewerben, Lye legt den Film daraufhin als große (Bild-)Metapher an. Vom rein abstrakten Formenspiel geht Lye über zu einem etwas narrativeren Ansatz. Am Anfang regnet es Farben. Farbige Punkte rasen über die Leinwand, treffen auf die Silhouette eines Manns mit Regenschirm. Der Mann beginnt zu tanzen, tritt in Interaktion mit dem Farbenspiel, hüpft durch rote, grüne, blaue monochrome Landschaften, führte einen irren Tanz mit allerlei geometrischen Formen auf, die Lye auf ihn loslässt. Am Ende des Regenbogens dann ein Sparbuch der GPO Savings Bank. Die kreolische Tanzmusik verstummt. Eine Stimme aus dem Voice-over meldet sich zu Wort: „The Post Office Savings Bank puts a pot of gold at the end of the rainbow“. Ein fulminanter Abschluss eines Meisterwerks des Avantgarde-Films, ein weiterer Schock des Aufeinandertreffens von Kunst und Kommerz.

Für Rainbow Dance nutzte Lye ein neues Farbverfahren. Hatte er zuvor mit Dufaycolor gearbeitet, wechselte er zu Gasparcolor, das der ungarische Chemiker Bela Gaspar entwickelt hatte. Anders als Dufaycolor, einem additiven Farbverfahren mit Linienraster, wurden bei Gasparcolor (wie auch etwa beim berühmten Three-strip-Technicolor) drei verschiedene Negative produziert und anschließend subtraktiv zusammengeführt. Lye interessierte sich weniger dafür, mit diesem Prozess natürliche Farben zu erzielen, sondern erkannte das künstlerische Potenzial der Arbeit mit drei Negativen. Die nutzte er für fulminante Matte-Effekte, so ist etwa der Tänzer im Film immer nur als Silhouette zu sehen, der jedoch wild die Farben wechselt, während die Landschaften im Hintergrund in einer anderen Farbe erstrahlen. Das gelang nur deshalb, weil Lye nie auf einen natürlichen Farbeindruck, sondern auf möglichst wilde Kombinationsmöglichkeiten der drei Negative hinarbeitete. Für seinen nächsten GPO-Film Trade Tattoo ging er ähnlich vor, setzte nun aber Three-strip-Technicolor ein – und brachte die Techniker des neugegründeten Technicolor Labors in Großbritannien an den Rand der Verzweiflung. Trade Tattoo ist handwerklich noch einmal ein Stück aufwändiger als Rainbow Dance. Der Film erzählt von einem Arbeitstag in Großbritannien – und wie die Post durch ihre unterschiedlichen Dienstleistungen den Motor der britischen Industrie am Brummen hält. Dafür hat Lye nicht verwendetes Material früherer GPO-Dokumentarfilme verwendet. Arbeitsszenen in Fabriken und Häfen, Feldarbeit wie Büroarbeit tüncht Lye in knallige Farben, übermalt sie, unterbricht sie durch ornamentale Muster. Geometrische Formen, Farbfelder, rasende Übergänge bestimmen das Bild, der kreischende Funkenflug eines Schweißgeräts sprengt in aggressivem Orange nahezu die Leinwand, ein Flugzeug am Himmel wird von Farbklecksen ausgefüllt. „The rhythm of trade is maintained by the mails“, heißt es am Schluss.

