Stuck in the middle (with whom?): Moonlighting von Jerzy Skolimowski

Moonlighting von Jerzy Skolimowski

Moonlighting beginnt am Flughafen. Vier Polen landen in London Heathrow, nur einer von ihnen spricht Englisch. Er ist dafür verantwortlich alle vier durch Passkontrolle und Zoll zu schleusen, was ihm trotz einiger Aufregung reibungslos gelingt. Dreißig Tage lang gilt ihre Aufenthaltsgenehmigung, dreißig Tage bleiben den Vieren, um ihren illegalen Auftrag auszuführen, dreißig Tage folgt der Film dem Protagonisten Nowak (Jeremy Irons). Was wie ein Spionagethriller beginnt, entwickelt sich zu einer banalen, wie nervenaufreibenden Angelegenheit. Moonlighting ist ein Krimi des kleinen Mannes und trotz seinem vergleichbar geringen Bekanntheitsgrad ein exemplarisches Beispiel für das Kino des polnischen Filmemachers Jerzy Skolimowski.

Der erste Meilenstein in Skolimowski Karriere war das Drehbuch zu Roman Polanskis Nóż w wodzie, zugleich dessen Durchbruch als Regisseur. Es ist wohl nicht restlos zu klären, welche Ideen und Motive im Drehbuch auf Polanski und welche auf Skolimowski zurückzuführen sind, zweifellos findet sich aber bereits in Nóż w wodzie eine Form von Isolation der Figuren, die auch Skolimowskis Filme als Regisseur prägt. Die autobiographischen Figuren in Rysopis, Walkower und Bariera, die nicht so richtig wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen, der rastlose Jean-Pierre Léaud in Le départ, der in seiner Sexualität verlorene Jugendliche in Deep End, die Schiffsbesatzung in The Lightship oder der entflohene Häftling in Essential Killing sind allesamt isolierte Individuen, die sich nicht in der Gesellschaft mit ihren Konventionen zurechtfinden. Sie sind oft getriebene Gestalten, die auf der Suche nach einer Bestimmung ziellos herumirren. Skolimowski hat ein Händchen dafür die triebhafte Energie seiner Energie filmisch zu verwerten, aber gleichzeitig ihre innerliche Marter aus- und darzustellen. Wohl in keinem seiner Filme gelingt es ihm besser, diese beiden Kräfte gegeneinander auszuspielen als in Moonlighting.

Moonlighting von Jerzy Skolimowski

Zurück zur Anfangsszene am Flughafen: Recht krude setzt ein innerer Monolog ein, in dem Nowak den Grund seines Aufenthalts in London erklärt. Ein reicher Pole hat ihn und seine drei Landsmänner beauftragt ein Haus zu renovieren (die politische Situation in Polen Anfang der 80er droht zu kippen, das Haus in London soll als Refugium dienen). Diese Form der Beschäftigung ist freilich illegal, kommt dem gesichts- und namenlosen Auftraggeber dennoch billiger, als englische Arbeitskräfte anzustellen. Nowak fällt dabei eine Schlüsselrolle zu. Einerseits ist er der einzige der vier Polen, der sich in England verständigen kann, andererseits scheint er auch als einziger der Gruppe intellektuell fähig zu sein ein solches Bauvorhaben umzusetzen und den Überblick zu behalten. An dieser Konstellation ist er selbst nicht ganz unschuldig, hat er die anderen Arbeiter gerade deshalb ausgewählt, weil sie dumm seien, wie er in einer späteren Voice-over-Passage zugibt. Es gibt für das Publikum keine Möglichkeit diese Aussage zu überprüfen, denn mit den drei anderen Arbeitern beschäftigt sich der Film wenig. Nowak kommuniziert auf Polnisch mit ihnen, diese Gespräche sind bewusst nicht untertitelt, einzig die englische Gedankenstimme liefert verwertbare Informationen. Es mag wenig raffiniert erscheinen einen Film auf diese Art und Weise zu inszenieren: eine isolierte Figur in einem fremden Land, die nur wenig in Kontakt mit anderen tritt, aber in  inneren Monologen sein Seelenleben ausbreitet. Das sei romanhaft möchte man einwenden und habe in einem Film nichts verloren, und tatsächlich dauert es eine Weile bis der Film in seiner eigentümlichen Inszenierungsstrategie Fahrt aufnimmt.

Lange Voice-over-Passagen dienen Filmemachern im Erzählkino oftmals als Cop-Out, wenn es ihnen nicht gelingt das Gefühlsleben einer Figur auf anderen Wegen zu vermitteln. Das ist hier nicht der Fall. Moonlighting funktioniert trotz, oder sogar wegen dieser ausgedehnten inneren Monologe. Es sind keine poetischen Schwärmereien eines Terrence Malick, keine ironischen Blödeleien eines Woody Allen, keine komplexen Kontrapunkte eines Chris Marker, es sind die nach innen gekehrten Gedanken eines Getriebenen, wie man sie bei Dostojewski oder Zweig findet. Getrieben ist Nowak deshalb, weil er auf Biegen und Brechen den Zeitplan einhalten muss, um innerhalb der dreißig Tage ihres Aufenthalts die Bauarbeiten abzuschließen; aber auch durch die Trennung von seiner Frau und der Ungewissheit über deren Verbleib; nicht zuletzt durch die Komplikationen, die sich durch die Ereignisse in der Heimat ergeben, denn der Winter 1981/82 ist ein einschneidender historischer Moment in der Geschichte Polens – der Aufstieg von Lech Wałęsas Solidarność-Bewegung bewirkt eine Verhängung des Kriegsrechts und eine Abschottung Polens gegenüber dem (westlichen) Ausland – Nowak verschweigt seinen Kollegen diese Entwicklungen. Dadurch ist er fortan mehrfach isoliert. Isoliert als Pole in einem fremden Land (in dem er illegalen Aktivitäten nachgeht) und isoliert als Pole unter Polen, da er sich den anderen nicht anvertrauen will, um den Arbeitsfortschritt nicht zu gefährden. Das gefährliche doppelte Spiel das er treibt – sein eigentliches Vorhaben vor der britischen Exekutive zu verbergen – wird also dadurch multipliziert, dass er seine Landsmänner von jeglicher Information über die Vorgänge in der Heimat fernhalten muss.

Moonlighting von Jerzy Skolimowski

Sobald das Territorium abgesteckt ist, und sich das eng umgrenzte psychologische Gebiet abzeichnet, auf dem Nowak agiert, entpuppt sich der innere Monolog als genialer Regie-Coup. Die Welt wird allein durch die Figur des Nowak vermittelt – seine Begegnungen mit der englischen Bevölkerung, seine Konfrontationen mit den polnischen Bauarbeitern, sein Seelenleben. Er ist gleichsam exponiert und isoliert, riskiert Kopf und Kragen, wird zum Dieb, Lügner und Betrüger, zieht sich dabei aber immer weiter in sein Inneres zurück. Nowak kennt bald kein Außen mehr, alles dreht sich nur mehr ums Innen. Er kann sich mit niemanden austauschen und so bleibt nur der Versuch der inneren Rationalisierung. Der Film spiegelt diese Entwicklung, weicht Nowak nie von der Seite, die Geschichten der anderen Figuren interessieren ihn ebenso wenig, wie die Vorgänge in Polen, die nur in Bezug auf Nowaks Lage (als Nicht-Vermittler von Information) von Relevanz sind. Das auf den ersten Blick so plumpe Inszenierungsmittel macht das Innenleben der Figur erst erfahrbar. Es ist die totale Eliminierung des Außen, die Skolimowski in Moonlighting auf die Spitze treibt, noch mehr als in Essential Killing, wo die Bedrohung und Verfolgung immer real und personifiziert ist, wohingegen Nowak in erster Linie von seinen inneren Dämonen getrieben ist.  Nowak kommt im gesamten Film nicht in direkten Konflikt mit dem Gesetz, trotz einiger Rückschläge schließt er sogar die Renovierungsarbeiten pünktlich ab, seine Kollegen erfahren bis zum Ende nichts von den Vorgängen in Polen, und dennoch ist die Atmosphäre stets angespannt. Die Inszenierung lässt keinen Raum für Entspannung, so wie Nowaks Londoner Leben keine Entspannung zulässt. Nowak führt einen Kampf mit seinem Gewissen, mit seinen Idealen und mit seinen Sorgen, Spannung entsteht überhaupt erst, weil es kein Ventil gibt, über dass er sich von dieser Spannung lösen könnte. Er ist allein und abgeschnitten und die Verantwortung erdrückt ihn förmlich. Moonlighting ist Skolimowskis Meisterstück im Umgang mit dem Motiv der Isolation, das seine ganze Karriere prägt.

A bright future ahead: Die Hochzeit von Länneken von Heiner Carow

Die Hochzeit von Länneken von Heiner Carow

Wenn es etwas gibt, dass es in Berlin filmisch zu entdecken gilt, dann sind es die Filme der DEFA. An wohl keinem anderen Ort der Welt sind DEFA-Produktionen in solcher Reichhaltigkeit und Dichte zu sehen, wie in der deutschen Bundeshauptstadt. Es ist ein Kino der internationalen Großproduktionen, die zumeist überproduziert sind; ein Kino großer Gesten und Reden, um den sozialistischen Geist zu beschwören; aber auch ein Kino der wagemutigen Autoren, die in relativer ökonomischer Sicherheit an den Grenzen des Systems und in ständigem Kampf mit der politischen Zensur eine Reihe von anspruchsvollen und schillernden Werken geschaffen haben. Heiner Carow ist einer dieser grundsoliden Filmemacher, die im DEFA-System aufgeblüht ist. Die Hochzeit von Länneken ist ein Musterbeispiel für die Raffinesse, mit der die DDR-Filmemacher politische Ideologie mit einer schwer vereinbaren Narration verwoben.

Die Hochzeit von Länneken von Heiner Carow

Kitschig und klobig führt eine Erzählstimme in die Gegebenheiten ein: Eine kurze Rückschau auf Ereignisse im harten Winter 1929, die zu einer jahrzehntelangen Fehde zwischen den beiden wohlhabenden Fischern Johannes Grabe und Heinrich Pröpping führen. Mehr als dreißig Jahre später verlieben sich natürlich der Sohn Grabe und die Tochter Pröpping, Romeo und Julia lassen grüßen. Shakespeares archetypische Vorbilder zerbrechen bekanntlich am Druck der alten Konflikte, den beiden jungen Verliebten in Länneken ist ein anderes Schicksal beschieden. Denn wer ein braver Genosse ist, sich politisch engagiert, seinem eigenen Vater dessen dubiosen Geschäften in der NS-Zeit vorhält und zu allem Überfluss gegen die verkalkten Strukturen der feudalistisch-kapitalistischen Dorfgemeinschaft aufbegehrt, der hat sich ein Happy End redlich verdient. Bis zu diesem Punkt hat der Film seine Klobigkeit verloren, er ist raffiniert und vor allem klug inszeniert, franst den schnöden Sozialrealismus in alle Richtungen aus, taucht die Küstenlandschaft mal in expressionistisches Licht oder sorgt für Verfremdung, wenn sich die Dorfweiber mit ihrem Tratsch direkt an die Kamera wenden. Lange ungeschnittene Passagen, in denen die Kamera in ständiger Bewegung inmitten des wilden Tanzgeschehens in die Dorfgemeinschaft eintaucht, wechseln sich mit diesen märchenhaften und reportageartigen Momenten ab. Das macht Die Hochzeit von Länneken zu einem zutiefst janusköpfigen Konstrukt. All die Bestandteile für ein sozialrealistisches Drama sind vorhanden: Genossenschaftssitzungen, eine überzeichnete religiöse Fanatikerin, ein junger Rebell, der gegen die althergebrachten Strukturen ankämpft; doch das Milieu scheint kontraintuitiv gewählt. Die Hauptfiguren sind allesamt wohlhabende Fischer – die Spitznamen von Grabe und Pröpping lauten nicht ohne Grund „Admiral“ und „König“ – ganz anders als die armen Fischer aus La terra trema oder La grande strada azzurra, ganz anders als die Fischersleute in Man of Aran, die Tag für Tag dem Meer seine Früchte für ein karges Leben abringen müssen. Die Grabes und Pröppings haben mehr als genug fürs Leben, ihr Glück finden sie jedoch nicht. Und zwar deshalb, weil sie immer mehr wollen, weil sie sich nicht mit den anderen solidarisieren und darum verlieren sie den Draht zu ihren eigenen Nachkommen, die am Beispiel ihrer Eltern erkennen, dass womöglich nicht der materielle Überfluss, sondern das Leben in einer funktionierenden Gemeinschaft anzustreben ist.