Auf Trade Tattoo folgt mit N. or N.W. noch ein letzter Film für die GPO Film Unit. Der ist jedoch kaum mehr mit den früheren Arbeiten Lyes vergleichbar. N. or N.W. ist ein Informationsfilm, der die Öffentlichkeit für die richtige Verwendung von Postleitzahlen sensibilisieren soll. Ein junges Paar hatte Streit und möchte sich aussprechen. Ihr Briefverkehr kommt aber zum Erliegen, weil der Mann die falsche Postleitzahl angibt. Im letzten Moment erreicht der Brief die Frau aber doch – die Post hat den Fehler des Manns korrigiert und verhindert die (Liebes-)Katastrophe. In Schwarz-Weiß statt in Farbe, mit ausgedehnten Voice-over-Passagen, in denen die Inhalte der Briefe vorgetragen werden und ein paar Dialogzeilen am Ende, ist N. or N.W. um ein vieles konventioneller als Lyes abstrakte Filme. Sein Avantgarde-Background kommt nur zur Geltung, wenn er Gesichter, Briefe und Himmel mittels Doppelbelichtungen übereinanderlegt. Der Film ist ein Vorbote dessen, was Lye in den Folgejahren produzieren wird, wenn er für die Propagandaabteilung des Ministry of Information (MOI) arbeitet und die Kriegsanstrengungen der Alliierten unterstützt. Sein Vorgesetzter im Ministerium ist Jack Beddington. Beddington war für Lye kein Unbekannter. Da Lye kaum von der einen jährlichen Kommission durch die GPO leben konnte, nutzte er die positive Resonanz, die er für seine GPO-Filme bekam, um auch von anderen Stellen Aufträge für Werbefilme zu bekommen. Ähnlich wie die Post, hatten auch private Unternehmen in den dreißiger Jahren eigene Filmabteilungen gegründet. Eine von entstand 1934 beim Mineralölkonzern Shell. Leiter der Abteilung war Jack Beddington. Beddington kannte Lyes experimentellen Puppenanimationsfilm Peanut Vendor, den dieser Anfang des Jahrzehnts produziert hat, als er mit unterschiedlichen Animationsfilmtechniken experimentierte. Beddington gab bei Lye also ebenfalls einen solchen Film in Auftrag. Der lieferte 1936 The Birth of the Robot ab, die Geschichte eines Forschungsreisenden in der afrikanischen Wüste, der mit seinem anthropomorphen Auto in einem Sandsturm gefangen wird. Die Fata Morgana, die sich das Auto herbeiimaginiert, ist eine Tankstelle mit Werkstatt, die es wieder in Schuss bringen könnte. Das Leid des Autos wird von einer Göttin im Himmel entdeckt, die mit ihrer Laute (in Muschelform) einen Metallroboter auf die Erde schickt, der das Auto wieder in Schuss bringt und die Wüste in eine moderne Autobahnlandschaft verwandelt: „Modern Worlds need Modern Lubrication. Lubrication by Shell Oil“. Der Film wurde ein voller Erfolg, von der Kritik gelobt und von über drei Millionen Menschen im Kino gesehen.

Beddington war jedoch nicht der erste Vertreter der Privatwirtschaft, der Lyes Dienste als Werbefilmer in Anspruch nahm. Schon im Jahr davor hatte er mit Kaleidoscope einen direct film produziert, der in Konzept und Form stark A Colour Box ähnelte. Kaleidoscope war eine Auftragsarbeit für das Tabakunternehmen Churchman’s, die Oskar Fischingers Arbeiten für Muratti Zigaretten kannten, die am Festland großen Erfolg hatten. Lye stellte also seine fantasievolle Interpretation einer Zigarettenwerbung her. Dafür entwickelte er eine Stahlmatrize, mit der er schnell und effizient aufeinanderfolgende Kader mit dem gleichen Muster versehen konnte. Kaleidoscope ist folglich geprägt von längeren Passagen, in denen Schablonenmuster zum Klang eines kreolischen Beguine über die Leinwand ziehen. Gegen Ende des Films übermitteln dann farbige Lettern wie in A Colour Box die Werbebotschaft. Als der Film im Herbst 1935 in die Kinos kam, schrieb der Kritiker des Sunday Referee, Lye sei ein „English Disney“ – in den folgenden Jahren sollten seine Filme noch mehrere Male diesen Vergleich provozieren. Den „echten Disney“ traf Lye jedoch nie. Als der Kinounternehmer Sidney Bernstein dem amerikanischen Zeichentrick-Mogul bei einer US-Reise Lyes Filme vorführte, zeigte sich dieser begeistert. Zeitgenössische Kritiker in Großbritannien verglichen wenige Jahre später einige Sequenzen von Fantasia mit den Arbeiten von Lye. Es ist jedoch nicht überliefert, ob Walt Disney seinen Animatoren als Vorbereitung tatsächlich Lyes Filme gezeigt hat.