Die Hochzeit von Länneken von Heiner Carow

Zurück bleibt ein Skelett einer sozialistischen Fabel, deren ideologischen Wurzeln unschwer zu erkennen sind, die sich aber in einen märchenhaften Mantel hüllt und in deren Brust zwei Herzen schlagen: der Geist eines realistischen Romans aus dem 19. Jahrhundert mitsamt ausgiebiger Landschaftsbeschreibungen und sorgsam gehegter Familienzwiste und die sozialistische Ideologie des Bauern- und Arbeiterstaats. Eine Gemeinsamkeit der meisten DEFA-Filme ist ihr Optimismus (jene Filme, die ihn vermissen lassen haben es allzu oft nicht über die Zensurstellen hinaus geschafft), ihr Glaube an die vitale Kraft der Jugend, die es einmal besser haben wird, und nicht deshalb, weil die Eltern für sie vorgesorgt haben, sondern dank ihrer eigenen Energie und Tatkraft. Die junge Generation, die endgültig die Grundsätze des Sozialismus beherzigt hat und mit den rückständigen Eltern, den Altnazis und Erz-Religiösen aufräumt. Das ist nicht die gleiche Hoffnung auf ein besseres Leben, die zur gleichen Zeit die kapitalistische Leistungsgesellschaft im Westen befeuert hat, der Traum vom Eigenheim und schicken Auto, sondern der Wille die Gesellschaft (und die Welt) zu verändern. Retrospektiv gesehen haben sich viele dieser Hoffnungen als Luftschlösser erwiesen, aber zweifellos lässt sich aus heutiger Sicht aus einer solchen Zukunftskonzeption Kraft schöpfen. Es wäre wieder einmal an der Zeit, sich mit einem optimistischen Blick nach vorn zu wenden und daran zu glauben, dass eine nachfolgende Generation die fehlgeleiteten Strukturen der Vergangenheit aufbrechen kann.

Berlinale 2016: Warten auf Lav

Safe Disassembly von Andreas Bunte
  • Der Tag beginn mit Schlangestehen, denn es galt Tickets für die Vorstellung vom neuen Lav Diaz Film Hele Sa Hiwagang Hapis zu ergattern – dafür wagt man sich gerne übermüdet in die kalte Berliner Morgenluft.
  • Endlich habe ich es auch in die Retrospektive geschafft, nicht einmal der sperrige Titel „Deutschland 1966 – Filmische Perspektiven in Ost und West“ konnte mich davon abhalten. Die Hauptvorführstätte der Retrospektive ist das Zeughauskino und obwohl das Programm, das ich besuchte in einem der angemieteten Multiplexkinos stattfand, war eine Anpassung des Altersdurchschnitts auf übliches Zeughausniveau (Generation Geriatrie) zu beobachten. Zu sehen gab es ein Kuriosum des Deutschen Films der Sechzigerjahre und eine frühe Stilübung von Roland Klick. Unter dem Programmtitel „Drifters and Searchers“ wurde zunächst Klammer auf Klammer zu von Hellmuth Costard gezeigt (das oben erwähnte Kuriosum), ein rund zwanzigminütiger Film mit einem blutjungen Klaus Wyborny in der Hauptrolle. Eine wahnwitzige Roadmovie-Variation, die vor Referenzen auf die Popkultur und die Filmgeschichte („Dieses Auto ist Jean Vigo gewidmet“) nur so strotzt. Wybornys Ole will eigentlich von Hamburg aus die Welt erobern und nicht zuletzt vor der politischen Stimmung im Land fliehen. Sein Weg führt in aber nur bis Lüneburg und schon nach kurzer Zeit kehrt er zurück: Eine absurde Miniatur, die auch aus der Feder eines Surrealisten stammen könnte.
    Roland Klicks halblanger Film Jimmy Orpheus setzt ebenfalls einen Streuner ins Zentrum der Handlung. Jimmy ist ein Tagelöhner und Nichtsnutz (im Englischen würde man ihn wohl als „Hustler“ bezeichnen), der sich im Hafenviertel Hamburgs auf der Suche nach einem Schlafplatz versucht an eine Frau heranzumachen (Auffallend die inhaltliche Nähe zu Fritz Kirchhoffs Nur eine Nacht von 1950, der ebenfalls in Hamburg spielt und einen halbwegs heruntergekommenen Mann einer Dame nachjagen lässt). Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Mann und Frau versetzt Klick mit Elementen des Genrekinos und avantgardistischen Techniken, wie sie die Nouvelle Vague popularisiert hat.
Klammer auf Klammer zu von Hellmuth Costard

Klammer auf Klammer zu von Hellmuth Costard

  • Ta’ang von Wang Bing zählt mit knapp zweieinhalb Stunden gleichzeitig zu den längeren Filmen im Programm der Berlinale und zu den kürzeren Arbeiten des Regisseurs. In Zeiten, in denen europäische Medien Völkerwanderungen herbeibeschwören, begleitet Wang verschiedene Flüchtlingsgruppen aus dem Volk der Ta’ang die in Myanmar an der Grenze zu China beheimatet sind. Wegen bewaffneter Konflikte in dieser Region sind in den letzten Jahren rund 100.000 Menschen über die Grenze geflohen und leben in improvisierten Flüchtlingslagern oder schlagen sich als unterbezahlte Hilfsarbeiter durch. Kurz, es gibt auch außerhalb Europas Krisenregionen in denen Menschen flüchten. Es gibt sogar sehr viele von ihnen (weit mehr als in Europa) und sie leben unter teils katastrophalen Umständen. Beeindruckend, dass diese Menschen selbst in diesem Lebensumfeld versuchen eine Art von Alltag zu etablieren. Das Dröhnen der Artillerie wird zum ständigen Begleiter, die improvisierten Gemeinschaftsessen am Lagerfeuer werden zum gesellschaftlichen Ereignis. Wang wird mit seiner Kamera Teil dieser Zweckgemeinschaft, was ihm erlaubt sich von der Makroebene zu lösen und den Konflikt aus der Perspektive individueller Schicksale zu zeigen. Es wird deutlich, dass diese Menschen zum Spielball größerer Interessen geworden sind, die sie nicht verstehen – so wird im Film gar nicht klar, wer überhaupt gegen wen kämpft und warum.
  • Ein Nachtrag zur Forum Expanded Ausstellung in der Akademie der Künste: Nach längerer Überlegung habe ich beschlossen auch Andreas Buntes Safe Disassembly ein paar Zeilen zu widmen. Ganz ohne Kommentar, weder in Wort, noch in Schrift, besucht Bunte eine ehemalige Munitionsfabrik in Ostdeutschland, die vor einigen Jahren zu einem Abrüstwerk umfunktioniert wurde. Eine norwegische Firma sorgt dort nun für die fachgerechte Entsorgung von verbotener Streumunition. Ohne Vorwissen lässt sich das jedoch nur erahnen. Die Arbeit der Maschinen (im gesamten Film kommt nur ein menschlicher Arbeiter vor) widersetzt sich der einfachen Deutung – werden hier Waffen gefertigt oder zerstört? – stetig und mechanisch folgt ein Arbeitsschritt auf den anderen und ebenso stetig und mechanisch richtet Bunte seine Kamera auf die vollautomatisierten Prozesse. Es ist eine seltene Qualität nicht nur keine Antworten zu geben, sondern sich darüber hinaus so vehement jeder Fragestellung zu entziehen.

Die Geister, die ich rief: Tagebuch einer Verlorenen von G.W. Pabst

Tagebuch einer Verlorenen von G.W. Pabst

Geister der Vergangenheit, Phantome der Filmgeschichte. Wenn Filme miteinander in Dialog treten ist das immer eine spannende Sache. Während im Zeughauskino weiter die Autorinnen der 60er das Sagen haben, zeigte das Arsenal Kino Sonntagabend Georg Wilhelm Pabsts Tagebuch einer Verlorenen. Pabst ist natürlich keine Frau, sondern ein Mann, aber Thymian Henning (Louise Brooks in eine ihrer größten Rollen), die titelgebende Verlorene, ist eine Figur, die in vielerlei Hinsicht den Frauenfiguren der Autorinnen rund vierzig Jahre später voranschreitet.

Zunächst scheint Thymians Welt noch von Männern und der patriarchalischen Gesellschaft bestimmt. Sie wird vom Angestellten ihres Vaters vergewaltigt und geschwängert. Dieser will sie nicht heiraten und so schiebt sie der Familienrat ins Reformhaus ab. Ja die Familienehre, die muss um jeden Preis hochgehalten werden. Die naive Thymian wächst in der Erziehungsanstalt zur Heldin heran. Sie will raus aus diesen ungastlichen Mauern, zurück in die Welt, zurück zu ihrem Kind und etwas aus ihrem Leben machen. Der Schlafsaal wird schließlich zum Ort der Rebellion (wie bei Jean Vigo, einem anderen großer Virtuosen des harmonischen, fließenden Lichtspiels). Zusammen mit ihrer Freundin Erika büxt sie aus und landet schließlich im Bordell. Ein paar tragische Todesfälle später und Thymian kehrt als Gräfin an den Schauplatz ihres Erwachens zurück. In einer letzten großen Geste, der endgültige Triumph: Ihre Freundin Erika ist wieder in dieser menschenverachtenden Erziehungsanstalt gelandet. Thymian will die Heuchlerei der adeligen Damen, die sie in ihren Weltverbessererverein aufgenommen haben nicht mitmachen, stellt sich schützend vor Erika und nimmt sie einfach mit, denn „auch ich war einmal, was sie jetzt ist“.

Anders als die Heldinnen der Autorinnenfilme der 60er Jahre, behält Thymian die Oberhand. Obwohl sie zunächst den Männern hilflos ausgeliefert ist, folgt ein umso radikaleres Erwachen, das in Revolte gegen Scheinheiligkeit und Bourgeoisie endet. Thymian ist Klassenkämpferin und Suffragette und nimmt sich schließlich eiskalt was sie braucht, indem sie das Mitleid und die Schuldgefühle des alten Grafen, der sie aufnimmt zu ihrem Vorteil nutzt. Zwar bleibt sie dadurch abhängig von dessen finanziellen Mitteln (auch Thymians Emanzipation ist nicht vollständig), doch ihr Handeln ist kompromisslos. Anders als die Belle Starr aus Lina Wertmüllers Il mio corpo per un poker gibt sie nicht ihren Gefühlen für einen Mann nach. Anders als die Eva in O něčem jiném bleibt sie nicht in der Maschinerie gefangen, die ihr selbst das Leben vermiest hat. Anders als die Antigone in Liliana Cavanis I cannibali, muss sie ihren Aufstand nicht mit dem Leben bezahlen. Und anders als Nelly Kaplans Marie in La fiancée du pirate, muss sie ihre Freiheit nicht mit ihrem Körper erkaufen.