Nach dem Ende seines Engagements bei der GPO Film Unit und bevor der Krieg losging, vollendete Lye noch einen weiteren Werbefilm für ein privates Unternehmen. Colour Flight war eine Auftragsarbeit für die Imperial Airways. Zunächst unterscheidet sich der Film kaum von früheren Arbeiten wie A Colour Box oder Kaleidoscope: Farbkleckse, geometrische Formen, Farbwechsel, gezeichnete und gekratzte Muster. Dem Auftraggeber entsprechend gehen die abstrakten Formen schließlich in stilisierte Flugzeuge über, die in allen Farben des Regenbogens über die Leinwand flitzen. Der Himmel, die Wolken, die Flugzeuge: So endet auch dieses abstrakte Farb- und Formenspiel mit einer Werbebotschaft, die einerseits abgesetzt vom restlichen Film, andererseits ästhetisch einheitlich vermittelt wird. Colour Flight ist ein weiteres beeindruckendes Beispiel für Lyes Fähigkeit, seine künstlerischen Ansprüche mit den Anforderungen einer Auftragsarbeit zu vereinbaren. Etwas, das nicht allen Avantgarde-Filmemachern immer leichtfiel. Legendär, Peter Kubelkas Anekdoten zur Abnahme seiner Filme Schwechater und Unsere Afrikareise, die auf wenig Gegenliebe stießen, weil Schwechater ein konventioneller Werbespot hätte werden sollen und Unsere Afrikareise ein filmisches Andenken einer Safari. Lye hatte es da ein wenig einfacher. Er wurde aufgrund des Stils seiner vorherigen Filme beauftragt und hatte weitestgehend freie Hand, soweit er nur die Werbebotschaft seines Auftraggebers unterbrachte. Diese Freiheit hatte er sich zuvor durch lange Jahre der kunstgewerblichen Arbeit erkauft. Während seiner Zeit in Neuseeland hatte er als Grafiker und Plakatmaler gearbeitet, in Sydney war er eine Zeit lang in einem Animationsstudio für Werbefilme tätig. Dort eignete er sich das Rüstzeug für seine späteren künstlerischen Arbeiten an, entwickelte sich vom Abbildrealismus, wie er an den Kunstkursen in Neuseeland gelehrt wurde, hin zur Abstraktion, zur visuellen Poesie. So entstanden Meilensteine des Avantgarde-Films, geformt durch Kunsthandwerk, finanziert durch Post, Fluggesellschaften, Tabak- und Mineralölindustrie. Die Dreißiger waren eine goldene Ära für diese Form der Künstlerförderung. Der bereits erwähnte Oskar Fischinger machte Werbefilme in Deutschland, Joris Ivens tat es ihm in den Niederlanden nach und in Franklin D. Roosevelts USA finanzierten staatliche Behörden Informationsfilme wie The Plow That Broke the Plains und The River. Nach dem Krieg veränderten sich die Produktionsbedingungen für unabhängige Dokumentar- und Experimentalfilmer – auch für Len Lye. Als er 1957 mit Rhythm eine grandiose Miniatur über die Autoindustrie in den USA abliefert, wird diese abgeschmettert.

Land of the Dead: Dérangement: The Texas Chainsaw Massacre

Poesie der Verstörung in diesem 1970er Slasher-Kultfilm. Mit The Texas Chainsaw Massacre hat Tobe Hooper einen anhaltenden Schock fabriziert, der auch Jahrzehnte nach seiner Herstellung nichts von seiner Wirkung verloren hat. Es ist dies einer jener Filme, die einen von Anfang an einfach alleine lassen. Ein Film, der sich gegen die Welt verstört. Viele Filme strahlen das Begehren nach einer Partnerschaft mit dem Zuschauer aus. Sie verlangen unsere Teilnahme, unsere Identifikation und bieten dafür das Versprechen, dass sie „Liefern“ werden. Im Horror- sowie im Thrillergenre wird diese Sicherheit bezüglich der Partnerschaft mit dem Film am Ende oft aufgehoben. Als Beispiele aus der laufenden Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum könnte man The Wicker Man oder Halloween nennen, die mit ihren finalen Sequenzen auf eine Hoffnungslosigkeit über den Rahmen des Films hinausweisen. Eines der berühmtesten Beispiele ist wohl das überraschende Ableben der Protagonistin nach dem halben Film in Alfred Hitchcocks Psycho. Aber auch in anderen Genres gibt es diese gräulichen Momente, wenn der Film eben nicht mehr bloß als Film, der sich an alle Regeln hält, wahrgenommen werden kann. Beispiele dafür wären der Walt Disney Film Bambi, der völlig unbedarft die Mutter des namensgebenden Rehkitzes tötet oder My Girl von Howard Zieff, der in den Augen von Kindern durchaus zu einem Horrorfilm mutieren kann. Die Fallhöhe ist hierbei vor allem bei Filmen des Mainstreams äußerst hoch, da sie prinzipiell ja mit den Mechanismen der Identifikation und der Partnerschaft mit dem Zuseher agieren und so auch die Macht haben, diesen plötzlich fallen zu lassen. Bei The Texas Chainsaw Massacre wird man allerdings von Anfang an alleine gelassen.