Tagebuch einer Verlorenen von G.W. Pabst

In einem entscheidenden Punkt bleibt Thymian jedoch hinter all jenen späteren Figuren zurück: Sie ist keine Frau, sondern eine Traumgestalt. Selbst in der Tristesse der Beziehungsanstalt behält sie ihr gestyltes Äußeres, nachdem sie die Schwierigkeiten ihres Lebens einmal überwunden hat, fällt ihr alles ganz einfach zu. In Büchse der Pandora ließ er Brooks‘ Figur noch elendiglich zugrunde gehen, nun bleibt sie Siegerin – ist das Inkonsequenz oder passt diese Wendung des Schicksals in das Gesamtbild des Films, dieses märchenhafte Konstrukt? Tagebuch einer Verlorenen ist ein doppelter Schwanengesang: 1929 als die Weltwirtschaftskrise das Ende der Roaring Twenties einläutete und die Filmemacher die (Stumm-) Filmkunst perfektioniert hatten, findet die gleitende, über alle Zweifel erhabene Montagekunst Pabsts ihr Ende. Die Einführung des Tonfilms sorgte für neue Herausforderungen, die zu einem neuen, sehr spannenden Stück Filmgeschichte führen. Auch inhaltlich scheint eine Geschichte wie jene von Thymian in den frühen 30ern undenkbar (ein Schicksal, dass sie mit Harold Lloyd teilt); die Zeit der Märchen war bis auf weiteres vorbei.

Der ominöse „weibliche Blick“

Eva Bosáková in O něčem jiném

Im Zeughauskino in Berlin zelebriert man dieser Tage die erste Welle von weiblichen Filmemacherinnen, die sich in den 60er Jahren in der männerdominierten Filmwelt durchsetzen konnten. Fünfundzwanzig Filme von zwanzig europäischen Regisseurinnen werden mit umfangreichem Begleitprogramm präsentiert. Viele dieser Filme sind Wiederentdeckungen, die lange nicht mehr zu sehen waren oder überhaupt zum ersten Mal auf deutschem Boden gezeigt werden. Sie sind in einer Welt entstanden, in der Frauen in der Produktion und Distribution von Filmen benachteiligt werden. Die jahrelange Marginalisierung von Frauen in der Filmkunst, die wie keine andere Kunstform von finanziellen Rahmenbedingungen abhängt, ist beklagenswert. Wie viele Meisterwerke sind durch die Ausgrenzung großer Künstlerinnen verloren gegangen?

O něčem jiném von Věra Chytilová

O něčem jiném von Věra Chytilová

Immer wieder wird in Diskussionen dabei der „weibliche Blick“ beschworen. Dieser ominöse „weibliche Blick“ soll Filmemacherinnen ureigen sein und sich als ästhetische Konstante durch deren Werk ziehen. Wenn auf den großen Festivals ein Film einer Regisseurin für Furore sorgt, oder sich in den Arthauskinos ein Film einer Frau besonders gut verkauft, dann dominiert er die Berichterstattung. Ähnlich wie Filmemacher mit Migrationshintergrund oder nicht-weißer Hautfarbe gerne auf diese Eigenschaft reduziert werden, ist es im filmischen Diskurs gelungen Filmemacherinnen auf den „weiblichen Blick“ zu reduzieren. Nach einem Screening ihres Films Le Meraviglie konstatierte Alice Rohrwacher, selbst wenn sie einen Film machen würde, indem pausenlos Menschen mit Maschinengewehren niedergemäht werden, wäre nur eine Aufnahme einer Blumenwiese im Film, würde man ihr einen „female gaze“ unterstellen. Dabei wird dann gerne darauf vergessen, dass diese Filme nicht ihre „Weiblichkeit“ auszeichnet, sondern ihre Qualität. Als kürzlich nach dem Tod Chantal Akermans hervorgehoben wurde, dass sie die bedeutsamste feministische Filmemacherin war, wurde ganz darauf vergessen, dass sie darüber hinaus „eine der größten und bedeutendsten Künstlerinnen (unabhängig ihres Geschlechts)“ war, wie es Patrick in seinem Nachruf für kino-zeit.de formulierte. Am Beispiel Akermans wird ohnehin deutlich, dass eine Filmemacherin, auch wenn sie als größte feministische Filmemacherin gepriesen wird, nie nur Frau ist, sondern sich ihre Perspektive (oder ihr Blick, wenn man so will), immer aus verschiedenen Erfahrungen zusammensetzt; Akerman ist Frau/Mädchen, Jüdin, geprägt durch ihre Kindheitstage in Armut und ihr wechselvolles Verhältnis zu ihren Eltern. Der Begriff des „weiblichen Blicks“ ist insofern irreführend, als er dazu verleitet anzunehmen, dass Frauen durch ihr zartes, feinfühliges Innenleben automatisch eine bestimmte Form von Filmbildern, eine bestimmte Ästhetik bevorzugen. Das ist bullshit. Genauso fehlgeleitet, wie der Versuch, die restlichen 90 oder mehr Prozent, aller gedrehten Filme unter dem Begriff eines „männlichen Blicks“ subsumieren zu wollen. Ohne Zweifel wird man die Blumenwiese finden, wenn man sie sucht, genauso den Phallus. Geht man in der Thesenbildung von einer patriarchalischen Struktur im „männlichen Blick“ aus, so wird man fündig werdenSelbstverständlich unterscheiden sich Filme von Frauen in gewissen Punkten von den Werken ihrer männlichen Kollegen und selbstverständlich ähneln sie sich dafür untereinander in sehr vielen Punkten, aber das liegt weniger an einer verborgenen Sentimentalität oder typisch weiblichen Charakterzügen, die ihre Filme prägen, sondern an der Welt in der sie leben. Mit der Marxismus-Keule in der Hand könnte man von Determinierung sprechen.

Ein Künstler oder eine Künstlerin (es gibt sicherlich Ausnahmen) projiziert immer Bestandteile ihres Lebensumfelds in ihr Werk. Bei manchen ist das offensichtlich, bei manchen wirkt es verborgen. Frauen leben in einer Welt, die es ihnen in vielerlei Hinsicht nicht leicht macht. Dies trifft umso mehr auf Frauen in den 60er Jahren zu. Dementsprechend findet sich in Filmen von Frauen oft ein Abbild dieser Verhältnisse. Sie verarbeiten ihre Lage, ihre Ängste, ihre Probleme mittels ihrer Filme. Bei den Pionierinnen weiblichen Filmschaffens, denen diese Schau gewidmet ist, finden sich vermehrt solche Motive, denn die Lebenserfahrung dieser Frauen als Filmemacherinnen war bestimmend für ihr Filmschaffen. Diese Erfahrungen unterschieden sich sehr stark von jenen ihrer männlichen Kollegen – Frauen arbeiteten in einem fremden und diskriminierenden Umfeld, ob in Frankreich, Ungarn oder der Tschechoslowaki, deshalb finden sich trotz nationaler und kultureller Unterschiede Verbindungslinien zwischen ihren Filmen. In Opposition zu den Filmen männlicher Regisseure, wo es zumeist um Männer geht, handeln ihre Filme oft von Frauen und ihren Alltagserfahrungen, im Speziellen ihrem Arbeitsleben und ihren (sexuellen) Sehnsüchten. Die Andersartigkeit dieser Filme ist also bedingt durch die alternative Perspektive auf die Welt, die diese Frauen mittels ihrer Filme teilen, und nicht mit einem „weiblichen Blick“, der eine bestimmte Ästhetik zur Folge hat. In weiterer Folge werde ich also vermeiden einen „weiblichen Blick“ in der Bildsprache dieser Filmemacherinnen herbeizuimaginieren, sondern ihre Filme als das zu beschreiben, was sie sind: gute, mitunter auch großartige Werke.

Neun Leben hat die Katze von Ula Stöckl

Neun Leben hat die Katze von Ula Stöckl

Věra Chytilovás O něčem jiném ist ein Musterbeispiel für einen Film, der die Lebenswelt der Frau thematisiert und fassbar macht. Ursprünglich als Film über die damalige Weltklasseturnerin Eva Bosáková konzipiert, geht Chytilová weit über die Konventionen des biografischen Films hinaus. Zwar lässt sich der Film problemlos innerhalb der Nová vlna verorten – reduzierte, kontraststarke Schwarz-Weiß-Bilder, eine nicht ungetrübte Sicht auf die Lebensverhältnisse in der damaligen Tschechoslowakei und eingestreut, ein paar formal sehr wagemutige Montagesequenzen und raffinierte Kameraeinstellungen – doch im Umgang mit seinen Figuren und deren Lebenswelt ist der Film außergewöhnlich. An die Seite Bosákovás, die sich im Film selbst spielt, stellt Chytilová eine zweite weibliche Figur. Die beiden Frauen begegnen sich nie, ihre Geschichten laufen parallel nebeneinander, führen nie zusammen, kommentieren sich jedoch gegenseitig. In beiden Fällen geht es um den Terror der weiblichen Existenz. Zum einen manifestiert sich dieser Terror in Evas täglichem Training, der Monotonie, den Erwartungen, die in sie gesetzt werden und die sie ermüden, die Fremdbestimmung durch ihre Trainer. Zum anderen ist da die tägliche Hölle der Věra, die als Hausfrau für ihren Sohn sorgt und gleichzeitig auch ihren Ehemann bemuttern muss. Chytilová zeichnet die ständig wiederholenden, entwürdigenden und nervenaufreibenden Alltagstätigkeiten der Věra in hektisch geschnittenen Montagesequenzen nach, wohingegen das Training der Eva in langen Einstellungen gezeigt wird, in denen sich die gleichen Bewegungsmuster wiederholen. Beide hadern sie mit ihrem Schicksal – Eva kündigt schließlich ihren Rücktritt vom Leistungssport an, Věra nimmt sich einen Liebhaber – schlussendlich können sie ihrem Leben aber beide nicht entfliehen. Eva arbeitet nach ihrer aktiven Laufbahn als Trainerin weiter, Věra bettelt ihren Ehemann an, bei ihr zu bleiben, als dieser ihr von seiner eigenen Affäre berichtet. Es gelingt ihnen also nicht die diskriminierenden Strukturen zu durchbrechen, doch sie testen ihre Grenzen aus und nehmen sich innerhalb des einengenden Systems ihre Freiheiten. Chytilovás zeichnet ihre Frauenfiguren weder als Revolutionärinnen, noch als Märtyrinnen, sondern die Veränderung im Kleinen ist ihr Programm, ähnlich wie in anderen Filmen der Reihe, wie Nelly Kaplans La fiancée du pirate, Ula Stöckls Neun Leben hat die Katze oder Lina Wertmüllers Il mio corpo per un poker. Es gilt, das System von innen heraus zu verändern.

Im Zeughauskino in Berlin zelebriert man dieser Tage die erste Welle von weiblichen Filmemacherinnen, die sich in den 60er Jahren in der männerdominierten Filmwelt durchsetzen konnten. Fünfundzwanzig Filme von zwanzig europäischen Regisseurinnen werden mit umfangreichem Begleitprogramm präsentiert. Viele dieser Filme sind Wiederentdeckungen, die lange nicht mehr zu sehen waren oder überhaupt zum ersten Mal auf deutschem Boden gezeigt werden. Sie sind in einer Welt entstanden, in der Frauen in der Produktion und Distribution von Filmen benachteiligt werden. Die jahrelange Marginalisierung von Frauen in der Filmkunst, die wie keine andere Kunstform von finanziellen Rahmenbedingungen abhängt, ist beklagenswert. Wie viele Meisterwerke sind durch die Ausgrenzung großer Künstlerinnen verloren gegangen?