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Fünf junge Menschen fahren mit einem Van durch das trostlose Texas. Sie fahren zum Haus des Großvaters von Sally und Franklin. Ihre Fahrt wird mit einem rauen who cares-Realismus, im Stil etwa von Cristi Puius Marfa şi Banii, durch karge Sonnenwiesen beobachtet. Das Framing von Hooper wirkt ungeplant, die Kamera scheint begleitend zu reagieren. Hierbei wird bereits auf eine Verité-Authentifizierung gesetzt, die spätesten seit The Blair Witch Project essentiell für eine spezielle Ausprägung des Genres ist und meiner Meinung nach in REC von Jaume Balagueró und Paco Plaza einen formellen Höhepunkt gefunden hat. Dem Blick des Films geht es weniger darum, dass man alles bequem und spannungsgeladen verfolgen kann, sondern dass man an die Geschehnisse glaubt. Die abstrahierten Taschenlampen-Fetzen zu Beginn des Films sind ein schrilles Fest für unsere Erwartungen. Manchmal fährt die Kamera zwar seitlich durch das hohe Gras, aber diese Einstellungen geben kein Gefühl von Eleganz. Vielmehr vermag man die Grashalme zu riechen.

Es ist ein zu großer Zufall, um ihn noch als solchen wahrzunehmen, dass am Vorabend in Peter Kubelkas Was ist Film-Zyklus The Act of Seeing with One’s Own Eyes von Stan Brakhage zu sehen war. Dort begleitet der Künstler verschiedene Autopsien, Menschen, die in ihre Einzelteile gelegt werden bis man entweder kaum mehr Luft, ob der Brutalität der fehlenden Seelen in den Körpern bekommt oder eben bis man die rot-rosa Lichtkugeln nur noch als abstrakte Poesie wahrnimmt. Brakhage benutzt ein Objektiv, das ihn immer ein wenig zu nahe am Geschehen hält, sodass man zwar genau erkennt, was da gerade vor uns aus den Körpern entfernt und umgedreht wird, aber sich doch nie mit einem analytischen Blick beruhigen darf. Diese Bilder machen uns bewusst, dass wir dabei sind. Sie brennen sich in das Gehirn und Brakhage macht uns klar, dass wir mehr nicht sind, eine verformbare Hülle, eine Operation, ein Sterben. Er macht es uns klar, indem er uns sehen lässt. Auch The Texas Chainsaw Massacre wird mit solchen Assoziationen arbeiten. Der Horror ist auch der Rauheit geschuldet, die uns sinnlich aus der Bequemlichkeit des Filmschauens reißt. Die fünf Freunde nehmen einen Anhalter mit, der sich als Wahnsinniger und als Bedrohung entpuppt. Sein verbranntes Gesicht, seine Erscheinung, seine enthusiastische Art und dann schneidet er sich mit einem Messer in die Hand.

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Die Verstörung geht hierbei von der völligen Unberechenbarkeit der makaberen Figuren im Film aus. Diese werden weder als das Böse schlechthin noch als das durch Psychologie erfassbare Grauen projiziert sondern schlicht als das Verrückte. Es tut mir fast ein wenig weh, dass so platt zu formulieren, aber ein anderes Wort fällt mir schlicht nicht ein. Sie entziehen sich wirklicher Beschreibungen. Ihre äußere Erscheinung ist sicherlich markant, aber man wird sie nicht greifen können wie spätestens der what-the-fuck Tanz mit der Kettensäge im Gegenlicht des untergehenden Feuerballs zeigt. In dieser Absurdität liegt dann tatsächlich eine andere Form der Identifikation, jene der sadistischen Teilnahme. Es beginnt schon bald eine Menschenjagd, die eigentlich keine Jagd ist, denn alle fünf Freunde gehen zunächst aus eigenen Stücken zum Haus, das sich nahe dem Haus des Großvaters befindet. Dort lauert ein Schlachter mit Ledermaske (Leatherface), der kurzen Prozess mit den Eindringlingen macht. Einzig Sally erlebt mehr als ein schnelles Ableben. Im letzten Drittel des auf die nonchalante Essenz des Genres reduzierte Menschenjagd gibt es eine einzige Noise-Explosion: Der ständige Horror der Motorsäge, die egal in welcher Entfernung sie ist, immer äußerst laut auf uns eindrückt und das brutale Schreien von Sally. Alle anderen Töne unterstützen diesen Ausbruch des Horrors und wenn der Film kurz Luft holt, dann nur um zu Leiden und zu Bangen. Damit schließt der Film gewissermaßen an sein tolles Sound Design aus der Eröffnungssequenz an, in der ich ziemlich sicher war neben dem Klick von Fotoapparaten, auch das Brechen von Knochen zu hören und heftiges Atmen und vielleicht wie schwere Gegenstände in Plastiktüten gestopft wurden.