O něčem jiném von Věra Chytilová

O něčem jiném von Věra Chytilová

Immer wieder wird in Diskussionen dabei der „weibliche Blick“ beschworen. Dieser ominöse „weibliche Blick“ soll Filmemacherinnen ureigen sein und sich als ästhetische Konstante durch deren Werk ziehen. Wenn auf den großen Festivals ein Film einer Regisseurin für Furore sorgt, oder sich in den Arthauskinos ein Film einer Frau besonders gut verkauft, dann dominiert er die Berichterstattung. Ähnlich wie Filmemacher mit Migrationshintergrund oder nicht-weißer Hautfarbe gerne auf diese Eigenschaft reduziert werden, ist es im filmischen Diskurs gelungen Filmemacherinnen auf den „weiblichen Blick“ zu reduzieren. Nach einem Screening ihres Films Le Meraviglie konstatierte Alice Rohrwacher, selbst wenn sie einen Film machen würde, indem pausenlos Menschen mit Maschinengewehren niedergemäht werden, wäre nur eine Aufnahme einer Blumenwiese im Film, würde man ihr einen „female gaze“ unterstellen. Dabei wird dann gerne darauf vergessen, dass diese Filme nicht ihre „Weiblichkeit“ auszeichnet, sondern ihre Qualität. Als kürzlich nach dem Tod Chantal Akermans hervorgehoben wurde, dass sie die bedeutsamste feministische Filmemacherin war, wurde ganz darauf vergessen, dass sie darüber hinaus „eine der größten und bedeutendsten Künstlerinnen (unabhängig ihres Geschlechts)“ war, wie es Patrick in seinem Nachruf für kino-zeit.de formulierte. Am Beispiel Akermans wird ohnehin deutlich, dass eine Filmemacherin, auch wenn sie als größte feministische Filmemacherin gepriesen wird, nie nur Frau ist, sondern sich ihre Perspektive (oder ihr Blick, wenn man so will), immer aus verschiedenen Erfahrungen zusammensetzt; Akerman ist Frau/Mädchen, Jüdin, geprägt durch ihre Kindheitstage in Armut und ihr wechselvolles Verhältnis zu ihren Eltern. Der Begriff des „weiblichen Blicks“ ist insofern irreführend, als er dazu verleitet anzunehmen, dass Frauen durch ihr zartes, feinfühliges Innenleben automatisch eine bestimmte Form von Filmbildern, eine bestimmte Ästhetik bevorzugen. Das ist bullshit. Genauso fehlgeleitet, wie der Versuch, die restlichen 90 oder mehr Prozent, aller gedrehten Filme unter dem Begriff eines „männlichen Blicks“ subsumieren zu wollen. Ohne Zweifel wird man die Blumenwiese finden, wenn man sie sucht, genauso den Phallus. Geht man in der Thesenbildung von einer patriarchalischen Struktur im „männlichen Blick“ aus, so wird man fündig werden; dieses Verzetteln in absurden geschlechterspezifischen ästhetischen Kategorien, das ist die große Verirrung der feministischen Filmtheorie. Selbstverständlich unterscheiden sich Filme von Frauen in gewissen Punkten von den Werken ihrer männlichen Kollegen und selbstverständlich ähneln sie sich dafür untereinander in sehr vielen Punkten, aber das liegt weniger an einer verborgenen Sentimentalität oder typisch weiblichen Charakterzügen, die ihre Filme prägen, sondern an der Welt in der sie leben. Mit der Marxismus-Keule in der Hand könnte man von Determinierung sprechen.

Ein Künstler oder eine Künstlerin (es gibt sicherlich Ausnahmen) projiziert immer Bestandteile ihres Lebensumfelds in ihr Werk. Bei manchen ist das offensichtlich, bei manchen wirkt es verborgen. Frauen leben in einer Welt, die es ihnen in vielerlei Hinsicht nicht leicht macht. Dies trifft umso mehr auf Frauen in den 60er Jahren zu. Dementsprechend findet sich in Filmen von Frauen oft ein Abbild dieser Verhältnisse. Sie verarbeiten ihre Lage, ihre Ängste, ihre Probleme mittels ihrer Filme. Bei den Pionierinnen weiblichen Filmschaffens, denen diese Schau gewidmet ist, finden sich vermehrt solche Motive, denn die Lebenserfahrung dieser Frauen als Filmemacherinnen war bestimmend für ihr Filmschaffen. Diese Erfahrungen unterschieden sich sehr stark von jenen ihrer männlichen Kollegen – Frauen arbeiteten in einem fremden und diskriminierenden Umfeld, ob in Frankreich, Ungarn oder der Tschechoslowaki, deshalb finden sich trotz nationaler und kultureller Unterschiede Verbindungslinien zwischen ihren Filmen. In Opposition zu den Filmen männlicher Regisseure, wo es zumeist um Männer geht, handeln ihre Filme oft von Frauen und ihren Alltagserfahrungen, im Speziellen ihrem Arbeitsleben und ihren (sexuellen) Sehnsüchten. Die Andersartigkeit dieser Filme ist also bedingt durch die alternative Perspektive auf die Welt, die diese Frauen mittels ihrer Filme teilen, und nicht mit einem „weiblichen Blick“, der eine bestimmte Ästhetik zur Folge hat. In weiterer Folge werde ich also vermeiden einen „weiblichen Blick“ in der Bildsprache dieser Filmemacherinnen herbeizuimaginieren, sondern ihre Filme als das zu beschreiben, was sie sind: gute, mitunter auch großartige Werke.