The Texas Chainsaw Massacre

Wie so viele Häuser, die in den Filmen der Land of the Dead-Reihe zu sehen sind, ist auch das Haus in The Texas Chainsaw Massacre von besonderer Güte. Es gibt zwei Stockwerke. Unten gibt es neben dem Schlachtzimmer samt De grønne slagtere Svend-Kühlboxen, einen wundervollen Feder- und Knochenraum mit einem gackernden Hahn im Käfig, Staub in der Luft und natürlich die Angst der Abartigkeit, weil überall Skelette hängen, Tiere und Menschen vermischt, es ist egal und das karge Esszimmer, ein Holztisch, ein Lichtskelett, so könnte man es bezeichnen. Die Wände sind dekoriert mit Köpfen und Skeletten, es ist wieder ein Haus der Blicke, das man erforscht zusammen mit den Figuren und der Blick der Kamera lässt nicht alles zu, er versteckt die Klarheit und so könnte hinter jeder Wand der Tod laueren. Es ist sicherlich eines der schmutzigsten bewohnten Häuser der Filmgeschichte. Draußen gibt es eine amerikanische Veranda, eine verwahrloste Schaukel und man blickt durch ein Moskitogitter in das Innere des Hauses. Treppen führen nach oben, sie sind eng, das Haus hat keinen Platz. Plötzlich sind die Geländer rosa gestrichen, es sieht aufgeräumt aus, fast kindlich, unschuldig, unberührt. Wo ist der Schmutz? Alleine diese Veränderung macht Angst, wenn man sie zum ersten Mal sieht. Natürlich trügt der Frieden, denn oben lauert die Vergänglichkeit in Form zweier verwesender Körper, von denen einer noch lebt, vielleicht lebt der andere auch noch, es ist egal.

Was nicht egal ist, ist dass es egal ist. Durch das Unbedarfte der filmischen Form und die nichtssagenden Protagonisten wird man in eine interessante Situation gestürzt, indem Moment, indem sich der Horror zum Teil als absurde Schwarzhumorigkeit entblößt. So soll der halbtote Großvater selbst Sally töten, bringt aber nicht mehr genug Kraft auf, ihr mit dem Hammer den Kopf einzuschlagen und auch die unbeholfene Beiläufigkeit von Leatherface sowie die Tatsache, dass ihm die Opfer mehr oder weniger in die Arme laufen, kann einer gewissen Komik nicht entbehren. Diese Komik ist aber sadistisch. Nur, dass der Sadismus hier dem Kino gehört und nicht irgendeiner amoralischen gesellschaftlichen Tendenz. Denn The Texas Chainsaw Massacre ist weder torture porn, noch geht es ihm um die Freude am Leid. Es geht ihm um den Appetit am Sehen. Dieser wird immer dann ausgelöst, wenn wir nicht in Erwartung sind, sondern wenn der Schock von der Leine gelassen wird. Wenn das Böse hier sichtbar wird, dann erscheint es zwar noch immer abartig, aber lange nicht mehr böse, denn diese Gestalten sind unbeholfen, unmenschlich, brutal und absurd. Man denke nur an die Stimme von Leatherface, die Freude daran, mit der Säge Äste zu zersägen als wären sie Menschenbeine, seine Überraschung über die zweite Besucherin und die Streitereien innerhalb der Familie. Wenn man sich nirgends mehr festhalten kann, dann muss man akzeptieren, dass man in einem Land von Psychopathen lebt und dann will man ihnen einfach nur zusehen, dann beginnt man zu genießen und daran ist nichts falsch oder verwerflich, denn das Kino ist ein Garten unserer Blicke und der sadistische Blick ist nicht mehr als eine der interessantesten, abgründigsten Blumen darin.

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Die Kopie, die im Filmmuseum zu sehen war, fügte der Rauheit noch einige Kanten hinzu. Zum einen gab es französische Untertitel, die vor allem zu Beginn mit einer derartigen Verzögerung projiziert wurden, dass ich mir nicht sicher war, ob das nicht einfach eine absichtliche weitere Deformierungsstrategie des Films ist. Zum anderen waren die Kratzer und Spuren auf dem filmischen Material von einer poetischen Schönheit, die mit der Direktheit der körnigen Ästhetik von The Texas Chainsaw Massacre nahezu perfekt harmonierte. Ein Film irgendwo aus der Garage, wie eine frühe Aufnahme eines Nirvana-Tracks, manchmal wirkt es so als würden ein paar Teenager einfach Spaß haben, aber so ist das auch bei Takeshi Kitano.