Neun Leben hat die Katze von Ula Stöckl

Neun Leben hat die Katze von Ula Stöckl

Věra Chytilovás O něčem jiném ist ein Musterbeispiel für einen Film, der die Lebenswelt der Frau thematisiert und fassbar macht. Ursprünglich als Film über die damalige Weltklasseturnerin Eva Bosáková konzipiert, geht Chytilová weit über die Konventionen des biografischen Films hinaus. Zwar lässt sich der Film problemlos innerhalb der Nová vlna verorten – reduzierte, kontraststarke Schwarz-Weiß-Bilder, eine nicht ungetrübte Sicht auf die Lebensverhältnisse in der damaligen Tschechoslowakei und eingestreut, ein paar formal sehr wagemutige Montagesequenzen und raffinierte Kameraeinstellungen – doch im Umgang mit seinen Figuren und deren Lebenswelt ist der Film außergewöhnlich. An die Seite Bosákovás, die sich im Film selbst spielt, stellt Chytilová eine zweite weibliche Figur. Die beiden Frauen begegnen sich nie, ihre Geschichten laufen parallel nebeneinander, führen nie zusammen, kommentieren sich jedoch gegenseitig. In beiden Fällen geht es um den Terror der weiblichen Existenz. Zum einen manifestiert sich dieser Terror in Evas täglichem Training, der Monotonie, den Erwartungen, die in sie gesetzt werden und die sie ermüden, die Fremdbestimmung durch ihre Trainer. Zum anderen ist da die tägliche Hölle der Věra, die als Hausfrau für ihren Sohn sorgt und gleichzeitig auch ihren Ehemann bemuttern muss. Chytilová zeichnet die ständig wiederholenden, entwürdigenden und nervenaufreibenden Alltagstätigkeiten der Věra in hektisch geschnittenen Montagesequenzen nach, wohingegen das Training der Eva in langen Einstellungen gezeigt wird, in denen sich die gleichen Bewegungsmuster wiederholen. Beide hadern sie mit ihrem Schicksal – Eva kündigt schließlich ihren Rücktritt vom Leistungssport an, Věra nimmt sich einen Liebhaber – schlussendlich können sie ihrem Leben aber beide nicht entfliehen. Eva arbeitet nach ihrer aktiven Laufbahn als Trainerin weiter, Věra bettelt ihren Ehemann an, bei ihr zu bleiben, als dieser ihr von seiner eigenen Affäre berichtet. Es gelingt ihnen also nicht die diskriminierenden Strukturen zu durchbrechen, doch sie testen ihre Grenzen aus und nehmen sich innerhalb des einengenden Systems ihre Freiheiten. Chytilovás zeichnet ihre Frauenfiguren weder als Revolutionärinnen, noch als Märtyrinnen, sondern die Veränderung im Kleinen ist ihr Programm, ähnlich wie in anderen Filmen der Reihe, wie Nelly Kaplans La fiancée du pirate, Ula Stöckls Neun Leben hat die Katze oder Lina Wertmüllers Il mio corpo per un poker. Es gilt, das System von innen heraus zu verändern.

In Neun Leben hat die Katze sehen sich die Protagonistinnen schließlich mit einem ähnlichen Dilemma konfrontiert. Die Welt geht einfach weiter, das System beschneidet weiter ihr Leben, die Welt ist ein Kreislauf, doch dieser schließt Veränderung und Ausbrechen nicht kategorisch aus. Der Film beginnt im Auto, Katharinas französische Freundin Anne ist gerade in München angekommen. Nur langsam erschließt sich durch die sprunghafte, episodische Struktur das Umfeld dieser vielschichtigen Frauen. Sie sind der Fokus des Films, die Männer sind schablonenhafte, farblose Stereotypen; die Kräfteverhältnisse sind also umgekehrt. Während im Film zumeist Frauen auf bestimmte Rollenbilder reduziert werden, und dadurch wenig lebendig wirken, sind es hier die Männer (ein ähnliches Schicksal erleiden die Männer in O něčem jiném). Die Umkehrung der Verhältnisse ist ein Hauptmotiv in Neun Leben hat die Katze. In surrealistischen Einschüben werden die verborgenen Sehnsüchte, die Fantasien (keine Männerfantasien) von Anne und Katharina präsentiert. Sie unterhalten sich in einem Jargon, der typisch ist für die Generation junger Filmemacher der 60er Jahre, die durch die Nouvelle Vague inspiriert sind, und auch aus der Feder Godards stammen könnte. Beide Frauen sind emanzipiert und nehmen sich Freiheiten, aber auch sie müssen sich schließlich dem System geschlagen geben. Der Film endet wieder mit einer Autofahrt, diesmal sind es aber zwei Männer, die wir auf einer Sonntagsfahrt begleiten. Das Roadmovie durch das Leben der beiden Frauen nimmt schlagartig ein Ende. Sie haben die Oberhand über die Narration verloren, auch sie konnten die Strukturen nur biegen, Grenzen austesten, aber nicht zerschlagen. Veränderung findet auch hier nicht als Revolution, sondern im Kleinen statt.

Ähnlich verhält es sich bei Belle Starr, der Heldin in Lina Wertmüllers Spaghetti-Western Il mio corpo per un poker, dem einzigen Film dieses Genres, der von einer Frau gedreht wurde. Belle ist eine berüchtigte Revolverheldin, sie pokert, raucht Zigarren, duelliert sich und steht ihren männlichen Kontrahenten in nichts nach. Sie nimmt sich in der Männerdomäne des Wilden Westens was sie will, denn dort gilt nur das Gesetz der Waffe. Ihre Freiheit hat sie mit einem hohen Preis bezahlt: sie hat den Tod ihres Vaters und ihres besten Freundes verschuldet. Sie kann als Frau in dieser Männerwelt nur überleben, indem sie ihre Weiblichkeit bis zu einem gewissen Grad aufgegibt. Belle trägt Männerkleidung, ordnet sich dem Gesetz des Westens, dem ewigen Schwanzvergleich unter. Als sie ihre weiblichen Seiten wieder zulässt, endet sie wie dutzende andere „Belles“ des klassischen Westerns: sie opfert sich auf für einen Mann, lässt sich kleinkriegen, verzichtet auf ihre Selbstbestimmheit, um es dem Mann zu ermöglichen, in den Sonnenuntergang zu reiten. Il mio corpo per un poker ist der Versuch einer Revolution, die sich Kompromiss verliert; eine Revolution des Scheiterns.